An Afrikas NGOs stellen manche Partner überzogene Anforderungen
In Afrika sind zu Beginn der neunziger Jahre zahllose NGOs gegründet worden. Nicht wenige dienten dazu, ihren Leitern einen Teil der wachsenden Fördermittel aus dem Norden zu sichern. Das hat unter vielen Gebern Enttäuschung über die afrikanischen NGOs hervorgerufen. Zum Teil ist das aber eine Folge unrealistischer Vorstellungen über die Chancen solcher Gruppen, sich in armen Gesellschaften selbst zu tragen. Viele afrikanische NGOs verdienen Unterstützung, doch die Geber müssen auch die schwarzen Schafe erkennen.
von Ernst Hillebrand
Der dickste Hammer war vielleicht der Unterstützungsantrag des "Selbsthilfekreises für blinde Albinos" aus Togo. Selbsthilfe, blind, Albinos: Ein Schuft, wer hier nicht spontan helfen möchte! Im Antragstext selbst war dann allerdings von sehbehinderten Albinos nicht mehr die Rede - viel hingegen von lobenswerten, aber eher abstrakten Dingen wie von der "Installation industrieller Maschinen in verschiedenen Orten des Landes", von der "Lebensmittelselbstversorgung" und der "Bekämpfung der Wüstenbildung"...
Wer Anfang der neunziger Jahre in Afrika in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war, konnte täglich Dutzende derartiger Schreiben auf seinem Schreibtisch landen sehen. Die beginnende Liberalisierung, der Niedergang von Wirtschaft, Sozialsystem und autoritärer Bürokratie sowie die Massenentlassungen von Funktionären unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme hatten eine Pandorabüchse an individueller Selbsthilfe und Selbstorganisation geöffnet. Neben einer Vielzahl ernsthafter Versuche, gesellschaftliche und politische Interessen zu organisieren (auf die noch zurückzukommen sein wird), entstand eine wahre Flut von Pseudo-NGOs. Menschenrechtsgruppen, Frauengruppen, Kooperativen, Parteien, Demokratisierungsgruppen, Gewerkschaften, Verbände, Rechtsanwalts-, Ärzte-, Unternehmer-, Bauernzusammenschlüsse, alle versehen mit mächtigen Namen, Briefköpfen, Siegeln und wohlklingenden Titeln - vom Gründungspräsidenten über den Exekutivsekretär zum Direktor-Generalsekretär wurde wenig ausgelassen.
Die Qualität der Unterstützungsanträge reichte von ziemlich professionellen Anträgen (inklusive aller wichtigen Schlagworte des entwicklungspolitischen Diskurses) bis hin zu eher kurzen Texten, die kaum über eine relativ rüde Anweisung hinausgingen, wohin das Geld zu überweisen sei. Die Gründung von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) wurde zu einer (meist erfolglosen) Unterform der Existenzgründung. Ich erinnere mich noch gut an eine Absolventin der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Yaoundé in Kamerun, die eines Tages in meinem Büro erschien und mir eröffnete, sie wolle so ein Dings da - "un truc" -, so eine NGO halt, gründen. Die Dame war noch in der Phase der Marktexploration und heischte Orientierung aus berufenem Munde: aus dem des mutmaßlichen Finanzgebers.
Zu solchen Phänomenen gehören aber immer zwei - zum Angebot muss sich die Nachfrage gesellen. Der Boom der "Taxi-NGOs" (alle Mitglieder passen in ein Taxi) in jenen Jahren erklärt sich vollständig nur, wenn man den entwicklungspolitischen Zeitgeist mit berücksichtigt. Nach einer langen Phase staatszentrierter Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, deren Ergebnisse kaum befriedigt hatten, kamen auch in der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend nichtstaatliche Partner in Mode. Eine wachsende Frustration über das erkennbare Versagen der staatlichen Strukturen und über ihre Korruption ließ die Hilfsorganisationen nach neuen Partnern im NGO-Bereich Ausschau halten. Diese Entwicklung verstärkte sich zusätzlich durch die Demokratisierungsbestrebungen der neunziger Jahre. In Ermangelung politischer Institutionen, die den Demokratisierungsprozess wirklich vorantreiben konnten oder wollten, engagierten sich vor allem Vertreter des akademischen Mittelstands Afrikas in NGOs mit politisch-emanzipatorischer Zielsetzung. Die Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit, die diesen Prozess fördern wollten, unterstützten diese Strukturen von Anfang an.
Und auf die wirklich Engagierten folgten die Trittbrettfahrer: die Pseudo-NGOs und Kleinunternehmer, die die Themen- und Bedürfniskonjunkturen ihrer Gegenüber im Norden zielsicher zu bedienen wussten. In den ziemlich frechen, nicht aber unbedingt lebensfernen "Vierzehn Ratschlägen, um Hilfsorganisationen zu täuschen", die eine kamerunische Zeitung 1998 veröffentlichte, heißt es unter der Ziffer 2: "Versuchen Sie bei der Wahl des Namens ihrer Organisation deutlich zu machen, dass Sie die Interessen der Allerärmsten verteidigen wollen; oder aber versuchen Sie, der Mode zu entsprechen: Frauen, Menschenrechte, Umwelt, Armut und so weiter".
Die Vielzahl der NGOs in Afrika erklärt sich aber nicht nur aus diesen Faktoren. Auch in den vielen Fällen ernsthaften Engagements war (und ist) Instabilität eines der zentralen Merkmale der NGO-Landschaft Afrikas. Ein wichtiger Grund ist der sozio-ökonomische Entwicklungsstand. Bürgerengagement bedarf einiger Grundlagen, die in Afrika kaum oder nur schwach gegeben sind: Bildung, Wissen, eine halbwegs gesicherte materielle Existenz.
Nicht übersehen werden konnte aber auch, dass viele NGOs einem inneren Auszehrungsprozess unterlagen. Letztlich auf die Selbstausbeutung engagierter Mitglieder aufbauend, stellten (und stellen) diese Organisationen unter den Lebensbedingungen des urbanen Afrikas hochgradig idealistische Unterfangen dar. Die aktiven Mitglieder investierten Zeit, Energie und eigenes Geld in eine Sache, deren materieller Ertrag unwesentlich war. Dies war oft verbunden mit einer kaum vermeidbaren Vernachlässigung des Hauptberufes und - gerade für Frauen-NGOs ein großes Problem - der familiären Verpflichtungen. Dazu gesellte sich vor allem im Falle von Demokratisierungs- und Menschenrechtsorganisationen ein - zum Teil im wahrsten Sinne des Wortes - mörderischer politischer Druck, der nicht nur auf den Aktivisten, sondern auch auf ihren Familien lastete. Erwartungen des sozialen oder familiären Umfelds, aus der Publizität und der Nähe zu westlichen Geldgebern gleichsam als Nebenprodukt handfeste materielle Vorteile zu ziehen, konnten oder wollten die ernsthaften NGOs nicht erfüllen. Unter diesen Bedingungen ging die Zahl der wirklich aktiven Mitglieder einer NGO im Laufe ihres Lebenszyklus immer stärker zurück. Die Last der Organisationsarbeit fiel auf immer weniger Schultern, die Qualität der Arbeit ließ notwendigerweise immer stärker nach.
Einer der wesentlichen Faktoren, der in den Anfangsjahren des NGO-Booms diesen kurzen Lebenszyklus mit anheizte, war die Weigerung vieler westlicher Hilfsorganisationen, in die personelle und materielle Infrastruktur ihrer Partnerorganisationen zu investieren. Man wollte nicht den Fehler aus der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen wiederholen und bürokratische Strukturen schaffen, hinter denen kein eigenes Engagement und persönlicher Einsatz stand. Die "Eigenbeteiligung" der NGO-Aktivisten und dass es ihnen unmöglich war, über die Organisation ihre Arbeitsplätze und ihre Subsistenz zu sichern, galten als Lackmus-Test für die Ehrlichkeit und das Sachinteresse der Beteiligten. Gerade weil derartig viele NGOs und Pseudo-NGOs die Landschaft bevölkerten, wurden die Maßstäbe besonders hoch gesetzt. Natürlich haftete diesem Ansatz etwas leicht Perfides an. In hohem Maße staatlich unterstützte westliche Hilfsorganisationen verlangten von den zivilgesellschaftlichen Gruppen des Armutskontinents Afrika etwas, was sie selbst zu leisten nicht in der Lage wären: sich und ihr Personal im wesentlichen selbst zu finanzieren und zu tragen.
Mit den Jahren haben beide Seiten gelernt. Sicher ist, dass der Höhepunkt der NGO-Welle erst einmal vorbei ist. Auf beiden Seiten - bei den Geldgebern wie bei den NGOs - ist eine neue Nüchternheit eingekehrt. NGOs stellen mit Sicherheit keinen adäquaten Ersatz für staatliche Strukturen oder die echte Selbstorganisation von sozialen Gruppen dar. Wenn ein noch nicht ausgeschöpftes emanzipatorisches Potential in der Zivilgesellschaft Afrikas vermutet werden darf, dann nicht im ausgereizten Sektor von sogenannten NGOs, sondern im Bereich der Verbände und sozio-ökonomischen Interessengruppen: Gewerkschaften, Bauernverbände, Klein- und Mittelunternehmen, Produzenten des informellen Sektors. NGOs können - nicht anders als in Europa - als Katalysatoren von Organisationsprozessen, als Advocacy-Gruppen (Fürsprecher) oder Beratungseinrichtungen im politischen Prozess eine wichtige Rolle spielen. Was sie aber nicht zu leisten in der Lage sind, ist die "ersatzweise" Vertretung der Armen, der Frauen, der Umweltbelange und so weiter.
Gleichzeitig sind die Entwicklungsagenturen zurückhaltender geworden. Der strenge und streckenweise schockierend arrogante "Anti-Etatismus" der westlichen Entwicklungshilfe (der nicht zuletzt auch von der Weltbank und dem Weltwährungsfonds und ihrer neoliberalen Ideologie befeuert wurde) dürfte sich überlebt haben. Die Frage nach der Rekonstruktion von Staatlichkeit auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene steht eindeutig auf der Tagesordnung der Entwicklungszusammenarbeit.
Auch viele Hilfseinrichtungen haben ihre Lektion aus dem "Boom- and-bust"-Zyklus - der Abfolge von Aufschwung und Zusammenbruch - ihrer Partnerorganisationen gelernt. Die systematische, auf Langfristigkeit und den Aufbau von Organisationsinfrastruktur angelegte Unterstützung hat wieder einen gewissen Stellenwert erhalten. Die Leistungsfähigkeit der NGOs wird heute vernünftiger beurteilt, der gutwillige Glaube an spontane gesellschaftliche Selbstorganisationsprozesse ist geschwunden. Letztlich haben sich nicht nur die überlebenden NGOs professionalisiert, sondern auch die Geber.
Wie allerdings die Trennung der Spreu vom Weizen, die kritisch-konstruktive Zusammenarbeit mit NGOs in Afrika funktionieren soll, wenn nicht gesichert ist, dass die Hilfsorganisationen ständig personell im Land vertreten sind, ist mir noch immer ein Rätsel. Nur im persönlichen Kontakt, in der täglichen Zusammenarbeit, ist es möglich, gemeinsame Erfahrung zu sammeln und das wechselseitige Vertrauen zu schaffen, das beiden Seiten erlaubt, konstruktiv miteinander umzugehen. Wer meint, den Preis einer ständigen Präsenz nicht entrichten zu müssen, läuft Gefahr, der eigenen Unkenntnis des sozialen, kulturellen und politischen Terrains zu erliegen. Afrika ist viel zu arm, als dass Menschen immer der Versuchung widerstehen könnten, mangelndes Wissen, fehlende Kontrolle und vorauseilende Vertrauensseligkeit auszunutzen. Wer das nicht glaubt, der lese die eingangs zitierten "Vierzehn Ratschläge".
NGOs haben sich in den letzten zehn Jahren als bedeutsame soziale und politische Mitspieler in der zivilgesellschaftlichen Landschaft Afrikas etabliert. Ohne sie wären viele Fortschritte in puncto Menschenrechte, Demokratisierung und Meinungsfreiheit nicht möglich gewesen. In ihnen hat sich das emanzipatorische Potential der afrikanischen Gesellschaften gebündelt, in ihnen ist es - zumindest phasenweise - historisch wirksam geworden. Gleichzeitig soll man aber die Bedeutung dieser Strukturen einfach nicht überschätzen. Der gesellschaftliche Humus, in dem sie wurzeln können, ist ziemlich dünn. Sie sind und bleiben Randphänomene, die weder auf breite Unterstützung noch auf tiefere gesellschaftliche Verankerung bauen können. Um so mehr bleiben sie angewiesen auf äußere Unterstützung und Solidarität.
Und diese lohnt sich durchaus. Denn die selbsternannten Verteidiger der sehbehinderten Albinos sind nur die eine Seite. Daneben gibt es eine überwältigende Zahl erfreulicher Erfahrungen. Im Oktober 2000 fanden in der Elfenbeinküste Präsidentschaftswahlen statt, mit denen der Militärmachthaber sich im Amt bestätigen lassen wollte. Der Plan scheiterte nicht zuletzt am Vorsitzenden der Wahlkommission, Honoré Guie. Dieser weigerte sich auch noch im Angesicht der auf ihn gerichteten entsicherten Schusswaffen einer mörderischen Soldateska, im Fernsehen falsche Zahlen zu veröffentlichen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte mit Honoré Guie im Rahmen einer NGO (Groupe d'étude et de recherche sur la démocratie et la développement économique et social en Afrique, Gerddes) über Jahre zusammengearbeitet - wobei ich immer hin und her gerissen war zwischen einem tiefen Respekt für sein Engagement und einer nagenden Skepsis, welche Perspektive dieser Arbeit langfristig in der materialistischen Atmosphäre Abidjans beschieden sein würde. Im Nachhinein erfüllt es mich mit Stolz, dass ich jemanden wie Honoré ein paar Jahre lang auf seinem Weg begleiten durfte. Eine NGO war bei ihm, seinen Kollegen und vielen anderen auch kein truc gewesen, sondern ein echtes, mutiges und beeindruckendes Engagement für mehr Menschlichkeit und Demokratie in ihrem Land.
aus: der überblick 03/2001, Seite 42
AUTOR(EN):
Ernst Hillebrand :
Dr. Ernst Hillebrand ist Projektleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Chile. Von 1990 bis 1996 arbeitete er in Kamerun, Cote d'Ivoire und Benin als Projektleiter der FES.