Die Hautfarbe trennt die Bewohner im südafrikanischen Hout Bay
Im idyllischen Städtchen Hout Bay bei Kapstadt leben Schwarze und Coloureds weiterhin in Townships am Rande der Stadt und haben außerhalb von Dienstleistungen kaum Kontakt zu Weißen. Wären da nicht ein Friseursalon, ein Café und Kinder aller Hautfarben in einer Schule, bliebe alles noch wie früher.
von Jean-Pierre Kapp
Das kleine Städtchen Hout Bay, nur wenige Kilometer südlich von Kapstadt gelegen, gilt als idyllisches Fleckchen und eine der großen Touristenattraktionen auf der Kap-Halbinsel. Zwischen Karbonkel- und Constantiaberg in einem einladenden grünen Tal gelegen, verfügt der Ort nicht nur über einen alten Hafen mit zahlreichen Souvenirverkäufern, sondern auch über eine ansehnliche Seelöwen-Kolonie und den Zugang zur spektakulären Küstenstraße entlang dem Chapman's Peak. Surfer kennen den Ort wegen des so genannten Dungeons, einer Reihe von Klippen in Richtung Llandudno, wo sich bis zu sechs Meter hohe Wellen brechen.
Idyllisch mutet auch die Tatsache an, dass in dem kleinen Küstenort mit 40.000 bis 50.000 Einwohnern Weiße, Schwarze und Coloureds leben also alle Farben der Regenbogennation, wie sich das neue Südafrika nennt, vereinigt sind. Doch der Schein trügt. Zwischen den drei Gemeinschaften ist es in den letzten Jahren zwar zu keinen bedeutenden Zwischenfällen gekommen, aber sie führen weiterhin völlig getrennte Existenzen und verfolgen die Entwicklung der andern Gruppen mit großem Misstrauen.
Die Schwarzen leben in der Township von Imizamo Yethu, die auch immer noch Mandela Park genannt wird, am Hang des Constantiaberges, die Coloureds in den kleinen Häusern und den Mietskasernen über dem Hafen in Hangberg, und die Weißen in den schönen Villen in den restlichen üppig grünen Teilen des Tales. Zu Interaktionen zwischen Angehörigen der verschiedenen Gruppen kommt es praktisch nur bei der Arbeit. Weiße kaufen in den großen Supermärkten ein, wo Schwarze und Farbige die Waren in die Regale stellen und die Kassen bedienen.
Schwarze und Coloureds stellen die große Masse der Hausangestellten und Gärtner, welche die Haushalte der Weißen und deren Gärten in Ordnung halten. Und Schwarze und Farbige sind es schließlich auch, die den größten Teil der Mitarbeiter der Sicherheitsdienste stellen, welche die weißen Siedlungen bewachen. Private Kontakte zwischen Weißen, Coloureds und Schwarzen gibt es in Hout Bay dagegen auch zwölf Jahre nach der Abschaffung der Apartheid praktisch keine. Die offizielle Politik hat sich zwar verändert aber die Mentalitäten sind nahezu unverändert geblieben.
Weiße Südafrikaner misstrauen den Schwarzen, Schwarze halten zu Weißen wegen der Erfahrungen während der Zeit der Apartheid Distanz, und Coloureds misstrauen den Schwarzen, weil sie davon überzeugt sind, dass diese ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen wollen und von der neuen Regierung bevorzugt behandelt werden.
Die ausländischen Weißen und deren gibt es in Hout Bay wegen der guten Lage viele übernehmen die Verhaltensmuster in den meisten Fällen fraglos. Schließlich sind sie nicht ans Kap gezogen, um die Gesellschaft zu verändern, sondern um den südafrikanischen Lifestile zu genießen. Wo sonst auf der Welt kann man Land und große Villen noch so billig erwerben und Putzfrauen für 10 Euro pro Tag beschäftigen, ohne in einem Entwicklungsland zu leben?
Die meisten weißen Südafrikaner versuchen, die Anwesenheit der Schwarzen in Hout Bay weiterhin zu ignorieren und träumen von den alten Zeiten, als diesen der Zugang zum Tal noch untersagt war. Sie befürchten, dass die Schwarzen ihren Heimatort früher oder später "übernehmen" werden. Die Schwarzen zu ignorieren wird allerdings immer schwieriger, weil deren Zahl ständig ansteigt. Während Ende der 1980er Jahre etwa 2500 Schwarze in Hout Bay in kleinen, informellen Siedlungen hausten, dürften es nun zwischen 12.000 und 18.000 sein. Zugenommen hat in den letzten Jahren insbesondere die Zuwanderung von Namibiern und Simbabwern.
Weiße Südafrikaner machen Schwarze auch für die relativ hohe Kriminalitätsrate in Hout Bay verantwortlich. 2005 war der Ort von einer Welle von Einbruchdiebstählen heimgesucht worden. Mehrere Personen wurden brutal zusammengeschlagen oder mit Messern und Schusswaffen bedroht, einige auch angeschossen. Immer wieder war zudem beobachtet worden, dass schwarze Übeltäter sich in Richtung der Township absetzten.
Die hohe Zahl von Überfällen führte zur Schaffung einer Selbsthilfeorganisation, der Hout Bay Neighbourhood Watch (HBNW), der es in Zusammenarbeit mit der Polizei gelang, die Zahl der Einbrüche zu senken. An der Gründung der Organisation waren auch lokale Immobilienhändler beteiligt, die befürchteten, dass ein Anstieg der Kriminalitätsrate zu einem Einbruch bei den Hauspreisen führen könnte. Einige Weiße nutzten die HBNW auch einfach, um ihre Rambo-Phantasien auszuleben. Ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten, Pistolen, Pfeffersprays, Paintballs und Handschellen machten sie mit ihren Allradfahrzeugen in den Nächten Jagd auf die Übeltäter.
Dass ein bedeutender Teil der Kriminellen aus der Township stammen oder die Township zumindest als Durchgangslager benutzen, wurde auch von der Polizei vermutet, allerdings konnte das wegen der Regeln der Political Correctness im neuen Südafrika nicht öffentlich gesagt werden. Der Bau eines neuen großen Polizeipostens neben der Township lässt aber keine Zweifel an der Einschätzung der Lage durch die Ordnungskräfte. Opfer der Kriminalität sind zudem in erster Linie Schwarze, die sich schlechter schützen können als die privilegierteren Gruppen. Die meisten Schwarzen haben kaum genug zum überleben. Ein Teil der Township besteht inzwischen zwar aus festen Häusern, Tausende hausen aber weiterhin in selbstgebauten Hütten ohne jegliche sanitäre Einrichtungen.
Die Arbeitslosenrate ist extrem hoch und dürfte die 30 Prozentmarke bei weitem übersteigen. Wer keinen festen Arbeitsplatz gehabt hat, bekommt auch kein Arbeitslosengeld. Jeden Morgen warten deshalb Dutzende von Schwarzen an der einzigen Ampel in Hout Bay auf Arbeit als Tagelöhner. Die meisten gehen jeden Tag leer aus und müssen wie der 34-jährige James Nqakula, der seit Jahren keinen richtigen Job mehr gehabt hat, zusammen mit ihren Familien vom Kindergeld der Ehefrau oder Freundin, das Frauen für jedes Kind bis zum 14. Lebensjahr erhalten, oder der Altersrente einer Verwandten auskommen. In der Township selbst gibt es nur wenige Arbeitsplätze in den Kneipen und Läden. Einige wenige bringen sich als Taxifahrer in halbzerfallenen Autos durch.
Neben Geld- und Arbeitsproblemen wird die schwarze Gemeinschaft auch von heftigen internen Auseinandersetzungen, um Landrechte und politischen Einfluss belastet. Viele in der 1991 gegründeten Township verfügen immer noch über keine eigene Parzelle, während zahlreiche erst in den vergangenen Jahren zugezogene Einwohner bereits ein kleines Stück Land und ein Haus besitzen. Für diesen Missstand wird von den Betroffenen der Zuständige des African National Congress (ANC) in Imizamo Yethu, Kenny Tokwe, verantwortlich gemacht, der nach Angaben verschiedener Einwohner die Wohnrechte und neue Häuser eher an Freunde und politische Gefolgsleute vergibt, als sich an die offizielle Warteliste zu halten. Tokwe bezeichnet solche Anschuldigungen allerdings als unzutreffend.
Für Unmut sorgte auch die nur sehr zögerlich erfolgte Hilfeleistung der Kapstädter Behörden nachdem ein Großbrand im Jahr 2004 mehrere Hundert Hütten zerstört hatte. Erst nach verschiedenen Protestaktionen kam der Wiederaufbau eines Teils der zerstörten Gebiete der Township wirklich in Gang und wurden den von der Katastrophe betroffenen Personen einige neue Parzellen zugeteilt. All diese Missstände haben in den vergangenen Jahren aber nicht zu einem Machtverlust des ANC in der Township geführt. Die Schwarzen haben trotz weit verbreiteten Missbehagens fast alle für die Regierungspartei gestimmt.
Nicht viel besser sieht die Lage bei den Coloureds in Hangberg aus. Zwar wirkt das Quartier mit seinen Mietskasernen auf den ersten Blick etwas weniger arm, aber der Schein trügt auch hier. Die Gemeindewohnungen sind alle völlig überfüllt und heruntergekommen. Oberhalb der Mietskasernen sind wie in Imizamo Yethu Hütten aus Holz und Wellblech zu sehen, in denen die Ärmsten hausen. Auch in Hangberg sind Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität weit verbreitet. Unter der Bevölkerung herrscht, wie auch in der schwarzen Township, ein Gefühl der Enttäuschung und der Hoffnungslosigkeit vor.
Obwohl die Siedlung von Hangberg sehr viel länger besteht als Imizamo Yethu, sind nur Wenige Besitzer der Häuser, in denen sie leben. Die großen Mietshäuser gehören der Gemeinde, die meisten der kleineren Wohnblöcke im unteren Teil von Hangberg sind noch im Besitz der Fischfabriken, die am Meer liegen. Nur in einigen wenigen Fällen war den Coloureds noch vor dem Ende der Apartheid der Erwerb ihrer Unterkünfte ermöglicht worden. Die Fischfabriken waren es auch, die ihnen bis zum politischen Wandel 1994 die meisten Arbeitsplätze boten.
Auch zwölf Jahre später sind die meisten Coloureds, die in Hout Bay einen festen Job haben, noch in einer Fischfabrik oder auf einem der zahlreichen Boote, die jeden Tag aus dem Hafen auslaufen, beschäftigt. Allerdings hat auch die Zahl der Schwarzen in der Fischerei zugenommen und dies hat unter den Coloureds zu Frustration und Ressentiments geführt. Zwar haben im Zuge des politischen Wandels nun auch einige Coloureds Anteile an den Fabriken und Quoten für den Fischfang zugeteilt bekommen, profitieren konnten davon aber nur Wenige.
Bisher befindet sich keine einzige der vier Fischfabriken im Besitz von Coloureds und die farbigen Inhaber von Fischfangquoten können von diesen nur Gebrauch machen, indem sie diese an weiße Bootsbesitzer weiterverpachten, weil sie selbst nicht über die Boote verfügen, um Hochseefischerei zu betreiben. "Boote sind für die meisten Coloureds unerschwinglich", erklärt Denzil, dessen Schwiegervater das Recht zum Fang von Langusten erworben hat. Wenn Coloureds überhaupt Boote besäßen, dann seien sie in der Regel so alt, dass sie kaum mehr seetüchtig seien.
Nicht wenige Coloureds haben sich deshalb inzwischen auf die illegale Fischerei und die Jagd auf Perlemoen-Schnecken spezialisiert. Diese werden für den Export in den asiatischen Raum gewildert, wo sie als potenzförderndes Mittel gelten. Die Wilderei wird von vielen Coloureds allerdings mit dem Leben bezahlt. Die Küste am Kap ist unberechenbar und ist in den letzten Jahrhunderten nicht nur kleinen, sondern auch großen Schiffen zum Verhängnis geworden. Allein in diesem Jahr kamen nach Schätzungen der Polizei bisher ein halbes Dutzend Farbige bei der illegalen Fischerei in Hout Bay ums Leben.
So etwas wie ein "grenzüberschreitender Handel" zwischen den verschiedenen Gruppen hat sich nicht entwickelt. Die Schwarzen und Coloureds sind weiterhin stark auf die wirtschaftliche Infrastruktur der Weißen angewiesen, aber diese in keiner Weise auf die Infrastruktur der Nichtweißen. Es gibt zur Zeit nur ein Unternehmen, das einer Coloureds gehört, sich im "weißen Teil" Hout Bays befindet und auch von Weißen besucht wird. Es handelt sich dabei um ein Café im Hafen mit dem Namen Ikhaya. Unternehmen von Schwarzen im weißen Teil gibt es überhaupt nicht, wie die 32-jährige Portia Sphoza erklärt.
Einziger Berührungspunkt mit der weißen Kultur im farbigen Teil Hout Bays ist ein Friseur-Salon, der von Pamzil van Wyk betrieben wird. Pamzil hatte zuvor in einem Salon im weißen Teil gearbeitet, sich dann aber selbständig gemacht und ihre Kundschaft mitgenommen. Weil sie die Haare genau so gut schneidet und legt, wie jede weiße Friseurin, dafür aber weniger verlangt, ist sie bei den Weißen sehr beliebt. Abgesehen von zwei Anbietern von Township-Tours, die aber praktisch nur ausländische Kundschaft haben, gibt es bisher kein Geschäft, das Weiße anzieht.
Die meisten weißen Einwohner von Hout Bay haben noch nie einen Fuß in die Township gesetzt und so gut wie niemand zeigt Interesse an engeren Kontakten mit den Schwarzen. Der Leiter einer staatlichen Abendschule neben der Township hat bei seinen Xhosa-Kursen noch nie einen weißen Südafrikaner unter seinen Schülern gehabt. Alle Weißen, die sich für Kurse eingeschrieben haben, waren Ausländer. Ein Deutscher der seit mehreren Jahrzehnten in Südafrika lebt, antwortet auf die Frage, was sich seit 1994 für die Weißen verändert habe, mit verblüffender Offenheit und sagt: "Ach, eigentlich gar nichts, außer, das wir nun nach der Abschaffung der Apartheid kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen."
Ansätze für eine Annäherung der verschiedenen Gruppen sind jedoch an den Schulen auszumachen. In der Schule von Kronendal in Hout Bay sitzen Weiße, Schwarze und Coloureds zusammen in den Klassenzimmern und kommen gut miteinander aus. Allerdings ist die Zahl der schwarzen und farbigen Kinder nicht so hoch, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde, da Eltern von Nichtweißen Kindern in den meisten Fällen die Schulgebühren nicht zahlen können.
Obwohl eine staatliche Einrichtung, hat Kronendal bedeutend höhere Gebühren, als die Schule in Hangberg oder die Schule neben dem Friedhof. Gerechtfertigt werden die hohen Gebühren mit den Zusatzleistungen, die neben dem obligatorischen Unterricht angeboten werden. Von vielen Nichtweißen werden die hohen Gebühren aber dennoch als Überreste aus der Zeit der Apartheid gesehen, mit der die privilegierten Weißen die Schwarzen und Coloureds am Zugang zu ihrer Schule hindern können. Noch krasser ist das Missverhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen an den Privatschulen. An der International School of Hout Bay beispielsweise, sind von den etwa 150 Schülern nur etwa ein Dutzend Farbige und ein halbes Dutzend Schwarze. Für die überwältigende Mehrheit der Nichtweißen sind die Gebühren dieser Schulen einfach unerschwinglich.
Dem Kennenlernen dient die private Initiative Imagine Hout Bay. Die Organisation hat in den letzten Jahren verschiedene Tanz- und Musikveranstaltungen organisiert, an denen Weiße, Schwarze und Coloureds beteiligt waren und die vor einem gemischten und begeisterten Publikum an der Schule von Kronendal vorgeführt wurden. Die Organisation versuchte zudem, Patenschaften mit Städten in Europa anzubahnen, um die Entwicklung der nichtweißen Gemeinden zu unterstützen.
Die Community Employment Initiative ist bemüht, zusätzliche Arbeitsplätze für Nichtweiße in Hout Bay zu finden. Sie hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt und vermittelt inzwischen schwarze und farbige Handwerker, die in Hout Bay leben, es sich aber nicht leisten können, ein eigenes Unternehmen auf die Beine zu stellen. Gegründet worden war die Initiative von Graham Graham Parker, einem weißen ANC-Aktivisten, der im vergangenen Jahr leider verstorben ist. Arbeitsplätze geschaffen wurden auch durch das so genannte T-Bag Design Projekt. Einwohner der Township gestalten mit gebrauchten Teebeuteln dekorative Haushaltsgegenstände, die sie in einem eigenen Laden in der Kapstädter Waterfront verkaufen.
Ein irischer Bauunternehmer schließlich hat in den vergangenen Jahren mit seinen Arbeitern unentgeltlich Wohnhäuser in Imizamo Yethu gebaut. Jedes Jahr kommt er mit über 100 seiner Mitarbeiter und baut innerhalb von zwei Wochen bis zu 100 kleine Wohnhäuser.
aus: der überblick 03/2006, Seite 66
AUTOR(EN):
Jean-Pierre Kapp
Jean-Pierre Kapp ist Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Südafrika und lebt in Hout Bay.