Die Selbstbedienung ist nicht von Dauer
Zur der für das 20. Jahrhundert typischen Ausprägung des Nationalstaats gehört eine Berufsarmee, der häufig Wehrpflichtige zugeordnet sind. Sie gilt als unverzichtbares Attribut der Staatlichkeit. Deswegen wurden die Berufssoldaten in der Regel im Status von Beamten bevorzugt alimentiert. Nationalfeiertage und Militärparaden waren geradezu ein Synonym.
von Peter Lock
Ein Schrumpfen des Staatsapparates oder gar eine weitgehende Auflösung des Staates ist für die soziale Absicherung von Beamten und damit auch von Berufsoffizieren eine existenzielle Bedrohung. Das betrifft nicht zuletzt die Frage, wie ihr Ruhestand finanziert wird.
Je nach politisch-ökonomischer Konstellation haben Militärs sehr unterschiedliche Lösungswege gesucht, als absehbar wurde, dass die beamtenartige soziale Absicherung aus dem aktuellen Steueraufkommen unsicher sein würde. Sehr früh und strategisch haben etwa die Offiziere in der Türkei reagiert. Schon in den frühen siebziger Jahren gründeten sie eine kapitalgedeckte Pensionskasse. In der damals häufig von nationalistischen Untertönen geprägten Phase der Importe ersetzenden Industrialisierung in der Türkei bedeutete es für Investoren aus dem Ausland eine Absicherung gegen eventuelle Verstaatlichung, wenn man als Anlagemöglichkeit für die Pensionskasse der Offiziere eine günstige Minderheitsbeteiligung am eigenen Unternehmen anbot. Auf diese Weise wurde die türkische Offiziers-Pensionskasse Teilhaber an der Automobilfertigung in der Firma Renault in der Türkei.
Zwar haben Offiziere in vielen Ländern Fonds zur Pensionssicherung oder Stiftungen mit entsprechendem Zweck eingerichtet. Aber um die soziale Absicherung tatsächlich zu leisten, bedurfte es eines großen Kapitalstocks, der aus Beiträgen nur sehr langfristig hätte gebildet werden können. In einigen Fällen gelang es den Militärs, ihre politische Macht zu nutzen, um sich Ressourcen anzueignen und sie institutionell für ihre soziale Absicherung zu nutzen. Chile und zentralamerikanische Militärdiktaturen, aber auch Ekuador und Algerien sind Beispiele dafür. Die wirtschaftliche Betätigung der Militärs blieb keineswegs immer nur auf pensionskassenartige Fonds beschränkt, vielmehr sind die Streitkräfte in Ländern wie Indonesien, Thailand, Pakistan, China, Vietnam, Ekuador und anderen Ländern offen unternehmerisch tätig, um ihren Einfluss in der Gesellschaft zu behalten und unabhängiger von den leeren Staatskassen zu werden.
Voraussetzung für derartige Entwicklungen war immer die Existenz eines vergleichsweise bedeutenden staatlichen Sektors in der betreffenden Volkswirtschaft, aus dem heraus sich die Militärs "Filetstücke" aneignen konnten. Alternativ wiesen sich die herrschenden Militärs Monopollizenzen des Staates zu oder reservierten sichere Abgaben für sich. Die Erscheinungsformen sind zu vielfältig, als dass man sie vollständig aufzählen könnte. Zu den traditionellen Formen der Entlohnung des Offizierskorps gehört die Übertragung von Besitztiteln staatlicher Ländereien. Das chilenische Militär hat sich einen einträglichen Exportzoll auf Kupfer gesichert. Der indonesische Militärhaushalt blieb immer niedrig, weil die Unternehmen der Streitkräfte ganze Wirtschaftssektoren beherrschten. Die vietnamesischen Streitkräfte besitzen das überaus einträgliche Monopol, Bowlingbahnen zu betreiben, um nur einige Beispiele zu nennen.
Es fällt aber auf, dass es im Gegensatz zu den genannten Beispielen den Militärs in anderen Ländern nicht gelungen ist, ihre diktatorische Machtausübung in den siebziger und achtziger Jahren in institutionell gesicherte Selbstprivilegierung zu überführen. Argentinien, Brasilien, Südkorea, Taiwan, Nigeria, Russland und Polen seien hier genannt.
Warum sind die Militärs dort nicht in der Lage gewesen, sich an der Erbmasse des Staates zu bereichern? Dafür gibt es sehr unterschiedliche Gründe. In Ländern, in denen es politisch konkurrierende, gut organisierte Machteliten gab, hat sich das Offizierskorps keine wesentlichen Ressourcen aneignen können und erleidet bis heute einen sozialen Abstieg. Dies ist besonders augenfällig in Argentinien. Hingegen gab es in Zentralamerika oder Burma zum Beispiel keine entwickelte Bourgeoisie, die sich dem einnehmenden Wesen der militärischen Elite hätte entgegensetzen können. In Ländern wie Nigeria und vielen weiteren Staaten Afrikas hingegen fand dieser Aneignungsprozess in einem Umfeld fortgeschrittener Korruption auf allen staatlichen Ebenen statt. Daher überwog die individuelle Aneignung und "Vorsorge" und ließ keinen Raum für korporatives Handeln der Streitkräfte zur Bildung von Pensionsfonds.
Bei diesem Stadium des Staatszerfalls angelangt, dehnten die Streitkräfte ihre Geschäfte auch in die kriminelle Ökonomie aus und wurden zu Anbietern von gewaltsamen Diensten oder bereicherten sich mit Geschäften, die unter Androhung von Gewalt zustande kamen. Im Endstadium solcher Entwicklung sind die Streitkräfte kaum von konkurrierenden bewaffneten Formationen zu unterscheiden.
Anders war es in Russland. Dort war die Elite der Roten Armee weder mental noch organisatorisch darauf vorbereitet, dass der Staat nicht länger in der Lage sein würde, die Streitkräfte selbst auf niedrigstem Niveau zu finanzieren. Daher hat die militärische Elite bei der dubiosen Aufteilung des sozialistischen Eigentums keine Rolle gespielt. Zum Überleben sind Angehörige der Streitkräfte daher heute nicht selten auf Subsistenzproduktion wie den Kartoffelanbau, auf Mundraub und kriminelle Dienstleistungen angewiesen.
Allgemein lässt sich sagen, dass mit der Krise des Staates in der Folge neoliberaler Ordnungspolitik auch die Streitkräfte in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Dort, wo es den Streitkräften gelungen ist, sich beizeiten als bedeutender wirtschaftlicher Akteur zu etablieren und soziale Sicherung mit Hilfe von Kapitalfonds zu betreiben, gibt es in der Regel Erosionserscheinungen bei den entsprechenden Institutionen. In nicht wenigen Fällen wurde der nämlich Kapitalstock unter dubiosen Umständen angeeignet und kann deshalb unter Umständen wieder eingezogen werden. Gleichzeitig werden die Führungspositionen in Unternehmen, die vom Militär kontrolliert werden, klientelistisch an das Offizierskorps vergeben, meist mit dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Unfähiges Management aber beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen und gefährdet den wirtschaftlichen Erfolg der entsprechenden Pensionsfonds. Es kommt verschärfend hinzu, dass Korruption, illegale Nebentätigkeiten und klientelistische Strukturen für den aktiven Dienst in vielen Ländern die Regel sind. Das ist keine erfolgversprechende Grundlage für Pensionsfonds. Das Dilemma korruptiver Aneignung ist ja unausweichlich eine Schar von Mitwissern, die es zu beteiligen gilt. Korruption wirkt inflationär. Sie ist immer ein Keim, der zur Auflösung von Institutionen führt. In solchem Umfeld tendieren die Kassierer zudem dazu, sich mit der Kasse abzusetzen.
Somit lässt sich voraussagen, dass die durch Selbstprivilegierung entstandenen Einrichtungen wirtschaftlicher Vorsorge nur eine geringe Stabilität haben werden. Sie werden von denjenigen Netzwerken angeeignet, die bereits als Mittler zum kriminellen Sektor der Wirtschaft dienen. Deshalb dürften die Modelle Nigeria, Thailand oder auch Georgien mehr Erfolg haben, wo die Zugehörigkeit zu einer Institution nur als Lizenz zu persönlicher illegaler Bereicherung begriffen wird.
aus: der überblick 01/2001, Seite 30