Einwanderer sind ein letzter Hort staatlicher Diskriminierung
Internationale Freizügigkeit für Arbeitskräfte brächte weit mehr Nutzen als Schaden. Aber wenn es um "Einwanderung für alle" geht, bekommen selbst hartgesottene Liberale weiche Knie. Als Ergänzung zur Welthandelsordnung sollte jedoch ein Allgemeines Abkommen über die Migration von Menschen (GAMP) verabschiedet werden.
von Thomas Straubhaar
Längst hat sich zunächst in der Wirtschaftstheorie, dann auch in der wirtschaftlichen Praxis die Erkenntnis durchgesetzt, dass Offenheit der Märkte und Freihandel die Grundlage sind für eine effiziente Arbeitsteilung. Höheres Wachstum und mehr Wohlstand sind die Folge. Das inzwischen in die Welthandelsorganisation (WTO) integrierte Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) sowie das Allgemeine Abkommen über den Handel von Gütern und Dienstleistungen (GATS) stehen für einen offenen Zugang zu den Güter-und Dienstleistungsmärkten dieser Welt. Im internationalen Geld-und Kapitalverkehr sorgen die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank für globale Spielregeln für globale Spieler.
Was aber ist mit den Märkten für Direktinvestitionen im Ausland und den Arbeitsmärkten? Hier klafft eine Lücke, die weder von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) noch von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gefüllt wird. Zwar hat der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Charles Kindleberger bereits im Jahr 1984 ein "GATT for International Direct Investment" als wichtige Ergänzung zur bestehenden Welthandelsordnung gefordert. Es wurde aber ebenso wenig realisiert wie verschiedene Anläufe von Jagdish Baghwati, Professor an der amerikanischen Columbia University, auch für die grenzüberschreitende Migration ein internationales Abkommen (vor allem mit Blick auf Steuerfragen) zu schaffen.
Während die Globalisierung zu einer immer engeren weltweiten Vernetzung wirtschaftlicher Aktivitäten aller Art führt und die Grenzen zwischen In-und Ausland zusehends verschwimmen, bleibt die Migrationspolitik ein letzter Hort nationaler (Diskriminierungs-)Politik. Ein "GAMP" - ein General Agreement on Movements of People, also ein internationales Abkommen zur Migration - ist noch nicht einmal in Sicht.
Wenn es um "Einwanderung für alle" geht, bekommen selbst hartgesottene Liberale weiche Knie. Hier scheinen auch im Internetzeitalter noch immer alte merkantilistische Reflexe vorzuherrschen. Dabei wird ganz besonders für die Migration - ebenso wie im Güter-oder Dienstleistungshandel - eine internationale Zusammenarbeit von Herkunfts-und Zielländern unabdingbar sein, damit auch Arbeitskräfte den Vorteil offener Märkte optimal ausnutzen können.
Aus diesem Grunde fordere ich ein "GAMP" als Ergänzung zur WTO und zum GATS. Ein solches Abkommen soll die supranationale Plattform schaffen für so viel internationale Migration wie möglich (um ökonomische Effizienzziele zu erreichen) und so wenig nationale Beschränkungen wie notwendig (um nachteilige indirekte Folgen der Migration zu verhindern).
GAMP soll von der Überzeugung geleitet sein, dass die internationale Freizügigkeit für Arbeitskräfte genauso vorteilhaft ist wie der weltweite Freihandel für Güter. Allerdings können mit der Migration schädliche indirekte Effekte in der Aufnahmegesellschaft in Form von Ballungsräumen und Verdrängung entstehen - und im Herkunftsland in Form von Brain-Drain-Verlusten durch die Auswanderung Hochqualifizierter. Damit solche negativen Auswirkungen der Migration in die Bilanz von Gewinn und Verlust mit eingehen, müsste GAMP für eine konsequente Durchsetzung des so genannten Herkunftslandprinzips sorgen, wozu auch eine zweckgebundene Migrationsabgabe gehört.
Normalerweise überwiegen die Gewinne. Entgegen der verbreiteten Furcht, dass Einwanderer die Arbeitslosigkeit erhöhen, ist in der Regel die Zuwanderung nicht die Ursache der mit dem Strukturwandel oder einem schleppenden Konjunkturverlauf zusammenhängenden Probleme. Oft ist sogar das Gegenteil richtig: Gerade Zuwanderung kann helfen, Anpassungsprobleme zu lösen. So ist beispielsweise Zuwanderung von außen vielfach lediglich ein Beleg für eine fehlende berufliche und räumliche Mobilität im Inneren. Dank der Zuwanderung mobiler und flexibler ausländischer Arbeitskräfte können sich nämlich die Einheimischen den Luxus der eigenen Immobilität und Inflexibilität überhaupt erst leisten. Zuwanderung wird dann zum Schmieröl für den volkswirtschaftlichen Strukturwandel.
Damit GAMP nicht zu einer unkontrollierbaren Massenmigration führt, die von nicht-wirtschaftlichen Ursachen ausgelöst wird, müsste solch ein Abkommen allerdings durch Elemente einer migrationshemmenden Friedens-und Sicherheitspolitik flankiert werden, die die so genannte institutionelle Stabilität fördern, wozu auch gut funktionierende Rechtssysteme mit gesicherten Individual-und Eigentumsrechten gehören.
Dennoch muss niemand befürchten, dass mit solch einem Abkommen die Welt zum Wanderzirkus wird. Auch im 21. Jahrhundert wird - gemessen an der gesamten Weltbevölkerung - nur eine unbedeutende Anzahl von Menschen über weite Entfernungen hinweg migrieren, weil die meisten Menschen ihrem Kulturkreis verhaftet bleiben. Der Mobilitätsdrang wird bei den meisten durch Fernreisen im Urlaub voll befriedigt. Und Osteuropa wird in absehbarer Zeit sogar selbst zur Einwanderungsregion. Nur eine relativ unbedeutende Zahl von Einwanderern aus Asien wird Osteuropa als Transitregion auf dem Weg nach Westeuropa nutzen. In Südeuropa ist allerdings mit mehr Einwanderung aus Afrika zu rechnen.
Ein weltweites Netz moderner audio-visueller Kommunikationstechniken wird sogar zu einem Rückgang dauerhafter Auswanderung führen. Denn mit Hilfe dieser Technik werden manche Arbeitskräfte ihre Fähigkeiten in anderen Teilen der Welt einsetzen und dadurch mehr verdienen können, ohne ihren Wohnsitz verlassen zu müssen. Statt für immer auszuwandern, können sie sich auf gelegentliche Geschäftsreisen beschränken. Das wird den Austausch zwischen den Kulturen und damit die Produktivität in vielen Ländern noch mehr beflügeln als eine Auswanderung für immer.
So wären mit Hilfe von GAMP marktwirtschaftlich dezentrale Entscheidungen möglich, die zu einem Einsatz von Investitionen und Arbeitskräften an den Orten führen, wo sie den größten Gesamtnutzen erbringen.
aus: der überblick 03/2002, Seite 71
AUTOR(EN):
Thomas Straubhaar:
Professor Dr. Thomas Straubhaar ist Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA).