Wie genetisch verändertes Saatgut die biologische Vielfalt verdrängt
Kleinbäuerliche Familienbetriebe müssen sich oft mit kargen oder schwierig zu bebauenden Böden begnügen. Über Jahrhunderte haben sie jedoch eine Saatgutvielfalt gezüchtet, die an solche Bedingungen angepasst ist. Das Vordringen des industriellen Landbaus mit genetisch veränderten Pflanzen bedroht jetzt ihre Existenz.
von Peter Rottach
Pressekonferenz in New Delhi. Vandana Shiva, die bekannte indische Umweltaktivistin, protestiert vor laufenden Kameras. Wortreich wendet sie sich gegen die Absicht des transnationalen US-amerikanischen Unternehmens Monsanto, beim europäischen Patentamt gentechnisch veränderte Anlagen einer Weizensorte patentieren zu lassen. Die Weizensorte ist glutenarm, enthält also wenig Kleberprotein, was sie besonders geeignet macht für die Herstellung von Keksen. Wirtschaftlicher Erfolg ist damit programmiert. Die genetischen Anlagen sind aber genau solche, die es bei einer indischen Weizensorte längst gibt. Für Vandana Shiva kommt die Patentierung einem Diebstahl gleich. Denn es waren indische Bäuerinnen und Bauern, die über Jahrhunderte glutenarmen Weizen gezüchtet haben, der als Hauptbestandteil für chapatis, das indische Fladenbrot, gut geeignet ist. Durch das Patent verliert die heutige Bauerngeneration jede Aussicht, diese züchterische Leistung selbst Gewinn bringend vermarkten zu können. Wie nervös der Weltkonzern auf öffentliche Kritik reagiert, zeigt sich während der Pressekonferenz. Vor der Tür des Pressezentrums haben sich Monsanto-Mitarbeiter positioniert und verteilen Handzettel, auf denen die Rechtmäßigkeit des Vorgehens juristisch begründet wird. Frau Shiva hat das Patent nicht verhindern können. Es wurde am 21. Mai 2003 erteilt.
Neben vorzüglichen Weizensorten wächst an den südlichen Abhängen der Himalaya-Vorgebirge noch eine andere Kostbarkeit. Der heute weltweit hoch begehrte Basmati-Reis beispielsweise, dem vor Jahren Ähnliches blühte wie dem glutenarmen Weizen. Im Jahr 1997 erhielt die US-amerikanische Saatgutfirma RiceTec ein Patent auf eine Reiszüchtung mit dem Namen Basmati, das ihr allerdings nach Protesten der indischen Regierung wieder aberkannt wurde. Das indische Original hätte andernfalls auf dem Weltmarkt nicht mehr unter seinem eigentlichen Namen vermarktet werden dürfen.
Basmati-Reis wird im Norden des Subkontinents überwiegend in kleinen Parzellen und an steilen, terrassierten Hängen angebaut. “Die Kleinbauern brauchen eine große Vielfalt von Sorten, um überleben zu können”, betont Vandana Shiva. Bei einer solchen Vielfalt bleibt meistens genug zu ernten übrig, wenn einzelne Sorten von Schädlingen befallen werden, unter Dürre oder zu starkem Regen leiden. Die Umweltaktionistin leitet in der Region ein ländliches Entwicklungsprojekt, das auch von “Brot für die Welt” unterstützt wird. Meist sind es Frauen, die das Saatgut selektieren und für die nächste Aussaat in irdenen Töpfen sorgfältig aufbewahren. “Die Frauen wissen in der Regel ganz genau, welche Sorte auf welcher Parzelle ihren besten Platz findet”, erklärt Shiva.
Als vor Jahren staatliche Beratungsdienste in den abgelegenen Teil des indischen Bundesstaates Uttaranchal vordrangen und die Reissorten der “Grünen Revolution” den Bauern anpriesen, stießen sie zunächst auf große Offenheit und Interesse. Schließlich wurden höhere Erträge, steigende Einkommen und somit die Segnungen der Konsumgesellschaft versprochen. Doch recht bald waren die Bauern ernüchtert. Denn die neuen Sorten brachten nur auf den besten Böden und unter ständig kontrollierter Bewässerung höhere Erträge, während auf ungünstigen Standorten die Ernte sogar unter das landesübliche Niveau des traditionellen Landbaus absackte. Die Bauern mussten regelmäßig Kunstdünger und Pestizide im Tausch gegen Ernteprodukte kaufen. Nur die Zwischenhändler verdienten daran gut, die Bauern dagegen verarmten. Hinzu kam, dass das teure Saatgut aufgrund der Abgeschiedenheit oft nicht zur rechten Zeit und in erforderlicher Güte zur Verfügung stand. So wuchs der Wunsch in der Bevölkerung, wieder auf die traditionellen Sorten zurückgreifen zu können. Ein Wunsch, den Vandana Shiva mit ihrem Projekt, das alte Reissorten sammelt und vermehrt, auch erfüllen konnte. Mittlerweile finden sich in der Region kaum noch die “verbesserten Sorten” - so der offizielle Sprachgebrauch für das Saatgut der “Grünen Revolution” - im Anbau.
Die “Grüne Revolution” der sechziger Jahre weist Parallelen zur heutigen Verbreitung der “Grünen Gentechnik” auf. Auch damals waren viele der Meinung, den Hunger könne man in erster Linie dadurch überwinden, dass man die Anbautechnik verbessert und die landwirtschaftlichen Erträge steigert. Die Hochleistungssorten HYV (High Yielding Varieties) - intensiv bewässert und mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln behandelt - sollten die traditionelle Landwirtschaft in den Tropen und Subtropen revolutionieren. Zweifellos gelang es damit, die Getreideproduktion insgesamt erheblich zu steigern. Indien hat sich dank der Techniken der “Grünen Revolution” zu einem der weltweit führenden Reisexporteure entwickelt.
Trotzdem leiden 20 Prozent der indischen Bevölkerung an Unterernährung und Hunger. Ihre Erträge sind nicht gestiegen. Ja schlimmer noch: Sie treffen mit ihren Produkten auf gesättigte Binnenmärkte, und ihre Chancen, ein gutes Einkommen zu erzielen, verringern sich. Die Kluft zwischen begünstigten Standorten und benachteiligten Regionen öffnet sich immer weiter. In Indien, wie auch in anderen Entwicklungsländern, wandern seit Jahren die Menschen in Scharen in die Städte ab. Das ist nicht zuletzt eine Folge davon, dass die “Grüne Revolution” sozial nicht ausgewogen war. In ihrer ländlichen Heimat bleiben überwiegend Alte, Frauen und Kinder zurück. Von ihrer Arbeitskraft können sie sich kaum ernähren und sind abhängig von Unterstützungszahlungen ihrer Verwandtschaft in den Städten. Hunger und Elend scheinen unumgänglich, wenn die Angehörigen in den Städten arbeitslos werden oder deren Lebenshaltungskosten den Verdienst übersteigen.
Auch die “Grüne Gentechnik” wird vorwiegend auf guten, fruchtbaren Äckern zum Einsatz kommen, sofern sich ihre versprochenen Vorzüge wie bessere Erträge, Rationalisierung der Pflanzenschutzmittelanwendung und neue Qualitätsmerkmale tatsächlich bewahrheiten sollten. Schon weil die Anschaffungskosten für gentechnisch verändertes Saatgut deutlich über denen von konventionell gezüchtetem liegen, werden die Bauern in armen Regionen sich das neue Saatgut kaum leisten können. Unweigerliche Folge: Wieder würden arme Kleinbauern verdrängt.
Allerdings sind höhere Erträge gentechnisch veränderter Sorten noch keineswegs erwiesen. Bisher haben die Ergebnisse von Anbauversuchen bestenfalls bestätigt, dass die Erträge sich stabilisieren - wobei die Daten einzelner Versuche einander widersprechen. Der Ertrag einer Pflanze ist ohnehin nur teilweise genetisch bedingt. Zu einem erheblichen Teil hängt er von den Umweltbedingungen ab. Ausreichend Wasser und Nährstoffe im Boden sind ebenfalls wichtig für eine gute Ernte. In Regionen, wo Armut herrscht, ist beides meist nicht gegeben.
Aus Indonesien etwa berichtet Hira Jhamtani, Vorstandsmitglied der Kleinbauernorganisation Kephalindo vom Anbau gentechnisch veränderter Baumwolle auf Süd-Sulawesi: Statt der von der Saatgutfirma, einer indonesischen Tochter Monsantos, versprochenen Ernte von vier bis sechs Tonnen Faserstoff pro Hektar brachte die neue Baumwolle nur einen Ertrag von eineinhalb Tonnen. Damit lag dieser noch unter dem Durchschnitt des konventionellen Anbaus.
Als sich auch im zweiten Jahr an der misslichen Situation nichts änderte - von den insgesamt 4000 Hektar mit Gen-Baumwolle bepflanzter Fläche warfen 500 Hektar überhaupt keinen Ertrag ab -, wurde den Bauern bewusst, dass sie auf ihrem Schuldenberg für Saatgut, Dünger und Pestizide sitzen bleiben würden. Die Hoffnungen auf eine jährliche Pilgerreise nach Mekka, von der Saatgutfirma als Lohn des Gen-Baumwollanbaus in Aussicht gestellt, hatten sie längst begraben. Aus Wut und Enttäuschung fingen sie an, ihre Baumwollfelder anzuzünden und weigerten sich, ihre Kredite zurückzuzahlen. Das brachte die indonesische Gen-Firma in die Verlustzone und zwang sie, ihre Filiale auf Sulawesi zu schließen. Daraufhin erklärte die Regierung Indonesiens offiziell das Ende des Gen-Baumwollanbaus in ihrem Land. Demnächst soll aber ein neuer Versuch mit genetisch verändertem Mais unternommen werden.
Mais ist das Arme-Leute-Essen schlechthin in den Tropen und Subtropen. In den Industrieländern landet er vorwiegend im Futtertrog. Zu wissen, wie unterschiedlich der Mais verwendet wird, ist wichtig, wenn man die gesundheitlichen Risiken bewertet. Mais- und Sojasorten machen 85 Prozent des weltweiten Anbaus genetisch veränderter Pflanzen aus. Beide werden vorwiegend zu Futtermitteln für Vieh in reichen Ländern verarbeitet, und die Nachfrage boomt. Wenn der Fleischverbrauch unverändert ansteigt, wird im Jahr 2050 eine Getreidemenge zu Futter verarbeitet, die als direkte Nahrung ausreichen würde, vier Milliarden Menschen zu versorgen. Bei tierischen Erzeugnissen aber - und damit bei über 60 Prozent aller bei uns verzehrten Lebensmittel - muss nach der europäischen Lebensmittel-Kennzeichnungspflicht nicht auf die Fütterung mit gentechnisch verändertem Getreide hingewiesen werden. Deshalb ist die Züchtung gentechnisch veränderter ertragreicher Sorten für das Agrobusiness lukrativ, und deshalb kann sie mit den derzeitigen Vorschriften zu Kennzeichnung gut leben.
“Gentechnisch veränderte Soja ist in Argentinien zu einer Landplage geworden”, klagt die Molekularbiologin Lilian Joensen von der nichtstaatlichen Organisation (NGO) Grupo de Reflexion Rural. “Die Kleinbauern und Dorfgemeinschaften in dem südamerikanischen Land, die sich gegen die Einführung gentechnisch veränderter Futterpflanzen zur Wehr setzen, lassen sich auch nicht abschrecken, wenn das Militär brutal gegen sie vorgeht”, berichtet sie und kommentiert: “Soja frisst das Land der kleinen Leute.” Innerhalb von weniger als zehn Jahren habe sich die Anbaufläche mit Gen-Soja um das Dreihundertfache ausgedehnt. Grund dafür seien die attraktiven Konditionen der Firma Monsanto: billiges Einstiegssaatgut ohne Nachbaugebühren und Unkrautvernichtungsmittel. Sie seien so günstig, dass Farmer in den USA von unlauterem Wettbewerb gesprochen hätten. Hinzu komme, dass man wegen der hohen Weltmarktpreise mit Soja richtig Geld verdienen könne. Der Anbau in Argentinien sei fest in der Hand von Großgrundbesitzern. Keiner der Soja-Bauern besitze weniger als 350 Hektar, so Joensen. Soja ist in Argentinien kein Grundnahrungsmittel und geht zu fast hundert Prozent in den Export. Der Anbau von Grundnahrungsmitteln wie Mais, Gemüse, Kartoffeln, wird verdrängt. Sie müssen importiert werden. Für den Sojaanbau wird sogar Argentiniens traditionelles Weideland umgepflügt.
Grupo de Reflexion Rural hat noch mehr recherchiert. Zum Beispiel, dass seit dem Jahr 1997, als Gen-Soja die Zulassung für den kommerziellen Anbau erhielt, der Gebrauch des Unkrautvernichtungsmittels Round-up um das Fünffache angestiegen ist. Mittlerweile aber sind 14 Unkrautarten bereits gegen das Mittel resistent und trotz hohen Pestizideinsatzes nicht mehr kleinzukriegen. So braucht man immer gefährlichere Chemikalien, um ihrer Herr zu werden.
Paraquat heißt jetzt das Rezept der Industrie, ein schon seit den sechziger Jahren vertriebenes hochgiftiges Präparat, das sich im Boden anreichert und die natürliche Fruchtbarkeit, die mikrobiologischen Aktivitäten und die Bodenstruktur auf Dauer zerstören kann. “Auch wenn viele ökologische Probleme im argentinischen Sojaanbau mit den Monokulturen zusammenhängen, trägt der Gebrauch genetisch veränderter Pflanzen doch zu einer Verschärfung bei”, erklärt Joenson und folgert: “Wer heute auf Fruchtfolge und Flächenrotation zurückgreifen und im Wechsel Mais anbauen will, muss gentechnisch veränderten, herbizidresistenten Mais verwenden, weil nichts anderes mehr wächst.”
Auf den großen Sojaflächen kommen Flugzeuge zum Einsatz, die das Unkrautvernichtungsmittel Round-up ausbringen, gegen das die Sojasorte der Firma Monsanto resistent gemacht worden ist. Nicht selten ziehen die Chemikalienwolken aus den Flugzeugen auch über die Dörfer und das Ackerland benachbarter Kleinbauern. Diese erleiden Gesundheitsschäden, und andere Pflanzen, die sie auf ihren Feldern anbauen, werden durch das Herbizid geschädigt. Mit der Zeit nimmt die Fruchtbarkeit der Böden ab und das Trinkwasser wird vergiftet. So warten viele kleinbäuerliche Familien nicht ab, bis der Großgrundbesitzer sie mit Hilfe einiger bewaffneter Söldner von ihrem Land vertreibt, sondern wählen freiwillig den Weg in die Stadt. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Argentiniens lebt bereits in den Städten. “Weite Teile des Landes sind bereits menschenleer. Hunger ist in Argentinien dramatisch auf dem Vormarsch”, erklärt Joensen und fährt fort: “Über die Hälfte der Bevölkerung lebt nach offiziellen Statistiken unter der Armutsgrenze. Viele Menschen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen.”
Weiter im Norden, in Mexiko, hat gentechnisch veränderter Mais schon unrühmliche Berühmtheit erlangt. Das mittelamerikanische Land erlaubte vor rund vier Jahren im Zuge des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA; vergl. “der überblick” 2/2000) Maisimporte aus den USA, die aus insektenresistentem, so genannten Bt-Mais, bestanden. Dieser Mais - als Nahrungsmittel und Viehfutter gedacht - kam auch in die Hände von Bauern, für die traditionell kein Unterschied besteht zwischen Lebensmitteln und Saatgut. So gelangte der genveränderte Mais auf ihre Äcker und hat sich seitdem durch Auskreuzung im ganzen Land verbreitet. Wissenschaftler der Universität Mexiko-Stadt untersuchten 2000 Proben traditioneller Maissorten im Umfeld der großen Städte und in den hintersten Winkeln des Landes. Bis zu 45 Prozent der Proben wiesen Verunreinigung mit Transgenen auf. Die Prognose der Wissenschaftler lautet, dass in 70 Jahren alle Maissorten kontaminiert sein werden.
Die Auswirkungen könnten dann weltweit zu spüren sein, denn Mexiko ist die Urheimat des Mais mit vielen traditionellen Landsorten und genetischen Verwandten. Dieser Genpool ist für die Pflanzenzüchtung von unschätzbarer Bedeutung. Zwar sind noch viele alte Sorten in Genbanken eingelagert. Solche Genbanken, in denen das Saatgut über Jahre hinweg in Gläsern aufbewahrt wird, sind aber Museen vergleichbar, an denen die Evolution vorbeigeht, welche in natürlicher Umgebung stattfindet. Sorten, die heute gegen einen Schädling resistent sind, können morgen sehr anfällig für ihn sein, weil der Schädling sich in der natürlichen Umwelt weiterentwickelt hat. Sind eines schönen Tages sämtliche frei wachsenden Sorten mit den gentechnisch veränderten Eigenschaften kontaminiert, verliert sich die Vielfalt des Genpools und die Grundlage der Züchtung steht auf dem Spiel.
Und was wird aus Afrika? Geht die Gentechnik an diesem Kontinent ebenso vorüber wie die Grüne Revolution? Einigen Ländern wie Sudan, Angola oder Sambia, die auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind, wird gentechnisch veränderter US-amerikanischer Mais fast aufgezwungen. In Westafrika geben sich die einschlägigen Agrar- Multis die Klinke in die Hand, um ihre gen-veränderte Baumwolle anzupreisen. US-Präsident Bush wirft gar der europäischen Union (EU) vor, wegen ihrer zögerlichen Haltung in Sachen Gentechnik schuld am Hunger in Afrika zu sein: Ließe die Union die Gentechnik zu, würden afrikanische Länder in diese Technologie investieren und landwirtschaftliche Exporterzeugnisse für den europäischen Markt herstellen, mit deren Erlös der Hunger beseitigt werden könne.
Erneut wird, so scheint es, die Zukunft Afrikas im Norden entschieden. Zeigen sich die afrikanischen Regierungen nicht willens oder zu zögerlich, genetisch veränderte Pflanzen einzusetzen, wird wirtschaftlicher Druck ausgeübt und politisch eingeschüchtert. Dabei scheuen sich Politiker der Industrieländer nicht, als Handlanger von Interessen großer Wirtschaftsunternehmen zu fungieren. Zur Rechtfertigung muss das Argument der Arbeitsplatzschaffung herhalten, mit dem man alle Einwände vom Tisch wischen zu können glaubt. Dabei macht gentechnische Pflanzenzüchtung klein- und mittelständischen Saatgutfirmen und damit auch Arbeitsplätzen den Garaus.
Fünf Unternehmen kontrollieren bereits über 90 Prozent allen gentechnisch veränderten Saatgutes und eine einzige Firma, das US-amerikanische Unternehmen Monsanto, besitzt sämtliche gentechnisch veränderten Sojasorten. Die Konzentration im Agrargeschäft wird immer rasanterer. Eine handvoll Konzerne beherrscht nicht nur das Saatgutgeschäft mit genveränderten Pflanzen, sondern gleichzeitig auch den globalen Agrarchemikalienmarkt. Sie gehören auch zu den treibenden Kräften hinter der Patentierung im Saatgutbereich.
Wegen der Patente laufen bäuerliche Familienbetriebe Gefahr, den Zugriff auf eigenes Saatgut zu verlieren. GRAIN, eine spanische NGO, die sich dafür einsetzt, traditionelles Saatgut und die Artenvielfalt zu bewahren, schätzt, dass eineinhalb Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern von der eigenen Saatgutvermehrung abhängig sind. Wird ihnen dieses Recht verwehrt, verlieren sie eine wesentliche Grundlage ihrer Existenz.
Neben den Kulturpflanzen liefert die so genannte Ackerbegleitflora einen wichtigen Beitrag, um die Ernährung zu sichern. Laut der Ernährungswissenschaftlerin Drinah Banda Nyirenda, Professorin an der Universität von Sambia in Lusaka, besteht die Nahrung der Armen in vielen afrikanischen Ländern zu fast 60 Prozent aus Beikräutern und Wildpflanzen. Kommen herbizidresistente genetisch veränderte Pflanzen zum Einsatz, werden alle diese kommerziell unbedeutenden Pflanzen weg gespritzt. Das ist mitnichten ein unrealistisches Zukunftsszenario, denn beinahe vier Fünftel aller gentechnisch veränderten Pflanzen wurden herbizidresistent gemacht.
Es gibt jedoch Alternativen zur “Grünen Gentechnik”. Eine Ursache für Hunger auf dem Land ist häufig die ungerechte Landverteilung. In solchen Fällen bedarf es keiner neuen Technologien, sondern einer Agrarreform, damit die Familien für sich selbst produzieren können. Wo Land vorhanden ist, aber die Erträge nicht ausreichen, hat sich der umweltverträgliche Landbau bewährt. Eine Auswertung von 200 Projekten in Afrika, Asien und Lateinamerika im Auftrag von “Brot für die Welt” und “Greenpeace” hat ergeben, dass damit Ertragssteigerungen um 100 Prozent und mehr möglich sind. Selbst in den intensiv genutzten Nassreiskulturen Südostasiens sind um 10 bis 15 Prozent höhere Erträge gegenüber der konventionellen Anbaumethode möglich. Dabei müssen die Bauern keine teuren Betriebsmittel einsetzen, die sie von den Agrarmultis abhängig machen, sondern ökologisch angepasste Verfahren, die vor allem in abgelegenen Regionen ohne reiche Naturschätze wirksam sind. Sie basieren auf den überlieferten Erfahrungen der lokalen Bevölkerung. Ziel dabei ist nicht, das große Geld zu verdienen, sondern die Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln zu sichern und den lokalen Handel zu beliefern. Vermutlich spielt der umweltverträgliche Landbau in Familienbetrieben in der Debatte darüber, wie man den Hunger bekämpfen kann, deshalb eine so geringe Rolle, weil Großunternehmen damit kein Geld verdienen können.
Internationale Regeln gefragtGentechnik auf Europas Äckern - Folgen für den SüdenWeitreichende, aber wahrscheinlich dennoch kaum beachtete Folgen für den Agrarsektor im Süden werden die neuen Regeln der Europäischen Union (EU) für die Gentechnik in der Landwirtschaft haben. Die EU hat im Herbst 2003 ihr Moratorium für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel durch - im Vergleich zu den USA - recht strenge Regeln für die Zulassung solcher Produkte ersetzt. Paradoxerweise droht dies, die unkontrollierte Ausbreitung der Gentechnik im Süden zu fördern und zugleich die Agrarexporte armer Länder in die EU zusätzlich zu behindern. Warum das so ist, erklären Rudolf Buntzel-Cano vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und Frank Augsten vom Bund für Natur- und Umweltschutz Deutschland (BUND) in einer Broschüre, die der EED und das Forum Umwelt und Entwicklung im April 2004 publiziert haben. Juristischen Aspekten gilt besondere Aufmerksamkeit. Von Bedeutung sind hier Verordnungen und Gesetze der EU, ebenso das internationale Handelsrecht, internationale Vereinbarungen über Lebensmittelsicherheit, das Patentrecht und die internationale Konvention über biologische Vielfalt. Diese Regeln sind unterschiedlich verbindlich, einigen Abkommen sind wichtige Staaten nicht beigetreten, und teilweise widersprechen die Regelungen einander. Selbst für Experten ist das juristische Gebiet also unübersichtlich. In der Praxis führt dieses juristische Dickicht dazu, dass arme Länder - ausgenommen sehr große wie Indien und China - nur die Wahl haben, sich dem US-amerikanischen oder dem europäischen Modell des Umgangs mit Agro-Gentechnik anzuschließen. Denn es ist völlig unrealistisch, anzunehmen, dass schwache Regierungen mit geringem Budget etwa in Afrika den Anbau und die Einfuhr gentechnisch veränderter Organismen beschränken könnten, ohne dabei gegen die hohen juristisch-wissenschaftlichen Anforderungen des internationalen Rechts zu verstoßen. Die meisten Entwicklungsländer seien zudem auf den internationalen Agrarhandel angewiesen und Handelsregeln unterworfen, die von den Interessen des Nordens geprägt sind, betonen Buntzel-Cano und Augsten. Darüber hinaus beherrschten die Industrieländer den internationalen Markt für Saatgut. Die Haltung zur Gentechnik ist sehr unterschiedlich: Einige Entwicklungsländer, etwa Argentinien und China, gehören zu den größten Nutzern der landwirtschaftlichen Gentechnik. In mehreren asiatischen Ländern, darunter Malaysia, Indien und Japan, wird sie vom Staat gefördert. Viele Regierungen Afrikas und Lateinamerikas - und mehr noch dortige nichtstaatliche Organisationen - stehen der genverändernden Technik aber sehr kritisch gegenüber. Laut Buntzel-Cano und Augsten hat das gute Gründe. Um den Hunger in armen Ländern zu bekämpfen, sei Gentechnik weder geeignet noch notwendig. Dieses Argument benutze die Lobby der Industrie vielmehr dazu, um im Norden die Vorbehalte gegen diese Technik abzubauen. So manches Land hat auch deshalb auf Gentechnik in der Landwirtschaft verzichtet, damit es weiter in die EU exportieren kann. Je nachdem, ob sich gentechnisch veränderte Nahrung in der EU durchsetzt, wird das entsprechende Folgen im Süden haben. Die Autoren der Broschüre entwerfen vier Szenarien. Das erste Szenario, die Beibehaltung des Moratoriums in der EU, ist nach Erlass der neuen Regeln sehr unwahrscheinlich. Das zweite geht davon aus, dass auch nach dem Ende des Moratoriums die Verbraucher in Europa kein “Gen-Food” kaufen und zugleich Länder des Südens sich vor entsprechenden Importen schützen können. Dann besteht kein Anreiz, im Süden “Gen-Food” für Exporte in die EU zu produzieren - ebenso wenig wie in der EU, solches in den Süden zu exportieren. Falls aber in der EU ein Markt für genveränderte Nahrung entsteht, werden Produzenten im Süden diese anbauen wollen. Die Folge ist entweder, dass sich Gentechnik in der Landwirtschaft des Südens ausbreitet - Szenario drei. Oder aber - Szenario vier - die strengen Standards der EU erweisen sich als zusätzliches Handelshemmnis. Denn die Länder Afrikas beispielsweise können die Regeln der EU für den Nachweis genetischer Verunreinigungen und für deren Rückverfolgung nicht einhalten und verlieren ihren Markt für Agrarprodukte in Europa. Auch in diesem Fall wird sich wahrscheinlich die Gentechnik im Süden ausbreiten, denn aus Sicht der armen Länder entfällt der EU-Markt als Gegengewicht zu den USA. Die Entwicklungsländer, schreiben Augsten und Buntzel-Cano, seien mehrheitlich an einheitlichen internationalen Regeln interessiert. Schon deshalb, weil sie dann keine eigenen Zulassungsverfahren für genveränderte Organismen bräuchten. Allerdings macht die Broschüre zugleich deutlich, dass sich die Länder des Südens keineswegs einig seien, welche Art der Regeln sie wünschen. Immerhin aber scheint sich unter wichtigen Staaten - auch Indien und China - ein Konsens abzuzeichnen. Sie sprechen sich dafür aus, eine Kennzeichnungspflicht einzuführen, und für den Grundsatz: Die Verbraucher sollen wählen können. Wie das gewährleistet werden kann - wer beispielsweise in welcher Höhe für eine unbeabsichtigte Ausbreitung von transgenen Pflanzen haftet -, das ist selbst in der EU nicht befriedigend geklärt. Bernd Ludermann Frank Augsten und Rudolf Buntzel-Cano: Die Bedeutung der aktuellen Gentechnik-Gesetzesdebatte in der Europäischen Union für den Süden; hrsg. vom EED und vom Forum Umwelt und Entwicklung, Bonn, April 2004, 68 S. |
aus: der überblick 03/2004, Seite 62
AUTOR(EN):
Peter Rottach:
Peter Rottach ist Referent für Ernährungssicherheit, Landwirtschaft und Umwelt bei "Brot für die Welt" in Stuttgart.