Vom Nürnberg-Tribunal zum Internationalen Strafgerichtshof
Als Geburtstunde des modernen Völkerstrafrechts gilt der Nürnberger Prozess gegen die Hauptverantwortlichen des nationalsozialistischen Regimes nach Ende des Zweiten Weltkriegs. In Nürnberg wurden von dem von den Alliierten eingesetzten Internationalen Militärgerichtshof im Jahr 1946 insgesamt 22 Urteile gefällt (12 Todesurteile, 7 lebenslange oder zeitlich begrenzte Freiheitsstrafen, 3 Freisprüche). Ein paralleles Verfahren in Tokio endete mit 7 Todesurteilen und 21 Freiheitsstrafen. Der zentrale Gehalt der "Nürnberger Grundsätze" lautet: Der individuellen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit wegen Beteiligung an internationalen Verbrechen steht weder die innerstaatlich angeordnete Straflosigkeit noch grundsätzlich das Handeln in hoheitlicher Funktion oder aufgrund Befehls entgegen.
von Jörg Menzel
Die zentralen Delikte des Völkerstrafrechts sind seit den Nürnberger Prozessen im Grunde unverändert und wurden in dem am 17. Juli 1998 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs übernommen. Es handelt sich um: Völkermord (Verstoß gegen die Genozidkonvention von 1946), Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen (Verstöße gegen die vier Genfer Konventionen von 1949) und Aggression (Angriffskrieg).
In den 1950er bis 1980er Jahren war die Kodifizierung des Völkerstrafrechts praktisch nicht vorangekommen. Erst nach Ende des Kalten Krieges kam es zu einer dynamischen Entwicklung des modernen Völkerstrafrechts. Zunächst wurden auf der Grundlage von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1993 und 1994 Internationale Ad-hoc-Strafgerichtshöfe für Verbrechen in Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) sowie in Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR) eingerichtet, die nach wie vor tätig sind.
Seit einigen Jahren findet das Konzept gemischter (hybrider) Gerichte Verbreitung, in denen nationale zusammen mit internationalen Richtern und Staatsanwälten tätig sind und die auf der Basis nationalen wie internationalen Rechts urteilen. Im Kosovo (1999) und Ost-Timor (1999) wurde internationales Personal in nationale Gerichte integriert, in Sierra Leone (2002) ein gemischtes Gericht mit internationaler Richtermehrheit geschaffen und in Kambodscha (2006) nun erstmals ein spezielles Gericht mit nationaler Richtermehrheit. Die Einrichtung der Spezialkammer für Kriegsverbrechen im Rahmen der Strafabteilung des Staatsgerichtshofes von Bosnien-Herzegowina im März 2005 ist wiederum eine neue Form von internationaler Gerichtsbarkeit: Sie ist vollständig im Rechtsapparat von Bosnien integriert und ist nicht der UN unterstellt. Sie dient unter anderem der Entlastung des ICTY und als Maßnahme, den Wiederaufbau des dortigen Justizsystems zu fördern. Die Kammer beschäftigt nur übergangsweise internationales Personal. Bis 2010 soll es ganz durch nationale Kräfte abgelöst sein.
Der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC) mit Sitz in Den Haag ist seit 1. Juli 2002 offiziell in Funktion. Der von den USA nicht ratifizierte und zuweilen heftig befehdete ICC ist grundsätzlich nur für nach diesem Zeitpunkt begangene Straftaten auf dem Gebiet von Vertragsstaaten zuständig, beziehungsweise, wenn die Straftaten von einem Staatsangehörigen eines Vertragsstaates verübt wurden. Der ICC wird nur tätig, wenn ein Staat nicht selbst willens oder in der Lage ist, die Verbrechen zu ahnden. Der ICC ist befugt, die Strafverfolgung aufzunehmen, wenn der Ankläger des ICC, ein Vertragstaat oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dies beantragt. Der UN-Sicherheitsrat handelt im Namen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nation (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen) und kann deswegen den ICC zur Ahndung von Straftaten auf dem Gebiet eines Nicht-Vertragsstaates ermächtigen.
Er hat noch keine Urteile gefällt, ermittelt aber derzeit insbesondere mit Blick auf Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo (der im Gefängnis in Den Haag inhaftierte kongolesische Milizenführen Thomas Lubanga ist der erste Angeklagte), in Uganda (fünf Haftbefehle wurden im Juli 2005 erlassen), in der Zentralafrikanischen Republik und im Sudan (gegen zwei Verantwortliche für Verbrechen in Darfur wurden im Februar 2007 Haftbefehle erlassen).
Der ICC hat bekanntgegeben, dass der Ankläger auch weitere Fälle prüft, etwa die Lage in Côte d'Ivoire.
aus: der überblick 01/2007, Seite 20
AUTOR(EN):
Jörg Menzel
Jörg Menzel ist promovierter Jurist und seit November 2003 im Rahmen deutscher
Entwicklungszusammenarbeit als Rechtsberater des "Center for International Migration and
Development" (CIM) tätig.