Befreiung von der Zukunft
Viele Länder haben ihren offiziellen Heldengedenktag. Namibia feiert zur Erinnerung an das erste Gefecht zwischen der Befreiungsbewegung SWAPO und südafrikanischen Truppen am 26. August 1966 den Heroes Day . In diesem Jahr wurde jedoch eine Heldengedenkstätte eingeweiht, die nicht an Befreiung und politisch-kulturelle Emanzipation denken lässt, sondern eher der alten imperialen Machtsymbolik gleicht.
von Henning Melber
Das Bild der namibischen Hauptstadt Windhoek wurde über neun Jahrzehnte von einem Reiterstandbild mit geprägt. Anfang 1912 zur glorifizierenden Erinnerung an die deutschen Kolonisatoren von denselben erbaut, überstand das Erbstück nicht nur die südafrikanische Apartheid-ra im Lande, sondern auch die ersten zwölf Jahre der völkerrechtlich souveränen Republik Namibia. Nach wie vor ist das anachronistische Stück deutscher Kolonialgeschichte, das sich in der Nähe anderer baulicher Relikte wie der Christuskirche, dem Tintenpalast (ehemals Amtssitz der Kolonialverwaltung und heute Parlamentsgebäude) sowie der Alten Feste befindet, beliebtes Ausflugsziel und Fotomotiv nicht nur für ausländische Touristen und einheimische Ewiggestrige.
Da der Reiter auch bis zur Proklamierung der Republik Namibia das Markenzeichen der Windhoeker Brauerei war, wird er selbst unter den Opfern des Kolonialismus nicht nur mit Unterdrückung in Verbindung gebracht. Auch wenn das Reiterstandbild heute nur noch in stark verkleinerter Form auf dem Flaschenhals abgebildet wird, weckt die Statue Assoziationen an die kleinen Freuden des Alltags in Form eines Gerstensaftes, der bis heute nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wird. So lassen sich auch schwarze Einheimische mit dem Monument zusammen ablichten, weil es eben nicht nur mit der weißen Minderheit gleich gesetzt wird.
Mit der vermeintlich idyllischen Mischung aus alt und neu wird es wohl bald vorbei sein. Nach einem Beschluss des Kabinetts soll das Standbild weichen und einem Unabhängigkeitsmuseum Platz machen, das nach Plänen einer nordkoreanischen Firma demnächst an dieser Stelle erbaut werden soll. Die das Standbild umrahmende Rasenfläche wird schon nicht mehr bewässert und trocknet in gelb gefärbter Eintönigkeit vor sich hin, während die Gebäude in der Umgebung (unter anderem das Estorff-Gebäude, in dem mittlerweile die Namibisch-Deutsche Stiftung für kulturelle Zusammenarbeit sitzt, die auch als Goethe-Zentrum dient) noch immer von sattem Grün hofiert werden. Die Symbole der Geschichte werden so allmählich durch die architektonische Semantik der Gegenwart ersetzt, die den Geist der Freiheit und Gleichheit als Ernte des antikolonialen Kampfes und den Aufbau der unabhängigen Gesellschaft ausdrücken soll.
Ähnliche Übergänge haben sich auch anderswo vollzogen. Wurden nicht auch in Deutschland im Zuge der Abwicklung der DDR öffentliche Denkmäler und Namensgebungen getilgt? Gleiches gilt für Dekolonisierungsprozesse in anderen Ländern Afrikas. In Simbabwe etwa setzte sich eine nachkoloniale Architekturästhetik durch, die sich der Formen eines veraltet geglaubten sozialistischen Realismus bediente. Die besagte nordkoreanische Firma bietet in ihrem Katalog solche Monumente an und führt gegen entsprechende Bezahlung die Konstruktion als Auftragsarbeit aus. Im Zusammenhang mit der ambivalenten Entwicklung Simbabwes, das seine in militärischer Gewalt wurzelnden Traditionen auch in den öffentlichen Bekundungen des nachkolonialen Selbstverständnisses nicht verleugnet, setzte die Firma aus Nordkorea architektonische Maßstäbe mit dem Bau einer Gedenkstätte für die Helden des chimurenga genannten antikolonialen Befreiungskampfes.
Namibia schickt sich neuerdings an, in mancherlei Hinsicht in die Fußstapfen von Simbabwe zu treten. So erweist sich bei näherem Hinsehen die proklamierte revolutionäre Alternative zum überwunden geglaubten Kolonialismus der Vergangenheit in ihrem Verständnis der Machtausübung keinesfalls als so prinzipiell anders als der Kolonialismus. Damit soll hier keinesfalls die jetzige Staatsmacht mit der kolonialen Fremdherrschaft gleichgesetzt oder die Fremdherrschaft relativiert werden. Doch auch der namibische Umgang mit Geschichte unterscheidet sich kaum von der einseitigen Darstellung gesellschaftlicher Prozesse in anderen Gesellschaften. Der im Reiterdenkmal symbolisierte koloniale Zeitgeist betont die zivilisatorische Mission ; er verschweigt die verheerenden Opfer unter den Kolonisierten und gedenkt nur dem Heldentum der Siedler und Angehörigen der Schutztruppe . Zu Recht wird das als einseitige Wahrnehmung und Darstellung von Unterwerfungsprozessen durch die damaligen Sieger kritisiert.
Aber auch die im August eingeweihte neue Heldengedenkstätte erinnert nur an diejenigen, die das Helden-Etikett wegen ihres Engagements in der SWAPO beziehungsweise auf Seiten des politisch korrekten antikolonialen Widerstands zuerteilt bekommen. Dies geschieht in einer architektonischen Einfältigkeit, die überkommene Stereotypen in fast schon absurder Zuspitzung kopiert, ja nachgerade ins Lächerliche zieht. Kein Klischee wird ausgelassen. Eisernes Kreuz und Lorbeerkranz werden ebenso als Stilelemente eingesetzt wie der alles überragende Obelisk, der vom namibischen Partner der koreanischen Baufirma gegenüber der staatlichen Zeitung New Era als Symbol von Speer und Würde erklärt wurde, aber eher wie das klassische Phallus-Symbol einer heldenhaften Männlichkeit wirkt. Die maskuline Dominanz des Bauwerks wird von dem Riesen-Standbild des Guerillakämpfers am Fuße des Obelisken noch unterstrichen. Das martialische Manns-Bild (dessen Physiognomie und Gesichtszüge an eine in der Präsidentenvilla lebende Person erinnern) ist im Begriff, einen Sprengsatz gegen koloniale Herrscher zu schleudern. Doch in ungewollter Ironie zielt der Sprengsatz heute in die Richtung, wo die mittlerweile an die Macht gekommene Befreiungsbewegung SWAPO ihren Regierungssitz hat.
Das als Halbkreis den Obelisken und die Figur des unbekannten Soldaten umschließende Bronzerelief grenzt die Anlage einseitig ab. Es rekapituliert die historischen Etappen von der vorkolonialen Pseudo-Idylle bis zum Endstadium des bewaffneten Befreiungskampfes. Dabei werden durchaus Konzessionen an eine neue politische Korrektheit gemacht, die allerdings wenig innere Überzeugungskraft erkennen lässt. Die siegreiche Vorhut der Befreiungsfront, die vor Transportfahrzeugen mit wehender Fahne der glorreichen Zukunft triumphal entgegen marschiert, zeigt unter den im Gleichschritt Formierten im Kampfanzug auch weibliche Gesichtszüge und Körperformen. Diese Geschlechtergleichheit (oder Uniformität) wird allerdings durch die den Siegern zujubelnden Figuren sogleich wieder relativiert. Das den Befreiern nacheilende Volk reduziert sich auf eine Frau und ein Kind. Die Männer schreiten ausnahmslos in Reih und Glied voran. Die Anlage zelebriert und zementiert so ungebrochen männliche Dominanz. Das passt zu der offenen Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, körperlicher und seelischer Misshandlung sowie sexuellem Missbrauch, die derzeit in erschreckendem Ausmaß für den Alltag in Namibia typisch sind.
In dem Heldendenkmal ist geradezu bildhaft festgehalten, was der westafrikanische Sozialwissenschaftler Achille Mbembe zur Maskulinitätskultur in Gesellschaften Afrikas ausführt. Er merkt zur politischen Vorstellungswelt in Kriegszeiten an, dass die Produktion der Machtinsignien eng mit dem Phallussymbol verknüpft sei. Die Machtausübung, so Mbembe weiter, war metaphorisch mit einer Erektion gleichbedeutend. Die Figur des Autokraten (wie sie im unbekannten Soldaten ihr Abbild findet) wurde so das Symbol des homo erectus.
Dass die Heldengedenkstätte in Namibia als Kriegs-und keinesfalls als Friedensmonument zu verstehen ist und sich der Gedanke nationaler Aussöhnung in den Motiven nicht erkennen lässt, verdeutlicht auch die Bewertung durch den Historiker Joachim Zeller, der über koloniale Denkmalkunst promoviert hat. Für ihn wurde bei Windhoek ein Siegesdenkmal geschaffen, das in seinem Bildprogramm meint, ohne Trauermotiv für die Gefallenen auszukommen .... Es ist ein Mahnmal, das die Geschichte Namibias als Heilsgeschichte präsentiert, die ihr Ziel mit der 1990 gewonnenen Unabhängigkeit erreicht hat . So füge es sich in die lange Reihe des Monumentalkitsches ein, wie ihn staatliche Selbstdarstellung hervorgebracht hat .
Heroismus im 21. Jahrhundert bleibt auch in Namibia militärisch-männlich besetzt. Die nachkoloniale politische Kultur bietet keine neuen Identifikationsmuster, die einem aufgeklärteren Bewusstsein als Resultat emanzipatorischer Befreiungsprozesse gerecht oder gar mit dem Mythos des Heldentums brechen würden. Sie kopiert überkommenes und gleicht sich so in fataler Ähnlichkeit dem Verständnis an, das mit dem antikolonialen Widerstand überwunden werden sollte.
Joachim Zeller hat im März diesen Jahres in der "tageszeitung" eine Studie über die US-amerikanischen Einseitigkeiten in der offiziösen Erinnerungskultur besprochen und dabei auf einen Sachverhalt hingewiesen, der offenbar allgemein gültig ist: Denkmäler seien unmittelbare Dokumente des Geschichtsbewusstseins der Denkmalsetzer und damit des kulturellen Gedächtnisses ihrer Entstehungszeit. Als perspektivisch gefärbte Erinnerungsträger dienen Denkmäler mehr der Interessensdurchsetzung ihrer Erbauer, statt dem Erkenntnisgewinn der Rezipienten. Anders ausgedrückt: Gedenkstätten sollen nicht die Kontrolle über Geschichte relativieren und das kollektive Gedächtnis pluralistischer gestalten, um dadurch die Widersprüche von Gesellschaften im Wandel zu dokumentieren. Sie dienen vielmehr der Ablösung einer Form von Herrschaft durch eine andere und damit letztlich der Fortsetzung von Bevormundung und Indoktrination. Es ist die Etablierung und Verfestigung der eigenen Vormachtstellung durch die einseitige Sichtweise gesellschaftlicher Prozesse und nicht etwa Förderung der Mündigkeit von Bürgerinnen und Bürgern durch einen offenen Diskurs.
Dass anlässlich der Eröffnung der pompösen Gedenkstätte der ehemalige SWAPO-Funktionär und jetzige Oppositionspolitiker Ben Ulenga bei einer Kranzniederlegung im Rahmen der Feierlichkeiten von einem Teil der einstigen Genossen mit Missfallenskundgebungen bedacht wurde, passt ins Bild. Toleranz, Aufgeschlossenheit und ein demokratisches Verständnis gehörten noch nie zu den Tugenden, die innerhalb der ehemaligen Befreiungsbewegung gepflegt wurden. Sie werden auch nicht im Regime aus Marmor erkennbar, wie der Kommentar in der lokalen Windhoeker Allgemeine Zeitung vom 27. August 2002 aus Anlass der Eröffnung betitelt war. Unter der Überschrift doppelte Moral hatte die gleiche Zeitung bereits am 29. Juli kommentiert: Der acht Meter hohe bronzene unbekannte Soldat symbolisiert vielleicht den Protagonisten von damals. In den heutigen Kämpfen gegen Trockenheit, Armut und Aids kann er mit seiner Handgranate und AK-47 nichts erreichen. Die Geschichte eines Landes, so wichtig und lehrreich sie auch sein mag, sollte niemals mehr Aufmerksamkeit erhalten, als seine Zukunft. Und ein Reporter der unabhängige Windhoeker Tageszeitung The Namibian konnte der Versuchung nicht widerstehen, seine Reportage vom 5. Juli über das im Bau befindliche Monstrum spitzfindig mit a monument to die for zu betiteln.
Es ist ein schwacher Trost, dass politisch Verantwortliche anderswo auch nicht sensibler sind und Geld eher für solche Machtsymbole ausgeben als es für gemeinnützige Zwecke einzusetzen. Die Kosten für die Planung und den Bau der Anlage in Namibia betragen zusammen etwa 60 Millionen Namibia Dollar, das sind umgerechnet rund 5 Millionen Euro. Währenddessen haben die Schulen vor allem in den ländlichen Gegenden zu wenig fähige Lehrer, zu wenig Unterrichtsmaterial und keine ausreichende Grundausstattung der Klassenräume. Den Krankenhäusern und Gesundheitsstationen fehlen qualifizierte Ärzte und Krankenschwestern sowie Geräte und Medikamente. 5 Millionen Euro würden zwar nicht reichen, dem Abhilfe zu schaffen. Es wäre aber vielleicht ein geeigneter Ausdruck anders gelagerter gesellschaftspolitischer Prioritäten gewesen, diese für Schulen und Gesundheit zu verwenden oder für die Linderung der derzeit herrschenden Dürrefolgen, die dazu führen, dass ein Teil der Bevölkerung hungert. Der Bau der protzigen Heldengedenkstätte hat noch nicht einmal zeitweilig die Arbeitslosigkeit unter der einheimischen Bevölkerung gesenkt, da das Monument von Nordkoreanern geplant und gebaut wurde.
Schon wurde der Plan eines weiteren Baus bewilligt und mit dessen Erstellung begonnen. Es ist eine Präsidenten-Anlage , die die standesgemäße Unterbringung mehrerer Staatsoberhäupter vorsieht und ein Mehrfaches der Heldengedenkstätte kosten wird. Dort Residierende können dann einen Blick auf den Obelisk und die Statue werfen und dann mächtig beeindruckt sein.
Ist es nicht paradox, dass man zur nachkolonialen Heldenverehrung in Namibia fast wörtlich dasselbe sagen kann, was Joachim Zeller als Kommentar zum Reiterdenkmal geschrieben hat, wenn man nur die entsprechenden Stellen durch die Worte in Klammern austauscht? Zeller schrieb: Durch dieses imperiale Reitermonument (diese Heldengedenkstätte) demonstrierte die deutsche Kolonistengesellschaft (die namibische Befreiungsbewegung an der Macht) ihren alles beherrschenden Anspruch auf das errettete Land . In dem wehrhaften Schutztruppler ( unbekannten Soldaten ), schufen sich die Deutschen (die Kader der SWAPO) eine Leitfigur, die die Lebenden darauf verpflichten sollte, wofür die Toten ihr Leben ließen.
Der Literaturnobelpreisträger William Faulkner hat vor einem halben Jahrhundert bemerkt, was offenbar auch noch heute gilt: Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.
Literatur
Norma J. Kriger: The Politics of Creating National Heroes: The Search for Political Legitimacy and National identity. In: Ngwabi Bhebe und Terence Ranger (Hrsg.): Soldiers in Zimbabwe s Liberation War. London/Portsmouth/Harare 1995
Mahmood Mamdani: Citizen and Subject: Contemporary Africa and the Legacy of Late Colonialism. Princeton 1996
Achille Mbembe: An Essay on the Political Imagination in Wartime. In: CODESRIA Bulletin, Nr. 2-4, 2000
Henning Melber: "Namibia - Land of the Brave" - Selective Memories on War and Violence within Nation Building. In: Jon Abbink, Mirjam de Bruijn und Klaas van Walraven (Hrsg.): Rethinking Resistance: Revolt and Violence in African History. Leiden 2002
aus: der überblick 04/2002, Seite 91
AUTOR(EN):
Henning Melber:
Dr. Henning Melber ist Forschungsdirektor des »Nordiska Afrikainstitut« in Uppsala, Schweden und einer der Vize-Präsidenten der »European Association of Development Research and Training Institutes« (EADI).