Geh' mit Gott
Etwa 175 Millionen Menschen leben fern der Heimat. Sie haben mit Hab und Gut, Erinnerungen, Traditionen und der Religion im Gepäck ihr Herkunftsland verlassen - etwa ein Drittel von ihnen stammt aus Afrika. Oft ist es die Religion, die den Auswanderern hilft, in der neuen Umgebung Halt zu finden, ihre Identität zu bewahren und die Verbindungen zu ihrer Heimat. Selbst diejenigen, die dort ihre Religion kaum noch praktizierten, halten häufig an ihren religiösen Traditionen fest oder beleben sie neu. Sie prägen die religiösen Gemeinschaften des neuen Gastlandes oder gründen nach dem Vorbild ihrer Heimatgemeinde eigene religiöse Zirkel. Migranten werden zu Missionaren.
von Jehu J. Hanciles
Keine der anderen Weltreligionen hat sich so stark ausgebreitet und so große Kräfte für die Mission mobilisiert wie das Christentum. Es verwundert etwas, dass die so wichtige Rolle, die Migration bei diesem Prozess gespielt hat, in historischen Berichten nicht mehr Beachtung gefunden hat. Migration war und ist ein wichtiger Faktor bei der globalen Ausbreitung der Weltreligionen, insbesondere des Islam und des Christentums.
Zweifellos haben sich durch die zunehmende wirtschaftliche Kluft zwischen den Industrienationen des Nordens und den Entwicklungsländern des Südens die ersteren in einen Magneten für Wanderungsbewegung verwandelt (vergl. “der überblick” 3/2002). Das hat tiefgreifende Auswirkungen für die Herkunftsländer - wie (im Negativen) der häufig beklagte brain drain (die Abwanderung von Fach- und Führungskräften) oder (im Positiven) die Gelder, die Auswanderer nach Hause schicken. Diese Rücküberweisungen sind inzwischen für viele Entwicklungsländer eine weitaus wichtigere Einnahmequelle als Auslandshilfe. Zudem bewegen sich diese Menschen - “transnationale Migranten” oder “Transmigranten” - zwischen den Kulturen und tragen dazu bei, die Geschicke von weit voneinander entfernten Gemeinschaften miteinander zu verbinden.
Den engen Zusammenhang von Migration und Religion in der Geschichte des Christentums hat der Religionswissenschaftler und ehemalige methodistische Missionar Andrew Walls faszinierend beschrieben. Er weist darauf hin, dass das Alte Testament Beispiele für jede bekannte Form der Migration enthält - das 1. Buch Mose hätte auch das “Buch der Migrationen” genannt werden können.
Walls Analyse zufolge enthält die Bibel zwei unterschiedliche Migrationsmodelle: das “adamische” Modell, das Katastrophe, Entbehrung und Verlust bedeutet, und das “abrahamische” Modell, das ein Entweichen in eine erheblich bessere Zukunft bedeutet. Weil diese beiden Modelle einander häufig überschnitten, sei es schwierig, eine direkte Antwort auf die Frage zu finden, ob die Migrationsbewegung die Ausbreitung des Christentums fördere oder nicht. Aus historischer Sicht seien Migrationsbewegungen ursächliche Faktoren sowohl bei der Ausbreitung als auch beim Niedergang des Christentums gewesen.
Hier soll jedoch der Zusammenhang zwischen der Migrationsbewegung von Christen und der Ausbreitung des christlichen Glaubens im Mittelpunkt stehen. Die zentrale These lautet, dass das Christentum eine Wanderreligion ist, und dass Migrationsbewegungen bei seiner Ausbreitung eine wichtige Rolle gespielt haben. Jeder Missionar ist in gewissem Sinne ein Emigrant, worauf Walls zu Recht hinweist. Noch wichtiger ist, dass jeder christliche Emigrant ein potenzieller Missionar ist.
Ein Beleg für diese These ist, dass das große Jahrhundert der westlichen Missionsbewegung (in etwa von 1815 bis 1914) auch das große Jahrhundert der Migration war. Bis zu 60 Millionen Europäer sind nach Amerika, nach Ozeanien, nach Ost- und ins südliche Afrika ausgewandert. Die bemerkenswerteste Migration der Menschheit fiel mit der größten Ausbreitung des Christentums zusammen und gipfelte in einer epochalen Umgestaltung des globalen Christentums.
Diese Ausbreitung des Christentums vom Westen aus hatte eine starke und dauerhafte Auswirkung auf nichtwestliche Gesellschaften. Doch die Formen des Christentums, die heute in der nichtwestlichen Welt vorherrschen, sind weitgehend geprägt von traditionellen Vorstellungen und kontext- und situationsbezogenen Faktoren. Das ist deshalb wichtig, weil heute mehr als zwei Drittel aller Christen auf der Welt auf den südlichen Kontinenten leben.
Das phänomenale Wachstum des Christentums in den südlichen Teilen der Erde - Afrika, Pazifik, Lateinamerika und in Teilen Asiens -, das mit einem spektakulären Niedergang des Glaubens in den vorherigen Kerngebieten des Christentums im Westen im 20. Jahrhundert zusammenfällt, hat das verbreitete Argument widerlegt, dass das Christentum eine Religion des Westens sei. Das Christentum ist zu einer nichtwestlichen Religion geworden (vergl. “der überblick” 3/2003). Wie Philip Jenkins in seinem viel gelobten Buch erklärt: “Wenn wir uns einen ‘typischen Christen’ von heute vorstellen wollen, dann sollten wir an eine Frau in einem Dorf in Nigeria oder in einem brasilianischen Slum denken.”
Diese Verlagerung ist vielleicht nirgends so drastisch wie in Afrika, wo die Kirchen schneller wachsen als in jedem anderen Teil der Welt. Das ist weitgehend auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Doch ist bemerkenswert, dass die Zahl und der prozentuale Anteil der Christen in Afrika unaufhaltsam steigen: Im Jahr 1900 gab es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent mit ungefähr 107 Millionen Menschen gerade einmal 10 Millionen Christen - etwa neun Prozent der Bevölkerung. Im Jahr 2000 waren es 45 Prozent: etwa 360 Millionen Christen von fast 800 Millionen Afrikanern. Hochgerechnet nach dem derzeitigen Trend nimmt die Anzahl der afrikanischen Christen um 23.000 Menschen am Tag zu, im Jahr also um 8,4 Millionen.
Bezeichnenderweise ist Afrika nicht nur die Region mit dem stärksten Kirchenwachstum, sondern gleichzeitig auch bedeutendes Zentrum für Migranten- und Flüchtlingsströme. Außerdem ist es Ausgangsgebiet für Auswanderer in andere Kontinente - nicht nur nach Westeuropa, sondern auch nach Nordamerika und in den Nahen Osten. Diese Bewegung von den neuen Kerngebieten des Christentums zu den alten Zentren, wo der christliche Glaube eine dramatische Aushöhlung und Marginalisierung erfährt, hat erhebliche Auswirkungen auf das weltweite christliche Zeugnis.
Die Migration von Süd nach Nord folgt häufig dem Weg aus ehemaligen Kolonien in die Zentren der ehemaligen Kolonialmächte. In Großbritannien, dem europäischen Land, wo das moderne afrikanische Christentum zuerst Fuß gefasst hat, geht die Gründung von Afrikanischen Immigrantenkirchen (AICs) auf den Beginn der zwanziger Jahre zurück. Seit den sechziger Jahren hat sich dieser Prozess beschleunigt. Einer Schätzung der holländischen Religionswissenschaftlerin Gerrie ter Haar zufolge gibt es inzwischen 3000 Gemeinden in diesen Kirchen. Afrikanische Immigrantenkirchen breiten sich in ganz Europa in beispiellosem Tempo aus. Es soll über drei Millionen afrikanische Christen geben.
Seit den achtziger Jahren hat auch die afrikanische Migration nach Europa drastisch zugenommen, da Afrika infolge der eskalierenden Konflikte und Krisen einen ständigen Strom von Wirtschaftsflüchtlingen und Asylsuchenden erzeugt. In die Vereinigten Staaten wandern Afrikaner erst in jüngerer Zeit in größerer Zahl aus, doch auch hier nimmt ihre Anzahl ständig zu - von einem Prozent aller legal zugelassenen Immigranten in den sechziger Jahren auf drei Prozent in den neunziger Jahren. Die Nigerianer stellen dabei die größte Gruppe.
Bei dieser praktisch nicht aufzuhaltenden Bewegung von Süd nach Nord stellt Andrew Walls sowohl das “adamische” als auch das “abrahamische” Modell fest. Bei afrikanischen Auswanderern überschneiden sich diese beiden Modelle jedoch häufig. Die allgemeine Unterscheidung zwischen Migranten (Personen, die aus freien Stücken und überwiegend aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen in ein anderes Land ziehen) und Flüchtlingen (Personen, die gezwungen sind, ihr Land überwiegend aus politischen Gründen zu verlassen) ist fragwürdig. Die Koordinatorin für Diakonie und Solidarität beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), Dr. Elizabeth Ferris, meint zu Recht, dass “die Strukturen der Süd-Nord-Migration deutlich erkennen lassen, dass die meisten Menschen ihre Heimat nicht deshalb verlassen, weil sie eine bessere Arbeit suchen, sondern weil sie zu Hause einfach nicht mehr überleben können”.
Zwei grundlegende und miteinander zusammenhängende Formen des missionarischen Engagements sind in der afrikanischen christlichen Bewegung festzustellen. Die erste lässt sich als “abrahamisch” bezeichnen, weil sie die prekäre Lage und die Verheißung verkörpert und auf eine spontane Bewegung - in der Regel von Einzelnen - hinweist. Die zweite Form kann man als “mazedonisch” beschreiben. Diese Form geht auf den Bericht in der Bibel zurück (Apostelgeschichte 16,9-10), dem zufolge Paulus eine Erscheinung sah, in der er einen eindringlichen Ruf eines Mannes aus Mazedonien erhielt: “Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.” Es verkörpert geplante oder strukturierte offizielle Initiativen oder Reaktionen, in der Regel von Institutionen, die in der Überzeugung handeln, dass Gott sie aufgerufen hat, das Evangelium an einem bestimmten Ort zu verkünden.
Informelle (überwiegend individuelle) Initiativen sind am meisten verbreitet und am schwersten nachzuverfolgen. Dazu gehören einzelne afrikanische christliche Einwanderer, die keine für sie sinnstiftende christliche Gemeinschaft oder kein passendes Predigtamt in westlichen Kirchen finden können. Deshalb halten sie mit anderen Afrikanern Bibelarbeiten oder Andachten in ihren Privatwohnungen ab. Häufig wachsen solche Gruppen zu lebendigen multikulturellen gottesdienstlichen Gemeinschaften oder Kirchen. Die früheste bekannte afrikanische Initiative dieser Art war die Gründung der African Churches Mission (Afrikanischen Kirchenmission) in Liverpool durch Daniel Ekarte (von der Schottischen Mission in Calabar, Nigeria) im Jahre 1922. Seither hat es unzählige weitere gegeben.
Das spektakulärste Beispiel ist vielleicht das des jungen nigerianischen Pastors Sunday Adelaja, der sein Heimatland im Jahre 1986 (im Alter von etwa 20 Jahren) verließ, um in der damaligen Sowjetunion Journalistik zu studieren. In Weißrussland (Belarus) schloss sich Adelaja einer Untergrundkirche an und begann mit einem aktiven christlichen Verkündigungsdienst, der sich nach dem Ende des Kommunismus noch verstärkte. Er überstand mehrere Zusammenstöße mit Mitarbeitern des sowjetischen Geheimdienstes KGB, bis er nach seiner offiziellen Ausweisung aus Weißrussland ein neues Leben und einen neuen Verkündigungsdienst in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, aufbaute. Dort initiierte er im November 1993 in seiner Wohnung mit sieben Personen eine Bibelarbeitsgruppe. Innerhalb von drei Monaten und mit nur 49 Mitgliedern registrierte er diese Gruppe als eine Kirche, die später den Namen Embassy of the Blessed Kingdom of God for All Nations (Botschaft des Gesegneten Königreichs Gottes für alle Nationen) annahm.
Von Anfang an war es Adelajas Absicht, eine Missionskirche zu schaffen. Der Internetseite seiner Kirche zufolge lautete Gottes Botschaft an ihn: “Missionare in die Welt auszusenden, vor allem nach China und in die arabischen Länder.” Trotz Konflikten mit ukrainischen Behörden, die mehrere Versuche unternahmen, Adelaja auszuweisen und die Schließung der Kirche gerichtlich zu erzwingen, wuchs sie in den letzten zehn Jahren stark an. Im Jahre 2002 hatte sie (nach eigenen Angaben) 20.000 Mitglieder, was sie zur größten Afrikanischen Immigrantenkirche in Europa macht. Ferner gründete sie über 200 Gemeinden außerhalb der Ukraine in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, den Vereinigten Staaten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel, Deutschland und den Niederlanden. Die Kirche ist in etlichen Medien präsent und auch im sozialen Bereich sehr aktiv (etwa durch Suppenküchen und Drogenrehabilitationszentren) und aus Kiew kaum noch wegzudenken. Angeblich sind durch ihre Verkündigungsarbeit über eine Million Ukrainer zum Christentum bekehrt worden.
Die meisten Afrikanischen Immigrantenkirchen in Europa und Nordamerika sind dem “abrahamischen” Modell zuzurechnen. Sie entstehen dank der Aktivitäten von Einzelnen, in der Regel Studenten oder Personen, die aus beruflichen Gründen längere Zeit in einem anderen Land leben. Gerrie ter Haar meint dazu: “Viele afrikanische Christen, die in letzter Zeit nach Europa emigriert sind, meistens auf der Suche nach Arbeit, glauben, dass Gott ihnen eine einzigartige Gelegenheit geboten hat, die frohe Botschaft unter denen zu verbreiten, die vom rechten Wege abgekommen sind.” Bei afrikanischen Christen und Kirchen besteht das verbreitete Bewusstsein, dass sie dem materiell wohlhabenden postchristlichen Westen im spirituellen Bereich viel zu bieten haben.
Doch nicht alle afrikanischen Migranten schaffen eigene Gebetsräume. Viele Tausende werden Mitglieder oder Prediger von seit langem bestehenden Denominationen und Kirchen, in denen ihre Präsenz oder ihr Beitrag einen Einfluss auf die Form des Gottesdienstes und christlichen Bekenntnisses hat oder auf andere sinnvolle Weise zur geistlichen Erneuerung beiträgt. So und auf zahlreichen anderen Wegen sind afrikanische Migranten Träger von Veränderungen im westlichen Christentum, wie immer Gelehrte ihr Wirken auch beurteilen mögen.
Es gibt aber noch eine zweite Form, der die Afrikanischen Immigrantenkirchen in Europa und Nordamerika folgen können: Zu der “mazedonischen” Form des (interkontinentalen) afrikanischen missionarischen Engagements gehören offizielle Initiativen von Kirchen oder kirchenbezogene Verkündigungsarbeit, die einen missionarischen Bedarf decken sollen.
Allerdings sind beide Missionsformen eng miteinander verbunden: Die Migration von einzelnen Mitgliedern gibt den ursprünglichen Anstoß für die internationale Missionsarbeit von afrikanischen Kirchen und den Verkündigungsdienst innerhalb Afrikas und über Afrika hinaus.
Offizielle (kirchliche) Initiativen werden in der Regel durch spontane Bewegungen ausgelöst oder hängen von diesen ab. Dabei handelt es sich fast stets um Pfingstkirchen oder charismatische Kirchen (im Gegensatz zu den aus der westlichen Mission hervorgegangenen Denominationen). Wenn Denominationen der “Hauptströmungen” wie die Ägyptische Orthodoxe Kirche im Westen Kirchen gründen, dann geht es ihnen meist in erster Linie nicht um Ausbreitung, sondern um Selbsterhaltung. Für andere wie die Anglikaner oder die Methodisten sind vor allem “Partnerschaften” von Bedeutung, die sich auf Wechselbeziehungen zwischen den ordinierten Führungskräften beschränken.
Ein erheblicher Teil der Mitglieder, der in den siebziger Jahren entstandenen afrikanischen Pfingstkirchen und charismatischen Bewegungen (darunter etliche ältere traditionelle Pfingstkirchen, die sich neu konstituiert haben) stammen aus der Bildungsschicht, sind Jugendliche und aus gesellschaftlich aufsteigenden Gruppen - die Art von Menschen, die am ehesten emigrieren.
Obwohl behauptet wird, dass die Pfingstkirchen im Wesentlichen Satelliten (als Empfänger und als Verbreiter) der amerikanischen christlichen fundamentalistischen Gemeinden sind, sind die meisten in ihrer Führungsstruktur, Verkündigung, Theologie und Gottesdienstform entschieden und eindeutig afrikanisch. Klar im Vordergrund steht für die meisten von ihnen der persönliche Glaube und die Macht des Evangeliums, den Einzelnen nicht nur zu erlösen, sondern auch zu heilen, zu befreien, gedeihen zu lassen und die gesellschaftspolitische Ordnung umzugestalten. Sie verwenden bei ihrer Verkündigungsarbeit bewusst die Instrumente des modernen Lebens (darunter Neue Medien und Internet) und sind gegenüber globalen Strömungen oder Netzwerken sehr offen. Die Begabtesten unter ihren Führungskräften weiten ihr Predigtamt stets auf die internationale Ebene aus und betrachten die Evangelisierung des Westens als ihre spezifische Aufgabe.
Eine solche Bewegung ist die in Ghana angesiedelte Church of Pentecost (Pfingstkirche), die größte protestantische Kirche in Ghana. Diese Kirche ist modern in ihrer Arbeitsweise, ohne sich völlig von ihren Wurzeln zu lösen; sie ist in der ganzen Welt zu finden. Ihr Missionseifer geht nicht zuletzt auf die achtziger Jahre zurück, als Ghanas massiver wirtschaftlicher Zusammenbruch viele Menschen zur Auswanderung veranlasste. Die emigrierten Mitglieder sind sehr missionsbewusst - einfache Mitglieder werden in der Nachfolge und im effektiven Verkündigungsdienst unterwiesen - und haben rasch Bibelarbeitsgruppen und Gemeinden in westlichen Städten gegründet. Meist folgten die dorthin emigrierten Mitglieder einem Ruf.
Mit Missionen in 47 Ländern (19 außerhalb Afrikas) steht die ghanaische Pfingstkirche an der Spitze einer der dynamischsten Missionsbewegungen aus Afrika und in Afrika. Neben seelsorgerlichen Diensten für die Gemeinden, die von ihren Kirchenmitgliedern im Westen gegründet wurden, hat die Kirche offiziell Missionare nach Australien, Südamerika, Asien und in den Fernen Osten entsandt. Der Missionar der Church of Pentecost für Australien, Kwesi Ansah, wurde zur Jahreswende 1998/99 mit einem einfachen Auftrag ausgesandt: sich ein Bild zu verschaffen und die Kirche zu etablieren. Innerhalb von wenigen Monaten und mehreren Aufenthalten gelang es dem Missionar, die zwei bereits bestehenden Gemeinden in Sydney und Melbourne zu versöhnen und der Church of Pentecost den Weg zu bahnen. Zwei Jahre später gab es in Australien sieben Pfingstkirchen, die Hauptkirche in Sydney hat etwa 160 Anhänger.
Wie im Fall der vorausgegangenen westlichen Missionsbewegung sind evangelikale Überzeugungen von entscheidender Bedeutung für das Selbstverständnis dieser nichtwestlichen Missionsbewegung. Diese entwickelt sich wie ihre Vorgängerin zu einer komplexen und vielfältigen Bewegung mit vielen Zentren, die von globalen Kräften des Wandels gestaltet wird und zu ihnen beiträgt. Wie viel Neuland diese noch rudimentäre nichtwestliche Missionsbewegung in ihrer Vision, ihren Strategien und sogar ihrer Auswahl der Schrifttexte (die ihre Überzeugungen wiedergeben) erschließen wird, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch schon recht deutlich, dass sie sich in ihren Strategien, Methoden und Strukturen (oder deren Mangel) deutlich von der ihr vorausgegangenen westlichen Missionsbewegung unterscheidet. In mehreren Bereichen werden klare Unterschiede erkennbar.
Die Faktoren und Überlegungen, die für die westliche Missionsbewegung bestimmend waren - darunter die Idee einer christlichen Welt, Imperialismus, politische und wirtschaftliche Vorherrschaft und technische Überlegenheit - fehlen in der neuen Bewegung völlig. Während die westliche Bewegung vom Denken der Aufklärung und vom Konstrukt einer christlichen Welt geformt wurde, bilden die Erinnerung an das koloniale Erbe und ein stark spirituelles Weltbild die bestimmenden Elemente der nichtwestlichen Mission. Ferner entwickeln viele afrikanische christliche Führungskräfte theologische (und missiologische) Einsichten, die von der afrikanischen Erfahrung geprägt und vom westlichen Denken kaum beeinflusst sind.
Das für die westliche Missionsbewegung so zentrale Konstrukt einer “christlichen Welt” verstand den christlichen Glauben territorial und förderte ein Verständnis der christlichen Mission, bei dem die Welt (territorial oder geographisch) in Kirche und “Missionsgebiet” geteilt ist. Bei dieser Konzeption flossen Hilfsmittel und Ideen nur in einer Richtung, wobei der Westen der Entsender und der Nichtwesten der Empfänger war. Den neuen Vorstellungen nach ist jedoch jedes Land Entsender wie Empfänger von Missionaren. Afrikanische Christen sehen die ganze Welt (einschließlich Afrika selbst) als Missionsgebiet.
Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass die afrikanische Migranten-Missionsbewegung aufgrund ihrer relativen wirtschaftlichen Armut von Strukturen der Herrschaft oder Kontrolle und von der politischen Macht ausgeschlossen ist, so dass eine Anpassung (nicht als völlige Assimilierung zu verstehen) an die Kultur des gastgebenden Landes erforderlich ist. Das fördert zwangsläufig Formen der rascheren Heimischwerdung. Afrikanische Einwandererkirchen - zumindest die im Westen - müssen sich von Anfang an selbst finanzieren, und manche schicken sogar Geld an ihre Heimatkirchen.
Auch in der Organisationsstruktur unterscheidet sie sich kaum von der alten westlichen Missionsbewegung. Die afrikanische Bewegung exemplifiziert weit stärker Missionsformen und -modelle des Neuen Testaments. Das äußert sich in: Bekundungen der (spirituellen) Macht statt eloquenter Rhetorik, Nutzung von Hauskirchen, dem geistlichen Dienst im weltlichen Beruf, Laienämtern, informellen und unsichtbaren Strukturen in Verbindung mit Untergrundaktivitäten, prominenter charismatischer Führung, einem Bewusstsein der Schwäche und Marginalität.
Es ist noch viel zu früh, um abschließende Antworten auf die Frage zu geben, wie sich Afrikanische Immigrantenkirchen entwickeln und welche Auswirkungen sie auf westliche Gesellschaften haben werden. Es sollte anerkannt werden, dass die meisten Afrikanischen Immigrantenkirchen, so wie sie sich zur Zeit darstellen, als echte Bewahrer afrikanischer Kultur und Werte handeln, und dass sich ihre Verkündigungsarbeit in erster Linie an andere Afrikaner richtet. In welchem Ausmaß sie die Gesellschaft des Gastgeberlandes zu erreichen vermögen, hängt stark davon ab, wie tief die jeweilige gottesdienstliche Gemeinschaft in ihrer Umwelt Wurzeln gefasst hat. Da jedoch in Afrika viel Englisch und Französisch gesprochen wird, sind diese Afrikanischen Immigrantenkirchen häufig multikulturell und völlig international. Sie sind in der Regel städtisch und abhängig von sozialen Netzwerken; sie sind echte Zentren der Transmigration oder des Transnationalismus mit ungeheurem Potenzial, die Formen des Christentums im Norden und im Süden zusammenzubringen.
Missionarische Initiativen aus den alten Kernländern in Europa und Nordamerika nehmen an Bedeutung ab. Es vollzieht sich eine größere Umgestaltung (und Ausbreitung) des Missionswesens. Das hat damit zu tun, dass die globalen Migrationsbewegungen heute in erster Linie von Süd nach Nord und von Osten nach Westen erfolgen, während sie früher in erster Linie von Nord nach Süd verliefen.
Für eine wachsende Zahl von afrikanischen christlichen Migranten ist der postchristliche Westen das Land, das Gott ihnen gezeigt hat. Es können kaum Zweifel daran bestehen, dass afrikanische Missionsinitiativen bei der Gestaltung des globalen Christentums in den kommenden Jahrzehnten eine einzigartige Rolle spielen werden.
aus: der überblick 03/2004, Seite 88
AUTOR(EN):
Jehu J. Hanciles:
Professor Jehu J. Hanciles ist Associate Professor für Missions- und Kirchengeschichte sowie Globalisierung am "Fuller Theological Seminary" in Pasadena, Kalifornien, USA.