Sind Frauen weniger korrupt als Männer?
Die Weltbank hat diese Frage eindeutig mit Ja beantwortet: "Frauen sind weniger korrupt als Männer. Je mehr Frauen im Parlament und in der Regierungsführung eines Landes vertreten sind, desto weniger korrupt ist das Land."
von Patricia von Hahn
Das Urteil, Frauen seien weniger korrupt als Männer, geht auf die Studie Engendering Development (2001) zurück, die die wirtschaftliche und politische Entwicklung von Staaten an der Genderfrage misst. Sie soll Frauen weltweit zu mehr politischem Engagement bewegen.
Die Autoren stützen sich unter anderem auf Befragungen, die Anfang der 1980er und 1990er Jahre in Entwicklungs- und Industrieländern durchgeführt wurden. Männer und Frauen haben darin die hypothetische Frage beantwortet, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten würden: Wie entschuldbar ist die Annahme von Bestechungsgeldern, wenn dies die Ausführung einer beruflichen Aufgabe erfordert? Insgesamt 77,3 Prozent der befragten Frauen, aber nur 72,4 Prozent der Männer hielten dieses Verhalten für absolut unentschuldbar. Ferner zeigt die Weltbankstudie, dass Frauen weniger korrumpierend sind als Männer.
Befragungen in 350 georgischen Firmen ergaben, dass Firmen, die von Männern geleitet werden eher bestechen als Unternehmen, die von Frauen geführt werden. In den Firmen unter männlicher Leitung gab es 10 Prozent mehr Bestechung. In den südamerikanischen Städten, Lima (seit 1998) und Mexiko City (seit 2003) gibt es Anzeichen, dass der Einsatz von mehr Frauen in der Verkehrspolizei weniger Korruption zur Folge hat. In Mexiko wurden 2003 900 männliche Verkehrspolizisten auf einen Schlag durch weibliche ersetzt mit offenbar ebenso einschlagendem Erfolg.
Die Befürworter der These, Frauen seien weniger korrupt als Männer, gehen letztlich von einer moralischen Überlegenheit des weiblichen Geschlechts aus. Es seien die mütterlichen Tugenden der Frau, ihr Verantwortungsgefühl, ihr Altruismus und ihre Fähigkeit zur Empathie, die von ihr erwarten ließen, dass sie sich in den Dienst der Nation stelle. Der deutsche Korruptionsforscher und Volkswirt Björn Frank differenziert: Frauen seien zwar weniger korruptionsgeneigt als Männer. Dies sei allerdings weniger auf ihre inneren Werte zurückzuführen als auf ihre geringere Risikobereitschaft.
Alice Schwarzer gesteht ein: "Frauen sind zwar weniger korrupt als Männer, aber nicht weil wir bessere Menschen sind, sondern weil wir weniger Gelegenheit haben." Auch die Politikwissenschaftlerin Anne Marie Goetz geht davon aus, dass Frauen seltener in die Situation kommen, nach Bestechungsgeldern gefragt zu werden. Der Grund dafür sei die weit verbreitete Annahme, Frauen würden über weniger Geld verfügen als Männer. Wenn Korruption bei Frauen stattfinde, dann oftmals auf einer anderen, alltäglicheren Ebene, die durch Korruptionsindizes gar nicht messbar sei. Beispielsweise wenn die "Währung" der Korruption in den Bereich sexueller Gefälligkeiten falle.
Außerdem gibt Goetz zu Bedenken, dass Frauen das neu in Szene gerückte traditionelle Frauenbild ebenso gut missbrauchen können, um korruptes Verhalten zu kaschieren. Benazir Bhutto, erste muslimische Regierungschefin und ehemalige Premierministerin Pakistans, ist hierfür ein gutes Beispiel. Als sie 1988 Premierministerin wurde und die Oppositionspartei (PPP) anführte, soll sie zunächst ihre politischen Erfahrungen runtergespielt haben, um ihre Rolle als "einfache Hausfrau" und gute Muslima zu betonen. Doch ihre Amtsführung war keineswegs sauber. Bereits ein Jahr nach ihrem Amtsantritt als Regierungschefin überstand sie nur knapp einen Misstrauensantrag im Parlament, in dem ihr Nepotismus vorgeworfen wurde. 1993 wiedergewählt, verlor sie drei Jahre später ihr Amt wegen verschiedener politischer Affären und Skandale. Sie soll hunderte Millionen US-Dollar an Schmiergeldern kassiert haben.
Natürlich findet man noch mehr Beispiele korrupter Frauen, nicht nur an machthabender Position, sondern auch als Drahtzieherin hinter den politischen Kulissen. Filmemacher greifen dies auf. Der Regisseur Pierre Yameogo aus Burkina Faso karikiert in seinem Film Tourbillon (1998) wie die Frauen afrikanischer Potentaten es verstehen, ihre luxuriösen Vorlieben "an den Mann zu bringen". Gemäß dem Motto: "Hinter jedem korrupten Mann, steht eine korrupte Frau", zeigt der Film, wie die auf diese Weise zu Reichtum gekommene Madame la presidente mit Koffern voller Geld zum Einkaufsbummel nach Europa fliegt.
Es gibt eine Fülle an Gegenargumenten zu der Weltbankthese, nicht zuletzt, wenn man wie die indonesische Ökonomin Vivi Alatas bestreitet, dass generelle Aussagen überhaupt möglich sind. So seien Frauen in Australien wesentlich weniger tolerant gegenüber Korruption als Männer, während in Indonesien, Indien und Singapur keine Geschlechterunterschiede nachzuweisen sind.
Dass nun sogar die Weltbank genderspezifisch über Korruption nachdenkt, hat wohl auch etwas mit der Legitimationskrise der Politik zu tun. Weil Korruption so verbreitet und ihre Bekämpfung so schwierig ist, werden Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Attribute zu Hoffnungsträgerinnen. Paradoxerweise sind das genau jene Verhaltensweisen, die lange dazu benutzt wurden, ihnen den Zugang zu Berufstätigkeit und öffentlichen Ämtern zu verwehren.
Der Journalist Bill Lambrecht bringt die jüngsten Wahlerfolge von Frauen in vielen Ländern auf den Punkt: "Überall wo Ärger und Korruption in der Luft hängen, setzen die Bürger vermehrt auf Frauen, die mit den 'Bösejungenmachenschaften' aufräumen sollen."
aus: der überblick 02/2006, Seite 41
AUTOR(EN):
Patricia von Hahn
Patricia von Hahn hat Ethnologie und Anglistik studiert und arbeitet zurzeit als Hospitantin beim überblick.