Supermärkte für die Welt
von Renate Wilke-Launer
Shoprite kommt nach Maputo! Carlos Cardoso, Mosambiks großem Journalisten, gefiel das nicht. Weil die Regierung dem neuen Supermarkt auch noch Steuer- und Zollnächlässe gewährte, rief er zum Streik und Boykott auf. Doch die Bewohner von Maputo hielten davon gar nichts. Am Tag der Eröffnung, dem 28. August 1997, standen sie zu Tausenden stundenlang Schlange, um ein Schnäppchen zu machen und den neuen Laden mit dem sagenhaften Angebot zu sehen. "In Maputo", so der Journalist David Bullard, der die Eröffnung in der südafrikanischen Zeitung Sunday Times beschrieb, "führt die Eröffnung eines Supermarktes zu einer ähnlichen Aufregung in der Bevölkerung wie sie in anderen Teilen der Welt eine Filmpremiere hervorrufen würde."
Heute ist die Eröffnung eines Supermarktes in einem afrikanischen Land nicht mehr so selten, aber immer noch ein Ereignis. Und oft genug ist es ein Laden der Shoprite-Checkers-Gruppe keine andere Kette kann ihr derzeit in Afrika das Wasser reichen. Hervorgegangen aus ein paar schmuddeligen Supermärkten in Kapstadt, hatte Shoprite durch Übernahme anderer Läden (Grand Bazaars, Checkers, OK Bazaars) und gezielten Ausbau bald landesweite Präsenz erreicht. Anders als die meisten Mitbewerber im mit Supermärkten relativ gut ausgestatteten Südafrika richten sich die Shoprite-Läden vor allem an Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen. Wer ein vielfältigeres Angebot und feinere Läden wünscht, geht zu Pick'n Pay oder ganz fein zu Woolworths.
Shoprites Profil und seine ein wenig an Wal-Mart erinnernde Strategie der "Kasse durch Masse" (Dauerniedrigpreise und Eröffnung immer weiterer Läden) hat auf dem mit modernen Geschäften, mit Konsumgütern überhaupt schlecht versorgten Kontinent Erfolg. 1995 eröffnete Shoprite seinen ersten Supermarkt im sambischen Lusaka, inzwischen gibt es 129 outlets verschiedener Art in 16 Ländern außerhalb Südafrikas. In Mauritius haben die Südafrikaner im November 2002 zum ersten Mal einen großen Shoprite Hyper Market eröffnet.
Shoprite siedelt sich in der Regel in örtlichen Zentren oder Shopping Malls an, zur Miete meist, nur selten durch Kauf wie in der Lugogo Mall im ugandischen Kampala. Nicht nur dort sind andere südafrikanische Ketten gleich nebenan zu finden, etwa Game, eine Mischung aus Haushaltswarengeschäft und Baumarkt, Textilgeschäfte wie Truworths oder Schnellrestaurants wie Steers. Die relativ guten Wachstumsraten vieler afrikanischer Länder, die wachsende Kaufkraft von Ober- und Mittelschicht, das Bedürfnis, durch modernen Konsum Anschluss an den Rest der Welt zu finden und die offensichtliche Marktlücke ziehen Investoren an: Nicht nur ausländische "Entwickler" wie das in Johannesburg residierende Unternehmen Actis, sondern auch einheimische Baulöwen wie Moses Kalungi in Uganda planen Geschäftszentren und Shopping Malls. Der Mosambikaner Momad Bachir Sulemann baut in Maputo eine Mall mit 150 Shops und zwei Filmtheatern, damit das Geld in der Hauptstadt bleibt und weniger Ausflüge ins südliche Nachbarland gemacht werden.
Shoprite gibt ganz offen zu, dass die Expansion vom Kap nach Kairo auch auf den relativ gesättigten südafrikanischen Markt zurückzuführen ist. Die Geschäfte gehen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Läden in Uganda, Tansania, Madagaskar machen Verluste, während die neuen Märkte in den Ölländern Angola und Nigeria gut laufen. Über den Umsatz weiß man in Kapstadt dank Funkübermittlung der Verkaufszahlen immer schnell Bescheid.
Das Auslandsgeschäft trägt überproportional zum Wachstum und Gewinn bei, ist aber auch risikoreich. Shoprite hat jede Menge logistische und bürokratische Probleme zu bewältigen, von der fehlenden Infrastruktur in vielen Ländern bis zu Währungsschwankungen. Andrew Mweemba, der sambische Marktleiter in Nigeria, klagt zum Beispiel darüber, dass verderbliche Ware im Hafen festgehalten wird und die Stromversorgung so unregelmäßig ist; die ganze Palms Mall muss von Generatoren versorgt werden, was die Kosten in die Höhe treibt. Shoprite in Mosambik inzwischen gibt es Läden auch in Beira, Chimoio und Nampula beklagt die vielen Diebstähle und den Mangel an öffentlichen Verkehrsverbindungen. Doch insgesamt, so Shoprite-Boss Whitey Basson, bemühen sich die afrikanischen Regierungen inzwischen um die Ansiedlung von Supermärkten, schließlich zahlten die ja, anders als der informelle Handel, auch Steuern.
Die Herren an der Macht begriffen auch, so Basson, dass die Supermärkte verlässliche Zulieferer brauchten. Der Einkauf im Land erweist sich oft als schwierig, die Bauern klagen über die Anforderungen, Shoprite über mangelnde Qualität und Pünktlichkeit. Und die Konsumenten greifen häufig lieber nach der ausländischen Ware. Deshalb engagiert sich Shoprite nach eigenen Angaben fast überall mit eigenen Trainingsprogrammen und unterstützt gelegentlich lebensmittelverarbeitende Betriebe.
Konkurrenten hat Shoprite kaum. Die großen internationalen Ketten scheuen die schwierigen Bedingungen, und meistens gibt es nicht einmal nationale Mitbewerber. Eine Ausnahme ist Kenia. Dort hat Nakumatt inzwischen 19 Läden und strebt in den nächsten zwei Jahren die Erweiterung auf 30 und im Jahr 2009 den Gang an die Börse an. Derzeit investiert man in Nairobi heftig in die Organisation und Überwachung der Vertriebskette. Seit August betreibt das Unternehmen im Stadtteil Westlands von Nairobi einen Markt, der 24 Stunden am Tag geöffnet ist. Nakumatt will damit auf veränderte Lebensgewohnheiten reagieren. Auch für die Sicherheit, so wird versichert, sei rund um die Uhr gesorgt. Nakumatt ist dabei, auch in die Nachbarländer zu expandieren, nach Tansania, Uganda und Ruanda. "Wir haben das Einkaufsverhalten der Kenianer verändert", sagte Nakumatts Betriebsleiter Thiagarajan Ramamurthy dazu im Juni in Kigali, "und wir werden das hier auch tun." In Arusha und Dar es Salaam werden die Tansanier dann die Wahl zwischen zwei ausländischen Supermärkten habe, denn Shoprite ist in beiden Städten schon vertreten.
Wenn es zwei größere Supermärkte in einer afrikanischen Stadt und nicht mehr nur spektakuläre Einzelprojekte gibt, dann wird man auch in Afrika von einer "Revolution im Einzelhandel" sprechen können. In anderen Teilen der Welt hat sie schon vor Jahren begonnen.
Es ist eine verspätete Revolution. Supermärkte, ohnehin eine relativ junge Entwicklung in Deutschland eröffnete der Edeka-Verbund ab 1954 die ersten Selbstbedienungsläden , beschränkten sich bis Ende der achtziger Jahre überwiegend auf die Expansion im eigenen Land. Sie hatten mit dem Ausbau der eigenen Kette, dem Wettbewerb untereinander, neuen Technologien und den Anpassungen an das veränderte Konsumverhalten der Kunden genug zu tun. Warum sich da auf fremde Geschmäcker einstellen, in unsicheren oder armen Ländern investieren?
Doch in den neunziger Jahren wurden die Märkte in Europa und den USA zu eng: Die hohe Ladendichte, die weit fortgeschrittene Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, die geringen Gewinnmargen, die kaum noch wachsende Bevölkerung all das ließ die Supermarktketten über die Grenzen schauen. Zudem geben die Bürgerinnen und Bürger in vielen wohlhabenden Ländern einen immer geringeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aus und verwenden es lieber für Unterhaltungselektronik oder Urlaubsreisen. Der demografische und gesellschaftliche Wandel verändert auch das Einkaufsverhalten: Die Mittelschicht geht nicht mehr brav in ihren Supermarkt, sondern kauft erst beim Discounter, zieht dann zum Biomarkt weiter und leistet sich schließlich etwas an der Edeltheke im Feinkostgeschäft oder im Kaufhaus. Nach einer Studie der Managementberatung A.T. Kearney werden künftig Nachbarschaftsläden den klassischen Supermärkten Millionen Kunden abjagen. Mit anderen Worten: Tante Emma steht vor einem Comeback.
Während Europa nur satte Konsumenten zu bieten hatte, lockten in Osteuropa und in Teilen der Dritten Welt satte Gewinne. Die Expansion in die aufstrebenden Märkte in Zentral- und Osteuropa, Südasien, Lateinamerika und China erfolgte Schlag auf Schlag und beflügelt heute das Wachstum der 30 größten Lebensmittelhändler der Welt. "Von Mexiko bis Malaysia, sind die ersten fünf in insgesamt 67 Ländern tätig. Die Liberalisierung so lukrativer Märkte wie China und Indien hat in den letzten Jahren ihr Augenmerk auf sich gezogen", schreibt Natalie Berg von Planet Retail.
Pionier der Auslandsinvestitionen im Lebensmittelbereich ist das französische Unternehmen Carrefour, das aus einem 1957 eröffneten Supermarkt in Annecy hervorgegangen ist. Es ist auch heute noch das internationalste mit mehr als 12.000 outlets in 29 Ländern in Europa, Südamerika, Asien und Nordafrika. Und es hat das Format der Hypermärkte (riesige Einzelhandelszentren) populär gemacht. Carrefour bedient verschiedene Formate, vom harten Discounter bis zum besser ausgestatteten Hypermarkt. 1969 hat Carrefour den ersten Laden in Belgien eröffnet, 1973 folgte Spanien, dann 1975 Brasilien und 1982 Argentinien. Nach 1991 ging es verstärkt weiter: In China (seit 1995) ist Carrefour der größte ausländische Einzelhändler, in Brasilien Marktführer bei Hypermärkten. Insbesondere in den arabischen Ländern ist Carrefour stark präsent. Im August 2007 wurde die Eröffnung von vier weiteren Hypermärkten in Saudiarabien angekündigt. Doch Carrefour hatte sich an der zu schnellen Expansion verschluckt: Aus einer ganzen Reihe von anderen Ländern, darunter die USA und Ungarn, hat sich das Unternehmen wieder zurückgezogen. In Portugal wurden im Juli 2007 alle 12 Hypermärkte und 9 Tankstellen an den portugiesischen Mischkonzern Sonae verkauft. Inzwischen scheint es aber wieder besser zu laufen. Carrefour machte 2006 insgesamt 53 Prozent seines Jahresumsatzes von umgerechnet über 115 Milliarden US-Dollar im Ausland.
Das britische Unternehmen Tesco wird als so gut aufgestellt angesehen, dass Natalie Berg von Planet Retail prognostiziert, 2012 werde es die deutsche Metro AG von Platz drei der Weltrangliste verdrängt haben. Tescos Geschichte beginnt mit Jack Cohen, der sein Entlassungsgeld aus der Armee 1919 in Gemüse investierte, das er im Londoner East End verkaufte. Seit 1995 ist das Unternehmen Marktführer in Großbritannien. Tesco bietet ein auf jeden Standort genau abgestimmtes Sortiment und ein ganzes Spektrum von Ladengrößen, von One Stop bis Tesco Extra.
Das erste Auslandsengagement, der Kauf der nordfranzösischen Kette Catteau, im Jahr 1992 erbrachte nicht die gewünschten Resultate; das Unternehmen wurde 1997 wieder abgestoßen. Nachdem es mit Irland besser lief, begann Mitte der neunziger Jahre die Expansion. Tesco kaufte zunächst in Osteuropa gut laufende Unternehmen: in Ungarn (1994), später in Polen (1995), in der Tschechischen Republik (1996) und in der Slowakei (1996). Ab 1998 expandierte Tesco auch nach Asien, erst nach Thailand (1998), nach Südkorea (1999), nach Malaysia (2002), später nach Japan (2003) und nach China (2004). 2007 will Tesco nach gründlicher Vorbereitung unter dem Namen Fresh & Easy auch kleine Geschäfte in den USA eröffnen. Heute hat das Unternehmen 1275 Läden in zwölf Ländern außerhalb Großbritanniens und machte 2006 gut 25 Prozent seines Jahresumsatzes von umgerechnet fast 87 Milliarden US-Dollar im Ausland.
Von den sechs Großen in der Welt ist der Anteil des Auslandsgeschäfts beim absoluten Marktführer Wal-Mart am geringsten. Nur 22 Prozent des Jahresumsatzes von 345 Milliarden US-Dollar kommen aus den ausländischen Märkten. Das nach der Baumarktkette Home Depot drittgrößte Einzelhandelsunternehmen der USA, die Lebensmittel-Supermarktkette Kroger, hat überhaupt keine Auslandsmärkte.
Wal-Marts erstes Geschäft wurde 1962 in der Baumwollstadt Newport in Arkansas eröffnet, seither hat das Unternehmen ein phänomenales Wachstum zu verzeichnen und ist in den USA so gut wie flächendeckend präsent. Bei seinen Investitionen im Ausland derzeit ist das Unternehmen in 13 Ländern vertreten, überwiegend in Mittel- und Südamerika ist Wal-Mart weniger erfolgreich als in seinem Stammgebiet USA. In den beiden Nachbarländer Mexiko (1991) und Kanada (1994) konnte es seine logistische Stärke ausspielen. Auch der Kauf der britischen Supermarktkette Asda 1999 kann als Erfolg gewertet werden. In China, wo Wal-Mart seit 1996 Geschäfte unterhält und aus dem es so viel Ware bezieht, versucht man seit diesem Jahr durch den Zukauf der Trust-Mart-Märkte an Boden zu gewinnen. In Japan (Präsenz seit 2002) gibt es viele starke Wettbewerber; der fünftgrößte, Seiju, an dem Wal-Mart 53 Prozent hält, macht seit sechs Jahren kontinuierlich Verluste. Auf dem hart umkämpften Lebensmittelmarkt in Deutschland mit seinen starken Discountern sind Stil und Management überhaupt nicht angenommen worden, die 85 Märkte wurden 2006 an die Metro AG verkauft, die in 28 Ländern vertreten ist und gerade in den pakistanischen Markt einsteigt. Aus Südkorea (Markteintritt 1998) hat sich Wal-Mart (wie auch Carrefour, seit 1996 im Land) 2006 wieder zurückgezogen.
Auch wenn Wal-Mart selbst keineswegs in aller Welt präsentiert ist, prägt es doch weltweit die Geschäftstätigkeit der Einzelhandelsketten, der großen internationalen Investoren wie der nationalen Ketten. Das riesige Unternehmen bestimmt mit seinen Preisen und seiner Logistik auch die Tätigkeit der Konkurrenz. Es hat Standards gesetzt.
Das Geschäftsmodell ist simpel und attraktiv: Jeden Tag Niedrigpreise. Auf Grund der Mengen, die das Unternehmen bestellt, kann es Lieferanten drücken und Transpostkosten senken. Ein mexikanischer Textillieferant hat das so beschrieben: "Erstmal fragen sie nach einem Rabatt. Obendrauf wollen sie dann noch einen gestaffelten Extranachlass, ein Prozent für eine bestimmte Menge, noch ein Prozent für eine größere Menge. Und dann wollen sie auch noch einen vertraulichen, nicht schriftlich festgehaltenen Sonderrabatt. Und wenn man keine Promotoren für die Ware mitliefert, noch mal Discount. Und schließlich am Jahrestag der Vertragsunterzeichnung wieder einen Nachlass." Wal-Mart verlangt von den Lieferanten genauso effizient und kostenbewusst zu wirtschaften, wie es das auch selbst tut.
Ein ausgefeiltes System sorgt dafür, dass Wal- Mart kaum Ware lagert. Ein Logistikzentrum mit der größten privaten Datenbank der Welt regelt die Planung und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette. Es sorgt dafür, das alles in der richtigen Menge und im richtigen Moment möglichst direkt von Lieferanten in die einzelnen Märkte gelangt. Wie gut das schon vor Jahren funktionierte, illustriert eine Anekdote: Der Fahrradhersteller Huffy Bicycles hatte schlechten Stahl verarbeitet. Beim Rückruf 36 Stunden später stellte sich heraus, dass Wal-Mart bereits alle Fahrräder verkauft hatte, während sie beim ebenfalls belieferten Unternehmen Sears noch nicht einmal ausgepackt worden waren. Seit 2004 setzt Wal-Mart RFID-Funketiketten ein, die es möglich machen, ein Produkt in der Warenkette auf Abruf genau zu verfolgen, vom Feld oder der Fabrik bis in den Einkaufswagen. So können die Bestandsführungskosten noch weiter gesenkt werden.
Wal-Mart hat die Effizienz in der Warenbewirtschaftungskette so radikal verändert, dass wohl und übel die Konkurrenz nachziehen musste. Damit waren die Lebensmittelhändler gleichzeitig gut gerüstet, sich in den Rest der Welt auszudehnen. Die zur gleichen Zeit erfolgte Liberalisierung im Welthandel und bei ausländischen Direktinvestitionen hat diesen Schritt erleichtert. Und in den Zielländern stellte sich rasch heraus, dass es auch einen Bedarf für moderne Geschäfte gab. In den unterversorgten ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas hatte die Bevölkerung große Erwartungen und wollte den Standard der westlichen Länder schnell erreichen. Die neuen Supermärkte vermittelten ein entsprechendes Gefühl. Die Ober- und Mittelschichten Lateinamerikas fanden ebenfalls bald Gefallen an den gekühlten und gut sortierten Geschäften. Urbanisierung, steigende Einkommen, Autobesitz und Berufstätigkeit der Frauen hatten eine Nachfrage nach modernen, bequemen Einkaufsmöglichkeiten geschaffen.
In den meisten Ländern des südamerikanischen Kontinents existierten bereits Supermärkte, die 10 bis 20 Prozent Marktanteil im Lebensmittelhandel hatten. Ausländische Investitionen sei es durch Übernahme vorhandener Ketten oder direkten Aufbau eigener Filialnetze und die dadurch ausgelöste Modernisierung und Expansion einheimischer Anbieter sowie differenzierte Formate hatten zur Folge, dass in Ländern wie Argentinien, Brasilien und Chile Supermärkte innerhalb von nur einem Jahrzehnt einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent erreichten. In den USA und Großbritannien hatte der vergleichbare Prozess fünfzig Jahre gedauert.
Noch während dieser ersten Welle der "Supermarktrevolution" begann eine zweite in weiteren, meist kleineren lateinamerikanischen Ländern und in Südostasien. Auch dort erreichten Supermärkte bald Marktanteile zwischen 30 und 50 Prozent. Die dritte Welle um die Jahrtausendwende in ärmeren und kleineren Ländern Lateinamerikas, in Vietnam und in Kenia hatte innerhalb weniger Jahre zur Folge, dass etwa ein Fünftel der Einkäufe in Supermärkten getätigt wurden. Besonders schnell verläuft die gerade erst beginnende Ausbreitung von Supermärkten in Indien und China, wo durch das hohe Wirtschaftswachstum eine große Nachfrage entstanden ist. Welche Länder die gerade entstehende schwächere vierte Welle erfasst und wie weit sie trägt, etwa in Kambodscha, Bolivien oder afrikanischen Ländern, ist noch nicht absehbar.
Der durch die sehr schnelle Verbreitung von Supermärkten erzeugte Eindruck, dass hier einige wenige Handelskonzerne die Konsumwelt unter sich aufgeteilt haben, verstellt zum einen den Blick darauf, dass der Einstieg in neue Länder oft in Form von Gemeinschaftsunternehmen mit einheimischen Partnern erfolgt, die dadurch an Knowhow gewinnen. Zum anderen wird kaum beachtet, dass es auch starke Konkurrenten in Afrika, Asien und Lateinamerika gibt, die ihrerseits zunehmend jenseits der jeweiligen Landesgrenzen präsent sind. Der Anteil der europäisch- amerikanischen Handelsimperien ist in den einzelnen Ländern und Formaten unterschiedlich, auf dem Land geringer als in der Stadt und bei den Hypermärkten höher als bei den kleineren Formaten.
Der Run von Wal-Mart, Carrefour, Metro, Tesco & Co auf die Auslandsmärkte hat dort hektische Aktivitäten ausgelöst, zur Abwehr der Eindringlinge, im Wettbewerb mit ihnen und der einheimischen Konkurrenz. In der Liste der 30 größten Lebensmittelhändler in Lateinamerika folgen auf Wal-Mart, Casino (ein französisches Unternehmen) und Carrefour drei chilenische und ein mexikanisches Handelsunternehmen. Das chilenische Unternehmen Cencosud die Abkürzung steht für Centros Comerciales de Sud und für ein Unternehmen mit mehr als 500 Super- und Baumärkten, Möbelhäuser und Shoppingcentern ist in Chile und Argentinien Marktführer. Noch mächtiger wird der geplante Zusammenschluss der chilenischen Kaufhauskette Falabella mit der Supermarktholding D&S werden. Falabella hat sich gerade mit der ebenfalls chilenischen Handelsgruppe Ripley zusammengetan, um in Peru Shopping Malls zu bauen. Offenbar machen die Supermärkte und Shopping Malls gute Geschäfte. Wachstum und Gewinnmargen der lateinamerikanischen Einzelhändler lagen 2005/2006 deutlich über dem Schnitt in anderen Weltregionen.
Da Lebensmitteleinzelhandel auch etwas mit Kultur und Geschmack zu tun hat, tun sich ausländische Ketten in der fremden Umgebung manchmal schwer und ziehen dann auch wieder ab. Südkorea und Japan sind Beispiele für solch "eigenwilliges" Konsumentenverhalten. Horst Paulmann, der Chef von Cenco erklärt den geringen Erfolg ausländischer Ketten damit, dass die Konsumenten in seinem Land anders seien. Die Preise seien wichtig, die persönliche Ansprache aber auch. Vor allem seien die Chilenen Genießer und deshalb an Qualität und Frische interessiert.
Insbesondere Wal-Mart mit seinem unerschütterlich amerikanischen Bulldozer-Auftreten ruft Ablehnung und Proteste hervor. Einheimischen Unternehmern gelingt es besser, ihrem Umfeld angepasste Strategien zu entwickeln. In Chile arbeiten Unternehmen wie Cenco mit eigenen Kreditkarten. Dass man auch ärmeren Menschen Kredit einräumen kann, zeigt Magazine Luiza in Brasilien, eine Kaufhauskette für Möbel, Elektrogeräte und "weiße Ware" (elektrische Haushaltsgeräte), die sich ganz gezielt an ärmere Bevölkerungsgruppen wendet. Die Kunden können bei niedrigen Zinssätzen auf Raten kaufen, sie können im Geschäft persönliche Darlehen aufnehmen, Versicherungen abschließen, ihre Stromrechnung bezahlen, was Menschen, die kein Konto haben, sonst nur schwer möglich ist. In einem Teil der Läden stehen statt der zu kaufenden Ware Computerterminals, das spart Magazine Luiza Kosten. Freundliche Angestellte helfen dafür den Kunden, sich zu orientieren und das für sie richtige zu finden. Die Ware wird dann innerhalb von 48 Stunden nach Hause geliefert. Man kann in den Läden üben, mit einem Computer umzugehen und kostenlos im Internet surfen, Kurse gibt es auch. So lassen sich unter dem Dach eines Kaufhauses Geschäfte mit Gemeinsinn verbinden, die zufriedenen Kunden danken es dem Unternehmen mit hohen Wachstumsraten.
Generell gilt für Entwicklungsländer dass die Einführung von Supermärkten meist mit Läden für die Oberschicht und die im Land lebenden Ausländer beginnt, sich das Angebot aber sehr schnell auf die Mittelschichten und bald auch auf ärmere Bevölkerungsgruppen erweitert. Wenn die Hauptstadt "versorgt" ist, werden weitere Läden in den großen Städten des Hinterlandes eröffnet. Wo es noch keine Wettbewerber gibt, sind sie die Attraktion. Die Binnenmigration und das Fernsehen haben ohnehin schon dafür gesorgt, dass der Supermarkt und manche der Produkte auch dort bekannt sind. Und nicht zuletzt haben auch Kunden aus der Provinz inzwischen mehr Bargeld zur Verfügung, wenn die im Ausland arbeitenden Landsleute Geld an ihre zurückgebliebenen Familien schicken.
Weil Massentransportmittel auch Massen an Käufern bringen, werden Geschäftszentren in verschiedenen Orten Lateinamerikas mit Bahn- und Busbahnhöfen kombiniert. In Montevideo rühmt sich die Tres Cruces Mall-Station der höchsten Verkäufe pro Quadratmeter, in Santiago de Chile verzeichnet der Santa Isabel-Supermarkt in der Mall Paseo Estación bessere Verkaufsergebnisse als alle anderen Läden der Kette. Und im ecuadorianischen Guayaquil entsteht ein Einkaufszentrum an einem Terminal für bis zu 250 Überlandbusse.
Weil der Markt der Ober- und Mittelschichtkunden begrenzt ist, werden auch neue Formate angeboten, denn an die Masse der Kleinkonsumenten kommt man mit Großmärkten in einem entfernteren besseren Stadtteil nicht heran. Sie haben kein Auto, nur begrenzte Lagermöglichkeiten, manche nicht mal einen Kühlschrank. Um sie dennoch in die Läden zu locken, experimentiert Carrefour in Brasilien damit, ihnen Bus- oder Taxifahrten zu erstatten.
Befragungen durch McKinsey-Marktforscher in Brasilien ergaben, dass die potentiellen Kunden sowohl einen Laden in der Nähe als auch die Möglichkeit haben wollen, aus einem breiten Spektrum auswählen zu können, also nicht nur auf sie zugeschnittenen preiswerten Produktlinien: zum Vergleich, um sich gelegentlich etwas zu leisten und die Nachbarn zu beeindrucken. Auch legen sie Wert auf guten Service und das in Nachbarschaftsläden oft mögliche persönliche Verhältnis. Man möchte mit Namen begrüßt werden, auch mal anschreiben lassen können. McKinsey empfiehlt, bei kleineren, dezentralen Läden weniger Geld in die bauliche und technische Ausstattung zu investieren und mehr für Service, Spaß und ein persönliches Verhältnis zu tun. So bestätigt die moderne Konsumforschung, dass Tante Emma ihr Geschäft und ihre Kunden gut verstanden hat. Nur, dass ihr Geschäft jetzt McEmma oder Mom and Pop Inc. oder El Colmado S.l. heißen müsste.
Am anderen Ende des Spektrums stehen die Hypermärkte, die mit ihrer Größe und ihrem Angebot in vielem schon den bescheideneren Shopping Malls früherer Jahre ähneln. Als erste moderne Shopping Mall gilt das nach Plänen von Victor Gruen erbaute Southdale Center in Minnesota, das 1956 eröffnet wurde. Für genügend Kundschaft sollte ein integriertes Kaufhaus sorgen. Solche Publikumsmagneten werden anchor stores genannt und bekommen meist Rabatt bei der Miete. Heute sind das oft Supermärkte, in Afrika etwa der Shoprite-Laden. Ein weiterer Bestandteil ist der food court, eine Ansammlung von verschiedenen Schnellrestaurants unterschiedlicher kulinarischer Traditionen mit gemeinsamen Sitzplätzen in der Mitte. Auf den Gängen stehen vielfach Karren, die etwa Handgefertigtes verkaufen und so Marktatmosphäre vortäuschen.
Die USA sind immer noch das Kernland der Shopping-Paläste, auch wenn die Urform der Mall sich überlebt hat und es bereits sterbende oder schon tote Malls gibt. Der Rest der Welt ist kräftig dabei, sich mit eigenen Kathedralen des Konsums zu versorgen. Es gibt kein Land in Lateinamerika, in dem sich nicht was tut, sagt Jorge Lizan vom International Council of Shopping Centers. Argentinien etwa rühmt sich 47 Shopping Center zu haben, die meisten sind den letzten zehn Jahren entstanden. Das chilenische Unternehmen Cencosud betreibt allein 19 Malls in Argentinien und Chile. In Europa dominieren bei der Neuentwicklung von Shopping Malls nach Auskunft der Immobilienberatung Jones Lang LaSalle die aufstrebenden Märkte. Ein Drittel der 2007/2008 an den Markt gehenden Shopping Mall-Flächen liegt in Russland und der Türkei, dort werden besonders große Zentren errichtet.
Am dynamischsten entwickeln sie sich aber in Asien. Die nach Verkaufsfläche größten Malls der Welt liegen fast alle dort, in China (South China Mall, Golden Resources Mall), in Thailand (Central World Plaza), auf den Philippinen (SM Mall of Asia, SM City North EDSA). 2008 werden sie alle von der Mall of Arabia in Dubai überholt werden. Die Philippinen haben schon länger Malls, die von einheimischen Unternehmen entwickelt wurden und fortlaufend erneuert werden. Zur Eröffnung der SM Mall of Asia am 21. Mai 2006 sollen eine Million Menschen auf den Beinen gewesen seien. Neben 700 nationalen und internationalen Geschäften gibt es dort 150 Imbissstände und Restaurants (dining outlets), das erste Imax-Kino und das erste Eisstadion des Landes mit Olympiamaßen. Bei der Renovierung der Greenbelt Mall in Manila ist das Unternehmen Ayala Land neue Wege gegangen und hat die Mall wieder ins Freie geöffnet. Anker ist hier ein Park mit Lagune, den bis zu 100.000 Menschen am Tag besuchen. Weitere nichtkommerzielle Neuerungen sind ein Kunstmuseum und eine Kapelle.
Auch in den USA geht der Trend zu open-air-Malls. Die jüngste Entwicklung sind Lifestyle Center, bei denen Einkaufsmöglichkeiten mit Freizeit- und Erholungseinrichtungen gekoppelt werden. Sie sind in der Regel kleiner, zielen auf eine betuchtere Kundschaft und erwirtschaften höhere Gewinne. Statt durabler Plastikstühle findet man dort komfortable Sitzgelegenheiten. Die Betreiber können bei Heizung und Kühlung sparen, eilige Kunden finden schneller, was sie suchen. Um die 150 solcher Zentren gibt es in den USA schon, viele weitere sind im Bau. Sie werden nach dem Vorbild der Innenstädte geplant, denen sie sonst das Wasser abgraben. Auch hier scheint die Konsumforschung die Rückkehr zum Bewährten ergeben zu haben als Designprodukt im Privatbesitz.
Und das nicht nur in den USA. Auch Ayala Land bezeichnet seine Greenbelt Mall als Lifestyle Center. Auf dem Jahreskongress des SA Council of Shopping Centres (SACSC) im Oktober 2006 gab es eine kontroverse Diskussion über die Zukunft des Einkaufens im mit Supermärkten und Shopping Malls gut ausgestatteten Südafrika. Die Trendforscherin Cheryl Adamson hielt es für möglich, dass die Konsumenten der gekühlten Zementkästen bald überdrüssig sind und zurück zu "eurozentrischem" fußläufigen Einkaufen wollen. Lisa Blane von KMH Architects war sich ganz sicher, dass sich der Trend zu Lifesstyle Centern auch in Südafrika verstärken werde. Dem widersprach Sisa Ngebulana (Billion Group). Shopping Malls seien doch gerade deshalb entstanden, weil die Kunden der klassischen Hauptstraße überdrüssig geworden seien. Insbesondere schwarze Konsumenten wünschten in überdachten Malls einzukaufen, wo Auswahl und Vergleiche möglich seien. Angesichts der immer weiter wachsenden schwarzen Mittelklasse und deren riesiger, noch nicht ausgeschöpfter Kaufkraft würden Mega Malls wachsen und prosperieren.
Zehn Jahre nach der Eröffnung des ersten Supermarktes in Maputo sind Shopping Malls in aller Welt zum Symbol von Entwicklung geworden. Carlos Cardoso, dem kritischen Geist, der einen eigenständigen Entwicklungsweg für sein Land wollte und der seine Recherchen über einen Bankenskandal im November 2000 mit dem Leben bezahlte, hätte das noch weniger gefallen.
aus: der überblick 03/2007, Seite 28
AUTOR(EN):
Renate Wilke-Launer
ist Chefredakteurin des "überblick".