Nepalesen verlassen den Holzweg
In Nepals Wäldern wird seit Jahrzehnten Raubbau getrieben. Erosion und Holzmangel sind die Folgen. Demokratisch organisierte Waldnutzungsgruppen in umliegenden Dörfern sollen jetzt umweltschonende und bestandssichernde Forstwirtschaft betreiben.
von Urs Fitze
Mit raschem, tänzelnden Schritt läuft Satyaran auf einem sandigen, im Winter ausgetrockneten Flussbett. Er hat noch einen weiten Weg vor sich: 15 Kilometer sind es bis zur Bezirkshauptstadt Lahan in der Terai-Ebene im Südosten Nepals. Auf seinen Schultern trägt er eine Art Joch, einen der Körperform angepassten, rund zwei Meter langen Bambusstab. An dessen Enden baumelt je ein Stapel Holz. Gut 60 Kilogramm hat der Mann zu schleppen. Das Holz hat der schätzungsweise 30- bis 35-Jährige sein genaues Alter weiß er nicht im nahen Wald gesammelt. Er will es auf dem Markt in der Stadt verkaufen. 150 Rupien, 1.60 Euro, wird er dafür erhalten. Damit muss Satyaran seine fünfköpfige Familie durchbringen. Satyaran ist Angehöriger der Kaste der Dalit, ein so genannter »Unberührbarer«. Er besitzt kein Land, das er bebauen kann, und findet nur selten bezahlte Arbeit. Deshalb sammelt er Brennholz in den Wäldern des Churia-Hügellandes. Das ist zwar ebenso verboten wie das Abholzen, wird aber noch geduldet. Gefährlicher leben jene illegalen Holzschläger, die sich mit winzigen Äxten aufmachen, um tief im Hinterland auch noch den kleinsten Salbaum zu schlagen. Wer dabei erwischt wird, muss damit rechnen, dass er übel zugerichtet wird, und ist seine Ware los. Gleichwohl riskieren es viele, denn das rar gewordene Hartholz erzielt im benachbarten Indien Kubikmeterpreise von umgerechnet bis zu 500 Euro.
Der nepalesische Staat war mitverantwortlich für die Abholzung der Wälder. 1957 nahm er fast die gesamte Waldfläche des Landes über Nacht in seine Obhut und beseitigte damit ein Jahrhunderte altes System, in dem sich verschiedene Nutzer die Schätze des Waldes teilten. Das neue staatliche Waldbewirtschaftungssystem aber konnte oder wollte die Verwaltung nicht durchsetzen. Kommerzieller Kahlschlag war die Folge. 1993 versuchte man, per Gesetz mit dem Forest Act eine Umkehr einzuleiten. Dieser sieht vor, dass Nutzergruppen eine Waldfläche zur gemeinsamen Bewirtschaftung übertragen werden kann. Voraussetzung ist, dass die jeweilige Gruppe den Wald über einige Jahre hinweg erfolgreich schützt.
Wenn der Raubbau gestoppt wird, zeigt der Wald im subtropisch-feuchten Klima eine erstaunliche Erneuerungskraft. Schon in wenigen Jahren verwandeln sich kahle Flächen in stattliche Niederwälder, die wieder eine begrenzte Nutzung zulassen. »Die paar Jahre Geduld braucht es aber schon«, meint der Agronom Raj Kumar Rai vom »Churia Waldentwicklungs-Projekt«. Das von der »Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit« (GTZ) seit den frühen neunziger Jahren geförderte Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, auf abgeholzten Flächen in den südöstlichen Distrikten Siraha, Saptari und Udayapur Wälder zu regenerieren und sie für die lokale Bevölkerung nutzbar zu machen. Rai steht auf einem kahlen Hügel rund 100 Meter über der Tiefebene. Nur ein paar Grashalme wachsen auf dem sandigen Untergrund. Sie werden rasch vom Vieh abgefressen, das hier hinauf getrieben wird. Die Erosion hat bereits tiefe Furchen in den weichen Untergrund gegraben. »Wir befinden uns auf Staatswald«, erklärt Rai, »doch niemand kümmert sich darum. Seit dem Kahlschlag vor rund 20 Jahren ist hier kein Baum mehr gewachsen«. Beim Abstieg wählt Rai einen anderen Pfad. Das Gestrüpp wird dichter und dichter, bis vom Weg nichts mehr zu sehen ist. Es geht durch das Buschwerk steil hinunter bis zu einer Ackerfläche, auf der Hirse gepflanzt ist. »Dieser Wald gehört zwar noch dem Staat, aber die lokale Bevölkerung hat das Nutzungsrecht erhalten. Man einigte sich, die kahl geschlagene Fläche für ein paar Jahre ruhen zu lassen, damit sich wieder ein Wald entwickeln kann. Jetzt sind wir so weit. Schon bald steht hier der erste Holzeinschlag an«. Illegalen Holzeinschlag würde die Bevölkerung in der Nachbarschaft selbst unterbinden, denn sie habe den Wald nicht nur zu pflegen, sondern könne auch eigene Erträge daraus erwirtschaften.
In der ganzen Region gibt es inzwischen mehr als 300 solcher Nutzergruppen. Überall dort, wo sie tätig sind, wachsen die Wälder wieder heran, während sie sich in den staatlichen Forsten, wenn überhaupt, viel langsamer erholen. Auch die im Baugewerbe begehrten Salbäume erreichen so allmählich wieder stattliche Größen. Zehn bis fünfzehn Jahre dauert es, bis der auf einer geschützten Fläche heranwachsende Wald Geld einbringen kann.
In Charikot, einer Bezirkshauptstadt in den Bergen 140 Kilometer nordöstlich der nepalischen Hauptstadt Kathmandu, treffen sich die Angehörigen verschiedener lokaler Forstnutzergruppen zu ihrer regelmäßigen Besprechung. Es geht um die Planung der notwendigen Arbeiten in den nächsten Monaten. Auch der Kreisförster Shambhu Prasad Chaurasia beteiligt sich an der Diskussion. Er sei froh, dass sich die Leute hier so für ihren Wald engagierten, betont er: »Ich werde sie unterstützen, wo immer ich kann«. Das ist nicht selbstverständlich. Kathmandu ist weit weg, und längst nicht überall zeigen sich die staatlichen Forstbeamten so kooperativ wie in Charikot. Chaurasia ist sich bewusst, welche Bedeutung der Wald für die lokale Bevölkerung hat. »Das wenige Land, das sie besitzen, reicht kaum zum Überleben. Der Wald ist für sie die einzige Quelle, um zusätzlich etwas Geld zu verdienen«.
Auch in Charikot sind die Wälder bis in die achtziger Jahre hinein abgeholzt worden, nicht von der einheimischen Bevölkerung, sondern von konzessionierten, aber auch illegal tätigen Holzeinschlagunternehmen, die nur am schnellen Profit interessiert waren. »Die Hügel rund um Charikot waren kahl. Da stand kein Baum mehr«, erinnert sich Ram Bahadur Thapa, Projektkoordinator des von der Schweizer »Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit« (DEZA) seit 1990 geleiteten Projekts »Gemeinschaftswälder«. Heute erstreckt sich dort wieder ein stattlicher Wald, für dessen Nutzung lokale Waldgruppen verantwortlich sind. »Wir kommen jetzt in eine zweite Phase«, erklärt Thapa. Die vor zwei Jahrzehnten gepflanzten, schnell wachsenden Kiefern [Pinus patula und Pinus wallichiana] sind inzwischen schon schlagreif. »Sie sind damals gepflanzt worden, um die Erosion zu bremsen. Diese Funktion haben sie erfüllt. Jetzt ist es Zeit, dass sie nach und nach den hier eigentlich heimischen Baumarten Platz machen«.
Doch manche Bewohner der benachbarten Dörfer sträuben sich, Kiefern in dem Wald zu fällen. »Die Leute sind vorsichtig geworden. Sie betrachten den Wald als eine Art Notvorrat, den sie nur angreifen, wenn es keine Alternativen mehr gibt. Nun müssen wir ihnen klarmachen, dass es im Gegenteil dem Gedeihen ihres Waldes förderlich ist, wenn sie gezielt einzelne Bäume schlagen.« Innerhalb der Gruppen sind es vor allem die wohlhabenderen Mitglieder, für die der Wald so etwas wie ein Schatz im Tresor ist, den man nur im Notfall zu Geld macht. Die Ärmeren, namentlich jene, die gar kein eigenes Land besitzen, haben ein starkes Interesse an einer Bewirtschaftung. Diese gegenläufigen Interessen unter einen Hut zu bringen, sei nicht einfach, sagt Thapa.
In der Terai-Ebene haben sich diese mit der Kasteneinteilung zusammenhängenden Konflikte an manchen Orten so zugespitzt, dass man jetzt darüber nachdenkt, für die Landlosen eigene Waldnutzergruppen zu schaffen. So können innerhalb der basisdemokratisch organisierten Gruppen unterschiedliche Interessen zu einer Spaltung führen. Aber die untersten Schichten der Bevölkerung lernen, die eigenen Bedürfnisse zu artikulieren und auch durchzusetzen.
Ob die Regenerierung der Wälder auf Dauer erfolgreich sein wird, hängt nicht zuletzt vom weiteren Verlauf des seit acht Jahren andauernden Bürgerkriegs ab. Während die Bezirkshauptstadt einer schwer bewachten Festung gleicht, wird das Umland von maoistischen Rebellen beherrscht. Auch wenn beide Seiten betonen, dass sie die lokalen Waldnutzergruppen als sinnvolle Einrichtung erachten, so kann es für die Betroffenen lebensgefährlich werden, auch nur in die Nähe der jeweiligen Konfliktpartei gerückt zu werden. Die Wahrung strikter Neutralität ist unter diesen Umständen oberstes Gebot für die Projektverantwortlichen. Aber Menschen, die gelernt haben, sich nicht nur zu streiten, sondern auch Lösungen zu erarbeiten, könnten vielleicht auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, eine neue politische Kultur zu entwickeln, die auf demokratischem Konsens beruht.
aus: der überblick 02/2005, Seite 57
AUTOR(EN):
Urs Fitze
Urs Fitze ist freier Journalist und schreibt seit 15 Jahren über Entwicklungsländer.