Tapfere Schreiber im Schatten der Berge
Im Königreich Nepal versuchen Schriftsteller, sich für politische und soziale Veränderungen in ihrem Land einzusetzen. Aber ihre gesellschaftskritischen Texte werden in Nepal und im Ausland kaum wahrgenommen, ihr Einfluss bleibt sehr gering. Grund dafür sind die hohe Analphabetenquote in dem kleinen Königreich und dass nepalesische Bücher kaum ins Englische übersetzt werden. Doch die Autoren lassen sich nicht entmutigen und verstehen sich als Kämpfer für Demokratie und gesellschaftlichen Wandel.
von Jörn Klare
Auf die letzte Frage des Besuchers antwortet Rana mit einem ausweichenden Lächeln: Ist der nepalesische König ein Problem für die Demokratie? “Das kann ich so nicht beantworten”, sagt er. “Aber ich habe mal darüber geschrieben, dass die Engländer ihren König Georg abgesetzt haben. Manchmal gebe ich auch Beispiele.” Der Schriftsteller Diamond Sumshere Rana ist ein charmanter, liebenswürdiger Gastgeber. Im Wohnzimmer seines Hauses in Kathmandus Nachbarstadt Patan dominieren neben einer gut gepflegten Polstergarnitur die sorgfältig gerahmten literarischen Auszeichnungen. Von den politischen Umständen hat sich der 86-jährige nie abhalten lassen, das zu schreiben, was er sagen will. Dieser Weg war keinesfalls vorbestimmt. Vielmehr hat Rana ihn selbst gewählt und mit einem Paukenschlag begonnen. “Meine Familie regierte 104 Jahre lang. Und ich fand am Ende, dass dieses System schlecht war, weil ein diktatorisches System ein Land niemals voranbringt.”
Es ist mehr als eine Fußnote wert, dass - wie der Nachname verrät - Diamond Sumshere Rana zur Familiendynastie der Rana gehört, die in Nepal bis 1951 herrschte. Nicht zuletzt sein Historienroman “Der weiße Tiger” führte zum Ende der Familiendiktatur. “Wir sollten dieses System aufgeben, habe ich gesagt. Ich habe es so beschrieben, wie es war.” Das aber hätte ihn fast an den Galgen gebracht. Ein Kriegsgericht hatte ihn - damals hoher Offizier - bereits zum Tode verurteilt. Dann brach der Aufstand los, dem sich auch befreundete Offiziere anschlossen. “Das war ganz schön knapp.” Rana lächelt. Doch nach dem Umsturz fingen viele Probleme Nepals erst an.
Der Versuch, eine Demokratie im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie zu etablieren, wurde 1960 durch einen Staatsstreich des Königs beendet. Bis 1990 war Nepal quasi eine absolute Monarchie. Seitdem ist ein schwieriger Demokratisierungsprozess im Gang, der dem Land 15 Regierungen in 14 Jahren und eine ungewisse Zukunft beschert hat. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat Sumshere Rana für die Demokratie in Nepal gekämpft. Neun mal wurde er deshalb zu Haftstrafen verurteilt. “Es gibt kein Gefängnis in Nepal, in dem ich nicht schon gesessen habe. “Wieder ist das Lächeln auf seinem Gesicht. Auf die Frage was denn passieren müsse, damit sich etwas ändert, hat der Schriftsteller eine eindeutige Antwort: “Solange die Literatur nicht aufblüht und es keine Bildung gibt, solange wird sich auch das Land nicht entwickeln. Was sollen wir mit all diesen Waffen? Etwa mit China oder Indien kämpfen?” Nepal ist mit seinen circa 25 Millionen Einwohnern, von über einer Milliarde Chinesen auf der einen und über einer Milliarde Indern auf der anderen Seite umgeben. Energisch richtet Rana sich in seinem tiefen Sessel auf. “Wie viele Verteidigungskräfte du auch hast, wie stark deine Armee auch ist, wie viele Waffen du auch besitzt - dein Land wird nicht stark sein, wenn es keine Literatur gibt.”
Auf dem internationalen Buchmarkt erscheinen sehr viele Bücher, die ausländische Besucher über Nepal geschrieben haben. Von Nepalesen über Nepal geschriebene gibt es nur sehr wenige. “Dabei haben wir hier eine sehr lebendige Literaturszene”, erklärt Kanak Dixit. “Nepal ist, was Sprachen, Ethnien und die Bandbreite an Lebenserfahrungen betrifft, eines der reichsten Länder der Welt.” Dixit, ein eher kleiner, agiler Mittfünfziger mit kurz geschnittenem grauen Haar, sitzt in seinem eleganten Büro mit Blick auf Kathmandu. Sein Buch “Bhaktes Nepalreise” beschreibt die Erlebnisse eines neugierigen und mutigen Frosches auf seinem Weg durch das hinduistische Königreich. Diese Erzählung ist ursprünglich für seine Kinder entstanden - und heute mittlerweile in 24 Sprachen (davon allein zwölf indische) übersetzt, so häufig wie kein anderes Buch eines nepalesischen Autors. Es gehört zur bitteren Ironie der Literaturszene Nepals, dass sich Dixit trotz seines Erfolgs keineswegs als Schriftsteller versteht. Der Journalist ist Chefredakteur des politischen Magazins Himal South Asian (vergl. “der überblick” 3/2002).
“Nepali hat sich in den vergangenen 50 Jahren zur allgemeinen Verkehrssprache und zur Hauptsprache in der Literatur entwickelt. Die ist in den letzen 15 bis 20 Jahren immer selbstbewusster geworden. Es gab eine richtig kreative Explosion.”
Eine kreative Explosion, die vom großen Rest der literarischen Welt schlichtweg übersehen wurde. Das liegt sicher auch daran, dass Englisch in Nepal - das nie britische Kolonie war - erst in den vergangenen Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat. Vor allem aber, so Dixit, “gibt es zu wenig Verständnis für die Situation Nepals. Weil es, vor allem vom Westen, als dieses exotische Shangri-La gesehen wird - das ist das eine Extrem. Das andere ist das Bild eines in Armut verharrenden Königreichs, das jetzt auch noch eine Rebellion erlebt.”
Geografie, Klima und Geschichte haben hier zwischen Indien und dem chinesisch besetzten Tibet so viele unterschiedliche Kulturen entstehen lassen, wie kaum sonst irgendwo in der Welt. Der englische Schriftsteller James Hilton schuf mit seinem 1933 erschienenen Roman “Der verlorene Horizont”, das Bild Nepals als Shangri-La, einem utopischen, paradiesischen Ort.
Spätestens seit den sechziger Jahren mythologisierten die Aussteiger aus dem industrialisierten Westen den Himalaya als eine Region, in der das Handeln der Menschen von naturverbundener, harmoniestiftender Spiritualität getragen und nicht nur von Konsumdenken bestimmt wird. Ein Trugbild und ein Missverständnis, das dem Tourismus gedient hat, indem es den Blick auf die oftmals schwierige Wirklichkeit eines der ärmsten Entwicklungsländer der Welt verschleiert.
Genau mit dieser Wirklichkeit befassen sich die zeitgenössischen nepalesischen Literaten.
Einer dieser Schriftsteller ist der gut vierzigjährige Dhruba Sapkota. Sein Geld verdient der schmale Mann mit dem sorgfältig rasierten Schnauzbart als Universitätsangestellter. Seine Berufung aber, sagt er, ist die Literatur. Nepal sei überreich an “brennenden Themen. Den Menschen geht es sehr schlecht. Sie leiden Hunger. Sie sind unterprivilegiert. Es gibt hier für Schriftsteller enorm viel zu schreiben. So gesehen ist das ein wunderbares Land.” Sapkota hat sich vor allem mit den Badi, einer Ethnie im Westen Nepals, beschäftigt. Die Badi sind traditionell Musiker und Tänzer und gehören im Kastensystem zu den Unberührbaren.
Mittlerweile lässt sich ihr potenzielles Publikum lieber von Fernsehern und Tonträgern unterhalten. Heute leben viele Badi-Familien vor allem davon, dass sich Frauen und Mädchen prostituieren.
Sapkota träumt nicht einmal davon, eines Tages von seinen Geschichten leben zu können. “In diesen Zeiten kann das Schreiben kein Beruf sein, weil es zu wenige Leser gibt. Aber wenn wir nicht schreiben”, fragt er, “wie soll die Literatur dann vorankommen? Deswegen ist es wichtig, dass wir schreiben und schreiben und schreiben.” Auch von der Analphabetenrate, die in Nepal bei über 50 Prozent liegt, lässt er sich nicht abschrecken. Selbst darin sieht er eine Herausforderung. “Wir müssen ein vielfältiges Angebot bieten, damit mehr Leute lesen. Es ist unsere Pflicht, so zu schreiben, dass auch gelesen wird. Wir können nicht einfach nur klagen.”
Riskant ist Sapkotas soziales und politisches Engagement in diesen Zeiten. Ein Maoistenführer drohte ihm mit dem Tode, weil er sich für die Demokratie einsetzte. Diese Gefahr verdrängt er:
“Ich bin kein mächtiger Mann. Ich bin einfach und arm, wie die meisten Menschen hier. Warum soll ich da Angst haben? Ich schreibe für den sozialen Fortschritt, über das Leid. Also fürchte ich mich nicht.” Sozialer Fortschritt ist bitter nötig. Nepal gehört zu den ärmsten Staaten der Welt.
Im Jahre 1995 spaltete sich der radikale Flügel der zu diesem Zeitpunkt regierenden Kommunistischen Partei ab und ging in den Untergrund, um ein Jahr später den “Volkskrieg” auszurufen. Die radikalen Maoisten stellten ein 40-Punkte-Programm auf und beendeten in ihren Einflussgebieten unter anderem die Schuldknechtschaft, verboten exzessiven Alkoholgenuss, vertrieben Geldwucherer und führten die Schulpflicht ein. Indem sie Gewalt anwendeten, die sich immer mehr zum Terror wandelte, wurden die Maoisten zu einem entscheidenden Machtfaktor, der vor allem die ländlichen Gebiete kontrolliert. Da König Gyanendra kurz nach seiner Machtübernahme im Jahr 2001 den Ausnahmezustand ausrief und mehr an einer Konfrontation als einem Ausgleich interessiert zu sein scheint, verharrt Nepal in einer lähmenden Pattsituation der politischen und militärischen Kräfte. Längst überfällige Reformen und gesellschaftliche Entwicklungen sind blockiert. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.
Dhruba Chandra Gautam bedrückt die Situation. Mit schwerem Körper und wachem Geist schreibt er ausschließlich über aktuelle soziale Themen. “Wir Autoren sind für die Demokratie auf die Straße gegangen”, erinnert er sich mit einer Haltung aus Resignation und Wut an den Beginn der neunziger Jahre. “Als dann aber die Demokratie kam, mussten wir feststellen, dass es nicht die Art von Demokratie war, die wir Nepalesen wollten. Die Leute, denen wir vertrauten und die im Gefängnis gesessen und viel gelitten hatten - die wurden korrupt, als sie an die Macht kamen.” Früh hatten die nepalesischen Schriftsteller gemerkt, dass es so nicht weitergehen konnte. “Kurz gefasst kann man sagen, dass die Literatur in Nepal, eine Literatur des Widerstands ist.”
Gautam, knapp 60 Jahre alt, ist Mitbegründer des nepalesischen PEN-Clubs und war eine Zeitlang Mitglied der Königlichen Akademie. Er schreibt aus Überzeugung, trotz aller oder vielleicht auch wegen aller Frustrationen. “Wir müssen wie vorher auch schon gegen das Übel anschreiben, bis die Dinge richtig laufen. Ein Autor kann nicht zufrieden sein, wenn die Lage unglücklicherweise so ganz anders ist, als wir das erwartet oder uns das erhofft hatten.” Die Literatur sei kühner geworden, sagt Gautam. Allerdings meint er auch, dass es mit den Lesern nicht so einfach ist. Armut, die hohe Analphabetenrate und die belastenden politischen Umstände sind ein Problem. Wenn sich ein paar hundert Exemplare eines Buches verkaufen lassen, dann ist das schon ein Erfolg. Gautam lässt sich davon nicht irritieren, sondern findet im Gegenteil: “Wir haben diesen inneren Druck, dass wir nicht leben können, wenn wir nichts schreiben. Man kann damit keine einzige Rupie verdienen. Aber wir müssen schreiben. Und einige Leute mögen, was wir schreiben und diese Leute sind unsere Götter.” Bisher wurden 25 seiner Bücher veröffentlicht, aber kein einziges ins Englische übersetzt. “Wie soll sich die nepalesische Literatur da der Welt präsentieren können”, fragt er. “Wir reden zwar von einem globalen Dorf, aber was bedeutet das, wenn es keine Übersetzungen in andere Sprachen gibt?”
Schließlich, betont Gautam zum Abschied, hat die Literatur einen Einfluss auf die Entwicklung einer Nation und ihrer Kultur. “Niemand sieht das voraus. Zuweilen denken wir, wir verdienen nichts und wir werden nicht übersetzt. Trotzdem müssen wir schreiben, um etwas für die nächste Generation zu hinterlassen. Wir fangen die Zeit ein, wir beschreiben sie. Wenn wir nicht die Realität beschreiben, wer wird es sonst tun? Das ist der wahre Bericht dieser Zeit, den wir liefern.”
Literatur
Kanak Mani Dixit: Bhaktes Nepalreise. Die Abenteuer eines Frosches im Himalaya. Deutsch Nepalische Gesellschaft (Hrsg.). Köln, Berlin 1998
Alice Grünfelder (Hrsg.): Himalaya. Menschen und Mythen. Unionsverlag. Zürich 2004 (Darin sind auch Auszüge aus “Bhaktes Nepalreise”).
Fakten und ZahlenKleines Land mit KönigAn den südlichen Ausläufern des Himalaya, zwischen der Volksrepublik China und Indien, liegt Nepal. Mit einer Fläche von ungefähr 147.181 Quadratkilometern ist es gerade mal so groß wie der Freistaat Bayern. In dem kleinen Königreich leben circa 24 Millionen Menschen, davon in der Hauptstadt Kathmandu rund 1,1 Millionen. Staatsreligion ist der Hinduismus, dem etwa 80 Prozent der Bevölkerung anhängen. Aber auch der Buddhismus nimmt Einfluss auf die Gesellschaft. Es gibt etwa 75 ethnische Gruppen und neben der Amtssprache Nepali um die 50 Minderheitensprachen. Die meisten Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 246 US-Dollar im Jahr 2003 gehört das Land zu den ärmsten der Welt. Es gibt eine weite Kluft zwischen arm und reich und riesige Unterschiede zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land. Die beiden obersten Kasten - die der Priester und Krieger - machen etwa 29 Prozent der Nepalesen aus. Ihre Angehörigen besetzen fast alle höheren Positionen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Auch in der Armee und in den Medien stehen sie an der Spitze. Im Jahr 1768 gründete die Shah-Familie das nepalesische Königreich, das die Familie der Rana von 1846 bis 1950 regierte. Diese beiden Clans haben immer wieder untereinander geheiratet, so dass sie heute eine geschlossene Aristokratie bilden, die fast den gesamten Reichtum Nepals besitzt und kontrolliert, insbesondere auch den Grundbesitz. Die unteren Kasten und die ethnischen Minderheiten - die Mehrheit der Bewohner - werden in dieser Gesellschaftsordnung traditionell unterdrückt und ausgebeutet. Kinderarbeit ist die Regel und der größere Teil der Landbewohner, die einen sklavenähnlichen Status haben, bestellt das Land der Großgrundbesitzer. Seit 1990 ist Nepal eine parlamentarische Demokratie mit konstitutioneller Monarchie. Staatsoberhaupt ist König Gyanendra Bir Bikram Shah Dev. Er übernahm im Juni 2001 den Thron, drei Tage nachdem sein Bruder Birendra und weitere Angehörige der Königsfamilie in einem Blutbad ums Leben kamen. Täter war der Kronprinz Diprendra, der sich wenig später selbst erschoss. König Birendra genoss bei der Bevölkerung hohes Ansehen, Gyanendra dagegen gilt als machtbesessen. Im Oktober 2002 setzte König Gyanendra den Regierungschef Sher Bahadur Deuba wegen “Inkompetenz” ab und entließ das Parlament. Deuba war im Jahr zuvor vom Parlament gewählt worden. Nach seiner Absetzung verhängte der König den Ausnahmezustand. Die fünf wichtigsten Parteien, außer jener der Königstreuen, haben darauf hin geschlossen für die Wiedereinsetzung der Regierung und die Einberufung des Parlaments demonstriert. Am 2. Juli 2004 setzte König Gyanendra Premierminister Deuba wieder in sein Amt ein. Seit 1996 kämpft die maoistische Rebellenorganisation Communist Party of Nepal-Maoist (CPN-M) in einem “Volkskrieg” gegen die Regierung und das Königshaus. Sie war zuvor Teil der Regierung gewesen und hatte sich dann als radikale Gruppe von der sozialdemokratisch orientierten Communist Party/Unified Marxist-Leninist (CPN-UML) abgespalten und war in den Untergrund gegangen. Ihr Ziel ist die Umwandlung Nepals in einen kommunistischen Staat. Dazu will sie das feudale System abschaffen, eine Landreform zum Vorteil der landlosen Bauern durchsetzen und die weit verbreitete Korruption beenden. Auch die Führungskader der Rebellen gehören den obersten Kasten an. Mit ihrem Aufstand erschwert die CPN-M das Leben der Menschen im Land. In vielen Regionen haben Kämpfe die Infrastruktur zerstört, es gibt weder elektrischen Strom noch fließendes Wasser. Die maoistischen Untergrundkämpfer exekutieren Politiker, Mitglieder der Sicherheitskräfte und Großgrundbesitzer. Sie verüben Bombenanschläge, zwingen Zivilisten in ihre Milizen und rekrutieren Kinder als Soldaten. Um die 10.000 Menschen sind dem Untergrundkrieg bisher zum Opfer gefallen und etwa 16.000 Personen wurden in ideologische Umerziehungslager verschleppt. Vor den Konflikten sind innerhalb des Landes hunderttausende Nepalesen geflohen. Ein großer Teil von ihnen sucht Schutz in den Städten. Kathmandus Einwohnerzahl ist in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent gewachsen. Dennoch erhalten die Maoisten weiterhin Rückhalt aus der Bevölkerung, da sie soziale Gerechtigkeit für die bitterarmen Menschen im Land versprechen. Auch die Regierungstruppen missachten die Menschenrechte. Sie verhaften willkürlich, foltern und inhaftieren politische Gegner. Bei ihrem Kampf gegen die CPN-M verstoßen sie gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Mittlerweile muss die Armee in dem Guerillakrieg immer mehr Niederlagen hinnehmen. Seit dem Beginn ihres Aufstandes vor acht Jahren gelang es den Maoisten, stetig Gebiete zu erobern. In abgelegenen Regionen unterhalten sie eigene Schulen. Aus diesen Landesteilen hat sich die Regierung vollkommen zurückgezogen. Mittlerweile verüben die Rebellen auch in der Hauptstadt Anschläge. Mitte August 2004 begannen sie die Belagerung Kathmandus, indem sie ankündigten, für einen unbestimmten Zeitraum alle Zufahrtsstraßen zu kontrollieren und Fahrzeuge anzugreifen. Die Maoisten wollen die Stadt so lange von wichtigen Lieferungen abschneiden, bis die Todesumstände einiger ihrer Führer geklärt sind. Mit dieser Blockade üben die Rebellen Druck auf die Regierung und das Königshaus aus und demonstrieren ihre Stärke. Premierminister Deuba hatte schon während seiner Amtszeit im Jahr 2001 Friedensgespräche mit der CPN-M begonnen. Am 27. August 2003 hatten die Maoisten ein Waffenstillstandsabkommen einseitig aufgekündigt. Nun will der wieder eingesetzte Regierungschef die Friedensverhandlungen erneut aufnehmen. Zudem haben die Vereinten Nationen sich bereit erklärt, zu vermitteln. Die Verhandlungen mit den maoistischen Rebellen über ihre Beteiligung an der Regierung werden darüber entscheiden, ob politische Stabilität in Nepal einkehrt. Deborah Odumuyiwa |
aus: der überblick 03/2004, Seite 100
AUTOR(EN):
Jörn Klare:
Jörn Klare lebt als freier Journalist in Berlin. Er schreibt Reportagen und Features für den Rundfunk sowie für die »Frankfurter Rundschau« und »Die Zeit«.