Gespräch mit Shama Mall und Farrukh Marvin Pervez
Welches sind die Schwerpunkte ihrer Arbeit?
Shama Mall: Wir machen erstens Fortbildungen und Trainings für Gruppen der Zivilgesellschaft, einschließlich religiöser. In diesem Capacity Building vermitteln wir organisatorische Kenntnisse, behandeln aber auch etwa Menschenrechte und Geschlechterverhältnisse. Zweitens unterstützen wir über unser Programm zur sozialen Entwicklung kleine Initiativen von verschiedenen Organisationen mit geringen Summen Geld. Unsrer drittes Programm ist Katastrophenhilfe einschließlich Vorsorge für mögliche Naturkatastrophen, um die Schäden gering zu halten. Eins unserer Büros in Pakistan, nahe der Grenze, leistet seit 24 Jahren medizinische Hilfe für Flüchtlinge aus Afghanistan.
Pervez: Solche Hilfe leisten wir seit einigen Jahren auch für im Land Vertriebene in Afghanistan. Vor kurzem haben wir zudem Einkommen schaffende Maßnahmen für über tausend von Frauen geführte Haushalte in Zentral-Afghanistan begonnen.
Wer sind Ihre lokalen Partner?
Shama Mall: Unser Netz umfasst rund 350 Partner in Pakistan und Afghanistan. Einige, aber nicht alle gehören zu Kirchen oder kommen aus ihrem Umfeld. Wir arbeiten mit Organisationen aus ganz verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen zusammen.
Ist die Zusammenarbeit mit muslimischen Gruppen angesichts der religiösen Spannungen in Pakistan ein Problem?
Pervez: Wir arbeiten mit Benachteiligten, unabhängig von ihren ethnischen oder religiösen Wurzeln. Da können Probleme auf verschiedenen Ebenen auftreten. Erstens wenn nicht christliche Gruppen uns verdächtigen, dass wir missionieren wollen. Das ist in Pakistan illegal und auch kulturell nicht akzeptabel. Zweitens haben die religiösen Frontstellungen in der Weltpolitik dazu geführt, dass man uns schnell verdächtigt, Agenten des Westens zu sein. Drittens gibt es in Pakistan militante muslimische Organisationen, die uns als Feinde ansehen. Aber Konflikte ergeben sich nicht nur aus der Religion. Entwicklungsarbeit bedeutet, den ökonomischen, sozialen oder politischen Status Quo ändern zu wollen. Im Landrecht sind Reformen dringend nötig, ebenso bei Frauenrechten. Und Alle, die Veränderungen ablehnen, mögen uns nicht. Der Widerstand kann von lokalen Machthabern oder Moscheen kommen oder auch von staatlichen Stellen. Die Regierung wirft uns zum Beispiel vor, das Ansehen des Landes zu schädigen und schmutzige Wäsche öffentlich zu waschen.
Haben auch die Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten Ihre Arbeit belastet?
Pervez: Solche Konflikte sind ein großes Problem. Schiitische Moscheen oder Führer vor allem Ärzte werden in Karatschi sehr häufig gewaltsam angegriffen, und einige schiitische Organisationen schlagen mit gleichen Mitteln zurück. Überall, wo kein Friede herrscht, ist Entwicklungsarbeit sehr schwierig. Auch der Krieg gegen den Terrorismus, den viele als Kampf gegen die Muslime wahrnehmen, verschärft die Spannungen.
Wie wirkt der sich auf Ihre Arbeit aus?
Pervez: In mehrere Gebiete Pakistans können wir gar nicht mehr reisen, vom Starten eines Programms ganz zu schweigen. Schon als nichtstaatliche Organisation (NGO) aufzutreten ist im Südteil Afghanistans und in Teilen Pakistans gefährlich. Mit der Kirche verbunden zu sein erhöht das Risiko noch. Es ist heute auch schwieriger als noch vor fünf Jahren, als humanitär respektiert zu werden. Denn Hilfe wird in Pakistan und Afghanistan politisch benutzt zum Beispiel um die Regierung Musharraf in Pakistan zu stützen.
Stehen Ihre muslimischen Partner unter Druck, müssen sie beim Kontakt zu christlichen Gruppen vorsichtig sein?
Pervez: Die meisten Gemeinschaften an der Basis begrüßen unsere Arbeit sehr. Aber unsere Partner-Organisationen stehen in der Tat unter wachsendem Druck, weil die Zivilgesellschaft als Ganze behindert wird. Manchmal werden muslimische Gruppen schikaniert, man fragt sie: Warum arbeitet ihr für eine christliche Organisation? Oder Frauen können sich nicht frei bewegen. Auf alltägliche Schikanen müssen wir uns einstellen, man lernt damit umzugehen.
Betrachten Sie Ihre Arbeit auch als Beitrag zum friedlichen Zusammenleben?
Pervez: Ja. Ich rechne es der christlichen Ökumene hoch an, dass sie die schwierigen Gebiete wie Afghanistan und Pakistan nie im Stich gelassen hat. Viele andere NGOs haben nach dem Abzug der Russen Afghanistan ebenfalls verlassen. Die kirchlichen nicht, weil sie nicht nur eine Entwicklungspartnerschaft unterhielten, sondern auch einen Dialog zwischen Menschen verschiedener Religion und verschiedener ethnischer Herkunft. Im Januar vergangenen Jahres gab es im Norden Pakistans, nahe der chinesischen Grenze, ein Erdbeben. Eins der ersten Hilfswerke, das von der betroffenen Gemeinde eingeladen wurde zu helfen, war der Church World Service. Als der Hilfseinsatz in zwanzig Dörfern beendet war, kamen die Mullahs aller dieser Dörfer zusammen und beteten für den Church World Service. Hilfe bringt Menschen zusammen.
Wo erkennen Sie Erfolge Ihrer Arbeit?
Shama Mall: Man kann sie schon daran sehen, wie die Arbeit akzeptiert wird. Häufig kann man Menschenrechts- und Frauenfragen nicht direkt ansprechen, sonst wird man als anti-islamisch bezeichnet. Wir benutzen aber in ländlichen Gebieten Theatergruppen zur Bewusstseinsbildung. Sie behandeln zum Beispiel das Problem der Verheiratung von sehr jungen Frauen und Mädchen oder Themen wie Menschenrechte und Rechte von Bauern. In diesen Theatergruppen spielen Frauen und Mädchen mit. Alle sind Freiwillige. Öffentliche Auftritte von Frauen sind in Pakistan äußerst ungewöhnlich. Dass sie akzeptiert werden, ist bereits ein Erfolg.
Ist Anwaltschaft für die Rechte von Frauen besonders problematisch?
Pervez: Ja. Und das ist unter Christen das gleiche Problem wie unter Muslimen. Sowohl der Mullah als auch der Pastor werden sagen, dass Frauenrechte, wie wir sie fordern, den Heiligen Schriften widersprechen. Vor ein paar Jahren hatten wir einen Workshop in einer christlichen Gruppe. Solange wir über Frauenrechte in der Gesellschaft sprachen, gab es keinen Widerstand. Aber sobald wir auf die Rolle der Frauen in der Kirche kamen, zum Beispiel dass sie die Bibel auslegen sollen, hieß es: Nein. Da war die rote Linie überschritten.
Gibt es Regionen, in die Sie als Frau nicht reisen können?
Shama Mall: Ich bin hauptsächlich zuständig für Programme in Pakistan. Da kann ich in die Gebiete ganz im Norden nicht reisen. Das heißt aber nicht, dass es nur dort gefährlich wäre. Karatschi, wo unser Hauptbüro ist, ist sehr unsicher.
Welche Anliegen sind Ihnen persönlich am wichtigsten?
Shama Mall: Für mich sind das vor allem Frauenfragen einschließlich der Geschlechterverhältnisse in der eigenen Organisation. Im Church World Service bei uns gibt es bereits sehr viele Frauen auf Führungsposten, fast mehr als Männer.
Pervez: Wir nutzen aber in Geschlechterfragen keine Modelle aus dem Westen. Statt dessen fragen wir: Welche Freiheiten und Teilnahmemöglichkeiten hatten Frauen in Pakistan vor 30 Jahren, bevor die Islamisierung begann?
Frauen hatten früher mehr Rechte als heute?
Shama Mall: Oh ja, Pakistan war in Geschlechter-Fragen vor 30 Jahren eine sehr viel liberalere Gesellschaft als heute.
Nur in Städten oder auch auf dem Land?
Pervez: Auch auf dem Land, ausgenommen die Regionen der Stämme (tribal areas) im Westen. In Punjab und Sindh hatten Frauen mehr Bewegungsfreiheit und konnten stärker am öffentlichen Leben teilnehmen als heute. Nachdem Zia 1977 die Macht übernommen hatte, setzten Rückschritte ein. Das lag an Zias Islamisierungs- Politik, aber auch die Lokalpolitik spielte eine Rolle dort ging es darum, progressive Parteien zurückzudrängen. Die Unterstützung aus dem Westen für den Krieg gegen die Russen in Afghanistan stärkte die Elite der Mullahs in Pakistan und damit die Islamisierung noch.
Sehen Sie jetzt Anzeichen für eine politische Öffnung?
Pervez: Hoffnung finde ich nicht beim Blick in die Hauptstadt Islamabad, sondern in kleinen Gemeinschaften, die sich organisieren, um ihre Lage zu verbessern. Auch unsere Programme mit Kindern machen mir Hoffnung. Kinder erfahren heute viel mehr über die Welt als ich als Kind. NGOs schaffen eine Reihe von guten Vorbildern. Das heißt nicht, dass wir die Aufgaben des Staates übernehmen sollen; er muss in der Verantwortung bleiben und darf zum Beispiel nicht Unsummen für das Militär ausgeben und kaum etwas für Bildung.
Wenn Sie Afghanistan und Pakistan vergleichen, wo ist Ihre Arbeit schwieriger und heikler?
Pervez: Die Schwierigkeiten sind verschiedenartig. Zum Beispiel gibt es in Afghanistan neben den Taliban, Kriegsfürsten und Drogenbaronen das Problem der Landminen und eine nächtliche Ausgangssperre; beides gibt es in Pakistan nicht. Aber lebensgefährlich sind beide Länder besonders für Minderheiten und für Frauen.
Haben sich die Bedingungen Ihrer Arbeit in Afghanistan verändert, weil in den vergangenen Jahren zahlreiche internationale NGOs dort Programme begonnen haben?
Pervez: Ja. Das war wie eine Erinnerung an frühere Zeiten. Wir hatten uns lange Jahre für gute fachliche Praxis eingesetzt, für einen Verhaltenskodex in der Nothilfe und für Rechenschaftspflicht und Transparenz. Dann kam ein ganzer Strom von neuen NGOs, verteilte Hilfe und verlangte in vielen Fällen nicht die gleiche Rechenschaftslegung. Besonders war das kurz nach dem Sturz der Taliban zu beobachten. Da gab es viele NGOs, die ich eher als Subunternehmer betrachten würde. Inzwischen normalisiert sich die Situation wieder. Aber auch einige meiner Glaubensgenossen aus dem evangelikalen Lager haben bei ihren Hilfsprogrammen keinen Verhaltenskodex im Sinn, sondern Bekehrungen und die Ausbreitung der Kirchen.
Macht das Ihre Arbeit noch gefährlicher?
Shama Mall: Natürlich. Es hat schon Zwischenfälle deshalb gegeben. Diese Gruppen schaffen große Probleme für andere Organisationen.
Pervez: Besonders für ökumenische Organisationen, die nicht auf Bekehrungen aus sind und ein Vertrauensverhältnis zu örtlichen Gemeinden und Behörden aufgebaut haben. Wo es einheimische Kirchen gibt wie in Pakistan und Sri Lanka, werden auch die von solchen Missionierungen gefährdet. Diese Organisationen kommen von Außen und verschwinden wieder, und die lokale Kirche trägt die Folgen. Wir müssen dann manchmal beim Aufbau von Vertrauen wieder bei Null anfangen.
aus: der überblick 02/2005, Seite 98
AUTOR(EN):
die Fragen stellte Bernd Ludermann