Powell entschuldigt sich bei Arabern,” hieß es am 17. Mai in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Bei einem Blitzbesuch in Jordanien hatte der amerikanische Außenminister sich im Namen seiner Nation für die Folterungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib entschuldigt und um neues Vertrauen gebeten. “Doch diese Geste”, so heißt es weiter, “wurde beim Weltwirtschaftsforum am jordanischen Ufer des Toten Meeres nur halbherzig angenommen”.
Öffentliche Entschuldigungen sind in den letzten Jahren so sehr in Mode gekommen, dass gelegentlich schon vom “Zeitalter der Entschuldigungen” die Rede ist. Sie sind aber auch in Gefahr, zu einem zu häufig bemühten, beliebigen und kaum noch glaubwürdigen Versatzstück aus dem Instrumentenkasten der Politik zu verkommen. Mehr noch als in den höflich-diplomatischen Worten im jordanischen Schuneh, zeigt sich das in Reaktionen in aller Welt auf die einschlägigen Einlassungen der Herren Bush und Rumsfeld.
Was die regierenden Herren der USA sich da abrangen, sind Beispiele dafür, wie Entschuldigungen nicht ausgesprochen werden sollen: Leerformeln, gefolgt von Selbstlob und fortbestehender Überheblichkeit und ohne die Bereitschaft, die volle persönliche Verantwortung zu übernehmen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Dass sie von der einzig verbliebenen Weltmacht überhaupt ausgesprochen wurde, zeigt aber, wie sehr solche Erklärungen inzwischen zum festen Bestandteil der internationalen Politik geworden sind.
Für diesen Trend lassen sich eine Reihe von Erklärungen finden. In der Zeit nach 1945 und ihrem “Nie wieder” wurden normative Ordnungen und Institutionen zur Regelung der internationalen Beziehungen geschaffen. Dazu gehört die Charta der Vereinten Nationen, die den Angriffskrieg ächtet, die 1949 verabschiedete Konvention gegen Völkermord, die überarbeiteten Genfer Konventionen von 1949 und die 1951 formulierte internationale Flüchtlingskonvention. Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) wurden auch die Rechte der Individuen allgemein anerkannt.
Bald darauf hat die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und die damit verbundene Blockbildung dafür herhalten müssen, dass Menschenrechtsverletzungen und Diktaturen geduldet und unterstützt wurden. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Beseitigung vieler repressiver Regime stand die Frage der Bewältigung ihres Erbes an. Gleichzeitig organisierten sich nicht nur die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und forderten unter anderem Entschuldigungen und Entschädigungen, es entstanden, insbesondere in den westlichen Demokratien, auch (Wähler-)Gruppen, die von ihren Politikern erwarteten, dass sie Fehler eingestanden und wieder gut zu machen suchten. Und schließlich kamen in manchen Ländern Menschen an die Macht, die von der Pädagogik und der narzisstischen Therapiekultur der sechziger und siebziger Jahre geprägt sind und deshalb die öffentliche Aufarbeitung von Versäumnissen und Gefühlen als Teil der politischen Kultur betrachten und praktizieren.
Niemand anders repräsentiert diese Strömung besser als der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton, der es meisterhaft verstand, Zerknirschung und Mitgefühl zu vermitteln. Im April 1995 bot er den Landsleuten, die während des Kalten Krieges heimlich bestrahlt worden waren, eine Entschuldigung an und versprach: “Wir werden unseren Bürgern die Wahrheit nicht mehr vorenthalten.” Im Mai 1997 entschuldigte er sich bei den Überlebenden einer Langzeitstudie der nationalen Gesundheitsbehörden, die 399 an Syphilis erkrankten Afro-Amerikanern vier Jahrzehnte die Behandlung vorenthalten hatte. Das Verhalten der Behörden sei “eindeutig rassistisch” gewesen. Sein britischer Kollege Tony Blair ging einen Monat später, gerade an die Macht gewählt und mit hohem moralischen Anspruch auftretend, weit in die Geschichte zurück und entschuldigte sich dafür, dass sein Land im Hinblick auf die große Hungersnot in Irland (1845-1851) nicht genügend getan habe.
Auch außenpolitisch verstand Clinton sich aus Entschuldigen: Anders als zunächst geplant, besuchte er im Rahmen seiner Afrikareise im März 1998 auch Ruanda und bekannte für die USA - und für andere Mitglieder der internationalen Gemeinschaft gleich mit - dass man nicht gleich recht verstanden habe, was dort geschah, dass man nicht schnell genug gehandelt und das Verbrechen nicht beim richtigen Namen - Genozid - benannt habe. Das hatte seine Außenministerin Madeleine Albright schon im Dezember 1997 in einer Rede vor der Organisation der Afrikanischen Einheit (AU) eingestanden. Beide Politiker haben selbst nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt immer wieder davon gesprochen, dass sie bedauern, in diesem Fall nicht anders gehandelt zu haben.
Und weil charmante Eingeständnisse gut fürs Klima sind, bekannte der amerikanische Präsident im benachbarten Uganda auch gleich noch, das die USA die afrikanischen Länder während des Kalten Krieges nur nach ihrer Block-Loyalität beurteilt hätten und nicht danach, ob die politischen Führer “die Hoffnungen ihrer eigenen Völker” erfüllten. Und schließlich gab es auch noch eine halbe Entschuldigung für die Sklaverei, deren Früchte die europäischen, also weißen Amerikaner geerntet hätten: “Wir haben falsch daran getan”.
Noch weiter holte dann Großbritanniens Außenminister Jack Straw im Jahr 2002 aus, als er bekannte, dass das ehemalige britische Weltreich eine historische Mitschuld an vielen gegenwärtigen Problemen trage: “Viele Probleme, mit denen wir uns heute auseinander setzen müssen, sind eine Konsequenz unserer Kolonialvergangenheit.” Und in der Tat, die Länder, die er dann im Interview mit dem britischen Magazin “New Statesman” aufzählte, sind überwiegend genau die, die derzeit so viel Kopfzerbrechen bereiten: Israel/Palästina, Afghanistan, Irak, Indien/Pakistan.
So viele und zudem freiwillige Bekenntnisse müssen misstrauisch machen. Kann man sich glaubhaft für etwas entschuldigen, was Generationen zurückliegt? Kann man frühere Generationen mit den Wertmaßstäben von heute beurteilen? Warum gibt es in einem Fall eine Entschuldigung und in einem - weitaus gravierenderen - nicht? Richten sich die Entschuldigungen wirklich an die Opfer oder schielen sie nicht auch und manchmal in erster Linie innenpolitisch auf Wählerstimmen? Hat, wer sich entschuldigt, wirklich etwas gelernt, und zieht daraus Konsequenzen, nicht zuletzt dadurch, dass er Vorkehrungen trifft, dass es nicht noch einmal zu ähnlichen Verbrechen kommt? Wie glaubwürdig sind Entschuldigungen, wenn sie nicht mit Entschädigungen verbunden sind? Sind nicht die Forderung nach Entschuldigung und Entschädigung längst Teil eines teilweise unappetitlichen Gerangels zum eigenen Vorteil?
Einigen dieser Einwände lässt sich schnell begegnen. Natürlich kann man als Individuum nur für etwas Verantwortung übernehmen, was man selbst getan hat. Aber wenn es um Kollektive geht, in deren Namen etwas geschehen ist und die es weiterhin gibt, muss eine Entschuldigung auch für frühere Generationen möglich sein. Allein deshalb, weil sie manchmal vorher nicht möglich ist. Und natürlich kann man die Vergangenheit nach “heutigen Maßstäben” beurteilen, wenn man sich dabei an den grundlegenden Werten etwa der Menschenrechtskonvention und nicht am tagespolitisch Korrekten orientiert und die - leider nicht ganz seltene - pharisäerhafte Besserwisserei vermeidet.
Wie glaubwürdig eine Entschuldigung ist, muss in jedem Einzelfall beurteilt werden, annehmen können sie ohnehin nur die Opfer. Ist Clintons Entschuldigung in Ruanda allein deshalb unglaubwürdig, weil inzwischen gut dokumentiert ist, dass es keineswegs einen Mangel an Informationen gab, dass die USA nicht nur untätig waren, sondern auch das rechtzeitige Eingreifen anderer verhinderten und eine ganze Zeit bewusst das Wort “Genozid”vermieden, dessen Gebrauch auch die USA nach Artikel VIII der Genozidkonvention zum Eingreifen verpflichtet hätte?
Entschuldigungen gewinnen dadurch an Glaubwürdigkeit, dass sie nicht nur einmal ausgesprochen werden, sondern Beginn eines Prozesses sind: im Verhältnis zu den Opfern und in Konsequenzen für zukünftiges (Regierungs-)Handeln. Unter diesem Blickwinkel ist Clintons Entschuldigung in Ruanda hohl, denn es ist nichts getan worden, um die von Samantha Power und Alison des Forges beschriebenen Versäumnisse in der Aufmerksamkeit für sowie in der Analyse, Bewertung und Benennung von eingehenden Informationen zu korrigieren. Doch wie lassen sich Vorkehrungen für das proklamierte “Nie wieder” treffen, wie lässt sich institutionelles Lernen organisieren, wenn die Wählerschaft eine Truppe in die entscheidenden politischen Ämter spült, der daran nicht gelegen ist? Gerade erst hat Jeffrey D. Sachs in der “International Herald Tribune” beschrieben, wie ignorant die derzeitige US-Regierung im Blick auf entfernte und arme Weltgegenden ist.
Die Frage, ob Entschuldigungen nicht immer Entschädigungen folgen müssen, wird kontrovers bleiben. Dass Reparationen sinnvoll sind, wo Menschen infolge erlittener Diskriminierung und Verfolgung noch heute leiden und diese wünschen, liegt auf der Hand. Und da reicht, wie oft praktiziert, der Griff in die Entwicklungshilfekasse nicht aus. Umgekehrt ist es ziemlich grotesk, wenn für lang zurückliegende Tatbestände - etwa die Sklaverei - astronomische Summen gefordert werden, die Lernprozesse und Entschuldigungen verhindern und die Frage aufwerfen, für wen diejenigen, die solche Forderungen erheben, eigentlich sprechen. So verwundert es nicht, dass die Diskussionen um die Sklaverei sowohl in den USA als auch zwischen Europa und Afrika festgefahren sind. Und schließlich gehört zur Diskussion um Entschuldigungen und Entschädigungen auch der ehrliche Blick darauf, dass manche Menschen und Gruppen sich in der Opferrolle ganz gut eingerichtet haben und sie für ihre Zwecke nutzen.
Öffentliche Entschuldigungen können vor allem zweierlei leisten: Erstens gestehen sie ein, dass Menschen Unrecht geschehen ist und erkennen ihr Leid an. Zweitens machen sie den Weg frei für die Anerkennung der historischen Wirklichkeit, für ein gemeinsames Geschichtsverständnis. Das ist, denkt man etwa an die gegenwärtigen Konflikte, in denen beide Seiten Täter sind und sich dennoch als Opfer fühlen und gerieren, eine ganze Menge.
So wünschenswert Entschuldigungen auch sein mögen, sie werden nur dann heilende Kraft entfalten können, wenn sie sich rar machen, also etwas Besonderes bleiben. Der Kniefall Willy Brandts in Warschau 1970 als symbolische Geste ist dafür auch eine Generation später noch ein gutes Beispiel. Wenn aber Entschuldigungen weiterhin inflationär verteilt oder halbherzig bis widerwillig ausgesprochen werden, dann wird auch diese Form der Vergangenheitsbewältigung bald verschlissen sein. Und dann hilft auch keine Entschuldigung mehr für das, was Zyniker, die ja auch immer ein bisschen Warner sind, schon jetzt “Exkulpationsfieber” oder die “Logorrhöe des Lamentierens” nennen.
Renate Wilke-Launer ist Chrefredakteurin des überblick.