Indien hat im Süden von Bihar den neuen Bundesstaat Iharkhand geschaffen
Bewohner von Iharkhand im Süden des indischen Bundesstaates Bihar haben seit Jahrzehnten verlangt, ihr Gebiet aus Bihar herauszulösen. Erst als 1998 in Neu Delhi die rechtsnationale BJP an die Macht kam, gab die Zentralregierung ihrer Forderung nach und machte Ende 2000 Iharkhand zu einem eigenen Bundesstaat. Ihr ging es dabei aber nicht um die Belange der Adivasi, der Ureinwohner Indiens, die in Iharkhand die Mehrheit bilden. Entscheidend war vielmehr ein parteitaktisches Kalkül.
von Bernhard Imhasly
Die Redewendung "Er geht nach Ranchi" heißt im östlichen Indien soviel wie "Er muss ins Irrenhaus". Die britischen Kolonialherren hatten für die Versorgung ihrer Geisteskranken einen möglichst abgelegenen Ort nicht allzu weit von ihrer Hauptstadt Kalkutta gesucht. Diese Bedingungen erfüllte Ranchi, das abseits der großen Verkehrsadern auf dem Plateau von Chhotanagpur gelegen, bewaldet und von indigenen Völkern (Adivasi) besiedelt ist. Heute, hundert Jahre später, ist Ranchi die Hauptstadt des neuen Bundesstaates Iharkhand - eine wichtige militärische Basis, die über Straße, Luft und Schiene mit dem Rest des Landes verbunden ist. Die dichte Bewaldung ist inzwischen verschwunden, ebenso wie die Adivasi-Dörfer. Doch der Name Ranchi wird in Kalkutta noch immer als Anspielung auf den Geisteszustand verstanden, und in Ranchi stehen auch heute noch die drei größten Spitäler Indiens zur Behandlung von Geistesgestörten.
Die mehreren hunderttausend Menschen, die sich in der ersten Aprilwoche aus den Dörfern des neuen Staats Iharkhand nach Ranchi aufmachten, kümmerten sich allerdings nicht um das mitleidige Lächeln, das sie mit der Angabe ihres Ziels provozieren mochten. Sie beteiligten sich am Sarhul, dem großen Frühlingsfest der Adivasi, das seit einigen Jahren jedes Mal in einem farbenfrohen Umzug mit Trommlern und Tänzern von der Universität am Upper Bazaar vorbei zum Lower Bazaar führt. Viele Besucher blieben anschließend da für die große Prozession zur Feier des Geburtsfestes des Gottes Rama, die in die gleiche Woche fiel. Auch der Trauerzug der schiitischen Muslime, die zur Feier von Muharram (damit begehen die Schiiten den Tod des dritten schiitischen Imams im Jahr 680) als Flagellanten und mit schrillen Klagerufen durch die Straßen zogen, fand zu dieser Zeit statt.
Alle drei Veranstaltungen waren religiöser Natur - und damit, wie in Indien üblich, hoch politisch. Dies galt in erster Linie für das Sarhul-Fest. Nur fünf Monate zuvor, am 15. November 2000, war Iharkhand der Status eines eigenen Bundesstaates zugesprochen worden, und die Feier von Sarhul - besonders aber der Festumzug - hatte eine enge Beziehung dazu. Bis in die frühen achtziger Jahre war Sarhul weitgehend ein privates Fest gewesen, das die dreißig Volksgruppen im südlichen Teil des damaligen Staats Bihar jeweils im Rahmen ihrer Clans, ihrer Nachbarn oder Familien feierten. Erst der Linguist Ram Dayal Munda und seine Schüler machten daraus ein öffentliches Fest mit kulturpolitscher Bedeutung. Munda war auf abenteuerliche Weise nach Amerika gekommen und hatte sich dort bis zum Professor an der Universität Minnesota hochgearbeitet; geplagt von Midlife-Crisis und Heimweh, kehrte er 1977 nach Ranchi zurück und gründete dort das Institut für Regionalsprachen. Es wurde zur Plattform einer kulturellen Rückbesinnung über die ethnischen Grenzen hinweg: Jeder Student musste mehrere Monate im Dorf einer ihm fremden Volksgruppe wohnen und über deren Sprache und Kultur eine Arbeit schreiben. Und zur äußeren Manifestation einer gemeinsamen Iharkhand-Kultur begann Munda den Sarhul-Umzug zu organisieren. Das private religiöse Fest wurde zum kulturpolitischen Akt.
Die Bewegung für ein autonomes Iharkhand war trotz der langen historischen Erfahrung, auf welche die Autonomisten zurückblicken konnten, damals erlahmt und einer weit verbreiteten Resignation gewichen. Die Volksgruppen - allen voran die zahlenmäßig bedeutsamen Munda, Santal, Oraon und Ho - hatten ihr Rückzugsgebiet in der Hügelregion zwischen dem Ganges-Tal und dem Delta der Bucht von Bengalen bereits seit Jahrhunderten mit wenig Erfolg verteidigt - zuerst gegen die Mogul-Kaiser, dann gegen die britische Kolonialmacht und in deren Gefolge gegen die hinduistischen Händlerkasten und die Großgrundbesitzer, die von der Kolonialverwaltung riesige Waldzonen erworben hatten und ihr als Steuereintreiber dienten. Das ganze 19. Jahrhundert war durchzogen von Aufständen der Bauern, die sich verzweifelt gegen die schleichende Enteignung von dschal, dschangal aur dschamin - Wasser, Wald und Boden - wehrten. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten sie einen gewissen Erfolg verzeichnen - dank einer einsichtiger gewordenen Kolonialpolitik und vor allem dank dem Einsatz von Missionaren wie den Jesuiten Constant Lievens und Johannes Hoffmann. Diesen ging es sehr wohl um das Seelenheil der armen Heiden. Aber noch wichtiger war ihnen der Schutz der Urbevölkerung vor der Raffgier der Zugewanderten und der Kolonialverwaltung.
Auch die Unabhängigkeit Indiens brachte den Adivasi-Bevölkerungsgruppen hier wie im übrigen Indien keinen bleibenden Schutz. Zwar hatte der Staatsgründer Jawaharlal Nehru tiefen Respekt vor der Adivasi-Kultur. Er erkannte deren Verletzlichkeit gegenüber dem neuen Mantra der "Entwicklung", unter dem sich Industrialisierung und Modernisierung zu einer unbezähmbaren Kraft zu verbinden drohten. Der Schutz, den die Verfassung den Adivasi gab - etwa in Form der Unveräußerlichkeit von Gemeinschaftsland, die auf Pater Hoffmann zurückgeht -, richtete sich aber in erster Linie gegen die Raffgier von individuellen Geschäftemachern sowie gegen den Zuwanderungsdruck aus den dicht besiedelten Gebieten. Der Staat als Hoffnungsträger einer raschen Entwicklung war dabei ausgenommen. In seinem naiven Glauben an dessen wohltätige Macht ließ Nehru zu, dass die Adivasi-Gebiete bald in den Besitz der riesigen "Tempel des modernen Indien" gerieten, wie Nehru die staatlichen Stahlkombinate - beispielsweise das mit deutscher Hilfe in Rourkela gebaute Stahlwerk - sowie die Kaskaden von Staudämmen im Damodar-Tal, die Kohlenbergwerke und riesigen Düngemittelfabriken nannte. Auf die Enteignung von Wäldern und Wasser folgte die Zuwanderung von Fachkräften, Hunderttausender von Arbeitern und einer Heerschar von subalternen Dienstleistern.
Die Marginalisierung der Adivasi führte zur Neuformierung des politischen Widerstands. 1973 wurde das Jharkhand Mukti Morcha (JMM) gegründet, in dem sich die wichtigste Gruppierung der Santal unter ihrem Führer Shibhu Soren mit den vor langer Zeit zugewanderten Bauern der Kurmi-Kaste und den Bergwerksarbeitern von Dhanbad, dem "indischen Ruhrgebiet", zusammentat. Doch die Allianz fiel angesichts der unterschiedlichen Ziele bald wieder auseinander. Erst die kulturpolitische Lehrtätigkeit von Ram Dayal Munda an der Universität Ranchi sowie der Widerstand gegen die Bepflanzung des Gebietes der Sal-Wälder bei Kolhat mit marktgängigen Baumsorten gaben der Bewegung neuen Elan. Die neugegründete Studentenbewegung entwickelte radikalere Methoden des Widerstands, etwa die Blockierung von Kohletransporten. Im Gegensatz etwa zu den militanten Bewegungen im indischen Nordosten wurden sie aber nicht gewalttätig. Doch trotz der Bildung zahlreicher Kommissionen, die eine Autonomieregelung formulieren sollten, kam die Bewegung zwanzig Jahre lang ihrem Ziel eines eigenen Staats nicht näher.
Bis 1998 plötzlich ein Umschwung eintrat. Der Grund sowohl für den Stillstand wie dann für den plötzlichen Sinneswandel der Politiker hängt eng damit zusammen, dass die Iharkhand-Region ein Teil des Bundesstaates Bihar war. Im Unterschied zu seinem südlichen Teil ist Nord-Bihar, im Schwemmland des Ganges-Tals gelegen, ein altes und fruchtbares Kulturland - und paradoxerweise deswegen so arm. Die extrem dichte Besiedlung geht einher mit dem Fortbestehen feudaler Landverhältnisse, weil sich die großen Landbesitzer allen Versuchen einer Landreform bisher erfolgreich widersetzen konnten. Der Süden von Iharkhand ist dank seiner Rohstoffvorkommen - die Böden enthalten 37 Prozent der indischen Kohlereserven, 40 Prozent des Kupfers, 22 Prozent des Eisenerzes, 90 Prozent des Glimmers, riesige Lager von Bauxit und weitere 14 Industrie-Mineralien - eine reiche Region. Dieser Reichtum war allerdings immer von außen abgeschöpft worden; so steht Iharkhand nach den Sozialindikatoren auf der Skala der indischen Bundesstaaten ganz unten. Dadurch wurden verständlicherweise die Ressentiments gegen die Dikus, die Fremden, genährt.
Der Reichtum Iharkhands floss nach der Verstaatlichung der Bergbau- und Schwerindustrie nach Delhi; ein Teil davon kehrte in Form von Steuern und Lizenzen nach Bihar zurück. Die Statistik beweist aber, dass der Großteil davon in Nord-Bihar blieb und dort ein korruptes Regime am Leben erhielt, das sich um Reformen oder eine gleichmäßige Entwicklung herum stahl. Seine Symbolfigur wurde in den neunziger Jahren Laloo Prasad Yadav, dem es mit verblüffender Nonchalance, viel Geld, einer linken Rhetorik und dem zynischen Ausspielen der Kastengegensätze gelang, zehn Jahre lang und bis heute die Geschicke des Staates zu bestimmen. Er hat Bihar trotz des erwähnten Reichtums zum ärmsten Bundesstaat Indiens gemacht und darüber hinaus zu einer Region, in der sich Privatarmeen der Landbesitzer und maoistische Guerillas blutige Fehden liefern.
Im gleichen Maß, in dem die Ausbeutung Iharkhands die Ressentiments im Süden steigerte, festigte sie bei den Politikern im Norden die Entschlossenheit, diesen Geldfluss nicht versiegen zu lassen. Dies ließ sich nur bewerkstelligen, wenn die Sezession von Iharkhand verhindert wurde. "Nur über meine Leiche", ließ sich das Großmaul Yadav vernehmen, "wird es zu einer Abtrennung kommen."
Solange in Delhi Parteien am Ruder waren, die auf die Stimmen Yadavs angewiesen waren - Bihar mit seinen 86 Millionen Einwohnern entsendet die zweithöchste Zahl an Abgeordneten ins Parlament -, konnte Yadav den wachsenden Druck aus dem Süden Bihars mit Hilfe der Rückendeckung von der Zentralregierung ausgleichen. Dies änderte sich, als 1998 die rechtsnationale Bharatiya Janata Party (BJP) in Delhi ans Ruder kam und alles daransetzte, auch in Patna, der Hauptstadt Bihars, die Regierung zu übernehmen. Sie benutzte dafür die Iharkhand-Frage: Sie schlug vor, den Staat Bihar zu teilen.
Als Delhi dazu der Staatsregierung in Patna die Bihar State Reorganisation Bill vorlegte - neben dem Präsidenten und dem Parlament muss gemäß der indischen Verfassung auch der Bundesstaat seiner Teilung zustimmen -, wurde diese vom Parlament in Patna scharf zurückgewiesen. Die Regierung in Delhi kümmerte sich nicht darum, und das Parlament in Delhi nahm den Gesetzesvorschlag an. Die BJP konnte sich dessen Zustimmung sichern, indem sie gleich noch zwei weiteren Regionen den Status eigener Staaten gab: der Gebirgsgegend von Uttarakhand sowie der Region von Chhattisgarh, die westlich an Iharkand anschließt und ein Teil des großen Staates Madhya Pradesh war. Chhattisgarh, so war vorauszusehen, würde von der oppositionellen Kongress-Partei regiert werden. Die BJP-Regierung in Delhi erkaufte sich damit die Zustimmung der wichtigsten Oppositionspartei für das Gesamtpaket. Laloo Yadav, der inzwischen wegen Korruptionsklagen seinen Sitz als Premierminister Bihars verloren hatte und seine Gattin als Ersatz nachrücken ließ, war politisch so geschwächt, dass er die Loslösung nicht mehr verhindern konnte. Iharkhand kam, mit den Worten von Professor Ram Dayal Munda, "zu seiner Autonomie beinahe so wie die Jungfrau Maria zu ihrem Kind".
Das Geschenk hatte allerdings seinen Preis. Eine Woche nach den Umzügen von Sarhul gibt es keine Spuren mehr von dem Fest. Doch die Straßen sind zur Erinnerung an das Fest des Hindu-Gottes Ram noch voll von Flaggen in allen Rot-Tönen. Deren Stangen sind fest in den Boden gerammt - ein Zeichen, dass sie dort bleiben sollen. Iharkhand ist für die BJP und deren ideologische Mutterorganisation, das Rashriya Swayamsevak Sangh (RSS, Nationales Freiheitskorps), nicht nur ein Staat, in dem sie die Macht ausübt. Genau wie vor 150 Jahren für die Missionare aus Europa ist Iharkhand für die Brigaden des Hindutums (Hindutva) Missionsgebiet. Es geht nicht nur darum, den Einfluss der christlichen Kirchen, der nach wie vor groß ist - 10 Prozent der Bevölkerung ist christlich -, einzudämmen. Den Hindu-Ideologen ist es wichtig, den Adivasi zu beweisen, dass sie nicht etwas Besonderes, sondern ein Teil des großen Hindu-Volkes sind.
Deutlich wird das am Disput über den Begriff Adivasi. Er erscheint in Indien zwar in keinem Gesetzestext, aber er hat sich als Hindi-Bezeichnung für die Urbevölkerung durchgesetzt. Die einzige Partei, die sich diesem Sprachgebrauch widersetzt, ist die BJP. Als sie sich vor zwölf Jahren erstmals für die Geschicke von Iharkhand zu interessieren begann, tat sie das unter dem Slogan Vananchal, und die Adivasi nannte sie Vanvasi. Denn Adi bedeutet "ursprünglich", während Van das Sanskrit- Wort für "Wald" ist. Die Bewohner von Iharkhand sind für die BJP demnach Waldbewohner; ihr Land heißt nicht Iharkhand ("Land der Dornsträucher"), sondern "Waldland". Dahinter steckt mehr als eine sprachliche Nuance. Die radikalen Hindus sprechen den Adivasi das Recht ab, sich als Urbevölkerung zu verstehen. Denn dies würde die Theorie stützen, wonach die Vorfahren der heutigen Hindus aus Zentralasien eingewandert sind und die dravidischen Südinder ebenso wie die Vorfahren der heutigen Adivasi-Bevölkerung allmählich aus den Ebenen des Gangestals verdrängt haben. Dies geht aber den Hindu-Ideologen gegen den Strich. Um ihren Anspruch zu stützen, dass die Hindus die "echten" Inder sind, dürfen ihre Vorfahren nicht eingewandert sein, sondern müssen in Indien ihre Wurzeln haben.
Für den Fall, dass dieses Argument nicht sticht, hat das RSS ein weiteres parat: Die Adivasi sind eigentlich Hindus. Zwar gibt es genügend ethnologische Belege dafür, dass die Religion der Munda, Oraon und Santals eine Religion von Naturgeistern ist - guten und bösen, solchen des Windes und des Waldes, des Wassers und der Steine. Diese haben keine anthropomorphen Verkörperungen und unterscheiden sich damit scharf vom hinduistischen Pantheon, in dem es von Göttern, Helden und Bösewichtern wimmelt. Dennoch beharrt das RSS darauf, dass die Waldmenschen primitive Hindus seien. Als Evidenz zog ein RSS-Anhänger in Ranchi das Heldenepos des Ramayana hervor und las die Stelle, in der steht, dass Hanuman, der Affengott und einer der Helfer des Brahmanen-Gottes Ram, ein Vanvasi sei.
Deshalb ist der RSS seit einigen Jahren fleißig dabei, in den Dörfern Iharkhands Hanuman-Tempel zu bauen, und rote Flaggen mit dessen Konterfei flattern über vielen Dächern. Es ist eine wenig subtile Geste, mit dem die Hindutva-Anhänger ihr neuerrungenes Territorium markieren. Sie weisen dessen Bewohnern gleichzeitig ihren Rang in der Kasten-Hierarchie zu: Die Vanvasis sind Abkömmlinge des Affengottes - intelligent, ergeben, nützlich, aber eben auch nicht mehr als unterkastige Diener des Gottes Ram. Wenn es nach dem RSS geht, auch in ihrem eigenen neuen Bundesstaat.
Missionare in IharkandSeelenretter und Anwälte der ArmenAls der belgische Jesuit Constant Lievens 1885 nach Ranchi kam, begann er zunächst nicht mit dem Taufunterricht, sondern mit dem Rechtsstudium. Er hatte gesehen, wie Adivasi, die Ureinwohner Indiens, zu Hunderten ihre Felder verloren, weil sie sich vor den Gerichten gegen die Tricks der Zamindars, die zugleich große Landbesitzer und Steuereintreiber waren, nicht wehren konnten. Lievens wurde zum Star-Ankläger gegen die Zamindars. Sein Erfolg war so groß, dass sich die Bauern zu Hunderten in seine Kirche drängten. Sie wollten dem gleichen Gott gehorchen, dem auch ihr Wohltäter diente. In den letzten Monaten seines kurzen Lebens - Lievens starb mit 36 Jahren - taufte er bis 800 Menschen pro Tag. Auch Lievens Nachfolger Johannes Hoffmann sah keinen Widerspruch zwischen den Aufgaben, zu bekehren und soziale Hilfe zu leisten. Der aus Deutschland stammende Jesuit sagte deutlich, dass die Ausbeutungspraktiken der Grundherren und die Deckung, die ihnen der Kolonialstaat bot, unmoralisch waren. Hoffmann baute nicht nur mitten im Urwald eine Kirche, die noch heute steht und deren Turm einer Rheinfestung gleicht. Er war auch der Autor des Chhotanagpur Tenancy Act, des Gesetzes, das es jedem Nicht-Adivasi bis heute verbietet, in Adivasi-Gebieten Land zu erwerben. Und er gründete mit der Catholic Cooperative Credit Society die erste indische Raiffeisen-Kasse, die es armen Bauern erlaubte, sich mit kleinen Ersparnissen gegen die nächste Dürreperiode zu wappnen. Auch sie floriert noch heute. Nebenbei schuf Hoffmann ein sechzehnbändiges Wörterbuch der Munda-Sprache. Stan Lourduswamy sieht sich selbst in einer direkten Linie zu diesen ausländischen Vorgängern. Der tamilische Jesuit, der im Süden von Iharkhand eine nichtstaatliche Organisation (NGO) führt, lehnt die Taufe allerdings energisch ab. Unter Missionsarbeit versteht er, "in jeder Religion die ihr innewohnende Spiritualität zu vertiefen". Er erkennt auch keinen Gegensatz zwischen seinem christlichen Weltbild und dem Marxismus, den er für die Analyse der Wirtschaft in Iharkhand als unerlässlich ansieht. Seine NGO macht sich den Slogan der Autonomie-Bewegung zu eigen: "Wasser, Wald und Boden für die Adivasi". Gegenwärtig bereitet er rechtliche Schritte gegen die neue Regierung in Ranchi vor, weil diese es versäumt hat, in einer ihrer ersten Gesetzesvorlagen das Recht der Dorfgemeinschaften festzuschreiben, Lizenzen für Industrieprojekte zu vergeben. Die Basis seines Gutachtens ist der Chhotanagpur Tenancy Act des Rheinländers Johannes Hoffmann. Bernhard Imhasly |
Drei neue BundesstaatenArm trotz der NaturschätzeInnerhalb von zwei Wochen entstanden Anfang November 2000 in der Indischen Union gleich drei neue Bundesstaaten und erhöhten deren Gesamtzahl auf 28: Chhattisgarh, Iharkand und Uttaranchal. Alle drei sind Randregionen - reich an Naturschätzen, in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung aber zurückgeblieben. Dies ist ein wichtiger Grund ihrer Abtrennung vom bisherigen Staatenverbund. Die Einkünfte aus der Nutzung der Naturschätze - im Fall Chhattisgarhs und Iharkhands Mineralien, in Uttaranchal Wälder und Wasserkraft - flossen nicht in diese Randregionen zurück, sondern endeten in den Taschen der Politiker aus den bevölke-rungsreichen und damit politisch dominanten Regionen des jeweiligen Staates. Daraus entstand eine Protestbewegung, die sich im Lauf der Jahre immer stärker zu einer Autonomiebewegung entwickelte. Alle drei neuen Staaten zeigen starke ethnische Eigenarten. Dies gilt in besonderem Maß für Chhattisgarh und Iharkhand, in denen die Adivasi (Urbevölkerung) die vorherrschenden Gruppen darstellen. Es trifft aber auch auf Uttaranchal zu, obwohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Hindus sind - es ist der einzige Staat, in welcher die Kaste der Brahmanen die Bevölkerungsmehrheit stellt. Doch seine geographische Abgeschiedenheit im Himalaya hat zur Ausbildung einer eigenen ethnischen Identität geführt. Im Gegensatz zu ihren "Mutterstaaten" sind die neuen Einheiten relativ klein: Chhattisgarh, das vormals zu Madhya Pradesh gehörte, hat auf einer Fläche von 135.000 qkm eine Bevölkerung von 17 Millionen. Iharkhand ist mit 74.000 qkm halb so groß, hat aber mit seinen 20 Millionen Einwohnern eine größere Bevölkerungsdichte. Uttaranchal ist mit 51.000 qkm etwa so groß wie die Schweiz und hat etwa 6 Millionen Einwohner. Bernhard Imhasly |
aus: der überblick 03/2001, Seite 75
AUTOR(EN):
Bernhard Imhasly :
Bernhard Imhasly ist Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Indien mit Sitz in Neu Delhi.