Revolution auf sanfte Weise
Fischzucht in Aquakulturen nimmt weltweit einen rasanten Aufschwung. Von einer "Blauen Revolution" ist bereits die Rede. Vielerorts ist sie mit starken und oft dauerhaften Schäden für die Umwelt verbunden. Das muss nicht so sein. Musterbetriebe zeigen, dass Aquakultur umweltfreundlich und trotzdem rentabel sein kann. Und wenn mehr Verbraucher darauf achten, Fische und Meeresfrüchte aus ökologischer Erzeugung zu kaufen, kann sich die Blaue Revolution auf sanfte Weise vollziehen.
von Andreas Stamer
Weltweit hat sich die Aufzucht von Fischen und Meeresfrüchten in Teichen, Netzgehegen, Muschelleinen und dergleichen in den letzten zehn Jahren fast verdreifacht. Die Aquakultur-Produktion betrug nach der neuesten Statistik der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) im Jahr 2001 insgesamt 37,9 Millionen Tonnen. Damit stammt heute bereits gut ein Drittel aller flossen-, scheren- oder schalentragenden Wassertiere, die auf unseren Tellern landen, aus Aquafarmen.
Dieser rasante Verlauf der "Blauen Revolution" ist insgesamt durchaus vorteilhaft. Denn sie trägt einerseits dazu bei, den Anreiz zum Überfischen der schwindenden Wildfisch-Bestände zu mildern, andererseits hilft sie auch, die Versorgung der Weltbevölkerung mit hochwertigen, eiweißreichen Nahrungsmitteln zu sichern. Darüber hinaus liefert die Aquakultur für viele Entwicklungs- und Schwellenländer wichtige Exportgüter. So finden sich einige Länder des Südens auf der Rangliste der Erzeuger von Fisch und Meeresfrüchten ganz vorn: China ist mit rund 26 Millionen Tonnen Fisch aus Aquakulturen - laut FAO - der größte Fisch- und Meeresfrüchteproduzent im Jahr 2001, gefolgt von Indien mit 2,2 Millionen und Indonesien mit 864.000 Tonnen.
Zur gleichen Zeit wächst in der Öffentlichkeit aber auch das Bewusstsein über mögliche schädliche Auswirkungen dieses Booms: Mangrovenwälder werden abgeholzt, um Raum für Schrimpsfarmen zu schaffen. Chemotherapeutika, wie zum Beispiel Antibiotika, werden in unverantwortlicher Weise in der industriellen Massenfischzucht eingesetzt. Fischbestände werden überfischt, um daraus Fischmehl zu erzeugen.
Ökosysteme in Gewässern wurden durch das Aussetzen nicht heimischer Fischarten - wahrscheinlich irreparabel - geschädigt. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der nordamerikanische Kamberkrebs (Orconectes limosus). Mit diesem wurde der Erreger der Krebspest nach Europa eingeschleppt, wodurch die einheimischen Krebsarten an den Rand des Aussterbens gebracht wurden. Ähnlich wirkte sich die Aussetzung des Nilbarsches (Lates niloticus) im Victoriasee aus, welcher die ursprüngliche, einmalig vielfältige Fischfauna des Sees in wenigen Jahren verschwinden ließ (vergl. den Artikel von Eirik G. Jansen in diesem Heft).
Fischzucht kann aber durchaus ökologisch betrieben werden und dem Risikopotenzial Rechnung tragen, das von der Haltung nicht heimischer Arten ausgeht. Eine Beschränkung der ökologischen Aquakultur auf ausschließlich einheimische Arten scheint allerdings kaum durchsetzbar, weil sich der Domestikationsprozess (in dem ursprüngliche Wildfische in Teichen oder in Netzen und Käfigen gezüchtet werden) weltweit auf bestimmte, besonders ertragreiche und gut schmeckende Arten konzentriert hat, anstatt sich in jeder Region mit den jeweils heimischen Spezies zu befassen. Gleichwohl kann eine Regierung Richtlinien erlassen, welche die Einfuhr gänzlich neuer Arten verbietet, wenn nicht gesichert ist, dass das Risiko dabei sehr gering ist.
Ein neues Risiko birgt die Gentechnik. Zwar hat die Aufzucht von transgenen (genveränderten) Landtieren bisher keine Bedeutung für die Fleischerzeugung. Gleichwohl haben nordamerikanischen Firmen bereits transgene Lachse und Forellen zum Patent angemeldet, die beispielsweise veränderte Wachstumsgene besitzen. Bislang werden solche aber offenbar noch nicht für den Verkauf gezüchtet.
Dass die Betreiber ökologischer Aquakulturen die Haltung derartiger Organismen strikt ablehnen, liegt daran, dass die Risiken für den natürlichen Genpool nicht abzuschätzen sind. Denn es kann immer vorkommen, dass Zuchtfische entweichen und sich mit Wildfischen kreuzen. Zum anderen sind die Auswirkungen der genetischen Veränderungen auf die Verträglichkeit von Lebensmitteln noch längst nicht ausreichend untersucht. Überdies benötigt ein besonders schnell wachsender Lachs eher mehr hochwertiges Futter, so dass der Druck zur Überausbeutung von Futterfischbeständen noch zunimmt.
Aquakulturbetriebe sind normalerweise offene Systeme. Chemikalien, die in einem Teil der Anlage eingesetzt werden, gelangen so nach einer gewissen Zeit in den Vorfluter. Bei Netzgehegen findet ohnehin ein ungehinderter Wasseraustausch zwischen Innen- und Außenraum statt. Umweltverbände haben den Einsatz von so genannten Anti-Fouling-Mitteln bei der Lachszucht in Netzgehegen immer wieder scharf kritisiert. Diese Chemikalien sollen die Besiedlung der Netzwände durch Algen und andere Organismen verhindern. Sie enthalten als Wirkstoff häufig Kupfer, welches in einer wachsartigen Trägersubstanz auf das Netzgewebe aufgebracht wird. Im Laufe des Produktionszyklus wird das Mittel langsam ausgewaschen, so dass die Imprägnierung nach einigen Monaten erneuert werden muss. Bedenkt man, dass die Netzfläche einer einzigen Lachsfarm gewöhnlich mehrere tausend Quadratmeter beträgt, wird deutlich, dass erhebliche Mengen des Mittels in die Umwelt gelangen.
In der ökologischen Lachserzeugung ist der Einsatz von chemischen Anti-Fouling-Mitteln gänzlich untersagt. Der Bewuchs wird ausschließlich mit mechanischen Mitteln entfernt. Das geschieht auf zwei Wegen: Entweder man trocknet die Netze an der Luft und knetet sie anschließend durch, so dass die spröde gewordenen trockenen Algen abfallen. Oder Taucher reinigen die Netze mit Hochdruckwasserstrahlen.
Das zu Futterzwecken eingesetzte Fischmehl und -öl stammt überwiegend aus der industriellen Gammelfischerei in besonders ertragreichen Meeresregionen, vor allem an der peruanischen und chilenischen Pazifikküste (vergl. den Artikel von Knut Henkel in diesem Heft). Die Gammelfischerei wird von Umweltverbänden heftig kritisiert. Hauptargument ist, dass die betreffenden Meeresregionen verarmen, weil größeren Speisefischen, Seevögeln und Meeressäugetieren die Nahrungsgrundlage entzogen wird. Zusätzlich stellt sich hier die prinzipielle Frage, ob es sinnvoll ist, fleischfressende (karnivore) Fischarten in Aquakulturen zu züchten, wenn man doch den zu Futterzwecken eingesetzten Fisch theoretisch direkt für die menschliche Ernährung nutzen könnte. Dadurch stünde rein rechnerisch etwa die vierfache Menge Fisch als Nahrungsmittel zur Verfügung.
Verbände, die sich mit der ökologischen Zucht von karnivoren Fischarten befassen, führen an, dass es durchaus als Futter eingesetzten Fisch aus Gebieten umweltverträglicher Fischerei gibt. Wenn dieser genutzt würde, gäbe es keine stichhaltigen Gründe, die Haltung karnivorer Fischarten abzulehnen. Ein anderes Kriterium ist die Frage der Herkunft: Wenn die Futtermittel aus derselben Region stammen, in der auch die Aquakulturbetriebe liegen, werden möglichst kleinräumige Nährstoffkreisläufe - besonders der Proteintransfer - gefördert. Weiterhin ist die Verwendung von Resten aus der Speisefischverarbeitung sinnvoll und möglich.
In Irland etwa werden die Reste aus der Heringsverarbeitung zu hochwertigem Futtermittel für Lachs verarbeitet. Ferner müssen Beifänge, die bei der Fischerei von Speisefisch anfallen, nicht ungenutzt wieder über Bord geworfen werden - was der Großteil der betroffenen Tiere ohnehin nicht überlebt -, sondern können als Futter genutzt werden. Das geschieht etwa in Ecuador, wo Beifänge aus der traditionellen Kleinfischerei von den Fischern in der Sonne getrocknet und an Garnelenfarmen verkauft werden.
Wo der Mekong ins Südchinesische Meer mündet, bildet er mit zahlreichen Verästelungen ein riesiges, unüberschaubares und verkehrstechnisch kaum erschlossenes Delta aus. Hier liegt Enterprise No. 184. Ausschließlich Kleinbauern bewirtschaften das rund 1700 Hektar große Gebiet und erzeugen ökologische Meeresfrüchte in Aquakultur. Die Mitglieder von Enterprise bewohnen mit ihren Familien jeweils eine Parzelle, auf der ihr Wohnhaus, ein Gemüsegarten, ein Bereich für die Viehhaltung sowie ein ausgeklügeltes Kanalsystem für die so genannten Forest-Shrimps angelegt sind.
Die Bezeichnung Forest-Shrimp weist darauf hin, wie eng hier die Wiederaufforstung mit Mangroven und die Produktion von Schrimps aufeinander bezogen sind: Der starke Laubfall der Mangrovenbäume, die über den oft nur zwei bis drei Meter breiten Kanälen ein fast geschlossenes Kronendach bilden, regt die Entwicklung von Kleinstlebewesen wie Kieselalgen und Kleinstkrebsen an. Diese wiederum sind Grundlage für die Ernährung der Schrimps. Gleichzeitig stabilisiert das dichte Wurzelwerk die Konstruktion der Deiche, die das Kanalsystem wie einen Teich umfassen. Dieses System der Aquakultur funktioniert ohne zusätzliche Fütterung und Düngung, sofern entsprechend wenige Schrimps in einem Teich gehalten werden. So aufwachsende Garnelen leiden kaum unter den in der intensiven Aquakultur üblichen Krankheiten. Deshalb können die Bauern leicht auf die kostspieligen "chemischen Keulen" verzichten.
Solche tropischen Öko-Garnelenfarmen sind auch hinsichtlich der biologischen Vielfalt vorbildliche Aquakultur. Einige Öko-Schrimpsfarmen haben darüber hinaus gute Erfahrungen mit dem Anbau von baumartigen, Hülsenfrüchte tragenden Pflanzen, den so genannten Leguminosen und Aloe, auf den Deichen gemacht. Diese liefern mit ihren Samen und den fleischigen Blättern ein hochwertiges und kostengünstiges Futtermittel. Häufig werden als eine Art Gesundheitspolizei wohlschmeckende Tilapien (Buntbarsche) zusammen mit den Garnelen in den Teichen gehalten, damit sie abgestorbene und kranke Tiere vertilgen. Zur Erweiterung der Produktpalette oder auch zum Eigenverbrauch werden auf Schrimpsfarmen außerdem häufig Obstbäume angebaut sowie Schafe, Schweine, Geflügel oder Bienen gehalten, die zur Stabilisierung des Ökosystems auf dem Farmgelände beitragen.
Aber man muss nicht in die Ferne schweifen, um anerkannt ökologische Aquakulturen zu finden. Vor der stürmischen Westküste Irland, bemühte sich beispielsweise der Meeresbiologe und Leiter der Clare Island Seafarm, David Baird, darum, naturnahe Konzepte für eine ökologisch zukunftsfähige Lachszucht zu erarbeiten. Aus einem Messekontakt im Jahr 1996 entstand der Plan, gemeinsam mit dem Verband Naturland, ein deutscher Öko-Zertifizierer, das Projekt "Biolachs" zu entwickeln. Strenge Kriterien wie niedrige Besatzdichten, Verzicht auf Chemikalieneinsatz, intensives Umweltmonitoring und ausschließlicher Einsatz von Futtermitteln, die Umweltschutzauflagen entsprechen, verlangten dem Pilotbetrieb und weiteren beteiligten Ökofarmen einen hohen Einsatz ab. Dieser hat sich gelohnt. Der Biolachs eroberte einen festen Platz auf dem internationalen Markt für Fisch und Meeresfrüchte. Mittlerweile hat die Clare Island Seafarm eine Kapazität zur Erzeugung von über 3000 Tonnen Lachs pro Jahr. Ein Folgeprojekt in Irland befasst sich seit 1999 mit der ökologischen Muschelkultur, ebenfalls mit sehr ermutigender Resonanz bei Erzeugern und Verbrauchern.
In Deutschland werden seit 2002 nach den anerkannt ökologischen Standards von Naturland Forellen und andere Lachsfische von einer wachsenden Anzahl engagierter Teichwirte gezüchtet. Karpfen und dessen Beifische, wie Schleie, Zander oder Wels werden seit einigen Jahren außer von Naturland auch von Bioland, Demeter, Biokreis und anderen zertifiziert.
Die Angebotspalette an Ökofischprodukten in Naturkostläden wird zunehmend attraktiver und reichhaltiger; auch der Fischgroßhandel in Deutschland zeigt wachsendes Interesse an Fischen und Fischprodukten aus ökologischer Erzeugung. Dies kann als ein Zeichen gewertet werden, dass der Handel und die Erzeuger auf die zunehmende Verbrauchernachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln reagieren. Von solchem Wandel des Bewusstseins und der Verhaltensweise können Konsument und Umwelt profitieren.
aus: der überblick 02/2004, Seite 59
AUTOR(EN):
Andreas Stamer:
Andreas Stamer ist Biologe und arbeitet zur Zeit als Projektmanager für ökologische Aquakultur bei Naturland, einem großen deutschen Öko-Zertifizierer mit Mitgliedern in aller Welt.