Warum grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu schärferer Grenzüberwachung führen kann
Viele Staaten fördern die regionale Integration durch Handel und Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg. Gleichzeitig verstärken einige aber ihre Grenzkontrollen, vor allem, um die Zuwanderung einzuschränken. Schärfere Kontrollen, wie an der US-Grenze zu Mexiko oder der deutschen Ostgrenze, verhindern zwar nicht den illegalen Grenzverkehr. Aber sie erwecken den Eindruck, dass der Staat die Folgen der Integration im Griff hat, und sie stützen die Vorstellung von der Nation als politischer Gemeinschaft.
von Peter Andreas
Die Staaten lockern die Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, und die militärische Gefährdung der Grenzen verliert an Bedeutung. Aber gleichzeitig verstärken viele Länder ihre Bemühungen, illegale Grenzübertritte mit polizeilichen Mitteln zu unterbinden. In einigen Fällen werden sogar Sicherheitsdienste, Strategien und technische Ausrüstung, die ursprünglich als Abschreckung gegen militärische Bedrohungen gedacht waren, nun für polizeiliches Vorgehen gegen Schmuggler und illegale Einwanderung genutzt.
Eine der wichtigsten und politisch heikelsten Aufgaben der Grenzpolizei ist es, illegale Einwanderung zu verhindern. Das zeigt sich am eindrücklichsten entlang der Trennlinien zwischen reichen und armen Ländern - so an der Grenze zwischen dem Südwesten der USA und Mexiko und an der deutschen Ostgrenze zu Polen. In beiden Fällen ist eine Zunahme des Grenzverkehrs mit einer verstärkten Überwachung der Grenze einhergegangen.
Die USA haben die Überwachung ihrer Südwestgrenze erheblich verschärft; das steht in krassem Gegensatz zur Rhetorik und Praxis der wirtschaftlichen Integration zwischen den USA und Mexiko. Das Nord-amerikanische Freihandelsabkommen (NA- FTA) fördert eine Volkswirtschaft, die sich von Nationalstaaten löst, aber indem die USA neue Grenzsicherungsmaßnahmen ergreifen, verstärken sie den Anspruch des Staates auf Kontrolle seines Hoheitsgebiets. So schafft die Integration der USA und Mexikos einen grenzenlosen Wirtschaftsraum und paradoxerweise zugleich eine Verbarrikadierung der Grenze.
Verstärkte Kontrollen an der Grenze dienen jedoch weniger der tatsächlichen Abschreckung von Zuwanderern; sie sollen vielmehr ein bestimmtes Image von der Grenze verbreiten und dabei helfen, mit den sich vertiefenden Widersprüchen der wirtschaftlichen Integration klarzukommen. Obwohl die forcierte Kampagne der Grenzüberwachung einige absurde und kontraproduktive Folgen hatte, aber nicht in nennenswertem Umfang illegale Immigranten abzuschrecken vermochte, ist es ihr erstaunlich gut gelungen, das Bild einer sichereren und ordentlicheren Grenze zu schaffen. Gleichzeitig konnte die Politik durch Konzentration auf das Thema Grenze die Aufmerksamkeit von der Aufgabe ablenken, sich mit dem traditionsreichen und tief verwurzelten grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt auseinanderzusetzen, der ein (wenn auch illegaler) Bestandteil der wechselseitigen Abhängigkeit der USA und Mexikos ist. In dem Maße, wie die USA und Mexiko in den letzten Jahren stärker zusammengewachsen sind, ist der Konflikt zwischen denen, die darauf drängen, die Grenze zu öffnen und die Märkte zu liberalisieren, und denen, die die Grenze für Arbeitsimmigranten schließen wollen, immer heftiger geworden. Das wiederum hat den Ruf nach verschärfter Überwachung der Grenze lauter werden lassen.
Als in den USA der Druck stärker wurde, gegen den illegalen Zustrom von Immigranten "etwas zu unternehmen", rückte die 3200 km lange Grenze zu Mexiko ins Zentrum des politischen Interesses. Als Präsident Clinton sein Amt antrat, hielt er die Frage der Überwachung der Grenze noch nicht für vordringlich (1993 empfahl er sogar, bei der Border Patrol, den Grenzpatrouillen, Personal abzubauen, um Geld zu sparen). Doch bald wurde er zu einem enthusiastischen Verfechter schärferer Kontrollen, um mit den Anträgen der Republikaner im Kongress Schritt zu halten. Ende Juli 1993 hielt er eine Pressekonferenz ab, um neue aggressive Maßnahmen gegen illegale Zuwanderer anzukündigen, einschließlich der Aufstockung der Border Patrol um 600 zusätzliche Grenzschützer.
Die Verstärkung der Polizeipräsenz an der Südwestgrenze erwies sich bald als das Herzstück der Regierungspolitik zur Kontrolle der Einwanderung. Der Immigration and Naturalization Service (INS) - die vorgesetzte Behörde der Border Patrol - ist zu einer der am schnellsten wachsenden Bundesbehörden geworden. Ihr Budget hat sich in den Haushaltsjahren 1993-1999 fast verdreifacht (von 1,5 auf 4,2 Milliarden US-Dollar) und ein großer Teil dieses Zuwachses hat dazu gedient, die Border Patrol zu stärken. Ebenso zügig wie neue Grenzschützer eingestellt wurden, wurde technisch aufgerüstet - mit Infrarot-Nachtsichtgeräten, hochempfindlichen Videokameras, Bodensensoren, Hubschraubern und Geländefahrzeugen.
Ein Gesetz, das der Präsident im September 1996 unterschrieb (Illegal Immigration Reform and Immigration Responsibility Act 1996), ermöglicht es, die Border Patrol bis zum Jahr 2001 fast zu verdoppeln. Dieses neue Gesetz deckt auch weitere Maßnahmen ab, um die Grenze zu sichern, etwa eine drastische Verschärfung der Strafen für Schleuser und den Bau eines 22 Kilometer langen dreifachen Zauns südlich von San Diego. Mit mehr Zäunen und mehr Überwachungsausrüstung, härteren Strafen und mehr Gesetzeshütern will man die illegale Einreise lieber verhindern, anstatt Eindringlinge fangen zu müssen, nachdem sie die Grenze überschritten haben. An den bei unbefugten Grenzgängern beliebtesten Stellen wird stark in den Gesetzesvollzug investiert, um den Personenverkehr zu unterbrechen und Grenzverletzer dazu zu zwingen, die Einreise an schwierigeren, abgelegeneren Stellen zu versuchen oder an offiziellen Grenzübergängen, von denen der INS behauptet, dass dort der Zustrom leichter zu steuern sei. Die Strategen der Grenzkontrollen hoffen, dass schließlich viele, die gerne über die Grenze wollen, von dem Versuch abgeschreckt werden und die, die es versuchen, mehrmals scheitern und zum Schluss frustriert und mittellos aufgeben.
Auch das Militär hat eine wichtige Unterstützerrolle bei der Grenzkontrolle. Die Militärs helfen dem INS - obwohl sie nicht befugt sind, jemanden zu verhaften -, indem sie Nachtsichtgeräte, Bewegungsmelder und Nachrichtentechnik bedienen sowie Straßen und Zäune bauen und diese unterhalten. So haben entlang der Grenze südlich von San Diego Reservisten des Heeres eine drei Meter hohe stählerne Mauer errichtet. Dazu haben sie 180.000 Metallplatten verwandt, die ursprünglich für provisorische Landebahnen bei Kriegsaktionen wie "Wüstensturm" vorgesehen waren. Mexikaner nennen das den "Eisernen Vorhang".
Technologien und Ausrüstung, die ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt worden sind, werden in zunehmendem Umfang für die Grenzkontrolle adaptiert. Magnetische Schrittdetektoren und Infrarot-Körperwärmemelder, die zuerst in Vietnam eingesetzt worden waren, sind an mehreren Abschnitten der Grenze installiert worden. Im März 1995 wurde ein Zentrum für Grenzforschung und -technologie in San Diego eröffnet, um die Umwandlung von Militärtechnologie in Technik zur Verfolgung von Grenzverletzern zu erleichtern. Beispielsweise prüft die Border Patrol ein fotografisches Identifizierungssystem, das von Hughes Aircraft entwickelt worden ist. Unter anderem gibt es auch ein Verfahren, mit einem elektrischen Feld ein Fluchtauto zu stoppen, eine Kamera, die in Fahrzeugen versteckte Passagiere aufspürt und einen Computer, der Pendler anhand der Stimme identifiziert.
Der INS rühmt sich: "Noch nie in der Geschichte war die Grenze so schwer zu passieren wie heute." Aber sie behauptet nicht (und das lässt sich auch nicht nachweisen), dass schärfere Grenzkontrollen zu einem Rückgang der Gesamtzahl illegaler Immigranten geführt haben. Obwohl die Grenze dichter gemacht wird, gibt es wenig Anzeichen dafür, dass eine größere Zahl von Einreisewilligen aufgibt. Die meisten versuchen es einfach immer wieder, bis sie schließlich die andere Seite erreicht haben.
Die schärfere Überwachung hat mehr Todesopfer an der Grenze zur Folge gehabt. 1997 ergab ein Forschungsbericht der Universität Houston, dass während der letzten vier Jahre 1185 Menschen ertrunken, an Hitzschlag oder Verdursten gestorben oder von Autos totgefahren worden waren, als sie versuchten, die Grenze abseits von offiziellen Grenzübergängen zu überwinden. Da der Arm des Gesetzes sich auf die am leichtesten zu erreichenden und beliebtesten Grenzübergänge konzentriert, haben heimliche Grenzgänger sich weniger sichtbaren und abgelegeneren Schlupflöchern zugewandt.
Indem der Gesetzesvollzug die traditionellen Wege und Methoden der illegalen Einreise blockiert, hat er den früher recht simplen Akt, illegal über die Grenze zu gehen, zu einem umfassenden System illegaler Praktiken werden lassen. Früher sah die unerlaubte Einreise hauptsächlich so aus, dass man sich ohne Hilfe einschlich oder für ein paar Dienste einen lokalen Schleuser (Coyote) in Anspruch nahm. Inzwischen ist die Einschaltung eines Schleusers die Regel, und die Tarife haben sich von 250 bis 300 auf mehr als 500 US-Dollar erhöht. So kommentiert Miguel Vallina, der Vizechef der Border Patrol in San Diego: "Je schwieriger der Übergang, desto besser das Geschäft für den Schleuser."
Die Behörden legen einigen Schleusern das Handwerk; aber das Problem ist, dass sie damit dazu beitragen, den Umsatz konkurrierender Schleuser zu steigern. Die Zunahme des organisierten Menschenschmuggels dient dann wiederum als Rechtfertigung für noch schärfere Gesetze und ihre striktere Anwendung. Schleuser müssen jetzt für Jahre statt Monate ins Gefängnis. Dennoch fehlt es nicht an Schleusern. "Die Schleuser kriegen einfach mehr Geld für ihr höheres Risiko", erläutert ein höherer Beamter der Einheit zur Schleuserbekämpfung der Border Patrol.
Ein sehr viel seltener diskutierter und kaum messbarer Nebeneffekt der Grenzschutz-Offensive ist wohl die Zunahme der Korruption. 1994 schrieb die New York Times: "Keine Regierungsbehörde ist so anfällig für Korruption wie der INS, wo Schalterbeamte, die kaum mehr als den Mindestlohn verdienen, Green Cards und andere begehrte Dokumente ausgeben, für die auf dem Schwarzmarkt mehrere Tausend Dollar gezahlt werden. Jedes Jahr werden Dutzende von ihnen festgenommen wegen passiver Bestechung und ähnlicher Straftaten. Aber auch wenn Korruptionsfälle immer wieder krasse Schwachstellen im System bloßlegen, unterlässt es die Behörde gewöhnlich, etwas dagegen zu unternehmen."
Von Bedeutung ist auch eine weitere Folge der strikteren Grenzkontrollen: Der heimliche Grenzübertritt wird nicht mehr so häufig wiederholt. Das Verhaltensmuster sah früher so aus: Die meisten Mexikaner, die illegal einreisten, blieben nicht in den USA, sondern gingen fast wie Pendler im grenzüberschreitenden Berufsverkehr hin und zurück. Seit es aber riskanter und teurer wird, über die Grenze zu gehen, wächst auch der Anreiz für viele illegale Immigranten, ihren Aufenthalt auszudehnen oder vielleicht sogar ganz da zu bleiben. Anders ausgedrückt: Weil Pendeln schwieriger und teurer wird, ist der Anreiz, in die Nähe des Arbeitsplatzes zu ziehen, größer geworden. Wenn es darum geht, den Anteil illegaler Immigranten an der Wohnbevölkerung der USA zu reduzieren, ist dieses Resultat nicht nur ein Indiz für das Scheitern dieser Politik, sondern sogar dafür, dass sie das Gegenteil des Angestrebten bewirkt.
Auf dem Arbeitsmarkt herrscht durchaus noch kein Mangel an illegal Eingewanderten. Beispielsweise schätzt das Urban Institute, dass ihr Anteil an den Arbeitskräften in der kalifornischen Agrarindustrie von weniger als 10 Prozent im Jahr 1990 sogar auf 40 Prozent bis zum Jahr 1997 gestiegen ist.
Unter den entwickelten Industrieländern bestrafen die USA den Menschenschmuggel und damit zusammenhängende Vergehen am härtesten. Jedoch gibt es dort kaum Sanktionen gegen Arbeitgeber, die illegal Eingewanderte beschäftigen. Erstmals hat der Immigration Reform and Control Act von 1986 Strafen für solche Arbeitgeber angedroht. Aber bekanntermaßen sind diese Strafen gering, die Fälle für ihre Anwendung ungenau definiert, und das Gesetz wird kaum angewendet. Da von den Unternehmern nicht verlangt wird, dass sie die Echtheit von Dokumenten prüfen, riskieren sie wenig, wenn sie illegale Immigranten einstellen - zumindest wenn diese irgendwelche Dokumente vorweisen können. Und das wiederum hat - wen wundert es - zum Entstehen eines blühenden Industriezweigs geführt, der falsche Papiere produziert. Laut Richard Rogers, dem Chef der INS in Los Angeles, kann man Green Card und Sozialversicherungsausweis "für zusammen 50 bis 75 US-Dollar kaufen, jedenfalls in einer Qualität, die dem Arbeitgeber als Beleg ausreicht."
Dass man sich kaum um die Arbeitgeber von illegal Beschäftigten kümmert, ist ein deutliches Zeichen für den krassen Widerspruch zwischen Expertenmeinung und politischer Praxis. Die Commission on Immigration Reform der USA kam in ihrem Bericht vom September 1994 zu dem Schluss: "Die Anziehungskraft des Arbeitsplatzangebots zu reduzieren, ist das A und O einer umfassenden Strategie zur Eindämmung der illegalen Immigration." Dessen ungeachtet liegt im bisher neuesten Gesetz zur Kontrolle der illegalen Immigration, das der Kongress 1996 verabschiedet hat, der politische Schwerpunkt auf der Grenzüberwachung, während von Kontrollen am Arbeitsplatz nicht die Rede ist. In einer ersten Fassung des Gesetzes war noch von einer Erhöhung der Zahl der Inspektoren des Arbeitsministeriums und einer Erhöhung der Geldbußen für Arbeitgeber, die wiederholt Illegale einstellen, die Rede gewesen; in der Endfassung sind diese Bestimmungen gestrichen.
Wenn man sie nur unter ihrem tatsächlichen Abschreckungseffekt beurteilt, ist die enorme politische Popularität der Grenzkontroll-Kampagne paradox. Doch was als Abschreckungsstrategie scheitert, kann dennoch politisch Erfolg haben. In diesem Fall sieht die Grenze ordentlicher aus, weil in der Tat an den größeren Übergängen in städtischen Zentren, die im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen, sehr viel mehr Kontrolle ausgeübt wird. Unbefugte Grenzübertritte sind sehr viel weniger sichtbar, weil sie an Orten stattfinden, die im Abseits, versteckt und über lange Grenzabschnitte verstreut liegen.
Verstärkte Grenzüberwachung lohnt sich für Gesetzgeber ebenso wie für Gesetzesvollzieher.
Der INS verdankt der Grenzkampagne die gewaltige Aufstockung seines Haushalts und Personals, und die politische Unterstützung für diese lange vernachlässigte Behörde ist erheblich stärker geworden. Den Inhabern politischer Wahlämter hat die Kampagne Stimmen beschert. Ohne politische Kosten fürchten zu müssen, können sie deutlich machen, dass sie unnachsichtig gegen illegale Einwanderung vorgehen. Dank der verstärkten Grenzkontrollen bot insbesondere die Demokratische Partei keine Angriffsfläche mehr für Vorwürfe der Republikaner, sie sei lasch gegenüber Illegalen.
Die Grenze hat allerdings viele Hintertürchen. Wird eines geschlossen, so heißt das nur, dass der heimliche Menschenstrom verlagert, aber nicht verhindert wird. Bei dem Spiel Gatekeeper geht es darum, "zu versuchen, soviel Aufmerksamkeit wie möglich auf ein kleines Gebiet zu lenken und zu hoffen, dass niemand merkt, dass wir woanders völlig überrannt werden...", erklärt T. J. Bonner, der Präsident des National Border Patrol Council, des Nationalen Rats zur Grenzüberwachung.
Es verschärft sich der politische Zielkonflikt, gleichzeitig den grenzüberschreitenden Verkehr erleichtern und die Einwanderung strikter kontrollieren zu wollen. Geflissentlich wird die Tatsache übersehen, dass etwa 40 bis 50 Prozent der illegalen Einwanderer zunächst legal in die USA gereist sind (beispielsweise als Touristen oder Studenten) und nach dem Ablauf ihres Visums da geblieben sind.
An den Grenzübergängen im Südwesten wird der Konflikt zwischen Erleichterung und Verhinderung der Einreise tagtäglich ausgetragen. Die Beamten werden immer frustrierter, weil sie zwei Ziele in Einklang bringen sollen: die wachsende Zahl legitimer Grenzübertritte an den Übergängen erleichtern und gleichzeitig die wachsende Zahl illegaler Einreiseversuche unterbinden.
Wenn man die Kontrollen an den Grenzübergängen verschärft, riskiert man eine schleppende Abfertigung der wachsenden Zahl legaler Grenzgänger. Etwa 40 Millionen Menschen und 15 Millionen Autos jährlich kommen allein über die Grenzübergänge südlich von San Diego in die USA. Im Ganzen kommen aus Mexiko etwa 230 Millionen Menschen und 82 Millionen Autos jährlich. Während infolge der engeren Beziehungen zwischen Menschen über die Grenze hinweg die Zahl der Grenzübertritte weiter steigt, wird auch der Ruf nach strengeren Kontrollen lauter. Die Politik antwortet darauf mit einer Mischung aus härteren Strafen für die Benutzung gefälschter Dokumente, deutlicher Erhöhung der Zahl der Grenzbeamten und der Entwicklung effizienterer und hochtechnisierter Verkehrsleitsysteme.
Die Modernisierung der Grenzkontrollen trägt allerdings wenig dazu bei, das wirkliche Thema anzugehen, nämlich die tiefgreifenden wirtschaftlichen Umwälzungen, die dazu beitragen, dass die Zahl illegaler Immigranten weiterhin hoch bleibt. So trägt etwa die zügige wirtschaftliche Liberalisierung in Mexiko zumindest kurz- und mittelfristig dazu bei, dass mexikanische Arbeiter in den USA Arbeit suchen.
Die NAFTA vertieft diesen Prozess nur und weitet ihn aus. Politiker auf beiden Seiten der Grenze haben versprochen, dass das Handelsabkommen zum Rückgang der Immigration beitragen würde. Aber, so erläutern Douglas Massey und Kristin Espinosa, "die Bestimmungen von NAFTA tragen... zu den sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen bei, die Migranten erzeugen. Die Integration des nordamerikanischen Marktes wird auch neue Transportverbindungen schaffen, Telekommunikation und persönliche Bekanntschaften, Verbindungen, die nötig sind, um Güter, Informationen und Kapital effizient bewegen zu können, die aber auch die Bewegung von Menschen, Studenten, Geschäftsleuten, Touristen und nicht zuletzt von Arbeitskräften ohne Papiere anregen und fördern."
Marktwirtschaftliche Reformen in Mexikos Landwirtschaft, verschärft durch die Streichung staatlicher Hilfen für ländliche Gebiete, haben besonders viele Menschen zur illegalen Auswanderung getrieben. Seit Ende der achtziger Jahre hat die mexikanische Regierung die Subventionen für Elektrizität, Dünger und Wasser sowie die Kredite für Kleinbauern zusammengestrichen. Stützungspreise für viele Agrarprodukte wurden abgeschafft. Außerdem steht Mexiko noch am Beginn der Mechanisierung der Landwirtschaft. So werden etwa Los Angeles oder Houston zu potenziellen Auffangbecken für ehemalige Bauern aus Mexiko. Mexiko ist abhängig davon, einen Teil seiner Arbeitslosen exportieren zu können, die dann jährlich 4 Milliarden Dollar nach Hause überweisen; US-amerikanische Unternehmer sind von der billigen Arbeitskraft illegaler Mexikaner abhängig. Der Prozess zunehmender wirtschaftlicher Integration baut diese wechselseitige Abhängigkeit keineswegs ab, er verstärkt sie noch. Größere und bessere Grenzbarrieren zu bauen hilft nur, diese Realität zu verschleiern.
Analytische Klarheit lässt sich gewinnen, wenn man die Dynamik an der Grenze zwischen den USA und Mexiko mit anderen Grenzen zwischen entwickelten und weniger entwickelten Staaten vergleicht. Besonders interessant ist dabei Deutschlands Ostgrenze zu Polen. Nachdem die Berliner Mauer und die militarisierte Grenze zwischen West- und Ostdeutschland verschwunden sind, wird die östliche Grenze des vereinten Deutschlands schnell ausgebaut, um illegale Immigranten und Schmuggler abzuschrecken. Während also die militärische Funktion der Grenze hinfällig geworden ist, hat ihre Überwachung neue symbolische und politische Bedeutung gewonnen.
Die Grenzflüsse Oder und Neiße sind als der "Rio Grande Europas" bezeichnet worden. Heinrich Vogel vom Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln stellt fest, dass es "deutliche wirtschaftliche und soziale Parallelen" zwischen den Beziehungen USA-Mexiko und Deutschland-Polen gibt. Ähnlich wie an der Grenze zwischen den USA und Mexiko hat sich der Grenzverkehr auch an der deutsch-polnischen Grenze in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet.
Zusammen mit dem Warenverkehr zwischen Deutschland und Polen haben auch die illegale Einwanderung und der Schmuggel an der Grenze zugenommen. Eine genaue Berechnung ist nicht möglich; geschätzt wird, dass etwa 100.000 Menschen pro Jahr illegal nach Deutschland einreisen, hauptsächlich über die Ostgrenze. Das Problem für die Grenzpolizei sind in erster Linie nicht illegal einreisende Polen (Polen brauchen kein Visum), sondern die Tatsache, dass Polen das bevorzugte Transitland nach Deutschland für illegale Immigranten aus anderen Ländern wie Rumänien ist. Viele illegale Grenzgänger versuchen, sich unter die wachsende Zahl legal aus Polen einreisender Menschen zu mischen. Wie im Fall USA-Mexiko hat der zunehmende Grenzverkehr die Fähigkeit der Gesetzeshüter, legale und illegale Einreise auseinanderzuhalten, auf eine harte Probe gestellt.
Der Zerfall autoritärer Systeme, die Schocks marktkonformer Strukturanpassungen, verbesserte Transport- und Kommunikationsverbindungen in den Westen und die Verlockung besserer Löhne sind für viele Osteuropäer starke Anreize, illegal nach Deutschland oder auf dem Weg durch Deutschland in andere EU-Staaten zu kommen. Versuche, illegal über die deutsche Grenze zu gehen, sind zum Teil auch eine Reaktion auf die Verschärfung des deutschen Asylrechts im Mai 1993.
Infolgedessen hat Deutschland die Überwachung an den Grenzen nicht nur zu den Nachbarländern, sondern auch auf Flughäfen und in Häfen schnell ausgebaut. Am Flughafen Frankfurt etwa gibt es dreimal so viel Kontrollpersonal wie Anfang der neunziger Jahre. Der Bundesgrenzschutz ist umstrukturiert und verstärkt worden. Diese Bemühungen konzentrieren sich besonders auf die deutsch-polnische Grenze. Etwa 80 Prozent der Grenzwächter an der deutschen Ostgrenze stammen aus der ehemaligen DDR. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass sie früher Menschen aus dem Osten an der Ausreise hindern sollten und jetzt deren Einreise verhindern sollen.
Analog zu den Verhältnissen an der Grenze USA-Mexiko zwingen schärfere deutsche Grenzkontrollen Menschen, die illegal einreisen wollen, dazu, Schleuser zu bezahlen. Deren Geschäft boomt vor allem dank der strikteren Überwachung. Ein deutscher Grenzschutzbeamter gibt es offen zu: "Wir schaffen den Schleusern Arbeit. Wir schicken hundert Ausländer zurück und hundert werden wieder eingeschleust." Nach Angaben der deutschen Grenzpolizei werden kleine Gelegenheitsschleuser mehr und mehr von besser organisierten, internationalen Schleuserbanden verdrängt. Dies dient dann - wie im Fall der USA - als zusätzliche Rechtfertigung, um die illegale Immigration als eine Spielart des organisierten Verbrechens hinstellen zu können. Doch ebenso wenig wie in den USA ist es mit mehr Polizei und raffinierteren Überwachungsmethoden bisher gelungen, die Zahl illegaler Einreiseversuche nennenswert zu reduzieren.
Es gibt aber auch entscheidende Unterschiede zwischen den USA und Deutschland, was die polizeilichen Kontrollbemühungen an den Grenzen betrifft. Zwar entspricht das deutsche Polizeiaufgebot an der Ostgrenze der Expansion der Border Patrol im Südwesten der USA, doch fällt auf, dass in Deutschland die in den USA beliebten Metallzäune und Flutlichtanlagen fehlen. Das doppelte Erbe der autoritären Vergangenheit des Landes vor 1945 und die noch frische Erinnerung an die Berliner Mauer verhindern den ungehemmten Einsatz allzu sichtbarer Überwachungsmethoden. Vor allem wollen in Deutschland die Verantwortlichen den Eindruck vermeiden, sie errichteten einen "elektronischen Eisernen Vorhang". Solche Sorge plagt die US-Amerikaner kaum. Sie heben vielmehr hervor, wie hochtechnisiert ihre Grenzschutzstrategie sei. Aus ähnlichen Gründen spielt auch die Bundeswehr nicht dieselbe Unterstützerrolle an der Grenze wie das US-Militär. Ein hoher deutscher Grenzschutzbeamter drückt es so aus: "Manche Methoden, die in den USA bei der Grenzkontrolle eingesetzt werden, sind hier undenkbar."
Aus der Geschichte herrührende Empfindlichkeiten sind auch der Grund dafür, dass deutsche Offizielle sich bemühen, die Aufrüstung an der Ostgrenze damit zu erklären und zu rechtfertigen, dass sie nicht bloß eine Initiative der Deutschen sei, sondern Teil einer umfassenderen europäischen Politik einer einheitlichen Kontrolle der Außengrenzen. Im Rahmen des Schengener Abkommens der EU-Länder werden interne Grenzkontrollen zwischen den Unterzeichnerstaaten abgebaut und zum Ausgleich die Kontrollen an den Außengrenzen verschärft. Mit anderen Worten, die schärfere Bewachung des deutschen Staatsgebiets ist eingebettet in einen größeren europäischen Rahmen, der den Eindruck dämpft, ein nationalistisches Deutschland poche auf seine territoriale Souveränität. In Einwanderungsfragen allgemein, beispielsweise bei der Asylpolitik, begründen deutsche Politiker die von ihnen mehrmals verschärften Kontrollen damit, diese seien nötig, um sich an übergeordnete europäische Standards anzupassen. Speziell die Bewachung der Außengrenzen wird damit begründet und gerechtfertigt, dass sie eine europäische Funktion erfülle und nicht bloß den nationalen Interessen Deutschlands diene. Im Fall der USA soll dagegen gerade das Image der Verteidigung und Wiederherstellung nationaler Souveränität an der Südwestgrenze bestätigt werden.
Die Funktion der Grenze zwischen Deutschland und Polen ist auch deswegen schwerer zu erkennen als die der Grenze zwischen den USA und Mexiko, weil Polen der EU beitreten soll. Mit dem Lockmittel des zukünftigen EU-Beitritts versichert man sich der Hilfe Polens im Kampf gegen den Menschenschmuggel über polnisches Territorium. In einem Vertrag, der im März 1993 in Kraft getreten ist, verpflichtet sich Polen, illegale Grenzgänger zurückzunehmen und wird dafür von Deutschland materiell entschädigt. Deutschland unterstützt auch finanziell die Bemühungen Polens, die Kontrollen an seinen eigenen Grenzen zu verbessern. So läuft die deutsche und generell die EU-Strategie darauf hinaus, Polen und andere mitteleuropäische Länder als eine Art Pufferzone zu nutzen. Polens Aufnahme in die EU würde die deutsch-polnische Grenze öffnen und formell die Außengrenze der EU an die polnische Ostgrenze verlegen (siehe Kasten). Während dieses Szenario in ein paar Jahren Wirklichkeit sein wird, denken die USA und Mexiko über so etwas nicht einmal nach.
In deutlichem Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland sehr viel umfassendere Kontrollen im Inland, einschließlich arbeitsrechtlicher Vorschriften, die bei US-Unternehmern, lange an ein Minimum staatlicher Interventionen gewöhnt, auf erbitterten Widerstand stoßen würden. So werden etwa bei Bußgeldern gegen deutsche Unternehmer die Profite eingerechnet, die sie durch die illegale Beschäftigung erzielt haben. Die deutschen Behörden stützen sich auch auf die Meldepflicht für Einwohner und auf Personalausweise, was in den USA als inakzeptable Bedrohung bürgerlicher Freiheiten betrachtet würde.
Trotz dieser extensiven Kontrollen werden in der gesamten deutschen Wirtschaft immer mehr illegal Eingewanderte beschäftigt, beispielsweise im Bau- und Dienstleistungssektor. Doch spielt die Aussicht auf Arbeitsplätze gewiss eine geringere Rolle als bei der Einwanderung in die USA. Das liegt zweifellos vor allem daran, dass es für Arbeitsplätze und die Gesellschaft allgemein in Deutschland mehr Vorschriften gibt. Im Gegensatz dazu kümmert man sich in den USA fast ausschließlich darum, an der Grenze Ordnung zu schaffen, während Kontrollen im Inland allenfalls symbolisch sind. So ist die deutsche Grenze gewissermaßen breiter (weil sie sich bis in die deutsche Gesellschaft hinein erstreckt), während die Grenze der USA deutlich schmaler, aber gewiss höher ist - in der Form von Zäunen, Flutlicht und dergleichen.
Der sich wandelnde Charakter von Grenzen deutet darauf hin, dass in einer Ära der wirtschaftlichen Integration territoriale Kontrollen ihre Funktion eher verändern, als dass sie an Bedeutung verlieren. Grenzen sind wie ein Labor, wo man verfolgen kann, wie Staaten angesichts veränderter ökonomischer und militärischer Rahmenbedingungen sich selbst neu erfinden. Trotz der Sonntagsreden über eine beginnende Welt ohne Grenzen wird eine Reihe wichtiger territorialer Trennlinien politisch vertieft, besonders die zwischen entwickelten und sich entwickelnden Regionen. Der Politik geht es weniger um die Abschreckung militärischer Invasionen aus Nachbarstaaten oder die Einschränkung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs, sondern vielmehr um die Kontrolle heimlicher Grenzübertritte, besonders der illegalen Einwanderung. Während viele Staaten Initiativen zur Liberalisierung der Märkte begrüßen, die ihren Wirtschaftsraum entgrenzen, versuchen sie gleichzeitig, ihre durch Landesgrenzen abgesteckten Hoheitsrechte gegenüber "unerwünschten" Menschenströmen durchzusetzen. Der wirtschaftliche Druck, Grenzen zu öffnen, und der Druck, der Staatsgewalt an der Grenze Geltung zu verschaffen, schaffen ihre eigenen Spannungen und Widersprüche.
Timothy Mitchell hat in seiner Untersuchung über die "Grenzen des Staates" gezeigt, wie Grenzkontrollen dazu beigetragen haben, unser Bild vom Staat zu formen und dem Staat den Anschein von Autonomie, Autorität und Macht zu verleihen: "Indem sie eine territoriale Grenze schaffen und absolute Kontrolle über grenzüberschreitende Bewegungen ausüben, definieren staatliche Praktiken eine nationale Einheit und tragen dazu bei, sie zu konstituieren. Eine Grenze zu schaffen und zu bewachen umfasst eine Reihe recht moderner sozialer Praktiken - lange Stacheldrahtzäune, Reisepässe, Einwanderungsgesetze, Zollinspektoren, Beschränkungen des Geldverkehrs usw. Diese profanen Dinge, die überwiegend vor 200 oder sogar 100 Jahren noch unbekannt waren, helfen ein fast transzendentales Wesen zu erschaffen, den Nationalstaat." Wenn man die Grenzüberwachung nur unter dem Blickwinkel des offiziellen Ziels, nämlich Abschreckung, betrachtet, entgeht einem viel vom eigentlichen Zweck solcher Praktiken. Auch wenn Grenzkontrollen als ernsthaftes Abschreckungsinstrument scheitern, stärken sie territoriale Identitäten, symbolisieren und projizieren ein Bild von staatlicher Autorität und erneuern die Legitimität der "vorgestellten Gemeinschaft".
aus: der überblick 04/2000, Seite 40
AUTOR(EN):
Peter Andreas:
Peter Andreas ist Assistant Professor of Political Science am Red College in Portland, (Oregon, USA). Er ist Autor von "Border Games: Policing the U.S.-Mexico Divide", Cornell University Press, 2000. Eine längere Fassung des Artikels ist in Political Science Quarterly, 113 (1998-99) erschienen; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.