Vom kläglichen Versagen der internationalen Gemeinschaft im Sudan
Das hastig formulierte und unter Druck durchgesetzte Friedensabkommen für Darfur hat keinen Frieden gebracht, die Übergriffe und Auseinandersetzungen haben seither noch zugenommen. Die sudanesische Regierung lehnt die Stationierung von UN-Friedenstruppen ab und bereitet neue Angriffe vor. Unterdessen verschlechtert sich die Situation der Bevölkerung weiter, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden gezielt angegriffen.
von Gérard Prunier
Im Juli 2004 wurde ein erster Versuch unternommen, so etwas wie eine Schutztruppe für die von Soldaten des Regimes in Khartum und deren militärischen Erfüllungsgehilfen, den "bösen Reitern" der Janjaweed, bedrängte Zivilbevölkerung aufzustellen. Damals stimmte die Afrikanische Union (AU) der Entsendung einer Truppe von 300 Soldaten nach Darfur zu. Sie sollten den bereits dort tätigen Beobachtern zur Seite stehen, welche die Einhaltung des kurz zuvor unterzeichneten Waffenstillstandsabkommens von Ndjamena überwachen sollten. Dieses stand aber bloß auf dem Papier, niemand hielt sich daran. Es gab also eigentlich gar nichts zu überwachen.
Mit der Zeit wuchs die African Mission in Sudan (AMIS) auf 7000 Soldaten an, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, die 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge zu schützen, von denen immer mehr in die Auffanglager strömten. Doch die AU-Mission litt von Anfang an unter konzeptionellen und praktischen Schwierigkeiten. Angefangen beim Mandat, das eine reine Friedensmission vorsah:Die Soldaten durften sich nicht in Kampfhandlungen einmischen, auch nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung. Sie sollten lediglich das Geschehen überwachen und die Beobachter schützen. Die frustrierten AMIS-Soldaten sahen sich darauf reduziert, Protokoll zu führen und Bericht darüber zu erstatten, was sie nicht verhindern durften. Sogar die präventiven Patrouillenfahrten, die potenzielle Gewalttäter vielleicht hätten abschrecken können, waren nur begrenzt möglich, da die Truppe schlecht ausgerüstet war, es an Luftüberwachung, Fahrzeugen und Funkgeräten mangelte.
Die AMIS-Soldaten haben aber im Kleinen wenigstens etwas bewirken können, indem sie Frauen schützten, die außerhalb der Lager Wasser holten und Feuerholz sammelten ohne diesen Schutz waren sie regelmäßig überfallen und vergewaltigt worden. Aber allzu oft trafen die Soldaten erst Stunden, wenn nicht gar Tage nach einem überfall ein und konnten nur noch alles aufschreiben, was passiert war, ohne der Bevölkerung in irgendeiner Weise helfen zu können. Sie waren nur leicht bewaffnet und nicht dafür ausgerüstet. sich an Kämpfen zu beteiligen. Dass die Soldaten aus verschiedenen Ländern (unter anderem Ruanda, Senegal, Nigeria, Gambia) kamen und nicht die gleiche Sprache sprachen, erschwerte die Planung und Durchführung gemeinsamer Operationen zusätzlich.
Die sudanesische Regierung hatte sich zunächst gegen die Stationierung der Friedenstruppe gesträubt. Erst nachdem sie festgestellt hatte, dass die AMIS nicht ordentlich bewaffnet war, leicht überlistet werden konnte und der Sache insgesamt nicht gewachsen war, wurde sie zu einer glühenden Verfechterin dieses zahnlosen Tigers.
Bewegung kam in die ganze Sache erst, als das Friedensabkommen für Darfur (Darfur Peace Agreement, DPA) im nigerianischen Abuja ausgehandelt wurde. Der sudanesische Vizepräsident Ali Osman Mohamed Taha versprach der Europäischen Union (EU) im März 2006, dass die Regierung der NATO oder anderen westlichen Kräften Zutritt zur Darfur-Region gewähren würde, sobald das Friedensabkommen unterzeichnet sei. Diese könnten dann anstelle der mehr oder weniger gescheiterten AMIS-Mission für Sicherheit Sorgen. Die Sache hatte nur einen Haken: Ali Osman war gar nicht in der Lage, sein Versprechen einzulösen, da er bei den internen Machtspielen in Khartum auf verlorenem Posten stand.
Am 5. Mai 2006 kam es schließlich zur Unterzeichnung des Darfur-Friedensabkommens. Ali Osmans Versprechen war wohl ein wichtiger Grund dafür, dass die EU und die USA starken Druck auf die Guerillas ausübten, das hastig aufgesetzte und schlecht verhandelte Friedensabkommen überhaupt zu unterzeichnen. Jedenfalls weigerten sich die Herrschaften in Khartum ganz einfach, irgendeiner westlichen Truppe Zugang zu Darfur zu gewähren. In den letzten dreieinhalb Monaten haben die Vereinten Nationen (UN), die EU, die USA und eine Reihe von anderen westlichen Ländern Präsident al-Baschir wiederholt gebeten, die als wirksamer eingeschätzten UN- oder NATO-Truppen nach Darfur einrücken zu lassen. Damit sind sie nicht nur auf strikte Ablehnung gestoßen, Khartum hat sogar mit einem regelrechten Krieg und Terroraktionen gegen westliche Interessen und Bürger gedroht, falls sich die UN über Khartums Weigerung hinwegsetzen würden. Khartums nur notdürftig kaschierte terroristische Helfer sind so weit gegangen, ein Kopfgeld auf verschiedene westliche Vertreter im Sudan auszusetzen, darunter den Leiter der US-amerikanischen Gesandtschaft und den UN-Sonderbeauftragten Jan Pronk.
Das vorerst letzte Treffen zur Beratung über einen möglichen Einsatz von UN-Truppen fand am 18. Juli 2006 in Brüssel statt und endete mit einem totalen Fiasko. Die so genannte internationale Gemeinschaft entschied lediglich, 220 Millionen US-Dollar zur Verfügung zu stellen, um das AMIS-Mandat bis Jahresende zu verlängern. über den bis dato glanzlosen Auftritt der Friedensmission verlor man kein Wort. Vielmehr wurde die vage Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die Verlängerung der Mission den UN in New York die Gelegenheit gäbe, die sudanesische Regierung doch noch zu überreden, dass diese akzeptiert, was sie bis dato so hartnäckig abgelehnt hatte. Am 18. August haben Großbritannien und die USA einen Entwurf für eine Resolution zur Befriedung von Darfur in den UN-Sicherheitsrat eingebracht, die die Entsendung von etwa 17.000 Blauhelmen vorzieht. Am 31. August stimmte der UN-Sicherheitsrat dieser Resolution zu. Nichts deutet aber darauf hin, dass Khartum seine Position diesbezüglich geändert hätte.
Bei der humanitären Hilfe handelt es sich vielleicht noch um den am wenigsten unrühmlichen Aspekt internationaler Präsenz in Darfur. Seit Anfang 2004 haben die ganze Palette von UN-Organisationen und eine Schar von nichtsstaatlichen Organisationen (NGOs) das ihnen mögliche getan, um den 200.000 Flüchtlingen im Tschad und den 2,5 Millionen Binnenflüchtlingen zu helfen, sowie sich um die weitere Million Kriegsopfer zu kümmern, die von Lebensmittellieferungen abgeschnitten sind. Das Kernproblem besteht darin, dass die Bevölkerungsgruppen, die von der Völkermord ähnlichen Gewalt heimgesucht werden, sesshafte Ackerbauern sind. Sie mussten ihre Felder fluchtartig verlassen, so dass die landwirtschaftliche Produktion in Darfur, das ohnehin nie eine sehr reiche Provinz war, Schätzungen zufolge heute bei nur 40 Prozent des Vorkriegsniveaus liegt. Die Vertriebenen können die Flüchtlingslager so gut wie nicht verlassen, ohne Opfer von Mord, Vergewaltigung oder Misshandlung durch die herumziehenden Janjaweed-Banden zu werden, und hängen nahezu vollständig am Tropf der Lebensmittelhilfe. Die Lage ist anders als bei der Hungersnot von 1984, als die Sicherheitslage es den Dürreopfern wenigstens erlaubte, auf die Suche nach wild wachsenden Lebensmitteln zu gehen.
Trotz der humanitären Hilfe zeichnet sich eine Verschlechterung der ohnehin prekären Situation ab. Am 27. April kündigte das Welternährungsprogramm der UN an, dass es die Lebensmittelrationen in den Lagern aus einer Vielzahl von Gründen (wie Geldmangel, Transport- und Sicherheitsproblemen) um 50 Prozent kürzen müsse. Das bedeutet, dass die Leute jetzt weniger als 1700 Kalorien pro Tag erhalten, womit man unter den harten Lebensbedingungen kaum einen guten Gesundheitszustand zu sichern vermag. Trotzdem können sich diejenigen, die mit diesem kärglichen Almosen abgespeist werden, immer noch glücklich schätzen. Aufgrund der katastrophalen Entwicklung der Sicherheitslage werden derzeit überall Lastwagenfahrer angegriffen und sudanesische Mitarbeiter von NGOs umgebracht. Die Nahrungsmittelhilfe erreicht damit insgesamt weniger Gebiete. Da aber gleichzeitig immer mehr Menschen die Lebensmittelhilfe brauchen, weil es immer mehr Vertriebene gibt, sinkt der Anteil der Menschen, die überhaupt etwas bekommen. Die Sterblichkeitsrate steigt. Im Mai haben die Verantwortlichen des Welternährungsprogramms erklärt, dass ihnen nach vorsichtigen Schätzungen 389 Millionen US-Dollar fehlen. Es werden immer weniger Hilfsgelder versprochen und tatsächlich ausgezahlt. Mit dem Einsetzen der Regenzeit der dritten seit dem Beginn des Konfliktes verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Menschen nun schnell.
Auch beim Aufspüren der für diesen Alptraum verantwortlichen Kriegsverbrecher und ihrer juristischen Verfolgung versagt die internationale Gemeinschaft kläglich. Eine erste Liste der Verantwortlichen wurde im Juni 2004 vom US-Senat erstellt, allerdings ein wenig amateurhaft. Zu jener Zeit enthielt sie 24 Namen. Die Senatoren baten Präsident Bush, die Beschuldigten vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Ende April 2005 gab es als Anhang zur UN-Resolution 1593 eine Liste, auf der schon die deutlich realistischere Zahl von 51 Namen stand. Aber diese Aufstellung wurde, man glaubt es kaum, nie veröffentlicht. Der Grund liegt auf der Hand: Nach dem 11. September 2001 suchten die Vereinigten Staaten verzweifelt nach "guten Arabern", die ihren so genannten Kampf gegen den Terrorismus unterstützen würden. Welche "Araber" wären dazu besser geeignet gewesen als jene aus Khartum, die zwischen 1989 und 1995 den internationalen Terrorismus mitfinanziert, Osama bin Laden Unterschlupf gewährt, beim Aufbau von al-Qaida mitgeholfen und den Versuch unternommen hatten, den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zu ermorden? Es ist ja bekannt, dass ehemalige Wilderer die besten Wildhüter sind.
Aber hat Khartum dem Terrorismus wirklich abgeschworen? Die enge Zusammenarbeit zwischen dem sudanesischen Geheimdienst und dessen US-amerikanischen und britischen Pendants wird durchaus unterschiedlich bewertet, je nachdem, mit wem man spricht. In den Augen vieler gestandener Geheimdienstler haben die Jungs aus Khartum ihre westlichen Counterparts an der Nase herumgeführt, indem sie sie mit unwesentlichen oder veralteten Informationen versorgt haben. Umstritten ist die Frage, ob dies aus Unwissenheit geschah oder ob sie damit eine Taktik der bewussten Irreführung verfolgt haben.
Fest steht allerdings, dass die US-Regierung im Gegenzug für die mutmaßliche sudanesische Kooperation auf dem Gebiet geheimdienstlicher Erkenntnisse die Bemühungen um Strafverfolgung behindert, um nicht zu sagen, sabotiert hat, auch die der eigenen Landsleute. Die Geheimliste mit den 51 Namen war mit Sicherheit ein Gegenstand der Verhandlungen, als die CIA 2005 den Chef des sudanesischen Geheimdienstes Abdallah Gosh an Bord einer Sondermaschine nach Washington einflog. Bis Januar 2006 war die Liste der Verdächtigen auf 17 Namen geschrumpft und bis April sogar auf nur noch acht. Als die Briten, des Versteckspielens müde, den Versuch unternahmen, die acht Namen an die Öffentlichkeit zu bringen, wurden sie von den Amerikanern davon abgehalten, die am Ende lediglich vier Namen für die internationale Ermittlungsarbeit freigaben. Unter den Genannten ist nicht einer der wohlbekannten Hintermänner der extremen Gewalt in Darfur.
Es gibt inzwischen ein kleines Team von externen UN-Beratern, die Darfur (und den Tschad) abklappern, um eine unabhängige neue Liste von Tatverdächtigen zusammenzustellen. Bei ihren recht planlosen Bemühungen haben sie bisher die Namen von vier mutmaßlich Verantwortlichen zusammengetragen, von denen bei zweien die genaue Schreibweise und Identität nicht geklärt sind und ein weiterer offensichtlich inzwischen verstorben ist. Der Internationale Strafgerichtshof hat seine Bereitschaft erklärt, Verfahren zu eröffnen. Es fragt sich nur noch, gegen wen.
Auf dem Gebiet der Diplomatie und der Friedensschaffung ist möglicherweise das Versagen der internationalen Gemeinschaft am augenfälligsten. Die erste Runde der Darfur-Friedensverhandlungen begann im Dezember 2004 in Abuja. Die Verhandlungen wurden durch die ständigen Rangeleien zwischen den drei großen Guerilla-Gruppen nicht gerade erleichtert, die zwar bei der Einschätzung der Lage relativ ähnliche Ansichten hatten, aber durch persönliche und ethnische Differenzen zutiefst zerstritten waren. Unter Führung von Mahzhub al-Khalifa, einem führenden Mitglied der Khartumer Hardliner, blieben die Unterhändler der sudanesischen Regierung strikt auf Kurs.
Nach einer Weile geriet die ganze Angelegenheit zu einem absurden Spiel. Es gab überhaupt keine wirkliche Verhandlung über das Kernproblem, also die Frage, was den Aufstand ausgelöst hatte, was die Ursachen waren, wie die Regierung reagiert hat und welche Maßnahmen man ergreifen könnte, um die zentralen Konfliktpotentiale zu entschärfen. Stattdessen sanken die Verhandlungen bald auf ein Niveau ab, bei dem nur noch darum gestritten wurde, wer was bekommt. Geld wechselte den Besitzer, vor allem von Libyern zu nahezu allen anderen Beteiligten, einschließlich einigen der Vermittler. Das Feilschen über Posten und Gehälter ließ eine eingehende Beschäftigung mit den zu diskutierenden Maßnahmen völlig in den Hintergrund treten. Sicherheitsgarantien wurden nur auf dem Papier gegeben, und die Erstellung eines Vertragstextes wurde weitgehend dem nicht vorhandenen "guten Willen" der Vertreter aus Khartum überlassen. Politische Analysen wurden sorgsam ausgeklammert, und der Druck irgendwas zu unterzeichnen, so bald wie möglich, ohne allzu genau hinzuschauen, wurde schließlich immer stärker.
Woraus ergab sich dieser wahnsinnige Zwang, um jeden Preis irgendetwas zu unterschreiben? Wie schon gesagt, wähnten sich die westlichen Länder, allen voran Amerika und die Vertreter der EU, in dem Glauben, dass es eine stillschweigende Vereinbarung mit der Regierung gäbe, dass diese die Entsendung westlicher Militärkräfte zur endgültigen Beendigung des gewaltsamen Konfliktes zulassen würde, sobald ein halbwegs glaubwürdiges Friedensabkommen unterzeichnet sei. Dabei gab es dafür nur das, wie sich zeigte, leere Versprechen des Vizepräsidenten vom März.
Verschiedene Vertreter der Rebellen versuchten, ein anderes Fass wieder aufzumachen und verlangten von der Regierung, das im Januar 2005 in Nairobi unterzeichnete umfassende Friedensabkommen für Südsudan (CPA) zwischen der damaligen Regierung und der Sudanese People's Liberation Army (SPLA) wieder aufzuschnüren. Sie begründeten ihre Haltung damit, dass dieses, umfassend genannte, Vertragswerk lediglich ein Abkommen zwischen zwei Parteien des viele Fraktionen involvierenden Konfliktes sei. Jetzt gäbe es Verhandlungen über Darfur, da könne man doch nicht so tun, als zählten nur die Islamisten in Khartum und die Guerillagruppe im Süden. Diese Argumentation stieß bei allen Seiten auf Widerstand: den Amerikanern, die das unter Mühen erreichte Friedensabkommen nicht wieder neu zur Diskussion stellen wollten, den Islamisten, die wussten, dass sie in Nairobi sehr geschickt verhandelt hatten und dahinter nicht zurückfallen wollten, und sogar der SPLA, deren Vertreter jetzt durch die Bestimmungen des Abkommens und durch Korruption einige Privilegien hatten und ihre lieb gewonnenen Vergünstigungen nicht gefährden wollten (vergl. "der überblick" 2/2006). Deshalb gab es in Abuja, wo die Friedensgespräche weitergeführt wurden, nicht all zu viel zu diskutieren.
Der Vertrag, der schließlich am 5. Mai 2006 von der Fraktion der Sudan Liberation Army (SLA) unter Minni Minnawi unterzeichnet wurde, war mit heißer Nadel gestrickt. In der Darfur-Region wurde eine Übergangsbehörde, die Transitional Darfur Regional Authority (TDRA), eingesetzt, deren Vorsitzender gleichzeitig Präsident al-Baschirs Sonderberater für Darfur sein sollte. Da die Mitglieder der TDRA von der Regierung handverlesen werden, war schon abzusehen, dass das Organ weitgehend machtlos sein würde. Dem Fonds für Wiederaufbau und Entwicklung (Darfur Reconstruction and Development Fund, DRDF), dem für einen Zeitraum von drei Jahren ein Etat von 700 Millionen US-Dollar zur Verfügung steht, soll die massive Rückständigkeit einer Region von der Größe Frankreichs mit sieben Millionen Einwohnern beseitigen, hat aber bisher überhaupt noch nichts tun können. Um die Opfer der Gewalt zu entschädigen, wurde ein lächerlich kleiner Fonds mit 30 Millionen US-Dollar aufgelegt. Das bedeutet, dass die Menschen, die alles verloren haben Vieh, Häuser, Ernten, Hausrat , pro Kopf zwölf US-Dollar Entschädigung erhalten würden. Das reicht nicht einmal, um einen Satz billiger chinesischer Kochtöpfe zu kaufen.
Das Abkommen enthielt auch eine vage Klausel, nach der die Guerillakämpfer in die regulären Streitkräfte übernommen werden sollen. Aber vielleicht das Bedenklichste an dem Vertrag war das, was als größte Errungenschaft dargestellt wurde, nämlich die Entwaffnung der Janjaweed. Befürworter des Abkommens behaupteten, dass diese Entwaffnung "durch umfangreiche Garantien abgesichert" sei. Das war reines Wunschdenken. Das einzige, was passierte, war, dass die Regierung in Khartum zum siebten Mal seit der UN-Resolution 1556 vom 22. Juli 2004 aufgefordert wurde, ihre Mördermilizen zu entwaffnen. Sie hatte dieser Aufforderung in der Vergangenheit nie Folge geleistet, und es war auch wenig wahrscheinlich, dass sie es jetzt tun würde. Im Gegenteil. Je mehr die internationale Gemeinschaft nutzlos mit ihrem Pappschwert wedelte, desto deutlicher erkannten die Khartumer Islamisten, dass von hier keine Gefahr drohte.
Aber das Schlimmste sollte erst noch kommen. Nachdem Minni Minnawi ein kleiner Gangster, nun durch eine Mischung aus Glück und Gewalt in hohe politische Ämter katapultiert der einzige Unterzeichner war, war er auch automatisch der einzige Kandidat für die Position des Sonderberaters des Präsidenten und für den Vorsitz der TDRA. Allerdings sah er sich mit dem starken Widerstand jener Bevölkerungsgruppe konfrontiert, die eigentlich Nutznießer dieses "Friedens" sein sollte, nämlich den Vertriebenen in den Flüchtlingslagern. Diese 2,5 Millionen Menschen als die eigentlichen Opfer des gewaltsamen Konflikts hatten mit ansehen müssen, wie ihre Angehörigen getötet oder vergewaltigt, ihre Häuser zerstört, das Vieh gestohlen und die Felder abgebrannt worden waren. Sie hausten auf engstem Raum zusammen in den Lagern, ohne jeden Besitz und vollständig von der Nahrungsmittelhilfe internationaler Organisationen abhängig. Trotzdem lehnten sie den "Frieden" ab: Unmittelbar nach der Unterzeichnung kam es zu tumultartigen Protesten gegen das Friedensabkommen.
Wenn man davon ausgeht, dass sie weder dumm noch lebensmüde sind, muss man nach dem Grund für ihre Haltung fragen. Der ist leicht zu finden: Die Menschen hatten enorme Opfer auf sich genommen, um ihre Position gegenüber den zentralen Behörden zu ändern, und erkannten sofort, dass die verkorkste und billige Friedensversion, die man ihnen unterjubeln wollte, nicht eine einzige der Ursachen beseitigte, die dazu geführt hatten, dass ihre jungen Männer zu den Waffen gegriffen hatten. Minnawi reagierte auf das, was in seinen Augen eine Infragestellung seiner neu gewonnenen Autorität darstellte, auf die denkbar einfachste Weise: Er vereinte seine Guerillafraktion mit den Mörderbanden, die er zuvor bekämpft hatte. So kam es, dass im Juli 2006 Minnawis SLA an der Seite der Janjaweed und der sudanesischen Armee kämpfte, Dörfer in Brand steckte, Zivilisten tötete, Frauen vergewaltigte und all dies im Namen der Umsetzung des jüngst unterzeichneten Friedensabkommens. Verständlicherweise hat der neue Friedenskönig von Darfur damit nicht viel Zuneigung und Unterstützung geerntet. Minnawi, der einzige "Freiheitskämpfer", der sich dem Friedensabkommen angeschlossen hat, wird nun unter seinen eigenen Leuten als Abtrünniger und als Handlanger der Regierung betrachtet.
Am 10. August 2006 beschrieb Jan Egeland, als Koordinator der UN-Nothilfe für Darfur, die Lage zutreffend so: "Die Situation war schlecht, aber jetzt ist sie katastrophal." Die fieberhaften Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um einen Frieden um jeden Preis, die Nachlässigkeit bei der Strafverfolgung, ihre knauserige Haltung im Hinblick auf die humanitäre Hilfe und ihr unsinniges Vertrauen auf das Wort einer Regierung, die für ihre Gewalttätigkeit und Arglist bekannt ist, haben Darfur endgültig in die Katastrophe getrieben. Die Gewalt dort unterscheidet sich zwar technisch vom Völkermord in Ruanda, doch in moralischer und politischer Hinsicht gibt es keinen Unterschied. Die so genannte internationale Gemeinschaft hat durch ihre Trägheit, ihre Routine-Diplomatie, ihre mangelnde Courage und ihr fehlendes moralisches Rückgrat eine ungeheure Zahl von Menschen dem sicheren Tod geweiht, obwohl sie es hätte besser wissen können. Im Gegensatz zu Ruanda ging das Töten nicht schnell vonstatten. Dieser Völkermord auf Raten zieht sich nun schon über dreieinhalb Jahre hin, direkt vor den Augen der Welt, und es sieht nicht so aus, als wenn er noch irgendwie aufgehalten werden wird.
aus: der überblick 03/2006, Seite 26
AUTOR(EN):
Gérard Prunier
Gérard Prunier ist Wissenschaftler am "Centre national de la recherche scientifique" in Paris, Frankreich, und derzeit Direktor des "Centre français des études éthiopiennes" in Addis Abeba, Äthiopien.