Offene Ohren für harsche Töne vom Parkett
Mit Stumpf und Stil werde er die Korruption ausrotten, hatte Kenias neuer Präsident Kibaki vor zwei Jahren versprochen. Jetzt steht auch seine Regierung im Zentrum eines großen Korruptionsskandals. Der britische Botschafter in Nairobi hat das im Juli in einer ganz und gar undiplomatischen Rede gebrandmarkt. Die Reaktion in Kenia darauf reicht von Empörung bis zu enthusiastischer Zustimmung.
von Kurt Pelda
Die politischen Eliten Afrikas mögen keine Kritik. Zwar geht es den Afrikanern in fast allen Staaten des Kontinents im Durchschnitt heute wesentlich schlechter als zur Zeit der Unabhängigkeit, doch wollen die starken Männer Afrikas von dieser Schande nichts hören. Während sich die meisten anderen Länder dieser Welt entwickeln, sinkt der Lebensstandard in großen Teilen Afrikas praktisch durch die Bank. Das hindert die Politiker dieses Kontinents aber nicht daran, sich mit Pomp und Prunk in Luxuslimousinen an den Bettlern ihrer verelendeten Städte vorbei chauffieren zu lassen, in der ersten Klasse nach Europa zu fliegen und in Paris oder London in den schicksten und natürlich teuersten Geschäften einzukaufen. Wo käme man auch hin, wenn die großen Männer Afrikas nicht standesgemäß speisen, saufen und huren dürften?
Kenias Ex-Diktator Daniel arap Moi legte die Staatseinnahmen zum Beispiel lieber privat im sicheren Ausland an als es in Straßen, Schulen und Krankenhäusern - also in die Zukunft - seines eigenen Landes zu investieren. Mindestens eine Milliarde US-Dollar haben Moi und Konsorten nach Angaben der neuen kenianischen Regierung nach Großbritannien, Italien, Luxemburg und in die Niederlanden sowie nach Südafrika geschafft. Doch leider sind Mois demokratisch gewählte Nachfolger nicht viel besser. Als sie Anfang 2003 mit der “Nationalen Regenbogen-Koalition” an die Macht kamen, versprach der kränkelnde und nicht gerade charismatische neue Präsident Mwai Kibaki das Blaue vom Himmel herunter. Mit Stumpf und Stil werde er die Korruption ausrotten und innerhalb von hundert Tagen eine neue Verfassung vorstellen. Alles nur Schall und Rauch. Das erste, was Kenias frisch gebackene Parlamentsabgeordnete verabschiedeten, war eine kräftige Erhöhung ihrer Diäten und Zulagen. Seither gehören sie, wie das britische Wochenmagazin The Economist lamentiert, zu den am besten bezahlten Parlamentariern der Welt.
Wenn afrikanische Politiker mit derlei Kritik konfrontiert werden, dann geben sie in der Regel dem Vermächtnis des Kolonialismus die Schuld, oder dem Internationalen Währungsfonds oder dem ungerechten Welthandel. Besonders empfindlich aber reagieren viele afrikanische Regierungen, wenn die Kritik von Weißen kommt. Derlei verbitten sie sich, das sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten. Und als ehemalige Kolonialisten hätten die Kritiker ohnehin kein Recht, Afrikanern den Spiegel vorzuhalten. In Kenia wurde dieses Reaktionsschema jedoch kürzlich durchbrochen. Auf die beißende Kritik des britischen Botschafters Edward Clay an korrupten Ministern der Regenbogen-Koalition reagierte die Regierung ziemlich ratlos, während Medien, Hilfswerke und Kirchen Beifall spendeten. Die viel gelesene Tageszeitung The East African Standard erklärte den weißen Briten in einem Leitartikel gar zum Nationalhelden.
Was war geschehen? Seit rund einem Jahr häufen sich in den kenianischen Medien schwere Korruptionsvorwürfe an die Adresse einzelner Minister in Kibakis Kabinett. Das kann eigentlich niemanden erstaunen, denn dort sitzen auch Herren, die schon unter Moi Staatseigentum entwendeten und missliebige Kritiker ermorden ließen. Nicht nur die alten schwarzen Schafe lieferten sich indessen einen Wettlauf um die Plünderung der Staatskasse, sondern auch frisch gebackene Minister und hohe Regierungsbeamte. Beim jüngsten Skandal, der dem britischen Gesandten Clay den Kragen platzen ließ, ging es um die ins Zwielicht geratene Firma Anglo Leasing & Finance, die Staatsaufträge zum Bau eines forensischen Labors und zur Herstellung fälschungssicherer Pässe erhalten hatte. Wenn man der kenianischen Presse glauben darf, dann blähten korrupte Minister allein den Pass-Auftrag von ursprünglich umgerechnet rund 8 Millionen Euro künstlich auf etwa 27 Millionen Euro auf - wobei die Differenz in privaten Taschen verschwinden sollte. Ein Abgeordneter der Opposition brachte das betrügerische Geschäft im Parlament aufs Tapet, womit die unrühmliche Affäre ihren Lauf nahm. Plötzlich wurden ungefähr 5 Millionen US-Dollar, die das Finanzministerium der Firma Anglo Leasing & Finance bereits vorgeschossen hatte, auf wundersame Weise zurückgezahlt. Die Regierung behauptete, nichts von den Hintermännern dieser Überweisung zu wissen. Überhaupt habe man keine Ahnung, wer hinter Anglo Leasing & Finance stecke, ließ wenig glaubwürdig zum Beispiel Finanzminister David Mwiraria verlauten.
In nicht gerade diplomatisch zu nennender Sprache prangerte Clay in der Folge das Verhalten der Regierung öffentlich an. Seit der Machtübernahme der Regenbogen-Koalition seien in Kenia pro Jahr schätzungsweise 800 Millionen US-Dollar an Schmiergeldern gezahlt worden. Das sind immerhin beachtliche acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und aus der Staatskasse hätten die Regierungsmitglieder ungefähr 150 Millionen Euro abgezweigt, fuhr der britische Gesandte fort. Was ihn das angehe? Nun ja, die Versprechungen der Regenbogen-Koalition hätten sich nicht nur an die Kenianer gerichtet, sondern auch an das Ausland, das die kenianischen Reformen über Entwicklungshilfe finanzieren sollte, sagte Clay weiter. “Wir werden eingeladen, Gelder in eine Regierung zu investieren, von der man nicht erwarten kann, dass sie diese Mittel für die richtigen Zwecke einsetzt.” Kein Wunder also, wenn er, Clay, sich am Schluss enttäuscht fühle. Natürlich hätten die ausländischen Diplomaten, damals Anfang 2003, nicht erwartet, dass die Korruption über Nacht verschwinden werde. Aber man habe zumindest gehofft, dass der Diebstahl von Staatsgeldern nicht allzu offen stattfinde.
Und wie reagierte die Regierung auf diese Vorwürfe? Als ob er das Paradoxe der Situation nicht erkannt hätte, bat Präsident Kibaki kurz nach Clays starken Worten das Ausland um Hilfe bei der Bekämpfung der sich anbahnenden Hungerkatastrophe im Norden Kenias. Einige seiner Minister zeigten sich entrüstet oder forderten den Hinauswurf des unbequemen Diplomaten.
Mindestens zwei Vizeminister kritisierten zwar die undiplomatische Sprache, sie glaubten aber, dass Clays Sorge um die entwendeten 150 Millionen Euro von einer Mehrheit der Kenianer geteilt werde. Heftig fielen zum Teil die Reaktionen der Öffentlichkeit aus. Jene Stimmen, die Clay als Vertreter der ehemaligen Kolonialmacht jedes Mitspracherecht verweigern wollten, waren eindeutig in der Minderheit. Andere bemängelten zwar den undiplomatischen Stil des Gesandten, hielten seine Vorwürfe aber für absolut gerechtfertigt. “Der Klerus, Politiker aller Parteien und Anführer von Lobby-Gruppen stellten sich hinter Clays Behauptung, dass die Korruption in der Regierung überhand nehme”, schrieb die Zeitung The Daily Nation. Der Chef der anglikanischen Kirche, Erzbischof Benjamin Nzimbi, forderte die Regierung zu sofortigen Maßnahmen auf. Bischof Cornelius Korir, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, legte der Regierung nahe, sich auf die Substanz von Clays Vorwürfen zu konzentrieren und sich nicht mit der Art und Weise aufzuhalten, in der er sie verpackt hatte. Und der Inhalt von Clays Rede, der sei eben leider wahr. In die gleiche Kerbe hieben muslimische Organisationen.
Scheich Mohammed Dor, der Sekretär des Rats kenianischer Imame und Prediger, sagte zum Beispiel: “Clays Aussagen hätten wir gerne aus dem Mund unserer Opposition gehört.” Wenn die Opposition solche Skandale aufdeckte, dann müssten dies nicht ausländische Botschafter tun. Rückendeckung erhielt der britische Gesandte zudem vom amerikanischen Botschafter und von der norwegischen Entwicklungsministerin Hilde Johnson, die zu dieser Zeit gerade in Kenia weilte. Auch Gladwell Otieno, die Chefin der kenianischen Sektion von Transparency International, der Anti-Korruptionsorganisation, forderte den Rücktritt der betroffenen Minister, damit eine unabhängige Untersuchung durchgeführt werden könne. Weil Präsident Kibaki aber keine Anstalten machte, Licht ins Dunkle der diversen Korruptionsaffären zu bringen, vertagte etwa die Europäische Union kurzerhand eine Entscheidung über die Auszahlung von mehr als 100 Millionen Euro als Budgethilfe für den kenianischen Staatshaushalt. Selbst die Weltbank - sonst immer bereit, Kibaki und seine Regierung in den höchsten Tönen zu loben - verlangte ein entschiedenes Vorgehen gegen die grassierende Korruption. Und das britische Hilfswerk Action Aid veröffentlichte in ganzseitigen Zeitungsinseraten einen offenen Brief an Präsident Kibaki. Darin zählte die Organisation sieben mutmaßliche Korruptionsskandale auf, in denen “kolossale Summen an öffentlichen Geldern” verloren gegangen seien. Obwohl sich neun Behörden, zwei parlamentarische Kommissionen und verschiedene Sondergerichte mit der Korruptionsbekämpfung beschäftigten, sei die immer höher schwappende Welle der Bestechlichkeit Besorgnis erregend. Trotz dieses Proteststurms ist bis heute noch kein einziger Minister zurückgetreten oder von seinem Amt suspendiert worden.
aus: der überblick 03/2004, Seite 6
AUTOR(EN):
Kurt Pelda:
Kurt Pelda ist Afrika-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" mit Sitz in Nairobi, Kenia.