Hinter der Mauer des Schweigens
Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen werden in Indonesien weiterhin nicht geahndet. Die Gewalt bei den Auseinandersetzungen im indonesischen Aceh richtet sich auch ganz gezielt gegen Frauen. Doch gesprochen wird darüber kaum. Nur wenige Frauen trauen sich, an die Öffentlichkeit zu treten und gegen die Täter vorzugehen. Sie bekommen Unterstützung von in den letzten Jahren entstandenen Frauengruppen, die der Gewalt und der Diskriminierung ein Ende machen wollen.
von Brigitte Voykowitsch
Genaue Zahlen gibt es keine, nicht einmal verlässliche Schätzungen. Denn noch sind viel zu wenige Informationen verfügbar. Fest steht vorerst nur eines: Frauen in Aceh sind zu Hunderten und möglicherweise zu Tausenden Opfer einer geschlechtsspezifischen Art von Gewalt geworden. Sowohl während des Ausnahmezustandes, den die indonesische Regierung von 1989-1998 über die Provinz im Nordwesten Sumatras verhängte, wie auch seither, sind Frauen wie Männer verschwunden, von den Sicherheitskräften verhaftet, misshandelt, gefoltert oder hingerichtet worden. Frauen und Mädchen sind darüber hinaus sexuell belästigt und vergewaltigt worden. Darauf macht die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in einem Bericht über die Auswirkungen der Straflosigkeit für Frauen in Aceh/Indonesien aufmerksam*. Nach Wissen von ai ist bisher in keinem einzigen Fall Klage vor Gericht erhoben worden.
Das Schicksal einzelner Frauen wie das von Sumiati Binti Hamzah ist dabei durchaus an die Öffentlichkeit gedrungen. Auf dem Heimweg von ihrem kleinen Verkaufsstand wurde Sumiati im August 1996 von einem Militärangehörigen verfolgt. Er drängte sie schließlich in ihr Haus und vergewaltigte sie mit vorgehaltener Waffe. Die von Polio geschwächte Sumiati war nicht in der Lage, Widerstand zu leisten. Außerdem wurde ihr mit dem Tode gedroht, sollte sie sich weiter zu wehren versuchen. Irgendwann verlor sie das Bewusstsein, und als sie wieder zu sich kam, war der Angreifer verschwunden. Aus Angst und Scham erzählte Sumiati niemandem von dem Zwischenfall. Als sie dann feststellen musste, dass sie schwanger war, wollte sie, so amnesty, nicht das Stigma einer allein Erziehenden ertragen. Ihr Ersuchen um Alimente wurde vom zuständigen Heeresposten zunächst abgeschmettert, dann bot man ihr eine einmalige Summe von rund 500 US-Dollar, die zugleich als Schweigegeld zu verstehen sein sollte.
Drei Jahre später griff die Unabhängige Kommission zur Untersuchung von Gewalt in Aceh (KPTKA) die Sache auf und legte sie gemeinsam mit vier weiteren Fällen im November 1999 dem Generalstaatsanwalt vor. Im März 2000 urteilte ein Militärgericht, dass der Täter Alimente in Höhe von 50.000 Rupien (umgerechnet rund 11 Mark) im Monat an Sumiati zahlen solle. Im August 2000 erklärte ein Sprecher der indonesischen Regierung vor der UN-Unterkommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte (Subcommission on the Promotion and Protection of Human Rights) dann aber, dass bis zur Errichtung eines staatlichen Menschenrechtsgerichtshofs für Aceh alle Verfahren ruhen sollten. Die erforderlichen Gesetze für die Einsetzung dieses Menschenrechtstribunals wurden wenige Monate später, am 6. November 2000, vom indonesischen Parlament verabschiedet. Unklar ist aber vorerst, wann ein derartiges Gericht tatsächlich seine Arbeit aufnehmen wird und ob Fälle wie der von Sumiati, der mittlerweile fast fünf Jahre zurückliegt, überhaupt vor dieses Gericht gebracht werden.
Sumiati Binti Hamzah wartet indes weiter vergeblich auf Gerechtigkeit. Ebenso geht es den 102 Frauen, die laut einer Untersuchung der Staatlichen Menschenrechtskommission aus dem Jahre 1998 vergewaltigt worden waren oder die Frauen, die im März 2000 im Bezirk Matangkuli in Nordaceh Opfer sexuellen Missbrauchs durch Armeeangehörige wurden. In all diesen Fällen ist bis heute niemand verhaftet oder angeklagt worden.
Dass überhaupt einige Frauen darüber sprechen, was ihnen widerfahren ist, und dass sich auch Organisationen des Problems der frauenspezifischen Gewalt annehmen, ist aber schon ein großer Schritt vorwärts. Denn es ist noch nicht so lange her, dass die Mauer des Schweigens undurchdringlich war, wie die Gründerin der Frauenorganisation "Flower Aceh" schildert. Suraiya Kamaruzzaman war 21 Jahre alt, als sie 1989 diese NGO ins Leben rief, und obwohl sie damals die Lage in ihrer Heimatprovinz noch nicht wirklich durchschaute, war doch klar: Es sollte lediglich um einkommensfördernde Projekte für Frauen gehen, von allem, was politisch heikel sein könnte, würden sie und ihre Mitarbeiterinnen unbedingt die Finger lassen.
Damals, erzählt Suraiya, war das rund 1500 Kilometer westlich von Jakarta gelegene Aceh für sie einfach eine indonesische Provinz und ihr Wissen darüber war geprägt von dem Wenigen, das sie in der Schule gelernt hatte und über die Medien erfuhr. Da war zwar bisweilen die Rede von "Rebellen", deren Festnahme das Militär als Erfolg wertete. Doch keiner sprach offen über die Ende der siebziger Jahre gegründete "Bewegung für ein freies Aceh" (Gam) und deren Beweggründe. Erst nachdem sie selbst Tote am Straßenrand hatte liegen sehen, Freunde an der Universität mit ihren Fragen bedrängt hatte und in einen streng geheimen politisch aktiven Kreis aufgenommen worden war, erfuhr sie mehr über Aceh – über die einst versprochene, nie gewährte Autonomie, die Ausbeutung der reichen Bodenschätze ohne adäquate Entschädigung und die Forderungen der Gam nach Unabhängigkeit Acehs von Indonesien, deretwegen Jakarta 1989 den Ausnahmezustand über die Region verhängt hatte.
Ihre Studentengruppe bemühte sich dann, "ganz primitive" Listen von gewaltsam zu Tode gekommenen Personen zu erstellen, freilich ohne die Todesursache zu nennen, da dies viel zu riskant gewesen wäre. Bei den Recherchen, die sie dazu in Dörfern anstellte, wurde sich Suraiya erst des Ausmaßes der Repression und Angst unter den Acehnesen bewusst. Da war es kein Wunder, dass auch Frauen in ihrem Projekt "Flower Aceh" sehr lange brauchten, um Vertrauen zu fassen und dann eines Tages von ihrem persönlichen Schicksal zu erzählen. Wenn es überhaupt so weit kam, ging das nur in Etappen, sagt Suraiya. Da wurde einmal generell erwähnt, man habe von Fällen von Vergewaltigung durch die Sicherheitskräfte gehört. Dann meinte eine Frau, sie habe eine Bekannte, der so etwas passiert wäre. Und schließlich, unter Umständen erst nach weiteren Monaten, gestand sie ein: Sie selbst sei das Opfer gewesen, von dem sie da erzählt habe.
So hoch wie die Mauer des Schweigens, so groß war das generelle Unwissen über Aceh, musste Suraiya dann Anfang der neunziger Jahre bei einer Frauenkonferenz in Jakarta feststellen. Die Teilnehmerinnen mochten über feministische Perspektiven reden, über die Lage der Frauen im eigenen Land waren sie schlecht bis – wie im Falle Acehs – gar nicht informiert. Da mussten zunächst Netzwerke für regelmäßige Kontakte und Nachrichtenaustausch geschaffen werden, mit allen Schwierigkeiten, die das zu Zeiten des Suharto-Regimes mit sich brachte. Erst ab Mitte der neunziger Jahre wuchs der Widerstand gegen die seit drei Jahrzehnten währende autokratische Herrschaft so weit an, dass immer mehr Gruppen sich trauten, sich dem Ruf nach einem Rücktritt Suhartos anzuschließen. Mehr und mehr Frauen fassten Mut, über Missbrauch zu reden.
Doch selbst dort, wo es Zeugen gab, waren und sind diese, so Suraiya, zumeist nicht bereit auszusagen. 1997, ein Jahr bevor eine vor allem von Studenten getragene Protestbewegung Suharto schließlich zum Abdanken zwang, hatte eine Acehnesin ihre Vergewaltigung durch den Dorfvorsteher publik gemacht. Zahlreiche Leute bestätigten, dass sie zu der fraglichen Zeit die Schreie der Frau gehört hätten. Der Mann wurde daraufhin auf Druck von Aktivisten verhaftet und vor Gericht gebracht. Doch während der fünf Monaten dauernden Verhandlung fand sich kein einziger Zeuge, der zu Gunsten der Frau auszusagen wagte, während der Dorfvorsteher seinerseits genügend Unterstützung fand. Der Fall wurde schließlich fallen gelassen. Auch Suraiyas Schreiben an den örtlichen Rat der muslimischen Religionsgelehrten (MUI) blieb erfolglos – die Herren weigerten sich, den Aussagen der vergewaltigten Frau Glauben zu schenken.
Unter Suharto-Nachfolger Jusuf B. Habibie wurde der Ausnahmezustand über Aceh aufgehoben. Unter dem im Herbst 1999 demokratisch gewählten Präsidenten Abdurrahman Wahid wurde ein Waffenstillstand mit der Gam ausgehandelt und bereits zweimal verlängert. Ein Ende der Gewalt, deren sich auch die Gam schuldig gemacht hat und weiterhin macht, ist aber bis heute nicht absehbar. Ebenso wenig wie die noch unter Präsident Habibie in Aussicht gestellte Entschädigung von Witwen. Tausende Acehnesinnen haben laut Schätzungen von amnesty ihre Männer verloren, weil diese von den Sicherheitskräften oder von der Gam verschleppt oder getötet wurden. Bis zu 100 US-Dollar wurden unter Habibie jeder betroffenen Frau zugesagt. Noch hat laut ai keine das Geld erhalten und viele wissen vermutlich gar nicht, wie und wo sie die Entschädigung beantragen können. Wenn, wie im Sommer 1999, durch heftige Kämpfe mehrere hunderttausend Menschen vertrieben werden und in Lagern Zuflucht suchen müssen, dann befinden sich auch hier Witwen und alleinstehende Frauen in einer besonders schlimmen Lage. Denn sie werden weder in Entscheidungsprozesse im Lager miteinbezogen noch werden ihre Interessen und Anliegen von anderen vertreten, betont AI.
Seit einiger Zeit sehen sich die Acehnesinnen auch von anderer Seite bedroht. Die kulturell-religiöse Autonomie, mit der Habibie Aceh zu befrieden versuchte, hat zu einer stärkeren Anwendung des islamischen Rechts der Sharia geführt. Die Rückkehr zur Polygamie beunruhigt Suraiya und ihre Mitarbeiterinnen ebenso wie gewaltsame Übergriffe gegen Frauen, die ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Die Acehnesen, sagt Suraiya, sind sehr religiös, aber sie sind keine Fundamentalisten. Die Sharia würde vielmehr dazu führen, die Menschen in Befürworter und Gegner zu spalten und einen weiteren der in Indonesien so zahlreichen "horizontalen Konflikte" heraufbeschwören.
"Wir fordern nicht die Sharia, wir wollen Freiheit für Aceh, ökonomische Gerechtigkeit, ein Ende der Gewalt und die Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen", ist von vielen Aktivistinnen zu hören. In diese Richtung gingen auch die Forderungen, die knapp 400 Frauen aus allen Teilen Acehs bei einer Konferenz im Februar 2000 in der Hauptstadt Banda Aceh stellten. Sie verlangten darüber hinaus noch eine Frauenquote von 30 Prozent in allen politischen Entscheidungsgremien sowie gleiche Rechte im wirtschaftlichen Bereich. "Wir wollen frei sein", sagt Suraiya. Frei als Bürgerinnen von Aceh und frei als Frauen.
* Amnesty International: Indonesia: The impact of impunity on women in Aceh. London 2000
aus: der überblick 01/2001, Seite 104
AUTOR(EN):
Brigitte Voykowitsch:
Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit dem Themenschwerpunkt Asien und lebt in Wien.