Erziehung für Gemeinwesen-Entwicklung
Dörfliche Entwicklungsprojekte können an Streitigkeiten unter den Dorfbewohnern scheitern. Deshalb fördert der Christliche Verein junger Männer in Togo, ein Partner des EED, in seiner Gemeinwesenarbeit besonders die Beilegung solcher Konflikte.
von Augustin Amega
In Togo zeigen sich die Behörden ebenso unfähig wie in anderen Teilen Westafrikas, die Erwartungen an soziale Grunddienste zu befriedigen. Die Bevölkerung bildet deshalb nichtstaatliche Organisationen (NGOs), um kaum genutzte Ressourcen, Kenntnisse und Fertigkeiten für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Doch ein Hindernis für solche Initiativen sind Konflikte, welche die von den NGOs angestoßenen Projekte lähmen. Wenn es gelingt, solche Konflikte beizulegen und die Anstrengung der Parteien auf die wesentlichen Fragen zurückzulenken, dann kann das Entwicklung möglich machen. Ein Beispiel dafür ist die Intervention der Union Chretienne des Jeunes Gens (UCJG, Christlicher Verein junger Männer) in Kotsokopé und Dogbadji.
Kotsokopé liegt etwa 90 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Togos, Lomé. Das Dorf ist eines der am schwersten zugänglichen in Togo. Der Weg, der in die nächste Stadt führt - nach Agbélouvé, 60 Kilometer nordwestlich von Lomé -, ist für größere Fahrzeuge meistens unpassierbar und wird nach den in dieser Region regelmäßigen Regenfällen immer wieder zur Schlammpiste. So lange Kotsokopé kein Gesundheitszentrum besaß, mussten Bewohner, die medizinische Hilfe benötigten, stets die 30 Kilometer bis nach Agbélouvé zurücklegen. So mussten sich während der Regenzeit schwangere Frauen mit einem Fahrrad ins Gesundheitszentrum von Agbélouvé transportieren lassen, um zu gebären.
Deshalb haben die Würdenträger des Dorfes die UCJG gebeten, einen Gesundheitsposten in Kotsokopé einzurichten. Sie äußerten die Bitte, als Animateure der UCJG im Rahmen eines 1995 aufgenommenen Programms zur Gemeinwesenentwicklung (Auto-Promotion Communautaire) auch in dieses Dorf kamen. Das Programm hat zum Ziel, die Begünstigten dahin zu führen, dass sie die Entwicklung an ihrem Ort selbst planen und in die Hand nehmen.
1996 ist die UCJG der Bitte nachgekommen und hat den Gesundheitsposten in Kotsokopé eingerichtet. Er ist so ausgelegt, dass Patienten medizinisch versorgt und Kinder zur Welt gebracht werden können. Geführt wird er zum einen von einer Gesundheitsagentin (agent de santé), einer ausgebildeten Kraft von außerhalb des Dorfes, die bei der UCJG angestellt ist. Sie soll ihr Wissen auch an Freiwillige im Dorf weitergeben, damit die nach einer Zeit ihre Aufgabe übernehmen. Zum anderen führt den Posten ein Gesundheitskomitee, das sich aus jungen Bewohnern der beiden Viertel des Dorfes, Kotso-samé und Védomé, zusammensetzt. Die Aufsicht über den Posten hat das Dorfentwicklungskomitee (Comité villageois du Developpement, CVD). Dessen Mitglieder werden wie die des Gesundheitskomitees in ihrem jeweiligen Viertel gewählt und arbeiten ehrenamtlich.
Doch sechs Monate nachdem der Gesundheitsposten seine Arbeit aufgenommen hatte, wurde sie wieder eingestellt. Der Posten wurde von einem Konflikt lahmgelegt, der sich an der Nachfolgeregelung für einen Chef (einen traditionellen Dorfvorsteher) entzündet hatte. Die Würde eines Chef wird in Togo vererbt oder per Wahl vergeben. Die Vererbung führt in einer zunehmenden Zahl von Fällen zu Streit und wird immer weniger akzeptiert. So auch im Fall von Kotsokopé: Der Streit zwischen der Familie Kotso aus dem Viertel Kotso-Samé, innerhalb der traditionell die Würde des Chef vererbt wurde, und der Familie Sanvi aus Védomé, die traditionell die Zeremonie zur Inthronisierung des Chefs zu leiten hatte, spaltete das Dorf.
Entsprechend dem Brauch wurde zunächst der junge Kotso Komlan zum Nachfolger bestimmt. Doch Sanvi Papatahé, ein reicher und sehr geschäftstüchtiger Geldverleiher, der deutlich älter ist als Kotso Komlan, erhob ebenfalls Anspruch auf den Thron. Er mobilisierte die Jugend seines Viertels, die von ihm als dem einzigen großen Geldverleiher abhängig war. Zudem versprach der den jungen Leuten, ihnen eigene Felder zu verschaffen, obwohl das Ackerland dem Dorf gehört und nicht ohne Zustimmung des Chef vergeben werden kann. So brachte Sanvi Papatahé die Jugendlichen aus seinem Viertel dazu, nicht mehr am Gesundheits- und Dorfentwicklungskomitee teilzunehmen.
Das führte dazu, dass der Gesundheitsposten die Türen schloss, denn er gehört dem ganzen Dorf und kann nicht von den Komitee-Mitgliedern aus Kotso-Samé allein geöffnet werden. Die Hebamme, die von außerhalb des Dorfes kommt, konnte in Kotsokopé nicht mehr arbeiten. "Wegen dieser Situation war die Bevölkerung erneut gezwungen, sich 30 Kilometer entfernt versorgen zu lassen und zu Geburten dorthin zu gehen, zeitweise sogar zu Fuß", erzählt Dodji Kokou, ein Lehrer an der Grundschule in Kotsokopé. Neben dem Gesundheitskomitee war auch das Dorfentwicklungskomitee lahmgelegt. "Das hatte zur Folge, dass die Arbeit auf den Feldern der Dorfgemeinschaft eingestellt wurde. Wir haben dadurch Ernteverluste von bis zu 50 Prozent erlitten", klagt der Präsident dieses Komitees. Sogar die Fußballmannschaft des Dorfes stellte das Training ein, weil die Mitglieder aus Védomé auf Verlangen von Sanvi Papatahé nicht mehr erschienen.
Das Ministerium für Inneres, Sicherheit und Dezentralisation versuchte, den Konflikt zu entschärfen. Das hatte eine gewisse Wirkung, führte am Ende aber nicht zur Normalisierung der Lage. Der Minister bestätigte per Dekret die Ernennung von Kotso Komlan zum Chef entsprechend dem Prinzip der Vererbung. Damit traten die Probleme erneut auf. "Das war wirklich traurig", sagt Akouvi Mablé, die in Kotsokopé tätige Hebamme. "Weil der Gesundheitsposten geschlossen blieb, mussten wir machtlos zusehen, wie Neugeborene nach Hausgeburten gestorben sind."
Angesichts solcher Vorfälle entschloss sich die UCJG, auf eine einvernehmliche Lösung hinzuarbeiten. Sie folgte dabei der Methode "Diagnose, Evaluierung, Partizipation" (DEP): Man hört zu, bewertet die Situation und schlägt unter Beteiligung der Konfliktparteien Auswege vor. Nach und nach traf Jean Apédo, der Direktor des Programms "Erziehung für Gemeinwesen-Entwicklung" im UCJG, jeweils getrennt die streitenden Lager, die Lehrer der Dorfschule, die Mitglieder des Dorfentwicklungs- und des Gesundheitskomitees sowie aus Kotsokopé stammende Gruppen in der Hauptstadt Lomé. Dann lud er einen Pfarrer aus der Pfarrei St. Augustin in Lomé ein, der aus dem Gebiet stammt und der Sohn des ersten Beraters des jungen Chef ist. Gemeinsam gelang es ihnen, eine Debatte "unter dem Palaver-Baum" zu organisieren - eine Diskussion auf dem Marktplatz, wie sie in Afrika häufig stattfindet. Diese Art direkte Demokratie ist der in einigen Kantonen der Schweiz vergleichbar.
Apédo wurde als Vermittler akzeptiert, weil die UCJG eine Einrichtung der Grundversorgung geschaffen hatte, die der Bevölkerung nutzte. Zudem war Apédo neutral, denn er stammt nicht aus Kotsokopé. Und schließlich hatte er schon vor den Konflikt mit beiden Seiten regelmäßig gearbeitet, so dass beide ihm vertrauten.
Das Ergebnis der Vermittlung waren eine Reihe von Zugeständnissen - darunter vor allem, Sanvi Papatahé zum Notabeln zu ernennen und die Arbeit der beiden Komitees wieder aufzunehmen. Notabeln sind Mitarbeiter des Chef; sie helfen ihm vor allem in der Rechtsprechung und verfolgen, ob Urteile umgesetzt werden (früher verließen die Chefs in Togo für Amtsgeschäfte ihren Hof nie und waren auf solchen Notabeln noch mehr angewiesen als heute). Schon am Tag nach dem Palaver wurde der Gesundheitsposten wieder eröffnet. "Die Besucherzahlen verdoppelten sich gegenüber früher", erklärt der Präsident des Gesundheitskomitees. "Statt 5 bis 8 Patienten kamen nun im Durchschnitt 15 pro Tag." Auch die Arbeit auf den Feldern der Dorfgemeinschaft wurde zur allgemeinen Zufriedenheit wieder aufgenommen.
Im November 2000 brach der Konflikt erneut aus. Der Chef Kotso IV. weigerte sich entgegen der Übereinkunft, Sanvi Papatahé zum Notabeln zu ernennen. "Ich kann nicht gegen die Prinzipien der Ahnen handeln", sagt er zur Rechtfertigung. Erneut intervenierte die UCJG, um die Lahmlegung des Gesundheitspostens und der Gemeinschaftstätigkeiten zu verhindern. Sie führte Seminare (sensibilisations) durch, um den Jugendlichen den Nutzen dieser Einrichtungen für die Entwicklung des Dorfes bewusst zu machen.
Eine gütliche Konfliktregelung gelang auch im Dorf-Bewässerungsprojekt in Dogbadji. Dieses Dorf liegt in den Bergen nicht weit vom höchsten Gipfel Togos, dem Mont Agou, rund 100 Kilometer nordwestlich von Lomé. Das Problem waren hier Konflikte zwischen dem Chef und seinen Notabeln. Diese missverstanden die Art, wie die Ortsverwaltung geführt wurde, und das verzögerte den Bau einer Wasserversorgung. Die UCJG konnte die Krise sehr schnell entschärfen. "Heute können sich die Bewohner von Dogbadji selbst mit Trinkwasser versorgen, weil die Arbeiten nach der Lösung der Krise nicht mehr gestört wurden", sagt Kondo Messa, der Animateur der UCJG für die Region.
Er hat jedoch nicht selbst vermittelt, denn er steht dem Chef nahe. Deshalb hat die UCJG sich stark auf die in der Hauptstadt Lomé lebenden Bürger aus dem Gebiet gestützt. Beschäftigte im Staatsdienst oder wohlhabende Geschäftsleute in großen Städten finanzieren in Westafrika häufig Vorhaben in ihrem Heimatdorf und haben dort oft großen Einfluss. Im Fall von Dogbadji haben sie mit Hilfe der UCJG Wege gefunden, ihre Geschwister zu versöhnen und eine Blockade des Projektes zu verhindern.
Die UCJG hat nicht gezögert, die Rolle des Vermittlers in örtlichen Streitigkeiten zu übernehmen. Sie hat die beteiligten Parteien bewogen, einvernehmliche Lösungen zu suchen. Die nötigen Fähigkeiten sind vorhanden; man muss sie nur im guten Sinne nutzen.
Gemeinwesen-EntwicklungBlockaden aufbrechen ist wichtiger als Geld zu gebenGemeinwesen-Entwicklung, zu der auch die Stärkung von demokratischen Institutionen in den Dörfern gehört, ist ein Förderschwerpunkt des EED in Togo. Der Christliche Verein junger Männer (UCJG) ist dabei ein wichtiger Projektpartner. Seine Tätigkeit war von 1975 bis zu Beginn der 1990er Jahre stark eingeschränkt, weil damals von der Einheitspartei unabhängige Jugendorganisationen verboten waren. Die UCJG überlebte, indem sie offiziell als Jugendorganisation der Evangelischen Presbyterianischen Kirche (EEPT) firmierte. Daher kommen heute die meisten Mitglieder aus der EEPT oder sind Katholiken, erklärt Jean Apédo, der Direktor des Programms "Erziehung für Gemeinwesen-Entwicklung" im UCJG. Einige Baptisten und Methodisten gehören dem UCJG an, aber kaum Anhänger aus den stark wachsenden Pfingstkirchen. Die Versuche des UCJG, die dörfliche Entwicklung zu fördern, gehen laut Luc Bruce, dem stellvertretenden Generalsekretär des Vereins, auf Workcamps Mitte der 1980er Jahre zurück. Das Programm des UCJG zur Gemeinwesenentwicklung begann vor etwa acht Jahren mit der Einrichtung von Gesundheitsposten. Inzwischen liegt der Schwerpunkt darauf, Dorfbewohner in Fragen der Organisation zu schulen und so Institutionen zu fördern, die lokale Konflikte einvernehmlich regeln können. Bruce beklagt, dass die Kirchen in Togo in ihrer Sozialarbeit noch häufig einem reinen Hilfeansatz folgten. Man müsse das örtliche Entwicklungspotenzial freisetzen; das sei sogar ohne große Finanzmittel von außen möglich. Drei Blockaden muss man in erster Linie angehen, erklärt Jean Apédo: Generationenkonflikte - die Jungen sind von der Teilhabe an Entscheidungen ausgeschlossen -, Konflikte zwischen Klanen um die Würde des Chef sowie die besondere Benachteiligung der jungen Frauen. Mit Schulungen, Seminaren und Workshops will der UCJG solche lokalen Entwicklungsblockaden bearbeiten. Bernd Ludermann |
aus: der überblick 01/2003, Seite 110
AUTOR(EN):
Augustin Amega:
Augustin Amega ist Journalist und Leiter der privaten, vom Staat unabhängigen Wochenzeitung "Le Réporter des Temps Nouveaux" in Lomé.