Ein Nachhall auf General Augusto Pinochet
Die Entscheidung der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet am Tag nach dem Tod von Ex-Diktator General Augusto Pinochet schwarz gekleidet bei der Arbeit zu erscheinen, war umstritten. Einige sagten, es war eine Geste des Entgegenkommens gegenüber denjenigen Chilenen, die wegen des Todes des ehemaligen Staatsoberhauptes bekümmert waren. Andere meinten, es sei ein kluger Akt politischer Führung und eine Form des Nationbuilding gewesen. Wieder andere sahen es als Ironie an - ein Ausdruck von Solidarität mit den Tausenden, die von seinem Regime entführt, brutal behandelt und ermordet worden waren.
von Tyrone Savage
Sogar im Tod, so scheint es, spaltet Pinochet weiterhin die Nation. Seine Anhänger halten ihm zugute, Chile vor dem Kommunismus gerettet zu haben. Seine letzten Lebensjahre waren allerdings geprägt von Anschuldigungen wegen systematischer Folter, "Verschwindenlassens", Festnahmen und außergerichtlichen Tötungen.
Schließlich wurde Pinochet im Jahr 1998 in London verhaftet, nachdem Spanien im Einklang mit der Gesetzgebung der Europäischen Union ein Auslieferungsbegehren gestellt hatte, das auf Misshandlungen von spanischen Staatsbürgern beruhte. Unter den misshandelten beziehungsweise ermordeten Spaniern waren Marta Lidia Ugarte Román, die an einem Pfahl aufgehängt und in einer Grube verbrannt worden war, Adriana Luz Pino Vidal, eine Schwangere, die Elektroschocks ausgesetzt wurde sowie Meduardo Paredes Barrientos, dessen Handgelenke, Becken, Rippen und Schädel systematisch gebrochen worden waren.
Großbritannien kam dem Auslieferungsbefehl allerdings nie nach. Stattdessen blieb Pinochet zwei weitere Jahre in einer Villa in einem Londoner Vorort unter Hausarrest und erhielt medizinische Versorgung. Als er jedoch im Jahr 2000 nach Chile zurückkehrte, fand er sein Land verändert vor. Die spanische Anklage hatte einen Präzedenzfall geschaffen. Er sah sich konfrontiert mit starken Forderungen, ihn in Chile vor Gericht zu stellen. Trotz Pinochets angeschlagener Gesundheit befand der Oberste Gerichtshof Chiles im Jahr 2004, dass er in der Lage sei, ein Gerichtsverfahren durchzustehen. Anklagen folgten und dann das ordentliche Gerichtsverfahren. Seiner strafrechtlichen Verurteilung konnte Pinochet nur durch den Tod entgehen.
Ein alter Mann an einen Rollstuhl gefesselt, warum hatte man sich überhaupt um ihn geschert? Warum hatte man ihm nicht einfach erlaubt, in der Dunkelheit zu verschwinden und dann die Geschichte über ihn urteilen lassen?
Teilweise hat das mit dem Ausmaß des Missbrauchs und der zynischen und systematischen Art und Weise zu tun, in der dieser ausgeführt wurde. Pinochet kam an die Macht, indem er am 11. September 1973 die demokratisch gewählte Regierung Salvador Allendes in einem Militärputsch gewaltsam stürzte. Die genaue Rolle und Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten von Amerika bleibt strittig. Von Henry Kissinger allerdings, der von Präsident Nixon beauftragt worden war, Allende seines Amtes zu entheben, stammt der berühmte Ausspruch: "Ich verstehe nicht, warum wir daneben stehen und zuschauen sollten, wie ein Land kommunistisch wird, weil seine eigenen Bürger ohne Verantwortungsgefühl sind." Vor nicht ganz so langer Zeit hat der US-amerikanische Generalstabschef und spätere Außenminister Colin Powell eingestanden: "Das ist nicht gerade ein Teil amerikanischer Geschichte, auf den wir stolz sind."
Am Tag nach dem Putsch wurden tausende Zivilisten zusammengetrieben und in Stadien und andere schnell errichtete Internierungslager gebracht. Viele der Inhaftierten wurden gefoltert und exekutiert. Eine militärische Truppe, die bekannt wurde als "Karawane des Todes" zog durch das gesamte Land und machte Halt an Gefängnissen und Internierungslagern, wo sie Unruhestifter bestimmte und exekutierte. Innerhalb eines Jahres nach dem Putsch wurden 1200 Menschen umgebracht oder "verschwanden" - wurden entführt und danach nie wieder gesehen. Schätzungen zufolge wurden in den siebzehn Jahren der Herrschaft Pinochets mindestens 50.000 Menschen gefoltert. Viele Chilenen haben entweder Nahestehende verloren oder selbst Übergriffe von Pinochets Truppe erdulden müssen oder sie haben beides schmerzhaft erlebt. Die Vergangenheit einfach ruhen zu lassen, ist für sie unmöglich.
Trotzdem ist es nicht das Ausmaß des Leids - auch wenn es groß ist -, dass viele Chilenen darauf bestehen ließ, Pinochet für seine Vergangenheit zur Verantwortung zu ziehen. Die vorsätzlichen Schritte, die Pinochet unternommen hatte, um sich selbst und seine Truppe vor jeglicher Form von aufrichtiger Abrechnung mit der Vergangenheit zu schützen, haben eine Aussöhnung unmöglich gemacht und den Forderungen nach Gerechtigkeit Auftrieb gegeben.
Im Jahr 1978 nämlich hatte Pinochet eine Amnestie erlassen, welche die strafrechtliche Verfolgung nahezu aller Menschenrechtsverletzungen verhindern sollte, die während und seit dem Putsch geschehen waren. Zwei Jahre später änderte er die Verfassung, um seinen Einfluss für den Tag abzusichern, an dem er letztendlich als Präsident zurücktreten würde. Dieser Tag kam im März 1990, nachdem Pinochet unter Druck zuerst einer Urabstimmung über seine weitere Herrschaft und dann demokratischen Wahlen zugestimmt hatte. Er verlor beide.
Pinochets Nachfolger, Patricio Aylwin, musste mit seiner Regierung somit unter einer Reihe komplizierter institutioneller und politischer Einschränkungen arbeiten. Der General hatte die Justiz mit Richtern besetzt, die einer Aufhebung des Amnestieerlasses nicht zustimmen würden. Die Verfassung von 1980 sah eine Reihe von Sitzen für ernannte und nicht gewählte Senatoren vor. Pinochet hatte vorgesorgt. Darüber hinaus hatten seine Gesetzesänderungen ihm erlaubt, bis 1998 Oberbefehlshaber des Militärs und gleichzeitig Senator auf Lebenszeit zu bleiben.
Mit diesem rechtlichen, politischen und militärischen Arsenal hinter sich, gab Pinochet kaum verschleierte Warnungen ab, dass jeder Versuch seitens der neuen Regierung, die Amnestie aufzuheben, nicht toleriert werden würde. Unter dem Druck, die Last der Vergangenheit dennoch anzugehen, richtete Präsident Aylwin die "Nationale Kommission für Wahrheit und Versöhnung" ein. Ihr Mandat beschränkte sich darauf, die Wahrheit in den Fällen herauszufinden, bei denen es durch Misshandlungen zu Todesfällen gekommen war, aber es gab keine Aussicht auf ein rechtliches Verfahren im Anschluss. Die Amnestie blieb und die Kommission erhielt so gut wie keine Unterstützung vom Militär, das fest zusammen hielt und sich in Schweigen hüllte.
Ein eingeschränktes Mandat, düstere Drohungen, eine schwache, junge Demokratie dennoch fertigte die Kommission einen Bericht an, der die Nation schockierte. Ein Mitglied der Kommission sagte: "Das, was ich nun weiß, hätte ich mir niemals vorstellen können." Es war eine schwerwiegende Anklageschrift gegen die Methoden von Pinochets Regime. Darüber hinaus räumte der Bericht auch mit dem Mythos auf, es habe einen ebenbürtigen Kampf zwischen Pinochet und der Linken gegeben, bei dem ähnliche Gräueltaten auf beiden Seiten begangen wurden. Der Kommissionsbericht zeigte, dass der Staat über 95 Prozent aller Misshandlungen begangen hatte.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichts hielt das Staatsoberhaupt, Präsident Aylwin, eine emotionale Entschuldigungsrede und rief zur Versöhnung auf. Pinochet antwortete mit Verachtung und erklärte - in aller Ausführlichkeit - seine grundsätzlichen Einwände gegen den Bericht. Er focht jedoch nicht dessen spezifischen Inhalt an.
Der Nation wurde die Aufgabe überlassen, mehr über die Vergangenheit herauszufinden. Es war bereits genug Wahrheit aufgedeckt, um Empörung und die Forderung hervorzurufen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Aber der Amnestieerlass blockierte jeglichen Rückgriff auf das Justizwesen. In den folgenden Wochen nahmen linke Guerillakämpfer die Sache in ihre Hände und verübten tödliche Attentate auf drei führende Gefährten Pinochets. Geplante Versöhnungsveranstaltungen wurden verschoben. Angst vor Rückschlägen bei der Demokratisierung erfasste die Nation, und man kehrte zurück zu dem aus den Pinochet-Jahren noch allzu bekannten schaurigen Schweigen.
Erst die strafrechtliche Verfolgung Pinochets in Chile selbst nach seiner Rückkehr aus Großbritannien trug dazu bei, dieses Schweigen zu brechen. Pinochets Tod hat den Opfern dann aber die Aussicht genommen, ihn schuldig gesprochen zu sehen. Doch der Prozess hat Debatten in Chile eröffnet und neue Wege erschlossen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Nicht zuletzt wird nun nach den Überresten der Verschollenen gesucht, und man befasst sich damit, für überlebende Folteropfer ein angemessenes Wiedergutmachungsprogramm zu entwerfen und den Prozess der Wahrheitsfindung fortzusetzen, den die Nationale Wahrheitskommission begonnen hat.
Die kommenden Jahre in Chile sind daher entscheidend. Pinochets Tod schließt den Prozess der Aufarbeitung der Vergangenheit nicht ab. Diese Aufgabe bleibt jenen vorbehalten, welche die Vorteile der Demokratie nutzen können und die Möglichkeit haben, gemeinsam eine Geschichte zu schaffen, in der sich die volle Wahrheit über die Jahre von Pinochets Herrschaft in Chile durchsetzt. In diesem Prozess wird es vor allen Dingen darum gehen, noch einmal die Stimmen all jener zu hören, die "verschwunden" sind und deren Überreste nie gefunden wurden. Es sind die Stimmen von allen, die, um es mit den Worten eines Anklägers der Nürnberger Prozesse zu sagen, "in ihren Gräbern aufschreien, nicht um Rache zu fordern, sondern, dass dies niemals wieder passiert."
aus: der überblick 01/2007, Seite 92
AUTOR(EN):
Tyrone Savage
Tyrone Savage unterrichtet an der Universität von Stellenbosch, Südafrika. Sein Arbeitsschwerpunkt ist
Vergangenheitsbewältigung.