Interview mit dem Leiter der Fachstelle Ferntourismus
Heinz Fuchs (45) ist Leiter der Fachstelle Ferntourismus ("Tourism Watch") des Evangelischen Entwicklungsdienstes EED. Er nahm Ende Februar an der Konferenz "Mission Perspective in Tourism" teil, die die Ecumenical Coalition on Third World Tourism (ECTWT) in Penang in Malaysia veranstaltete.
von Ilse Preiss
Herr Fuchs, was ist ECTWT?
Die Coalition, wie wir sie nennen, ist eine internationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Hongkong. Sie strebt an, ein weltweites Netzwerk vor allem kirchlicher und kirchennaher Organisationen zu werden, die sich kritisch mit dem Tourismus und seinen Auswirkungen auseinandersetzen. Die Coalition besteht seit 1982. Sie hat unter anderem wesentlich zur Gründung von ECPAT beigetragen, der internationalen Bewegung gegen Kinderprostitution. Die Coalition wird finanziell beispielsweise vom Evangelischen Missionswerk EMW und vom Lutherischen Weltbund LWB unterstützt. Tourism Watch ist Partner der Coalition und berät zudem deren Programmkommission. Die Bezeichnung "ecumenical" ist übrigens im breitesten Sinn zu verstehen: An der Konferenz in Penang nahmen nicht nur Protestanten und Katholiken aller Couleur teil, sondern auch Buddhisten und Hindus.
Was war das Ziel der Konferenz?
Wir haben uns die Frage gestellt, was zu Beginn des dritten Jahrtausends aus kirchlicher Sicht zur Entwicklung des Tourismus gesagt werden muss. Immerhin ist der Tourismus mittlerweile zu einer der größten Industrien weltweit gewachsen. Er ist global strukturiert und funktioniert - wie jeder andere Wirtschaftszweig - nach dem alles dominierenden Prinzip der Gewinnmaximierung. Das hat in den letzten Jahren unter anderem einen enormen Konzentrationsprozess auf der Anbieterseite in Gang gesetzt, der häufig zulasten der so genannten "Bereisten" geht, also der Menschen in den Zielländern. Aber auch viele andere aktuelle Probleme hängen eng mit dem Tourismus zusammen. Ich denke da beispielsweise an den Umgang mit der Umwelt im Allgemeinen und mit der natürlichen Ressource Wasser im Besonderen, an die Rechte indigener Völker oder an das Thema Aids. Es ist deshalb an der Zeit, sich erneut zu fragen, inwieweit Tourismus zu mehr Frieden, Gerechtigkeit und zur Bewahrung der Schöpfung beitragen kann.
Welche Antwort hat die Konferenz auf diese Frage gefunden?
Wir wollen einen Tourismus, der weniger sozialen und ökologischen Schaden anrichtet, der mehr kulturellen Austausch ermöglicht und mehr zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Wir waren uns einig in Penang, dass der 1999 von der World Tourism Organisation (WTO) verabschiedete "Global Code of Ethics for Tourism" ein erster, wenn auch noch zaghafter Schritt zu einem humaneren Verständnis von Tourismus ist. Aber: Der Code ist zu allgemein gehalten, er enthält keine Umsetzungsinitiativen. Daran muss intensiv gearbeitet werden - und zwar unserer Meinung nach in einem umfassenden Dialog mit allen Betroffenen. Das Ziel muss ein sozial verantwortbarer Tourismus sein - und gerade die Kirchen sind aufgerufen, hier ihren Einfluss in die Waagschale zu werfen.
Weshalb die Konferenz einen Offenen Brief erarbeitet hat...
... der zunächst an alle kirchlichen Organisationen weltweit adressiert ist. Gerade als kirchliche Vertreter können wir es nicht dabei belassen, uns einfach nur die makroökonomischen Daten des Massentourismus vorsetzen zu lassen. Ein Kollege hat es in Penang so formuliert: Massentourismus hat immer eine reiche und eine arme Seite - aber keine von ihnen kann mehr regional zugeordnet werden. Überall, auch bei uns in Europa, zeigt der Tourismus beide Gesichter. Mit dem Offenen Brief will die Konferenz die Kirchen weltweit für das Thema Tourismus sensibilisieren. Wir denken, seine Effekte sollten in der sozialdiakonischen Arbeit stärker wahrgenommen werden - so wie das bei anderen Industrien ja auch der Fall ist. Darüber hinaus hoffen wir, mit dem Offenen Brief eine Diskussion darüber anzustoßen, welche Instrumente die Kirchen als weltweit vertretene Organisationen nutzen können, um mehr Einfluss auf die Entwicklungen im Tourismus nehmen zu können. Konkret geht es dabei um eine bessere Lobby- und Advocacy-Arbeit auf internationaler Ebene.
Die sich dann aber auch, wie es im Brief heißt, in umfassenden öffentlichen Debatten über die Ziele von Tourismus auf lokaler und regionaler Ebene niederschlagen soll?
Genau. Die Bevölkerung vor Ort muss in die Entscheidungen einbezogen werden. Nicht nur einige wenige Privilegierte, sondern möglichst viele Menschen müssen die Chance bekommen, von den - durchaus vorhandenen - positiven Effekten des Tourismus zu profitieren, etwa indem bessere Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen oder soziale Missstände beseitigt werden. Die Konferenz hat Kriterien für einen "akzeptablen" Tourismus definiert. Gleichzeitig haben wir übrigens den Modebegriff des "nachhaltigen Tourismus" differenziert: Tourismus an sich, haben wir nach intensivem Erfahrungsaustausch festgehalten, wird kaum nachhaltig sein können. Seine Rolle kann es im Idealfall nur sein, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten.
Was werden die nächsten Schritte der Coalition sein?
Wir haben uns vorgenommen, die Diskussion in den nächsten Jahren auf konkrete Themen zuzuspitzen. Das wollen wir bereits über die Auswahl der Tagungsorte deutlich machen. 2002, im "Jahr des Ökotourismus", soll es eine internationale Konferenz in Westafrika geben, bei der das Thema Ökotourismus speziell für Afrika unter die Lupe genommen wird. Weitere Konferenzen im Mittleren Osten und im lateinamerikanisch-karibischen Raum sind angedacht.
aus: der überblick 01/2001, Seite 146
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Ilse Preiss:
Ilse Preiss ist freie Journalistin.