"Wir müssen stärker politisch arbeiten"
Landesbischof Christian Krause, der Vorsitzender des Aufsichtsrates des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) bewertet die Erfahrungen aus dem ersten Halbjahr der neugegründeten Organisation.
von Frank Kürschner-Pelkmann
Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) besteht seit gut einem halben Jahr, wie bewerten Sie die bisherigen Erfahrungen?
Es ist ein sinnvolles und vernünftiges Unternehmen, die verschiedenen Zweige des evangelischen Entwicklungsdienstes in unserem Lande zusammenzuführen, um eine konzentrierte Arbeit zu ermöglichen. Die erwarteten Schwierigkeiten sind gut bewältigt worden, jedenfalls in den Arbeitsbereichen, die sich zu einer Zusammenarbeit entschlossen haben. Dazu gehört bisher nicht Brot für die Welt. Die Gründungsphase des EED war ein schwieriger Prozess für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben meine Hochachtung dafür, dass sie dies auf sich genommen und sehr konstruktiv und offen daran mitgewirkt haben.
Sie haben in einem Vortrag gesagt, der kirchliche Entwicklungsdienst müsse politischer werden. Was bedeutet das für den EED?
Wir müssen vor allem in der Lobby- und Advocacyarbeit politischer
werden. Nach dem Umbruch 1989/90 ist das Bewusstsein für die Notwendigkeit
eines Entwicklungsdienstes und eines Miteinanders in der Welt
zurückgegangen. Auch bei uns ist die Lobby für diese Anliegen kleiner
geworden. Als Generalsekretär des Kirchentages habe ich die Zeiten erlebt,
als es sehr lebendige Bewegungen gab: die Dritte Welt-Bewegung, die Anti-Apartheid-Bewegung, die Friedens-Bewegung... Dieses große Engagement hat
sich bei uns stark verflüchtigt.
Auf der anderen Seite hat der große Umbruch ganze Gesellschaften im
Süden an die Peripherie gedrängt. Das lässt sich nicht
überwinden, wenn man nur bei punktuellen Hilfsmaßnahmen wie zum
Beispiel nur im landwirtschaftlichen Sektor ansetzt. Man braucht ein
politisches Umfeld, in dem Perspektiven eröffnet werden. Es geht darum,
eine Globalität zu schaffen, die nicht nur gewinnoptimierend ist, sondern
die von der Solidarität lebt.
Was kann der EED konkret tun, um die Gruppen und Initiativen zu fördern, die aktiv sind, um ein solches globales Bewusstsein zu fördern?
Wir müssen viele Informationen geben über das, was in der Welt
passiert, damit man wirklich einen Überblick gewinnt. Dies ist um so
wichtiger, als wir sehr stark auf unsere eigenen partiellen Themen orientiert
sind oder nur von den Fernsehnachrichten leben. Wir müssen in unseren
Gemeinden deutlich machen, dass es um das diakonische Handeln der Gemeinde Jesu
geht. So, wie wir uns vor Ort um die sozial Schwachen kümmern, so ist dies
auch weltweit notwendig. Dafür kann man durch Seminare und zum Beispiel
auch durch Reisen etwas tun. Da muss noch sehr viel mehr geschehen.
Das gleiche gilt natürlich auch in den Beziehungen zum Ausland. So
haben wir zum Beispiel Aktionen in Gang gesetzt, um dafür zu sorgen, dass
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
(BMZ) nicht zum Stiefkind der deutschen Politik wird. Es geht also auch ganz
stark um Aktionen in die Öffentlichkeit hinein.
Was sind neben der Frage der Höhe des Etats des BMZ die Themen, bei denen der EED versucht, politisch Einfluss zu nehmen?
Ein wichtiges Thema ist die Gerechtigkeit in den internationalen Handelsbeziehungen. Es geht uns außerdem darum, Frieden und Demokratie schaffende Maßnahmen zu unterstützen und hierüber mit den politischen Kräften in unserem Lande zu sprechen, aber auch mit den politischen Kräften in den Ländern des Südens. Demokratie zu fördern, ist eines der wichtigsten Entwicklungsziele.
Der kirchliche Entwicklungsdienst war ursprünglich eng mit der ökumenischen Bewegung verbunden. Wie kann diese Verbindung heute wieder gefestigt werden?
Kirchlicher Entwicklungsdienst wird immer ökumenisch sein müssen.
Wir fragen in der Arbeit nicht nach der Konfession, sondern wir setzen uns
für Menschen in Not ungeachtet ihrer Herkunft, auch ihrer religiösen
Herkunft ein.
Wir müssen unsere Kräfte ökumenisch bündeln. Das ist ein
Grund für die Gründung des EED, das gilt aber auch für den
europäischen Bereich. Diese Zusammenarbeit geht immer über die
konfessionellen Grenzen hinweg. ACT (Action by Churches Together) mit
Sitz im Ökumenischen Zentrum in Genf ist eine dieser ganz wichtigen
Schienen, auf der wir arbeiten.
Im Mai fand eine Konsultation von EED und einigen überseeischen Partnern statt. Wie soll die Partnerschaft in Zukunft gestaltet werden?
Zunächst einmal müssen wir bei den Partnern eine nicht
unerhebliche Verwirrung beseitigen. Wir hatten vorher unübersichtliche
Strukturen mit vielen Abkürzungen, aber die "Profis" auf der
anderen Seite hatten sich darauf eingestellt, und nun wird alles anders. Wir
müssen unseren Partnern unsere Motive für unser gemeinsames Handeln
in einem gemeinsamen Evangelischen Entwicklungsdienst deutlich machen. Dazu
hat die Konsultation für diejenigen, die dabei waren, beigetragen. Aber
wir müssen unseren Partnern noch viel stärker unsere eigenen
Überlegungen mitteilen, damit sie an unserer Planung Anteil haben
können und damit wir umgehend ihre Reaktionen und Vorschläge
aufzunehmen vermögen. Das ist bisher zu wenig geschehen.
Bei einem kürzlichen Besuch in Afrika als Präsident des
Lutherischen Weltbundes habe ich eine große Verwirrung und manchmal auch
Befürchtungen im Blick auf Veränderungen bemerkt. Es geht also um
Aufklärungsarbeit, aber auch darum, mehr Voten und Anregungen der Partner
für die Gestaltung des Werkes einzuholen. Wenn über Schwerpunkte der
Arbeit und der Förderungen entschieden wird, so mein dringender Wunsch,
wird das hoffentlich dialogisch passieren.
Wenn ich mich also dafür einsetze, dass wir stärker politisch
arbeiten müssen, so ist dies eine Schwerpunktsetzung, über die wir
mit den Partnern zu einer Klärung kommen müssen. Heute ist eine sehr
viel größere Bereitschaft vorhanden, sich wechselseitig
einzumischen, weil die Globalität einfach nicht wegzudiskutieren ist. Die
hohen Schwellenängste, nicht die Souveränität des anderen zu
verletzen, sehe ich abnehmen, wenn man ein gemeinsames Ziel beschreiben kann.
Daran müssen wir arbeiten.
Sie haben sich in der Gründungsphase des EED dafür eingesetzt, dass er ein theologisches Profil haben muss. Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?
Es ist unverzichtbar, dass wir unsere Motive und unsere Ziele deutlich
machen, und diese kommen aus der Heiligen Schrift. Dieser Dienst geschieht in
der Nachfolge Jesu. Ich habe gerade einen Vortrag über den Dienst der
Versöhnung gehalten. Die Konferenz sollte eigentlich in Bethlehem
stattfinden, also dort, wo der barmherzige Gott zur Welt gekommen ist. Wenn wir
in solchen Situationen deutlich machen, dass wir als Christenmenschen handeln
und uns für die Versöhnung einsetzen, ist das auch für andere
nachvollziehbar. Dafür müssen wir in der Auseinandersetzung mit
spezifischen Situationen theologisch arbeiten.
Ich habe gelernt, wie bestimmend der Kontext ist. Es gibt Grundsätze und
Handlungskriterien, die aus der Bindung an die Heilige Schrift erwachsen. Das
ist das eine. Andererseits fordern konkrete Lebenszusammenhänge und
Konstellationen ihre je besonderen Konsequenzen. Diese Fragen können nur
in einem Dialog geklärt werden, zu dem theologische Qualifizierung
gehört.
Immer wieder wird das Verhältnis von Mission und Entwicklung diskutiert. Wie sehen Sie als jemand, der in beiden Bereichen zu Hause ist, dieses Verhältnis?
In der Grundmotivation der Kirche gehört beides zusammen. In beidem
geht es darum, aus dem eigenen Bereich hinauszugehen und Zeugnis abzulegen von
der Hoffnung, die in uns ist, welche ist Christus Jesus. Diese
Motivationsbestimmung ist mir wichtig, und da sind Mission und
Entwicklungsdienst unmittelbar beieinander.
In den konkreten Handlungsfeldern mag die Arbeit sich unterscheiden. So
werden wir unsere Hilfe für muslimische Flüchtlinge nicht davon
abhängig machen, ob sie Christen werden oder nicht. Aber wir werden
deutlich machen, dass wir als Christen unseren Dienst tun und zu helfen
versuchen.
Ich komme zum Anfang unseres Gespräches zurück, zur Gründung des EED und speziell zum Verhältnis zu Brot für die Welt. Welche Perspektiven sehen Sie für die zukünftige Zusammenarbeit?
Ich halte die Diskussion je länger desto mehr für eine
Stellvertreterdiskussion. Es geht eigentlich um eine Neubestimmung des
Verhältnisses von Diakonie und Kirche. Ich habe dies nicht von Anfang an
erkannt. Aber als man sah, dass etliche Kirchenleitungen und ihre
landeskirchlichen Diakonischen Werke unterschiedliche Positionen einnahmen, ist
mir deutlich geworden, dass es um eine grundsätzliche
Verhältnisbestimmung geht. Diesen Konflikt können wir als EED nicht
alleine lösen. Es liegt mir jedoch daran, dass wir durch diese
grundsätzliche Auseinandersetzung nicht alles zudecken, was an
Gemeinsamkeit und Kooperation in unserem Bereich möglich wäre.
Ich hoffe, dass wir zu einem gesunden Pragmatismus finden. Vieles läuft
bereits in der Zusammenarbeit der Stäbe. Wenn wir ein gemeinsames Dach
finden könnten, was ich immer noch hoffe, sollte dieses Dach Brot für
die Welt heißen. Das ist ein ganz wichtiges Signal. Ich hoffe, dass wir
in dieser Weise einer engeren Kooperation in der Arbeit mit unseren Partnern
überall in der Welt näher kommen können.
Das Gespräch über die zukünftige Zusammenarbeit von EED und
Brot für die Welt wird von der EKD und dem Diakonischen Werk
geführt.
Ich hoffe vor allem, dass es bald zu einer Klärung kommt. Wir haben
unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel zugemutet, gerade auch denen,
die umziehen müssen nach Bonn, und sie haben ein Recht darauf, nun endlich
zu erfahren, wie es konkret weitergehen soll.
Sie brauchen im EED eine verlässliche Organisationsform, die wir nicht
ständig offen halten können für die Möglichkeit, dass
vielleicht noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Brot für die Welt
morgen hinzu kommen, vielleicht aber auch nicht. Ich dränge gar nicht auf
eine bestimmte Form des Miteinanders, wohl aber auf eine sinnvolle, einsichtige
Klärung. Das sind wir auch unseren Partnern schuldig.
aus: der überblick 03/2001, Seite 120
AUTOR(EN):
Frank Kürschner-Pelkmann:
Frank Kürschner-Pelkmann ist Redakteur der FORUM-Seiten im überblick