Neue Strukturen der Weltwirtschaft beeinflussen die internationale Migrationspolitik
Der Aufschwung neuer Wirtschaftsbranchen und das Ende des Kalten Krieges haben Änderungen der Richtung, des Umfangs sowie der sozialen und beruflichen Zusammensetzung der globalen Arbeitsmigration zur Folge gehabt. Weil sie die Ein- und Auswanderung im nationalen Rahmen nicht mehr steuern können, haben sich viele Regierungen auf internationale Regelungen geeinigt. Es deutet sich ein Trend zu einer zweigeteilten Migrationspolitik an: Experten und Fachkräfte werden bevorzugt behandelt, während Flüchtlinge und nicht registrierte Einwanderer unerwünscht sind.
von Reginald Appleyard
Die internationale Migrationspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg ist durch wesentliche Veränderungen in der Zusammensetzung und Stärke politischer Regime erheblich beeinflusst worden. Alle Länder arbeiten mittlerweile an verschiedenen komplexen Regelungen für die Migration mit oder sind von solchen betroffen. Das Interesse an der internationalen Migration beschränkt sich heute nicht mehr auf Fragen der Ansiedlung europäischer Migranten in entfernten, dünn besiedelten Ländern. Diskussionen über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Migration befassen sich heute überwiegend mit Asylsuchenden, Einwanderern ohne Papiere und Flüchtlingen. In jüngster Zeit ist auch die Anwerbung hoch qualifizierter Arbeitskräfte ins Zentrum der Debatten gerückt.
Europa war traditionell die Hauptquelle der Einwanderung in die USA, nach Kanada, Australien und in manche Regionen Südamerikas. Die Kulturen und das Wirtschaftswachstum dieser so genannten traditionellen Aufnahmeländer sind im Laufe mehrerer Jahrhunderte durch die Leistungen von Millionen europäischer Immigranten und deren Nachkommen stark geprägt worden. Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich jedoch die Zahl und die soziale Struktur der Europäer, die nach Übersee auswanderten. In den Zielländern hatte sich der Bedarf an Arbeitskräften verlagert. Die Vereinigten Staaten benötigten zum Beispiel kaum noch Einwanderer, die sich dauerhaft niederlassen wollten. Daher erließen sie Quotenregelungen, um Anzahl und soziale Zusammensetzung der Einwanderer zu steuern. Australien hingegen förderte weiterhin Auswanderungsprogramme in Großbritannien, um die Zahl der britischstämmigen Einwanderer zu erhöhen und damit ihren Anteil an der australischen Bevölkerung zu erhalten.
Die Immigration in die Neue Welt und nach Australien kam während des Zweiten Weltkrieges praktisch zum Erliegen, aber schon bald nach seinem Ende nahmen Kanada und Australien ihre vor dem Kriege begonnenen Programme zur Förderung der Einwanderung aus bestimmten europäischen Ländern wieder auf. Diese beiden Länder und vor allem die USA nahmen damals etwa zwei Millionen als displaced persons geltende Flüchtlinge (DP-Flüchtlinge) auf. Das waren vor allem Osteuropäer, die bei Kriegsende westlich des "Eisernen Vorhangs" lebten und nicht die Absicht oder die Möglichkeit hatten, in ihre Herkunftsgebiete zurückzukehren.
In den vierziger und frühen fünfziger Jahren spielte die International Refugee Organization (Internationale Flüchtlingsorganisation, IRO) eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung und erfolgreichen Durchführung des Programms für diese Flüchtlinge. Sie wurde später durch eine neue Organisation für Ein-und Auswanderer, das Intergovernmental Committee for European Migration (ICEM), ersetzt. Das ICEM sollte die normale Auswanderung von Europäern in die traditionellen Aufnahmeländer erleichtern und in der Lage sein, sich um neue Flüchtlingsströme zu kümmern, falls es zu Feindseligkeiten zwischen Ländern des Sowjetblocks und des Westens käme. Der Kalte Krieg war in den fünfziger Jahren eine allgegenwärtige Bedrohung. John Thomas, der spätere Leiter von ICEM, erinnert noch die große Unsicherheit, die Migrationspolitik damals begleitete: "Der Kalte Krieg war im Gange, und wir mussten jederzeit damit rechnen, mit Flüchtlingsströmen aus Osteuropa fertig zu werden."
Westeuropa erholte sich sehr schnell von den Verwüstungen des Krieges. Schon Anfang der sechziger Jahre gab es nicht genügend Arbeitskräfte, um den Bedarf der Wirtschaft zu befriedigen. Die Regierungen begannen, auf der Basis von Abkommen mit überwiegend südeuropäischen Ländern so genannte Gastarbeiter anzuwerben - so auch die Regierung der Niederlande, die nur ein Jahrzehnt zuvor die Auswanderung in "traditionelle Einwanderungsländer" gefördert hatte, weil das Land "übervölkert" sei. Es war damals nicht vorgesehen, dass diese Programme eine dauerhafte Ansiedlung vieler Einwanderer und später ihrer Angehörigen zur Folge hatten. Die Emigration von Menschen aus den früheren Überseekolonien europäischer Länder trug ebenfalls zur Herausbildung vieler neuer Gemeinschaften von Minderheiten in Europa bei. Die damals entstandenen long-distance networks, also Beziehungsnetzwerke über viele Tausend Kilometer hinweg, werden bis heute von neuen Generationen von Einwanderern genutzt.
Migrationsbewegungen als Erbe des Zweiten Weltkrieges zeigten sich auch in anderen Regionen der Welt. In Ost-und Südostasien läutete das Kriegsende den Beginn einer neuen Ära der Migrationspolitik und der Wanderungen ein. Die Teilung des indischen Subkontinents Ende der vierziger Jahre führte zur Entwurzelung und Neuansiedlung von indischen Moslems in dem neu geschaffenen Staat Pakistan (einschließlich des abgetrennten Teils Ost-Pakistan, dem heutigen Bangladesch) und von Hindus in Indien (vgl. "der überblick" 4/2000 S. 69 f.). Und als politischer Druck die europäischen Kolonialmächte dazu brachte, ihren Kolonien die Unabhängigkeit zu gewähren, führte das zur Entstehung vieler unabhängiger Länder mit jeweils eigener Verantwortlichkeit für ihre Migrationspolitik. Diese neuen Vorschriften waren ursprünglich sehr restriktiv, besonders wenn Minderheiten in den neuen Staaten Freunde oder Angehörige aus ihren Ursprungsländern nachkommen lassen wollten.
Mitte der fünfziger Jahre gab es aber bereits neue Entwicklungen, die das Ausmaß und die Zielrichtung der Auswanderung aus Asien sowie die Zusammensetzung der Migrantengruppen stark veränderten. Der wirtschaftliche Aufschwung in einzelnen asiatischen Ländern gab Migranten Gelegenheit, zum Prozess der Modernisierung und des Wandels in Asien beizutragen.
Damals hätte jedoch niemand vorhersehen können, welche Rolle politische Entwicklungen und Entscheidungen einzelner Regierungen für künftige Migrationsströme spielen würden. Zum einen veränderten die "traditionellen Aufnahmeländer", allen voran die USA, ihre Auswahlkriterien und begünstigten die Einwanderung von Akademikern und Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung ungeachtet ihrer Staatszugehörigkeit. Diese Politik - bekannt als brain drain - trug neben anderen politischen Faktoren dazu bei, dass der Anteil der dauerhaft eingewanderten Asiaten in den USA von 8 Prozent im Zeitraum 1961 bis 1965 auf 39 Prozent in den Jahren 1976 bis 1980 stieg. Eine ähnliche Entwicklung gab es in Kanada und Australien.
Zweitens führte die US-Intervention im Vietnamkrieg dazu, dass Hunderttausende Vietnamesen zunächst in die asiatischen Nachbarländer flohen, um sich später vorwiegend in westlichen Ländern auf Dauer anzusiedeln.
Drittens führte die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften in den ölreichen Ländern des Nahen Ostens zur Einwanderung tausender asiatischer Arbeiter, die dort hauptsächlich im Bau-und Dienstleistungssektor arbeiteten. In den achtziger Jahren begnügten sich die Regierungen südasiatischer Länder wie Bangladesch, Indien, Pakistan und Sri Lanka nicht mehr damit, die Zahl der Auswanderer und die Zusammensetzung der Auswandererquoten festzulegen, sondern förderten aktiv die Emigration ihrer Bürger. Sri Lanka und Pakistan versuchten darüber hinaus, andere Märkte als den Mittleren Osten für diesen Export von Arbeitskräften zu erschließen. Das Motiv für diese Politik war, dass die Arbeitskräfte im Ausland erhebliche Geldsummen nach Hause schickten, was auch für die Wirtschaft ihrer Herkunftsländer von Nutzen war. In Bangladesch und Pakistan machten diese Rücküberweisungen zum Beispiel 70 Prozent aller Deviseneinnahmen aus.
Die so genannte Ölkrise der siebziger Jahre wirkte sich besonders stark auf die internationale Migrationspolitik aus. Sie hatte nicht nur einen deutlichen Rückgang der Arbeitsmigration in die Industrieländer zur Folge, sondern veranlasste auch viele Regierungen, die günstigen und nachteiligen Folgen der Migration neu zu bewerten. Die Ölkrise war ein willkommener Anlass, die Einwanderungspolitik an die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten anzupassen, die gänzlich anders waren als in den Jahren nach 1945.
Die strikte Beschränkung der Anwerbung ausländischer Arbeiter nach 1973 in Europa ließ die Familienzusammenführung zu einer der wenigen legalen Möglichkeiten werden, als Arbeitskraft einzureisen. Die Ansichten über den Wert und die Bedeutung von Einwanderern verhärteten sich: Die Regierungen schauten nun mehr auf die "Kosten" der Migration einschließlich einer wachsenden Zahl illegaler Arbeiter und ihrer Familien. Noch 1976 hatten nur 6 Prozent aller Regierungen der Welt die Zahl der Einwanderer als zu hoch angesehen. Bis 1980 war dieser Anteil auf 13 Prozent und bis 1983 auf 19 Prozent gestiegen. Industrieländer waren eher geneigt, die Einwanderung zu beschränken.
Die veränderte Haltung zur Einwanderung war nicht nur in der nachlassenden Nachfrage nach Arbeitskräften begründet. Viele Regierungen befürchteten offensichtlich, dass die Ansiedlung von Migranten aus anderen Kulturkreisen zu Spannungen führen und man möglicherweise nicht in der Lage sein würde, die wachsende Zahl von Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis in den Griff zu bekommen. Das Problem der Kontrolle von Einwanderung trat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Ankunft hunderttausender Asylsuchender aus osteuropäischen Ländern noch stärker in den Vordergrund.
Flüchtlinge werden als Sonderfall von Migration betrachtet, da eine Flüchtlingspolitik das gemeinsame Handeln mehrerer Staaten voraussetzt. Am Programm für DP-Flüchtlinge nach dem Kriegsende in Europa etwa waren viele Regierungen beteiligt, die neben anderem darüber zu entscheiden hatten, wo diese Menschen eine neue Heimat finden und wie sie dorthin gebracht werden sollten.
Anfang der sechziger Jahre bildeten sich zwei unterschiedliche Formen des Umgangs mit Flüchtlingen heraus - eine für Flüchtlinge aus Industrieländern und eine andere für die der Dritten Welt. Erstere ging von mehreren Annahmen aus: Die meisten Flüchtlinge würden aus kommunistischen Ländern kommen, ihre Zahl würde gering sein und es würde nicht möglich sein, sie zurückzuschicken. Als aber zwischen 1983 und 1994 zahlreiche Flüchtlinge aus Ländern außerhalb von Osteuropa nach Westeuropa zu gelangen versuchten, revidierten manche Regierungen ihre Haltung und ihre Verfahren bezüglich der Aufnahme und Einreise von Asylsuchenden.
Beim Umgang mit Flüchtlingen der Dritten Welt spielten zum Teil die Stellvertreterkriege zwischen Ost und West in Vietnam, Afghanistan, Angola, Nicaragua oder El Salvador eine Rolle. Die Fähigkeit, für diese und andere Konflikte politische Lösungen zu finden, war zweifellos wenig entwickelt. Dadurch siedelten sich große Gruppen von Vertriebenen außerhalb ihrer jeweiligen Länder an. Die großen und oftmals zunehmenden Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen in verschiedenen Ländern, politische Unsicherheit und Korruption sowie sich verschlechternde Umweltbedingungen in der Dritten Welt trugen ebenfalls dazu bei, dass immer mehr Menschen zu Flüchtlingen wurden. Diese Entwicklungen stellten die internationale Gemeinschaft vor eine Reihe schwieriger Aufgaben.
Der Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) hat sich bemüht, insbesondere für Länder der Dritten Welt neue politische Strategien zur Lösung dieser Probleme zu entwickeln. Unter anderem soll bereits die Entstehung von Krisen und Konflikten vermieden werden, die Menschen zur Flucht treiben. Darüber hinaus geht es um die Schaffung von Sicherheitszonen für Zivilisten bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Ferner sollen zukunftssichernde Entwicklungsprojekte in den Herkunftsländern die Chancen zur erfolgreichen Reintegration von Flüchtlingen vergrößern.
Die Möglichkeiten dieser löblichen Initiativen sind angesichts der Größe und Komplexität des Asyl-und Flüchtlingsproblems allerdings begrenzt. Weltweit gibt es gegenwärtig mehr als 13 Millionen Flüchtlinge, von denen die meisten in Entwicklungsländern leben. Asylsuchende treffen heute in Industrieländern auf Regierungen, die sich bemühen, alle Arten von Immigration zu begrenzen. Die Ankunft hunderttausender Asylsuchender in Europa während der neunziger Jahre hat auch das System der juristischen Prüfung von Anträgen überlastet. Daraus entstand das Abkommen von Dublin. Das ist ein Versuch, durch Harmonisierung des Asylrechts politisch einheitlich zu handeln. Viele Länder greifen inzwischen zu extremen Mitteln, um Asylsuchende daran zu hindern, auf ihr Territorium zu gelangen. Auch die Verfahren der Prüfung von Asylanträgen wurden beschleunigt.
Flüchtlinge in Ländern der Dritten Welt profitieren nur geringfügig von den Bestimmungen des Dubliner Abkommens. Die (dritte) Internationale Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema Weltbevölkerung und Entwicklung, die 1994 in Kairo stattfand, hat offiziell bekannt, dass das Recht auf politisches Asyl Gefahr laufe, ausgehöhlt zu werden. Das Problem hat sich durch die ungewöhnlich hohe Zahl der Anträge auf politisches Asyl und den Missbrauch des Systems durch zahlreiche nicht Asylberechtigte verschärft.
Die Einschränkung der Möglichkeiten, als Flüchtling anerkannt zu werden oder sich als Immigrant ansiedeln zu können, hat nicht nur zur Folge, dass immer mehr Menschen ohne gültige Einreisepapiere einwandern, sondern auch, dass häufiger Dokumente gefälscht werden und der - oft von internationalen Verbrechersyndikaten betriebene - Menschenhandel zunimmt. Ungelernte Arbeiter sind von diesen Einschränkungen besonders hart betroffen. Nach dem Ende der Sowjet-Ära und der folgenden Lockerung der Grenzkontrollen stieg der Zustrom von osteuropäischen Arbeitern ohne Papiere nach Westeuropa stark an. Der UNHCR schätzte bereits 1997, dass die nicht registrierte Einwanderung "eine der am stärksten expandierenden Formen der Migration in der heutigen Welt" ist. Die Chance zur Einwanderung ohne Einreisegenehmigung hängt nicht zuletzt davon ab, ob es schon Beziehungsnetzwerke mit Landsleuten im Zielland gibt.
Die Erscheinungsformen der Einwanderung ohne Papiere unterscheiden sich je nach Land oder Region erheblich. In Afrika und Lateinamerika ist sie seit langem typisch für Migration und vielerorts einfach eine Erweiterung der Binnenmigration. In Afrika südlich der Sahara sind plötzliche Ströme von Flüchtlingen und Vertriebenen die wichtigste Form. In Japan gab es Anfang der neunziger Jahre schätzungsweise 300.000 Arbeiter ohne Papiere. In Malaysia halten sich noch wesentlich mehr auf, hauptsächlich Arbeitskräfte, die aus Indonesien stammen. Sowohl in Japan als auch in Malaysia verrichten papierlose Migranten als ungelernte oder angelernte Arbeiter Tätigkeiten, für die man keine Einheimischen findet.
Politik und Vorgehensweisen im Umgang mit nicht registrierten Einwanderern unterscheiden sich je nach Lage im Einwanderungsland. Wenn davon ausgegangen wird, dass diese Einwanderer einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum des Aufnahmelands leisten (wie in Japan und Malaysia), werden sie toleriert. Doch sobald sich die Konjunktur verschlechtert, üben die Regierungen Druck auf sie aus, das Land zu verlassen. Deren unsicherer Status wird noch dadurch verschlimmert, dass die Einheimischen oft der Meinung sind, es gäbe unter ihnen überdurchschnittlich viele Kriminelle und sie untergrüben traditionelle Werte. Manche Regierungen haben Initiativen ergriffen, um den Zustrom "an der Quelle" zu unterbinden. Dazu gehören schärfere Visabestimmungen, Sanktionen gegen Schlepper, die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden und Informationskampagnen, die darauf abzielen, die Menschen von der Arbeitsmigration abzuhalten.
Viele Regierungen ergreifen auch politische Maßnahmen gegen die Ursachen illegaler Migration und geben wirtschaftliche und soziale Hilfe für die Entwicklung. Will man jedoch die großen und zunehmenden Einkommensunterschiede zwischen Staaten des Nordens und des Südens aufheben, dann erfordert das einen drastischen Kurswechsel sowohl in der Wirtschafts-und Sozialpolitik als auch in der Haltung der Weltgemeinschaft. Wanderarbeit könnte dabei Entwicklungsprogrammen zum Erfolg verhelfen. Massenauswanderung aus dem Süden in den Norden ist jedoch keine Lösung. Allerdings konzentrieren sich die Regierungen des Nordens derzeit mehr darauf, den Menschenschmuggel und die Beschäftigung von Einwanderern ohne Papiere zu bekämpfen, als ihre Politik grundsätzlich zu ändern, um die Kluft zwischen Nord und Süd zu überwinden.
Seit Anfang der neunziger Jahre herrschte die Ansicht vor, dass die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der großen Wirtschaftsmächte und weltumspannende Vermarktungsstrategien unvermeidliche und zukunftsweisende Prozesse zur Förderung des Wirtschaftswachstums seien. Viele Regierungen wollen deshalb auch gar nicht die Handels-und Finanzströme eingrenzen, wohl aber die Wanderungsbewegungen von Menschen beschränken. Während sie versuchen, besonders die Einwanderung von Asylsuchenden und Papierlosen abzuwehren, betrachten sie dagegen den vorübergehenden Zuzug hoch qualifizierter Arbeitskräfte als willkommenen Teil der zeitgenössischen Migration. Experten, die als Beschäftigte multinationaler Unternehmen oder Joint Ventures (Gemeinschaftsunternehmen) von einem Land ins andere wechseln, gelten als mitentscheidend für den Erfolg der Globalisierung. Da weltweit tätige Firmen für viele Aufgaben internationales Personal benötigen, haben sie die rechtliche Regelung der Migration stark beeinflussen können. Bei dieser von der Industrie herbeigeführten Migration bestimmen im Wesentlichen die Arbeitgeber die Auswahl und den Arbeitsort qualifizierter Arbeitskräfte. Diese Experten wiederum werden durch die Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten zu Geld zu machen, motiviert, in eine andere Firma oder eine Filiale des selben transnationalen Konzerns an einem anderen Ort der Welt zu wechseln.
Manager solcher Unternehmen sind der Meinung, Einwanderungspolitik solle die Migration ihres Personals aktiv fördern und sie keinesfalls behindern. Dieser Trend wird dadurch sehr gefördert, dass in vielen Firmen die Bedeutung der materiellen Produktion abnimmt und das geistige Eigentum immer wichtiger wird.
Mit solchen Aspekten der weltweiten Migration befassen sich auch supranationale Gremien und internationale Organisationen. Bilaterale und multilaterale Abkommen der Europäischen Union (EU) und des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) tragen sicherlich dazu bei, die Mobilität hoch qualifizierter Arbeitskräfte zu begünstigen. Abkommen zur Erleichterung von Migration gehen weitgehend auf das Drängen der Industrie und die Erfordernisse des Marktes zurück. Zum Beispiel haben die Regierungen der EU ihre Gesetzgebung modifiziert, um hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. In Frankreich hat das Einwanderungsgesetz von 1998 einen Sonderstatus für Wissenschaftler geschaffen, und in den Niederlanden erhalten ausländische Experten zehn Jahre lang einen Nachlass von 30 Prozent bei der Einkommensteuer.
Die Mobilität von Arbeitskräften, zumindest der begehrtesten, ist inzwischen auch ein Thema bei Verhandlungen um Handelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO). Befinden wir uns damit in der Anfangsphase einer Unterordnung der Einwanderungspolitik unter das Handelsrecht? Manche Staaten und Firmen verfolgen jedenfalls eindeutig das Ziel, die befristete Einwanderung von Arbeitskräften im Rahmen des internationalen Handelsrechts zu regeln, und zwar als einen Aspekt des zunehmenden Handels mit Dienstleistungen. Die zeitlich begrenzte Wanderung von Arbeitskräften wird im Rahmen des Internationalen Handelsabkommens bereits praktiziert. Künftig könnte solch eine Migrationsregelung im Rahmen der WTO auch Fragen des Familiennachzugs einschließen. Die Regierungen der Nationalstaaten wären dann vor allem für andere Typen von Ein-und Auswanderung wie Flüchtlingsbewegungen oder nicht registrierte Migration zuständig.
Dass viele Firmen sich aus der materiellen Produktion zurückziehen und mehr auf Dienstleistungen setzen, hat die Internationalisierung der Belegschaften und die Schaffung globaler Märkte begünstigt. Im Dienstleistungsbereich hat sich besonders der Finanzsektor schnell an die neue Kommunikations-und Informationstechnik und den Wettbewerb als Haupttriebkräfte der Globalisierung angepasst. Als Folge hat sich bei der Emigration von Akademikern auch das Berufsspektrum verschoben. Bei Auswanderern mit Hochschulbildung aus Indien beispielsweise überwiegen jetzt nicht mehr Ärzte und Wissenschaftler sondern Computerfachleute. So hatte die Hälfte der ausländischen Akademiker, die im September 2000 mit Zeitverträgen in die USA migrieren durften, Berufe in der Computerbranche, und die Mehrheit dieser Einwanderer kam aus Indien. Ähnlich sieht es in Großbritannien aus, wo es einen erheblichen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der Computerbranche gibt. Ebenso werden in Singapur eifrig Spezialisten aus Indien für die Informationstechnik-Industrie rekrutiert, eine Politik, die Singapurs Ministerpräsident Lee Kuan Yew heftig verteidigte: "Wenn wir unsere Denkweise nicht ändern, werden wir aus diesem Rennen geworfen."
So wie sich nach 1945 der Umfang, die Zusammensetzung und die Richtung der globalen Wanderungen in Reaktion auf den Wandel wirtschaftlicher Strukturen und die Reformen der internationalen Migrationspolitik stark verändert haben, wird sich die Migration auch künftig neuen Entwicklungen anpassen. Es zeichnet sich bereits ab, dass der Kontakt zwischen Kunden und Firmen zunehmend durch Online-Konferenzen hergestellt werden wird, bei denen die Interaktion durchaus als real erscheint. Weitere Fortschritte der Informationstechnologie werden einen noch schnelleren und reibungsloseren Wissenstransfer ermöglichen. Dann wird es oft nicht erforderlich sein, Menschen über Grenzen hinweg zu versetzen. Dank der Vernetzung durch das Internet können wir auf Dienstleister aus beliebigen Weltgegenden zurückgreifen.
Gleichwohl wird die menschliche Mobilität kaum nachlassen. Aber andere Faktoren werden dann Zweck und Dauer von Auslandsaufenthalten bestimmen, und sie werden sich grundlegend von denen unterscheiden, die nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Europäer veranlasst haben, für immer in die Neue Welt überzusiedeln.
Literatur
Charles B. Keely in M.A.B. Siddique (Hrsg.): "International Migration into the 21st Century, Essays in Honour of Reginald Appleyard", Cheltenham 2000.
aus: der überblick 03/2002, Seite 59
AUTOR(EN):
Reginald Appleyard:
Professor Reginald Appleyard lehrt an der "Graduate School of Management" der "University of Western Australia" in Nedlands. Er ist Herausgeber der dreibändigen Publikation "Emigration Dynamics in Developing Countries", erschienen 1998.