Maris Bustamante ist 50 Jahre alt, eine der Pionierinnen feministisch inspirierter Kunst und Urmutter der mexikanischen Performance- und Installations-Szene. Sie arbeitet heute als Universitätsdozentin und freie Künstlerin vor allem zu den Mythen des (post-)modernen Mexiko – darunter das Geschlechterverhältnis. Die Mutter zweier Töchter hat kürzlich zum zweiten Mal geheiratet – kennengelernt hatte sie ihren Gatten, einen an Mexiko interessierten US-Amerikaner, im Cyberspace.
Interview mit Maris Bustamante
Die Fragen stellte ANNE HUFFSCHMID
Beim Thema "Frauen in Mexiko" fallen mir zuerst die Männer ein. Ist das Machismo-Klischee nicht inzwischen ein Mythos?
Meine Liebe, das ist leider gar kein Mythos, sondern die nackte Wirklichkeit. Mexiko ist die Wiege des Machismus. Er wurde hier zwar nicht geboren, aber aufgrund der grandiosen Mischung aus indigenem und spanischem Patriarchat nimmt er hier auch heute noch extreme Formen an. Eine Definition? Einfach der absolute Mangel an Respekt für die Frau als ein vollständiger Mensch. Sie existiert nur als Gegenstand, der Lust verschaffen kann, für die Fortpflanzung zuständig ist und die minimale Infrastruktur der Familie am Laufen hält. Intelligente Frauen mit eigenen Lebensprojekten sind, gelinde gesagt, offenbar nicht die Traumpartnerinnen für mexikanische Männer – und das gilt quer durch alle Schichten und kulturellen Milieus.
Was steckt denn dahinter – eine tiefsitzende Angst vor den Frauen?
Hach! Ich glaube, das steckt derart tief in der maskulinen Natur, dass ich gar keinen gesteigerten Wert darauf lege, bis dahin vorzudringen. Interessanter ist eigentlich, was mit den Frauen in diesem Jahrhundert passiert ist: Die sind enorm vorangekommen. Bis vor zwanzig Jahren war in Mexiko noch von den alten Jungfern die Rede, diese armen Tanten und Cousinen, die unglücklicherweise nicht geheiratet hatten und so ihr ganzes Leben lang Jungfrau blieben. Das ist heute anders: Viele der jungen Frauen, die gut ausgebildet auf den Arbeitsmarkt drängen, wollen gar nicht mehr unbedingt heiraten. Die werden dann nicht mehr Jungfern genannt, sondern unabhängige Frauen. Das gilt gerade auch für die Frauen der ärmeren Schichten, die tagtäglich ihre Familie und nebenbei noch viele politischen und sozialen Bewegungen über Wasser halten.
Auf dem Markt für heterosexuelle Liebe gibt es also vermutlich eine Übernachfrage der neuen Frauen nach neuen Männern?
Genau. Ich kenne in Mexiko genau einen Mann, der sich mit diesen Fragen beschäftigt – und der wird von seinen Freunden mit Ausdrücken bedacht, die ich hier gar nicht wiederholen möchte. Mexikanische Männer, die sich für eine Beziehung jenseits von Herrschaft und Unterordnung interessieren, sind sehr rar gesät. Aber ich sage immer, dass im Zeitalter der Globalisierung und des Internet ja auch in dieser Hinsicht ganz neue Horizonte eröffnet werden: Denn es gibt ja aus anderen Ländern Männer, die die wunderbaren mexikanischen Frauen sehr wohl zu schätzen wissen. Vielleicht (lacht) sollte sich Mexiko nicht so sehr auf den Export von Avocados, Orangen oder Chili verlegen, sondern der Welt eher seine Frauen anbieten – intelligent, warm, mit Lust an Kindern, aber eben auch auf einen Kerl, der sich wie ein Compañero zu benehmen weiß.
Nun haben aber nicht alle Mexikanerinnen einen Computer oder Lust auf Cyberflirt. Was ist mit denen, die hier bleiben?
All denen, die sich weiterhin auf das mexikanische Angebot beschränken wollen, kann ich nur empfehlen, sich in Superhel-dinnen zu verwandeln – und sich im Leiden zu üben. Wie in unseren berühmten Telenovelas, den Fernseh-Seifenopern: Vor kurzem gab es hier eine, die erst ganz modern und aufgeklärt daherkam, weil eine ältere, von ihrem Mann betrogene Ehefrau es gewagt hatte, sich einen jungen Liebhaber zu nehmen. Und wie ging die Sache aus: Am Schluss muss sie ihren Lover verlassen und alleine bleiben – also doch eine Bestrafung.
Dann macht es für Touristinnen ja auch wenig Sinn, sich hier auf der Suche nach dem "latin lover" zu begeben?
Doch doch! In gewisser Hinsicht haben die uns sogar gezeigt, wie man mit den mexikanischen Männern wohl am besten umgehen sollte: Die kommen hierher, nehmen sich, was sie brauchen und finden, und kehren dann in aller Ruhe in ihre Länder zurück – in den seltensten Fällen in Begleitung. Sie drehen den Spieß herum und nutzen die Männer als Sexualobjekte – weil diese ja offenbar unfähig sind, eine andere Art von Beziehung aufzubauen. Eigentlich aber kann einem das ja auch Leid tun. Die Frauen in Mexiko haben sich so sehr geändert – die Männer sind da einfach nicht mehr hinterhergekommen. Und wenn die nicht schleunigst aufholen, dann stehen sie eines Tages ganz ohne Frauen da. Denn es kommen ja andere von überall her, die wir dann – oh ja! – auch mit offenen Armen erwarten.
aus: der überblick 02/2000, Seite 65