Wie man verhindert, was man erreichen will
Nachdem die Vergabe von Entwicklungshilfegeldern an staatliche Institutionen in Tansania nicht die erwünschten Erfolge gebracht hat, setzen die Geber jetzt auf nichtstaatliche Organisationen, um eine basisdemokratische Entwicklung zu fördern und die “Zivilgesellschaft” zu stärken. Es zeigt sich aber, dass ihre Vorgehensweise die demokratischen Initiativen von unten eher bremst.
von Jim Igoe
Meine erste Begegnung mit einer nichtstaatlichen Organisation (NGO) der Massai fand im Jahr 1993 statt, als ich während einer Feldforschung ein Dorf besuchte. Die Organisation hieß BOMA. Die führenden Köpfe der Dorfgemeinschaft hatten sie gegründet, weil sie glaubten, dass die Massai-Hirten ihre eigenen Institutionen benötigten, um sich für kulturelle Autonomie und Landrechte besser einsetzen zu können.
Die Liberalisierung in Tansania hatte dazu geführt, dass die Massai-Hirten überall Protestbewegungen ins Leben riefen. Denn ausländische Investoren, wie auch Vertreter der tansanischen Eliten, hatten sich rasch das beste Land und die Naturschätze geschnappt und dabei ganze Dorfgemeinschaften vertrieben. Gleichzeitig eröffnete der Rückzug des Staates den verschiedenen Bürgerbewegungen Spielräume und verlieh ihnen Legitimität. Die chiefs der Hirtengemeinschaften mobilisierten ihre Leute gegen die neue wirtschaftpolitische Ausrichtung und nutzten die politische Liberalisierung dazu, die Basisbewegungen durch registrierte NGOs zu verstärken.
Die Hirten-NGOs begannen mit großen Hoffnungen. Es herrschte das Gefühl, dass alles möglich war. Die NGO-Führungskräfte bemühten sich nachdrücklich, an der Basis Programme zu entwerfen und umzusetzen, die sich damit befassen sollten, Lösungen für Probleme zu entwerfen, die seit langem bestehen. Dazu gehören die unsichere Versorgung mit Nahrungsmitteln, die dürftige medizinische Versorgung und die Unterdrückung der Frauen. Sie zogen auch vor Gericht, um aus ihrer Sicht illegale Landkäufe anzufechten. Solche NGOs fanden in den Dorfgemeinschaften weit und breit viel Unterstützung, und die Geber standen Schlange, um sie zu fördern. Die Gerichtsverhandlungen ließen die Menschen hoffen, dass die Regierung schließlich die Ansprüche der Hirten auf ihr Land anerkennen würde. Teilnehmer an Kundgebungen, die vor den Anhörungen stattfanden, zeigten ein Selbstbewusstsein, das an Euphorie grenzte.
Als ich meine Feldforschung im Jahr 1997 beendete, war die ursprüngliche Begeisterung jedoch verflogen. Die Einheimischen beklagten sich, dass die NGO-Vorsitzenden und die Geldgeber aus ihren Gemeinden verschwunden seien. Die Urteile in den Gerichtsverhandlungen waren äußerst enttäuschend ausgefallen, und mehrere führende Rechtssachverständige Tansanias kamen zu dem Schluss, dass die Hirten-NGOs von den Gerichten wenig zu erwarten hatten. Die Bewegung schien in eine Sackgasse geraten zu sein.
Man sollte aber Institutionen nicht mit einem Prozess verwechseln. Die Hirten-NGOs verkörperten niemals die sozialen Bewegungen an der Basis, sondern waren deren Produkt. Auf der primitivsten Stufe ist eine NGO nicht mehr als ein Büro und ein Stück Papier, und bei Briefkasten-NGOs gibt es nicht einmal das. Eine soziale Bewegung an der Basis ist etwas völlig anderes. NGOs können zwar unter bestimmten Bedingungen die Verbreitung und Stärkung einer Zivilgesellschaft fördern, aber niemals ein Ersatz für dynamische Initiativen der Dorfgemeinschaften selbst werden.
Die NGOs der Massai sind ein interessanter Testfall für diese These. Sie bauen nämlich auf traditionellen Institutionen der Massai auf. Allgemein gelten deren Strukturen als aus sich heraus demokratisch. Basis-NGOs, die diese Institutionen verkörpern, sollten deshalb den Menschen zugänglich sein, denen sie dienen wollen. Das ist eine Sicht, die von einigen NGO-Leitern der Massai propagiert und von ihren Gebern gerne übernommen worden ist. Meiner Erfahrung nach ist diese Vorstellung aber eher normativ und empirisch nicht belegt.
Sprecher von Massai-NGOs und Geber unterstreichen, dass in der traditionellen Massai-Gesellschaft Beschlüsse in öffentlichen Versammlungen durch Konsens gefasst werden - daher rührt die Behauptung, dass traditionelle soziale Institutionen der Massai inhärent demokratisch seien. Solche öffentlichen Versammlungen sind sicher wichtig, doch geben dort in der Regel diejenigen den Ton an, die über den größten Besitz verfügen und Verbindungen zu einflussreichen Außenstehenden haben. Konsens bedeutet hier nicht unbedingt Gleichstellung bei der Entscheidungsbildung oder Demokratie im westlichen liberalen Sinn.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die schwierige Situation von NGO-Vorsitzenden, die ihre Macht von ihrer Stellung zwischen Einheimischen und einflussreichen Außenstehenden ableiten. Die Folge davon ist, dass sie zwischen den häufig unrealistischen Erwartungen ihrer örtlichen Gefolgschaft und den häufig ebenso unrealistischen Forderungen ihrer westlichen Geber hin- und hergerissen sind. Ferner bezogen meine NGO-Informanten Gehälter, die keineswegs ihren Qualifikationen entsprachen. Sie verglichen sich mit ihren westlichen Kollegen, deren Gehälter ein Vielfaches betrugen. Das war um so bitterer für sie, als sich viele gar für besser qualifiziert hielten als ihre westlichen Kollegen.
Um ihre finanzielle Lage zu verbessern haben die führenden Köpfe von NGOs wie auch die meisten tansanischen Fachkräfte wenig andere Möglichkeiten als die Veruntreuung von Mitteln. Manche beklagten bitter Bestechlichkeit und Korruption, veruntreuten selbst aber NGO-Gelder. Sie wollten anderen Gutes tun, aber sie hatten auch Verpflichtungen der eigenen Familie gegenüber, die mit 300 oder 400 US-Dollar im Monat nicht zu erfüllen waren. Das führte zu dem allgemeinen Trend, dass Gebermittel selten ganzen Gemeinschaften zugute kamen, sondern meistens bestimmten Personen innerhalb spezieller Klientel-Netzwerke. Das ist genau das Gegenteil von dem Ideal der Geber, welche die Zivilgesellschaft an der Basis unterstützen wollen.
Bei BOMA war es nicht anders. Im Jahr 1994 begann sie mit dem Bau einer modernen Geschäftsstelle und wurde eines der Gründungsmitglieder von UMBRELLA, einer Dachorganisation für NGOs. BOMA richtete die erste Zusammenkunft der Mitglieder aus. In den nächsten beiden Jahren wurde die Hirtenorganisation zum Liebling der Geber und erhielt Hunderttausende von US-Dollar für ihre verschiedenen Programme. BOMA setzte ihre Aktivitäten zur Mobilisierung der Dorfgemeinschaft fort und gründete darüber hinaus einen Fonds. Aus diesem konnten Verbände gefördert werden, welche die Entwicklung der Gemeinschaft unterstützten, insbesondere Frauen- und Jugendgruppen. Für vielversprechende führende Köpfe in solchen Organisationen finanzierte sie Sonderkurse im In- und Ausland. Ferner zog BOMA gegen den Aufkauf von Land durch kommerziell betriebene Großfarmen vor Gericht sowie gegen Vertreibung von Menschen aus Wildreservaten. Mehrere weitere ehrgeizige Programme waren geplant, darunter ein Rundfunksender, eine Solar City und eine Fachhochschule für Hirten.
Dieser rasche Erfolg der NGO veränderte die Beziehungen zwischen BOMA und ihrer Gefolgschaft. Die führenden BOMA-Mitarbeiter verbrachten mehr Zeit in der Stadt und weniger in der Dorfgemeinschaft. Wenn sie sich im Dorf aufhielten, dann gewöhnlich für die Bewohner unsichtbar im NGO-Komplex. Außerhalb dieses Bereichs war von ihnen wenig mehr zu sehen als eine aufwirbelnde Staubwolke, die einen kaum erkennbaren Landcruiser umhüllte, der mit Tempo 100 vorbei brauste. Mit den Einheimischen sprachen sie nicht mehr in ihrer Rolle als Organisatoren einer sozialen Basisbewegung, sondern als Vermittler zwischen den westlichen Gebern und den Gemeinschaften.
BOMA ist durchaus kein Einzelfall. Die meisten Hirten-NGOs in Tansania sind aus sozialen Basisbewegungen hervorgegangen und haben dann nach und nach die Ideen und Programme von westlichen Gebern übernommen. Kennzeichnend für diesen Prozess war einerseits die Vorstellung, dass Hirten-NGOs eine Vorhut für eine Basisdemokratie werden sollten, andererseits der dazu entgegengesetzte Zwang, in einem bestimmten Zeitraum verschiedene quantifizierbare Projekte zu finanzieren. Solche Widersprüche sind in der Entwicklungsindustrie weit verbreitet, im Kontext der NGO-Revolution in Afrika aber haben sie ganz neue Ausmaße angenommen.
Weil die Geber Hilfsgelder an Regierungen gekürzt und an NGOs umgeleitet haben, wurden afrikanische NGOs zu einer der wenigen Wachstumsindustrien auf einem Kontinent, auf dem die meisten Wirtschaftssektoren in einem alarmierenden Tempo schrumpften. Die Auswirkungen dieser Veränderungen in einem Land wie Tansania, in dem die Entwicklungshilfe und andere Formen von Auslandshilfe die Volkswirtschaft beherrschen, lassen sich gar nicht hoch genug veranschlagen. Um die Bedingungen zur Strukturanpassung zu erfüllen hat die tansanische Regierung in den Jahren 1993 und 1994 rund 50.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut. Viele dieser entlassenen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes folgten dem Geld in den NGO-Sektor. Der Druck der Geber, tansanische NGOs zu finanzieren, noch bevor ein lebensfähiger NGO-Sektor bestand, hat diese Probleme noch verstärkt. In manchen Fällen haben Geber selbst Geburtshelfer für tansanische NGOs gespielt, die anschließend ihre “Partner” werden sollten. Das hat bei den Empfängern den Eindruck hinterlassen, dass Gebermittel im Überfluss zur Verfügung stünden.
Ihrer Natur nach gelten NGOs als immun gegen die Art von Problemen, die afrikanische Staaten in den letzten dreißig bis vierzig Jahren befallen hatten. Aber diese Auffassung lässt sich empirisch kaum untermauern. Erstens sind es häufig die gleichen Leute, die an der Spitze afrikanischer Staaten gestanden haben (und zum Teil noch stehen), die jetzt im NGO-Sektor eine führende Rolle spielen. Zweitens hat die Verbreitung der NGOs ein “Aufgabenumfeld” für Geber geschaffen, das noch weniger voraussagbar ist, als das frühere Umfeld einer Entwicklung unter Führung des Staates. Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist es vielleicht nicht überraschend, dass die afrikanische NGO-Industrie das Gegenteil von dem geworden zu sein scheint, was sie ursprünglich sein sollte.
James Ohayo, ein Finanzanalyst aus Kenia, hat diese Entwicklung in seiner Kolumne in The East African im Jahr 1999 folgendermaßen beschrieben: “Auf dem Hintergrund einer wachsenden Armut in Kenia hat die Anzahl der NGOs dramatisch zugenommen, insbesondere seitdem es politischen Pluralismus gibt. Mitte der neunziger Jahre war die Gründung von NGOs in der oberen Mittelschicht bereits zu einer Modeerscheinung geworden. Bei den einfachen Leuten bestand das Gefühl, dass dies eine Masche war, die sich erfinderische Personen ausgedacht hatten, um rasch reich zu werden, indem sie leichtgläubigen ausländischen Gebern das Geld aus der Tasche ziehen. Auch Kenianern ist die plötzliche und erkennbare Veränderung des Lebensstils etlicher Gründer und Direktoren von NGOs in dieser Zeit nicht verborgen geblieben sowie die Tatsache, dass viele dieser NGOs nichts erreicht haben, während ihre Gründer von einer Auslandsmission zur nächsten trotten und mit dem Hut in der Hand um Gebergeld werben, damit sie ihren üppigen Lebensstil fortsetzen können.”
Von wenigen Ausnahmen abgesehen haben die Hirten-NGOs in Tansania nicht als “Masche zum raschen Reichwerden” begonnen. Sobald sie jedoch erhebliche Mittel erhielten, wurden sie attraktiv für Opportunisten innerhalb der Hirten-Gemeinschaften.
Bestes Beispiel hierfür ist ein Wasserprojekt einer Hirten-NGO für eine Gemeinde an den Ufern eines der größten Flüsse Tansanias. Die Gemeinschaft brauchte kein Wasserprojekt, aber die NGO-Leiter wollten das Geld dafür. Deshalb wurde behauptet, das Projekt solle zur Befähigung von Frauen dienen, und die Geber verlangten, dass es von einer lokalen Frauengruppe organisiert und durchgeführt werden sollte. Zwar gab es in der Gemeinde bereits eine Frauenvereinigung, doch die NGO-Leiter wollten eine Gruppe, die “ihnen gehörte”. Sie wählten eine Frau als Leiterin aus, und die Mitglieder der bereits bestehenden Gruppe wurden auch in der NGO-Frauengruppe aufgenommen. Zum Beweis des Engagements des Dorfes für dieses Projekt sollte die NGO von der gesamten Frauengruppe einen Betrag fordern, der dem Beitrag der Geber entsprach. Das bedeutete die Besteuerung eines Projekts, von dem die meisten Beitragsleistenden niemals profitieren würden. Als sich die Frauen dagegen wehrten, warnten der NGO-Vorstand, ihr Dorf werde sich den Ruf erwerben, “keine Entwicklung zu wollen”. Geber würden an eine solche Gemeinschaft in Zukunft keine Mittel mehr vergeben.
Ich habe dieses Argument als Druckmittel immer wieder von NGO-Vertretern gehört, wenn sie selbst gezwungen sind, die entsprechenden Gelder für den Eigenbeitrag zusammenzubekommen, damit sie ihren Gebern grünes Licht geben können. Geber stehen ihrerseits häufig unter ähnlichem Druck, Gelder zu verteilen. Denn im Budget haben sie bereits einen Finanzposten für das Projekt bereit gestellt in der Erwartung, dass entsprechende Kofinanzierungsmittel aus den lokalen Quellen eingehen werden.
Bei dem Wasserprojekt sahen die Geber es offiziell so, dass Frauen im Dorf durch ihre Beteiligung zu selbstbestimmtem Handeln befähigt würden, und dass das Projekt darüber hinaus zu einem Prozess des capacity building beitragen würde, also zur Befähigung, die Art von Entwicklung zu bekommen, die sie haben wollten. Schließlich sollte es dazu beitragen, im Dorf verankerte Verbände zu stärken, und so die Entstehung einer Zivilgesellschaft an der Basis fördern.
Aus der Perspektive der Frauen sah die Sache ganz anders aus. Sicher, sie hatten sich an dem Projekt beteiligt, aber nur, weil Alternativen fehlten. Sie hatten in der Hoffnung mitgemacht, dass eine Entwicklung, gleich welcher Art, besser wäre als gar keine Entwicklung. Und sie wünschten sich, dass dieses Projekt schließlich weitere Projekte nach sich ziehen würde. Stattdessen verarmten sie selbst noch mehr. Was bei dem Projekt absprang, ging an die männlichen NGO-Leiter, die die Beiträge der Frauen dazu nutzten, vom Geber eine noch viel größere Summe zu erhalten. Die Frauen unterstrichen, dass sie keine Kontrolle über die Entwicklungsprozesse gehabt hätten, die von mysteriösen Weißen gekommen und von männlichen Eliten ihrer Gemeinschaft vermittelt worden seien.
Ich habe zahlreiche Fälle erlebt, bei denen Geberorganisationen unter dem Druck standen, dass Mittel abfließen mussten, und Empfängerorganisationen das Geld auf jeden Fall haben wollten, egal zu welchen Bedingungen. Das aber hat die Bildung einer Zivilgesellschaft an der Basis in Hirten-Gemeinschaften stark beeinträchtigt. Hinzu kommt noch, dass Menschen vor Ort dazu gedrängt wurden, Beiträge zu Projekten zu leisten, die sie eigentlich gar nicht wollten. Dabei wurden sie oft von NGO-Leitern instruiert, was sie sagen sollten und wie sie sich bei Besuchen von Gebern zu verhalten hätten. In Fällen, in denen eine bedeutende Anzahl von Menschen vor Ort sich gegen ein bestimmtes Programm aussprach, suchten die NGO-Leiter einfach eine kleine zustimmende Gruppe aus, die sie dann als “Vertreter der Gemeinschaft” ausgaben. Solches trifft insbesondere auf Programme zu, die von internationalen Umweltschutzorganisationen gefördert werden.
Die oben beschriebenen Probleme ergaben sich aus der Umgestaltung von informellen Basisinitiativen in einen formellen NGO-Sektor. Westliche Geber haben NGO-Führungspersonal aktiv ermuntert, ihre Organisationen westlichen Standards anzupassen. Dazu gehörten westliche institutionelle Vorrichtungen wie Abteilungen, Direktoren, Programmpersonal und Satzungen. Als führende Vertreter von BOMA Bedenken gegen solche Strukturen äußerten, meinten ihre Anwälte, dass “eine Registrierung der Organisation schwierig sein wird, wenn nicht normale Standards befolgt werden”. Zusätzlich zu diesen institutionellen Umgestaltungen regten die Geber die Hirten-NGOs an, ihre Aktivitäten auf eine höhere Stufe zu heben und zu diversifizieren. Dieser Prozess wurde durch die Gründung von UMBRELLA institutionalisiert. UMBRELLA war zwar nicht ausschließlich eine Geberinitiative, doch die Idee entsprang einem von Gebern veranstalteten Workshop. Diese hatten dort nachdrücklich die Auffassung vertreten, dass ein Koordinierungsforum es ihnen leichter machen würde, mit Hirten-NGOs zu arbeiten und sie zu finanzieren.
Dieser Prozess wuchs den NGOs rasch über den Kopf. Wenn Organisationen sich schnell ausweiten, erfordert das ein beachtliches Managementniveau, um sie am Laufen zu halten. Moderne Büros und neueste Fahrzeugmodelle waren teuer im Erwerb und in der Wartung. Zu viel Zeit und Energie ging dafür drauf, Projektanträge zu schreiben. Damit diese Erfolg haben konnten, musste man sich gründlich damit auskennen, welcher Entwicklungsjargon gerade in Mode war und welche Art von Programmen am ehesten mit einer Finanzierung rechnen konnte. Wenn erst einmal große Summen eingegangen waren, erforderten sie eine ausführliche Rechnungslegung. Eine derart hochgestufte NGO benötigte plötzlich besonders ausgebildetes Personal.
Leider gab es nicht genug Personen, welche die notwendigen Fähigkeiten zum Betrieb einer modernen NGO besaßen. So wurde es gang und gäbe, dass eine einzige Person eine NGO leiten musste. Die täglichen Geschäfte hingen von den Entscheidungen dieser Person ab, so dass ein effektives Arbeiten der Organisation fast unmöglich war. Zudem kontrollierten diese Personen bald auch fast alle NGO-Ressourcen. Diese beiden Probleme verstärkten einander, da NGO-Leiter versuchten, Netzwerke von loyalen Klienten aufzubauen und Menschen auszuschalten, die talentiert genug waren, um ihre Position in Frage zu stellen.
Ich kann das an einer bestimmten Hirten-NGO verdeutlichen. Als diese NGO ihre Aktivitäten hochstufte, wurde sie zunehmend kopflastig und autoritär. Die täglichen Geschäfte drehten sich um die Person des Koordinators. Als begeisterter und wortgewandter Befürworter einer demokratischen Entwicklung und kulturellen Autonomie schmeichelte er sich rasch bei etlichen Gebern ein. Kurz darauf begann er, einseitig Entscheidungen über Programmierungsstrategien und den Einsatz von Geldern zu treffen. Wer sich gegen seinen diktatorischen Stil wehrte, wurde entweder kooptiert oder hinausgedrängt.
Als die Kosten für den Betrieb der Organisation deren institutionelle Kapazität zu übersteigen begannen, wurde fast ohne jegliche abgestimmte Strategie noch mehr Energie in die Beschaffung von Geld gesteckt. In einem Drei-Jahres-Plan wurden eine verwirrende Anzahl von Aktivitäten vorgeschlagen, darunter ein Kulturmuseum der Massai, Mandarinenhaine, Sonnenenergieprojekte, einkommenschaffende Kunsthandwerksprojekte und ein “Mit den Hirten gehen”-Lehrpfad für Touristen, um Geld für die Hirten einzunehmen. NGO-Mitarbeiter sagten aus, dass der Koordinator die Organisation allein leitete, ohne sie zu konsultieren, und dass westliche NGO-Koordinatoren ihm dabei halfen, indem sie ihm bei der Formulierung der Projektvorschläge unterstützten.
Solche Probleme waren ebenfalls in anderen Hirten-NGOs zu erkennen und schlugen sich bald auch in UMBRELLA nieder. Im Jahr 1996 stellte ein Berater von Canadian University Service Overseas fest, dass UMBRELLA inzwischen von einer einzigen Massai-NGO beherrscht wurde. Angesichts dieser Entwicklungen äußerten Geber die Besorgnis, dass die Hirten-NGO-Bewegung ihren ursprünglichen Auftrag aus den Augen verliere. Am Ende meiner Feldforschung im Jahr 1997 schien UMBRELLA sich im Niedergang zu befinden, und in den nächsten drei Jahren sah es so aus, als gäbe es sie gar nicht mehr.
In dieser Zeit ermunterte eine Koalition von Gebern die Massai-Führungskräfte, ein anderes Koordinierungsorgan zu gründen, das als FORUM bekannt wurde. Diese Strategie folgte der gleichen Logik, die zur Umleitung von Gebergeldern von den afrikanischen Regierungen auf den NGO-Sektor geführt hatte. Informanten berichteten, dass FORUM im Gegensatz zu UMBRELLA eine fast ausschließlich von Gebern betriebene Initiative war. Etliche NGO-Leiter, die an FORUM teilnahmen, begannen sich zu beschweren, dass diese die Bestrebungen der Hirten-NGO-Bewegung nicht erfülle.
Als Reaktion beschlossen diese Führungskräfte, UMBRELLA zu neuem Leben zu erwecken. Seither hat sich die Dachorganisation wieder erholt und wird inzwischen von dynamischen und kompetenten Personen geleitet. Beobachter haben festgestellt, dass UMBRELLA wieder das zu werden verspricht, was sie ursprünglich sein wollte.
Bei solcher Art von “institutioneller Reparatur” wird die Vielschichtigkeit der Probleme ignoriert, die man lösen will. Auch nimmt man sich so die Möglichkeit, aus früheren Fehlern zu lernen. Im Falle der Initiative, die FORUM geschaffen hat, haben die Geber die Prozesse übersehen, die zum Niedergang von UMBRELLA geführt hatten. Vor allem haben sie eine Chance verpasst, zu lernen, was die Organisation so unverwüstlich macht.
Viele Geber, mit denen ich gearbeitet habe, wollten nur ungern zugeben, dass es bei Konflikten in den Hirten-NGOs um Geld und Macht ging. Solche Konflikte untergraben das Image der Leiter von nichtstaatlichen Hirtenorganisationen als traditionelle und uneigennützige Führungskräfte von unterstützungswürdigen sozialen Bewegungen. Gerade dieses Image ist aber wesentlich für das Ergebnis der Einwerbung von Spenden. Ginge es verloren, dann würde die Lebensfähigkeit von Hirten-NGOs als geeignete Empfänger von Geberhilfe in Frage gestellt. Während ich in Tansania Feldforschung betrieb, wurden solche Probleme zumeist ignoriert oder gar vertuscht.
So wie die Hilfsgelder der Geber einen wesentlichen Einfluss auf die institutionelle Struktur der Hirten-NGOs ausgeübt haben, so haben die Pläne der Geber wesentlichen Einfluss auf die Art von Programmen gehabt, die sie durchführen wollten. NGO-Leiter haben rasch gelernt, dass Geber am ehesten die Art von Aktivitäten finanzierten, die ihnen eine genaue Berichterstattung und die Vergabe von Geldmitteln innerhalb eines bestimmten Zeitraums ermöglichten. Das waren dann meistens konkrete Projekte oder viel beachtete Veranstaltungen wie Konferenzen oder Workshops. Aktivitäten, die einen Konsens der Gemeinschaft erfordern, sind in der Regel zu mühsam und ungewiss, um den strengen Parametern des Finanzierungsprozesses Genüge zu tun. Wie die Hirten-NGOs selbst sind die sich daraus ergebenden Programme für die Menschen der Zielgruppen zunehmend unzugänglich geworden.
Viel Zeit, Energie und Geld wurde für Gerichtsprozesse aufgewendet. Das ging auf Kosten der Beteiligung und der Initiative der Dorfgemeinschaft. Die Zwangslage, Hilfsgelder nur für Aktivitäten vergeben zu können, deren Ergebnisse klar zu dokumentieren sind, hat Geber dazu veranlasst, Programme zu finanzieren, die auf den plötzlichen Veränderungen der politischen Kultur Tansanias fußten. Es entbehrt nicht der Paradoxie, dass die längere Verwicklung in Gerichtsverfahren und die internationale Förderung gerade solche Aktivitäten sind, welche Führungskräfte von Hirten-NGOs weit von den Menschen entfernt haben, die sie eigentlich mobilisieren sollten. Wenn NGO-Leiter effektive Teilnehmer einer nationalen Basisbewegung sein wollen, müssen sie erneut sinnvolle Bindungen zu ihrer Gefolgschaft herstellen, und das erfordert, dass sie fast ständig präsent sind.
Schlussfolgernd kann man sagen, dass der Wunsch der Geber, Einrichtungen der Zivilgesellschaft zu finanzieren, in Wirklichkeit offenbar die Bildung der Zivilgesellschaft in Hirten-Gemeinschaften untergraben hat. Die bürokratische Logik der internationalen Entwicklung erfordert, dass tansanische NGOs Hilfsgelder erhalten - ungeachtet dessen, ob sie in der Lage sind, demokratische Veränderungen herbeizuführen. In vielen Fällen bekommen NGO-Leiter eine Schlüsselrolle zwischen westlichen Gebern und den Gemeinschaften, denen diese helfen wollen. Es wird mehr Energie darauf verwendet, den Ideen der Geber Rechnung zu tragen und ihre Berichterstattungserfordernisse zu erfüllen, als den Menschen in den Dörfern neue Fähigkeiten zu vermitteln. Die mit Hilfe bedachten Gemeinschaften werden zu Waren einer internationalen NGO-Industrie statt zu aktiven Teilnehmern in der tansanischen Zivilgesellschaft.
Falls in Tansania eine wirkliche Zivilgesellschaft entstehen soll, muss sie auf Initiativen der lokalen Gemeinschaften gegründet sein. Leider sind die meisten Geber zur Zeit schlecht dazu ausgelegt, diese Art von sozialer Bewegung zu unterstützen. Deren Erfolge oder Misserfolge auf lange Sicht sind schwer zu quantifizieren, und ihre alltägliche Dynamik lässt sich nicht gut in die Verfahren der etablierten einpassen. Obwohl Geber heute so viel Wert auf die Beteiligung der Gemeinschaft legen, arbeiten viele von ihnen noch mit Institutionen und Einstellungen, die auf einen von oben nach unten verlaufenden Entwicklungsansatz ausgerichtet sind. Die Dezentralisierung und Ausbreitung der Entwicklungseinrichtungen hat nicht viel an den Einstellungen geändert, dass lokale Ideen, Institutionen und Programme von vornherein denen aus dem Westen unterlegen sind. Wenn die globale Demokratie, die seit Ende des kalten Krieges begeistert verfochten wird, Wirklichkeit werden soll, müssen viele dieser Institutionen und Einstellungen überdacht und in dem einen oder anderen Fall aufgelöst werden.
Wir treten in eine Ära ein, in der Entwicklungsparadigmen durch das Gebot der demokratischen Reformen und Beteiligung der Interessenten geprägt werden, und wir müssen aus den Fehlern der vom Staat geleisteten Entwicklung lernen. Das gilt insbesondere für die Tendenz, große Summen an Einrichtungen zu vergeben, denen es an der Kapazität fehlt, diese effektiv zu verwalten. Dieser veraltete Ansatz bleibt jedoch in einer internationalen Entwicklungskultur verwurzelt, die sich Reformen widersetzt. Trotz der institutionellen Umverpackung der Entwicklung in NGOs bleiben die bisherigen Beziehungen von oben nach unten und von Nord nach Süd im Wesentlichen unverändert bestehen.
Wenn sich Geber und NGO-Führungskräfte dafür entscheiden, überkommene Ansätze zur Entwicklung aufzugeben, müssen sie die Kontrolle über Hilfsgelder und Entscheidungen aufgeben. Sie müssen Ergebnisse riskieren, die sich in der Berichterstattung über Programme vielleicht nur schwer rechtfertigen lassen. Aber auf diese Weise können sie das Fundament einer wahrhaft demokratischen NGO-Bewegung bilden, begründet in Partnerschaften statt Beziehungen zwischen Gebern und Empfängern. Solange Geber NGOs als Allheilmittel für Tansanias Entwicklungs- und Regierungsprobleme betrachten, werden sie mit ziemlicher Sicherheit nicht ihre Möglichkeiten ausschöpfen, die Zivilgesellschaft an der Basis zu fördern.
aus: der überblick 03/2004, Seite 17
AUTOR(EN):
Jim Igoe:
Dr. James (Jim) Igoe ist "Assistant Professor" am Fachbereich für Anthropologie der Universität von Colorado in Denver, USA. Dieser Text ist die gekürzte Version eines Aufsatzes, den der Autor in der Zeitschrift "Development and Change", No 5 im November 2003 veröffentlicht hat. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und des "Institute of Social Studies", Den Haag.