Das Wirken von nichtstaatlichen Organisationen im Bürgerkrieg von Sierra Leone
Während des Bürgerkriegs in Sierra Leone haben nichtstaatliche Organisationen (NGOs) viele staatliche Versorgungsaufgaben übernommen. Gemeinsam mit Diplomaten aus einer Reihe von Ländern vermittelten sie gleichzeitig Gespräche zwischen den Kriegsgegnern, die schließlich zu Friedensabkommen führten. Als die demokratisch gewählte Regierung ihr Amt wieder halbwegs ausüben konnte, begann jedoch eine Konkurrenz zwischen Regierung und NGOs um das Geld für den Wiederaufbau.
von Claudia Anthony
Von einem funktionierenden Staat konnte in Sierra Leone über lange Perioden des Bürgerkrieges keine Rede sein. Seit 1991 leidet das Land unter den Folgen des brutalen Krieges, der mehr als 75.000 Opfer gefordert hat. 4,5 Millionen Menschen sind aus ihren Wohngebieten vertrieben worden oder geflohen. Die Bürger waren geradezu schwindlig von dem Karussell der Regierungswechsel zu Anfang der neunziger Jahre. Fünf Regierungen wechselten innerhalb von sechs Jahren einander ab, drei davon waren Militärregierungen.
Im März 1996 kam eine neue, demokratisch gewählte Regierung ans Ruder, an deren Spitze der frühere Angestellte der Vereinten Nationen, Alhaji Ahmad Tejan Kabbah. An der Wahl hatten nur 37 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung teilgenommen; viele waren vor dem Krieg in sichere Gebiete geflohen oder befanden sich in Gesundheitszentren zur Behandlung von Amputationen und standen nicht in den dortigen Wählerlisten.
Am 25. Mai 1997 machten Offiziere des Militärs gemeinsame Sache mit den Rebellen der Revolutionären Vereinigten Front (RUF), um Präsident Tejan Kabbah und seine Regierung der Volkspartei Sierra Leones (SLPP) in einem Putsch zu stürzen. Sie zwangen Kabbah, ins Exil nach Guinea zu fliehen, wo er bis zum März 1998 blieb. Es kann nicht überraschen, dass die Zivilbevölkerung die Militärs und die Rebellen hasste. In einer beispiellosen Aktion reagierten die Menschen mit einem zehn Monate durchgehaltenen zivilen Ungehorsam.
Weil es in Sierra Leone de facto keine Regierung mehr gab, nahmen lokale und ausländische nichtstaatliche Organisationen (NGOs) währenddessen die täglichen Verwaltungsaufgaben des Landes wahr. Das nationale Gesundheitssystem etwa war völlig heruntergekommen und nicht mehr funktionsfähig. Es gab keine Medikamente, weil Bewaffnete die Apotheken und Drogerien geplündert und niedergebrannt hatten. Außerdem war das qualifizierte medizinische Personal von der mittleren Ebene aufwärts aus Angst vor Folter und Massenexekutionen in Nachbarstaaten oder nach Übersee geflohen. Ständig fiel der Strom aus. Das lag auch daran, dass als Folge des vom UN-Sicherheitsrat gegen die Junta verhängten Waffen- und Ölembargos kein Öl mehr ins Land kam.
Ausländische NGOs wie "Ärzte ohne Grenzen", das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und seine örtlichen Partner wie die Rote-Kreuz-Gesellschaft Sierra Leones (SLRCS) nahmen gemeinsam die Aufgabe wahr, die medizinische Versorgung tausender Menschen jeglichen Alters sicherzustellen, die dringend behandelt werden mussten. Schussverletzungen, Wunden von Granatsplittern, Verletzungen als Folge von Folter, ausgebrannte Augen sowie zahllose Fälle von Amputationen mussten dringend behandelt werden. Verseuchtes Wasser war eine Brutstätte für Typhus und andere Krankheiten, Durchfallerkrankungen führten zu Dehydrierung, Unterernährung war weit verbreitet. Überall starben Mütter oder Babies bei der Geburt.
Aus Angst vor weiteren Übergriffen der Rebellen hatten viele Menschen ihre Dörfer verlassen, nachdem ihre Häuser dem Boden gleichgemacht worden waren. Aber weder die Regierung im Exil noch die herrschende Militärjunta waren in der Lage, für Unterkünfte zu sorgen. Provisorische Unterkünfte wurden vor allem von ausländischen NGOs wie CARE International, der Adventist Development Relief Agency (ADRA), Oxfam und Cause-Canada zur Verfügung gestellt.
Mit vorgehaltener Waffe haben Soldaten und Banditen Dorfbewohner gezwungen, ihre Ernte einzubringen und an die Bewaffneten auszuhändigen. Viele Scheunen sind geplündert und niedergebrannt worden. Nachdem über die Junta erzürnte Menschen das Landwirtschaftsministerium attackiert hatten, waren dessen Büroeinrichtung und Landmaschinen ruiniert. Deshalb versorgten ausländische NGOs wie Caritas International, Action Contre Faim (ACF), Oxfam, Care International, Action Aid und andere die Menschen mit Nahrungsmitteln.
Während dieser Zeit, als die Lage ausweglos schien, haben lokale NGOs nicht weniger dazu beigetragen, das völlige Zusammenbrechen staatlicher Dienste zu verhindern, unter anderem das Frauen-Forum (eine Dachorganisation aller Frauenorganisationen im Lan
D - seien es Basisgruppen oder eher intellektuelle Vereinigungen), die Bewegung zur Wiederherstellung der Demokratie, der Kirchenrat Sierra Leones und die Kampagne für gute Regierungsführung. Mehrfach haben die Krieg führenden Seiten versucht, das selbstständige Handeln solcher Organisationen zu unterbinden. Deren prominente Sprecher wurden eingeschüchtert und mit dem Tode bedroht. Trotzdem haben diese, wann und wo immer nötig, mit Hingabe und äußerstem Einsatz ihre Ziele verfolgt, um die Erwartungen der verschiedenen Gemeinden, deren Repräsentanten sie waren, zu erfüllen. Die Auslandsmedien wandten sich an die NGOs, um ein klares Bild von der Lage im Lande zu bekommen, die von den Konfliktparteien nicht zu erhalten waren.
Dank der Hilfe von lokalen und ausländischen NGOs hat die Bevölkerung allmählich wieder mehr Zuversicht gewonnen. Auch die internationale Gemeinschaft sah wieder Sinn darin, über die Vereinten Nationen, die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikas (ECOWAS) und die Commonwealth-Staaten eine Politik für Sierra Leone zu formulieren und umzusetzen. Man entwickelte die politische Strategie, der Junta den Spaß an der Macht zu vergällen und die Regierung im Exil wieder in ihr Amt zurückzubringen.
Eine besondere Rolle unter den NGOs spielte der Interreligiöse Rat (IRCSL). Der IRCSL ist eine Organisation von Mitgliedern der beiden großen Religionen im Land: Christentum und Islam. Gemeinsam mit anderen hat der IRCSL die Vermittlungen von Friedensgesprächen initiiert und mögliche gemacht. Als deutlich sichtbarer und erfolgreicher Brückenbauer zwischen den kämpfenden Seiten hat der IRCSL die beiden vorherrschenden Religionen näher zusammengeführt als je zuvor. Moschee- und Kirchgänger sowie deren Freunde und Nachbarn drängten ihre religiösen Führer, auf die Gewaltakte zu reagieren. Sie erreichten damit, dass diese den Krieg verurteilten und die RUF aufforderten, ihre Waffen niederzulegen. Muslimische und christliche Priester predigten gegen die beispiellose Brutalität und Gewalt. Daraufhin gingen Bewaffnete auch gegen die religiösen Führer vor, setzten Moscheen und Kirchen in Brand, ermordeten zahllose Gläubige, sogar innerhalb der Kirchen und Moscheen, und nahmen eine Anzahl religiöser Führer - einschließlich des Erzbischofs Ganda von Freetown - als Geiseln.
Der Druck der Bevölkerung auf die religiösen Führer, ihren Einfluss und ihr Mandat zu nutzen, um die Kriegsgegner zu einer friedlichen Lösung des Konflikts zu drängen, nahm jedoch noch zu. Mit seinen furchtlosen Vermittlungsbemühungen konnte der IRCSL schließlich dazu beitragen, dass eine Reihe von Friedensvereinbarungen zwischen den Kriegsparteien geschlossen wurde und schließlich am 7. Juli 1999 das Lomé-Friedensabkommen unterzeichnet werden konnte. Zwar wurden auch anschließend noch - besonders in den Provinzen des Nordens, wo die RUF-Rebellen noch immer weithin die Kontrolle haben, - Zivilisten gezielt und willkürlich umgebracht und sogar Soldaten der UN-Friedenstruppe als Geiseln genommen. Aber im Süden des Landes herrscht inzwischen relative Sicherheit. Und die Regierung Kabbah kann ihre Aufgaben wieder mehr und mehr wahrnehmen.
Vielleicht war gerade deshalb das Verhältnis zwischen in- und ausländischen NGOs und der wieder im Amt befindlichen demokratisch gewählten Regierung zunächst getrübt. Es gab nämlich Konkurrenz um Finanzmittel. Statt nach Zusammenarbeit sah es eher wie ein Gerangel um die Geldtöpfe aus. Auf einer Pressekonferenz im Juli 1999 fragte beispielsweise ein Regierungskommissar, der Vertreter der nationalen Behörde für Wiederansiedlung, Wiederaufbau und Reintegration war, welchen Sinn es überhaupt mache, dass Sierra Leone bei internationalen Geberversammlungen und anderen Weltkonferenzen um Spenden werbe. Zu Anfang jenes Jahres, so berichtete er, hätten internationale Geber 38 Millionen US-Dollar für Sierra Leone zugesagt. Als die Regierung später nachfragte, wo denn das Geld bleibe, habe sie zur Antwort bekommen, dass 28 Millionen US-Dollar bereits an drei ausländische NGOs vergeben worden seien, die in Sierra Leone arbeiteten.
Das kam in Regierungskreisen nicht gut an. Die Regierung begann deshalb, ein Register zu erstellen, welche ausländischen und einheimischen NGOs überhaupt im Lande tätig waren und welche Personen hinter diesen standen. Damit, so der Beamte, wollte man einen Schritt in Richtung Transparenz und verantwortlicher Haushaltsführung gehen - im Einklang mit der Regierungspolitik. Die Medien kommentierten, dass die Geber auf Grund vergangener Erfahrungen Regierungsfunktionären misstrauten und lieber mit NGOs zusammengearbeitet hätten, um Hilfsleistungen zu verteilen.
Aber auch in den Beziehungen der NGOs untereinander stand nicht alles zum Besten. Das zeigt beispielsweise ein Ereignis im Jahr 1999. Ein Arzt der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) hatte einen Notfallpatienten behandelt, der anschließend in einem anderen Teil des Landes Unterkunft fand. Als er dort zur lokalen MSF-Gruppe ging, um eine Folgebehandlung zu erhalten, wurde er an einen anderen MSF-Zweig verwiesen, weil er bei dem lokalen Zweig nicht registriert war. Die Bevölkerung in Sierra Leone kannte nur die MSF als solche. Sie wusste nicht, dass von der Organisation eine holländische, eine französische und eine belgische Untergliederung im Lande arbeiteten, die jeweils eigene Planungen und Budgets hatten, auch wenn sie unter dem gemeinsamen Namen MSF auftraten. Fälle wie dieser führten schließlich dazu, dass eine gemeinsame Koordinierungsstelle von einheimischen und ausländischen NGOs geschaffen wurde, wo man sich regelmäßig trifft und klärt, wer wo was macht, gemeinsame Strategien entwickelt und ihre Umsetzung überprüft.
Nachdem inzwischen - mit ein paar Ausnahmen - die Kämpfe abgeflaut sind, befassen sich die NGOs vorwiegend mit dem Wiederaufbau des Landes und versuchen dazu beizutragen, dass die Gesellschaft wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Damit sind die NGOs nicht die einzigen. Auch ausländische staatliche Entwicklungsagenturen wie die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die U.S. Agency for International Development (USAID) widmen sich dieser Aufgabe.
Ein Beispiel dafür ist ein auf 30 Monate geplantes Projekt für 3200 Menschen in acht Zentren, die zur Entwaffnung ehemaliger Bürgerkriegskämpfer eingerichtet worden sind. Im August 2001 wurde bei Manage im Distrikt Port Loko im Norden Sierra Leones das erste von acht Trainingszentren für ehemalige Bürgerkriegskämpfer und - zu möglichst gleichem Anteil - für Bewohner der jeweiligen Gemeinde eröffnet. Das Geld dafür kommt von der deutschen Bundesregierung über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW); die Ausführung hat die GTZ übernommen. Jeweils 250 Menschen sollen dort 12 Monate lang in verschiedenen Fertigkeiten ausgebildet werden, etwa im Maurer- oder Zimmermannshandwerk, in der Landwirtschaft oder als Frisör.
Während der gesamten zehnjährigen Kriegsperiode haben NGOs und Diplomaten eng zusammengearbeitet. Ein anschauliches Beispiel war der Militärputsch am 25. Mai 1997. Dabei kam es zu einem Patt. Auf der einen Seite standen die Putschisten und ihre Unterstützer. Auf der anderen Seite waren die Zivilgesellschaft, die ECOWAS und ihr militärischer Arm ECOMOG, die OAU und die internationale Gemeinschaft, welche alle den Putsch verurteilten. Waffenstillstandsgespräche wurden von einer Phalanx von NGOs und Diplomaten vermittelt, unter anderem vom Obengenannten Interreligiösen Rat Sierra Leones, vom IKRK, dem nigerianischen und dem britischen Hochkommissar und dem US-Botschafter. nach diesem Muster fanden auch die folgenden Friedensgespräche statt.
Welche wichtige Funktion das IKRK spielen kann, wurde deutlich, als der Sonderbotschafter der Vereinten Nationen für Sierra Leone sich an das IKRK wandte und darum bat, dass es bei den Friedensbemühungen eine Schlüsselrolle übernehmen möge. Das führte schließlich zum Lomé-Abkommen und weiteren Friedensvereinbarungen. Heute ist das IKRK in Sierra Leone vor allem in Programmen der Menschenrechtsausbildung, Entwaffnung, Versöhnung, Nothilfe und Rehabilitation engagiert.
Weil alle gleichermaßen vom Kriegstrauma betroffen sind und ein gemeinsames Ziel, nämlich dauerhaften Frieden, anstreben, haben die NGOs in Sierra Leone quer durch das ganze Spektrum ihre Streitereien untereinander und ihre Anlehnung an bestimmte politischen Richtungen abgelegt, die früher charakteristisch für sie waren. Vor dem Hintergrund dieses Willens zur Einheit besteht die Hoffnung, dass der Friedensprozess nicht aus dem Gleis gerät.
DiamantenGlänzende KriegskasseNoch immer hält der Disput zwischen der Diamantenindustrie und Menschenrechtsorganisationen über Diamanten aus Kriegsgebieten - die letztere Blutdiamanten nennen - an (siehe "der überblick" 2/1999). Während die Industrie behauptet, dass Diamanten aus Kriegsgebieten nur 4 Prozent des Weltumsatzes ausmachen, schätzen die Menschenrechtsorganisationen, dass es bis zu 10 Prozent sind.Die NGO Global Witness hat in den vergangenen drei Jahren Beweise erbracht, dass von Rebellengruppen in Sierra Leone, Angola, Liberia und der Demokratischen Republik Kongo geschürfte und vermarktete "Blutdiamanten" entscheidend zur Finanzierung von Kriegen und zum Scheitern von Friedensabkommen beigetragen haben. Die Kampagne der NGOs konnte erreichen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 6. Juli 2000 ein weltweites Verbot des Handels mit Diamanten aus Sierra Leone verhängte, um die Haupteinnahmequelle der Rebellen der Revolutionären Vereinigten Front (RUF), die damals rund 90 Prozent der Diamantenschürfgebiete Sierra Leones kontrollierten, auszutrocknen. Die NGOs wollen ein weltweit kontrolliertes Zertifizierungssystem durchsetzen, das Diamantenkäufern garantieren kann, dass von ihnen gekaufte Diamanten nicht den Krieg etwa in Sierra Leone oder Angola finanziert haben. Bis dahin ist noch ein langer Weg. Ein im Dezember 2000 veröffentlichter Bericht der NGO Partnership Africa Canada (PAC) kritisiert, dass auf dem Diamantenmarkt in Antwerpen, Belgien, immer noch viele Diamanten von Händlern aus Liberia und anderen Ländern verkauft worden seien, die eindeutig aus Sierra Leone geschmuggelt worden seien. In Sierra Leone widmen sich lokale NGOs wie Sierra Leone Indigenous Miners' Movement und Task Force On Campaign For Just Mining in Sierra Leone dem Thema. Letztere sammelt Daten und Informationen im Osten und Süden des Landes, um darzustellen, welche Auswirkungen das Schürfen von Diamanten auf die betroffenen Gemeinden hat. Eine Fallstudie der Task Force aus dem ersten Quartal 2001 zeigt, dass die befragten Einwohner nichts über die Politik zum Diamantenabbau wussten. In dem Papier fordert die Organisation, dass die Bewohner von Regionen, in denen Diamanten abgebaut werden, an der Formulierung und Umsetzung einer Politik des Diamantenabbaus beteiligt werden, weil das für ihre Umwelt und für ihr Õberleben von entscheidender Bedeutung sei. Claudia Anthony |
aus: der überblick 03/2001, Seite 53
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Claudia Anthony:
Claudia Anthony hat Völkerrecht in Russland und der Ukraine studiert, wo sie im Sommer 2001 wieder als Gastdozentin lehrte. In Freetown gab sie - zeitweise im Untergrund lebend - drei Zeitungen heraus und arbeitete als Reporterin für die BBC. Für ihre Arbeit erhielt Claudia Anthony den "Human Rights Watch Hellmann-Hammett Journalism 2000 Award".