"Definitionen helfen dem Süden nicht"
Jean Charles van Eeckhaute erläutert die Haltung der Europäischen Kommission, die für die EU die WTO-Verhandlungen führt. Er ist in der für TRIPS zuständigen Einheit der Generaldirektion Handel der Kommission vor allem für Bio-Diversität und den Zugang zu Medikamenten zuständig.
von Bernd Ludermann
Die Gruppe afrikanischer Staaten möchte das TRIPS-Abkommen dahingehend ändern, dass Patente auf Leben ausgeschlossen sind. Wie steht die EU dazu?
Zunächst einmal liegt nicht nur dieser Vorschlag vor. Entwicklungsländer unter Führung von Brasilien, Indien und China wollen eine ganz konkrete Änderung des TRIPS-Abkommens: Wer ein Patent beantragt, soll verpflichtet sein, den Ursprungs des biologischen Materials, das er benutzt hat, offen zu legen und nachzuweisen, dass er die Grundsätze der Biodiversitäts-Konvention eingehalten hat. Wir sind bereit, darüber zu sprechen und Schritte in diese Richtung zu tun. Aber der Vorschlag der afrikanischen Gruppe, Artikel 27 des TRIPS-Abkommens so zu ändern, dass er alle Arten Patente auf biotechnische Erfindungen verbietet, ist für uns kein brauchbarer Ansatz. Über andere Vorschläge wie die nach Offenlegung des Ursprungs sind wir gern bereit zu diskutieren. In der EU sind biotechnische Erfindungen patentierbar; dies legt eine Richtlinie fest, die das Europäische Parlament 1998 beschlossen hat und an die auch die Kommission gebunden ist. Über andere Vorschläge wie die nach Offenlegung des Ursprungs sind wir gern bereit zu diskutieren.
Ein solcher Vorschlag ist, ein Patente zu widerrufen, wenn der Antragsteller die Herkunft des benutzten Materials verschwiegen hat.
Viele Firmen legen den Ursprung dieses Materials bereits offen. Zum Teil ist das für den Patentantrag nötig, denn dazu muss man die Erfindung nachvollziehbar beschreiben, und wenn man genetisches Material benutzt, das nur an speziellen Orten vorkommt, muss das dargelegt werden. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, legen manche Firmen den Ursprung offen. Wir sind bereit zu diskutieren, dass dies vorgeschrieben wird. Verstöße dagegen sollten rechtliche Folgen haben, aber nicht notwendig im Patentrecht. Man könnte natürlich bei der Verheimlichung des Ursprungs das Patent verweigern oder zurückziehen. Aber wir sind für andere Sanktionen wie Geldstrafen oder Schadenersatzregelungen.
Wäre nicht der Widerruf des Patents eine wirksamere Drohung?
Andere Arten Sanktionen können genauso wirken. Außerdem würde der Entzug des Patents auch die bestrafen, deren traditionelles Wissen benutzt wurde, denn die Firma könnte dann das Produkt nicht vermarkten und keine Gewinne machen, die sie teilen könnte.
Die EU lehnt es ab, Patente auf Leben zu verbieten. Diese Patente sind eine Voraussetzung für das Geschäft zahlreicher europäischer Firmen, oder?
Sicher. Dass man biotechnische Erfindungen patentieren kann - ich finde den Begriff "Patente auf Leben" irreführend -, ist natürlich eine Bedingung für diese Geschäftstätigkeit. Die EU-Kommission berücksichtigt die Interessen dieser Firmen, aber nicht nur die, sondern auch breitere Gesichtspunkte. Wir konsultieren Unternehmen, so wie wir auch NGOs konsultieren und mit Entwicklungsländern diskutieren. Dann entwickeln wir die Position der EU-Kommission.
Aber die EU-Kommission kann kaum ein TRIPS-Abkommen billigen, das die Tätigkeit der Firmen im Bereich Biotechnologie erschwert.
Das ist richtig. Wir wollen nicht, dass die grundlegenden Prinzipien des TRIPS-Abkommens geändert werden.
Wird mit dem Zwang, Patente einzuführen, den Entwicklungsländern ein Mittel verwehrt, das die heute industrialisierten Länder selbst für ihre Entwicklung genutzt haben, nämlich Verfahren und Produkte zu kopieren?
Es stimmt, dass ihnen das verboten wird. Aber wir müssen erstens bedenken, dass im TRIPS-Abkommen Übergangsfristen vorgesehen sind. Die ärmsten Länder haben bis 2006 Zeit, das Abkommen umzusetzen, und die Frist kann auf einfache Bitte verlängert werden. Im Fall von Medikamenten haben wir bereits zugestimmt, die Frist bis 2016 zu verlängern. Für die entwickelteren Länder reichen die Zieldaten für die Umsetzung je nach Produkt von 2000 bis 2005. Aber auch hier lässt das TRIPS-Abkommen Raum für Flexibilität.
Flexibilität bei der Definition dessen, was patentiert werden kann und was nicht?
Dort, aber auch bei den Kriterien für ein Patent. Nach dem TRIPS-Abkommen kann patentiert werden, was neu ist, eine Erfindung beinhaltet und industriell genutzt werden kann. Doch diese Kriterien werden nicht näher definiert. Es gibt daher Spielraum für das nationale Recht - zum Beispiel bei den Bestimmungen, was eine Erfindung ist im Unterschied zu einer Entdeckung.
Das TRIPS-Abkommen schreibt Patentschutz für Mikroorganismen vor. Dazu wollen die USA auch Gensequenzen und genmanipulierte Pflanzen und Tiere zählen, solange sie mikroskopisch klein sind. Deshalb fordern einige Entwicklungsländer, den Begriff einschränkend zu definieren. Was hält die EU davon?
Je genauer eine Definition ist, desto weniger Flexibilität erlaubt sie. Wir glauben daher, es ist im Interesse der Entwicklungsländer, dass Mikroorganismen nicht definiert sind. Es gibt ja keine Einigkeit in der Wissenschaft, was Mikroorganismen sind. Wenn wir das in der WTO diskutieren, bin ich sicher, dass wir bei weniger Flexibilität enden werden als jetzt. Darüber hinaus müssen auch Mikroorganismen nur patentiert werden, wenn sie die erwähnten Kriterien erfüllen. Das gibt noch einmal zusätzliche Flexibilität.
Können Entwicklungsländer angesichts der Möglichkeit, sie unter Druck zu setzen, diese Flexibilität wirklich nutzen?
Ich denke, das können sie. Man kann nicht ausschließen, dass Druck ausgeübt wird. Aber man darf Länder wie Indien oder Brasilien nicht unterschätzen. Kein Land der Welt, wie mächtig es auch sein mag, kann Indien, China oder Brasilien vorschreiben, wie es seine Patentkriterien festlegt. Mit kleinen Ländern mag das möglich sein, aber nicht mit großen. Doch kleine Länder unter Druck zu setzen, ist eine Praxis, die man verurteilen muss.
aus: der überblick 03/2003, Seite 128
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".