Eritrea unter der eisernen Faust der ehemaligen Befreiungsbewegung
Es sah so aus, als könnte in Eritrea endlich gelingen, was afrikanische Befreiungskämpfer immer wieder versprochen hatten: eine populäre Demokratie mit strenger Entwicklungsorientierung aufzubauen. Weil der Präsident aus der Volksbefreiungsfront aber jede Freiheit erstickt hat, ist daraus ein Staat mit totalitärem Anspruch geworden, der letzte seiner Art in Afrika.
von Richard M. Trivelli
Als Eritrea 1993 die staatliche Souveränität erlangte, herrschte in dem neuen Staat eine euphorische Aufbruchsstimmung. Die Bevölkerung im Land und in der Diaspora, aber auch die internationale Gemeinschaft, vertrauten dem Versprechen der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF), sie wolle ein demokratisches System und eine eritreische Version sozialer Marktwirtschaft aufbauen.
Alle waren davon überzeugt, unter der aufgeklärten und entwicklungsorientierten Führung von Präsident Isayas Afewerki werde ein rascher Wiederaufbau und eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung erfolgen. Mit der erklärten Absicht, Abhängigkeit von Auslandshilfe zu vermeiden und Planung und Kontrolle der Entwicklung fest in der Hand zu behalten, gewann die Regierung den Respekt der Gebergemeinschaft. Eritrea galt als Hoffnungsträger in Afrika, sein Präsident als herausragender Vertreter einer neuen Generation afrikanischer Führer, die als Herolde einer "Afrikanischen Renaissance" gefeiert wurden.
Heute, dreizehn Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit und einem zweiten verlustreichen Krieg gegen Äthiopien (1998-2000), ist der Traum von einem demokratischen und prosperierenden Eritrea verflogen. Das hochgradig militarisierte Land befindet sich im Würgegriff einer brutalen Präsidialdiktatur, die sich zur Sicherung ihrer Herrschaft auf Sicherheitsdienste und Militär und eine allseitige Repression stützt. Die Wirtschaft steht am Rande des Zusammenbruchs. Ein erneuter Krieg mit Äthiopien ist nicht auszuschließen. International ist das Regime durch seinen rüden Umgang mit der internationalen Gemeinschaft und seine aggressive Einmischung in seine Nachbarstaaten weithin isoliert.
Das Regime ist den Erfahrungen aus dem Befreiungskrieg zutiefst verhaftet, seine Verhaltensmuster sind militaristisch geprägt und seine immer noch an sozialistischen Vorstellungen orientierte Vision zielt darauf ab, eine neue eritreische Nation nach dem Bild der EPLF-Gesellschaft des Befreiungskrieges zu schaffen. Weitgehend lernunfähig, redet es nur noch mit sich selbst.
Eritrea ist ein Einparteienstaat mit der Nachfolgerin der EPLF, der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) als einzig zugelassener Partei. Da die 1997 verabschiedete Verfassung bis heute nicht in Kraft gesetzt wurde, fehlen konstitutionell abgesicherte, stabile Institutionen, die der Macht des Präsidenten rechtsstaatlich Einhalt gebieten könnten. Isayas Afewerki, seit 1971 Führer der EPLF, seit 1991 Staatspräsident, Vorsitzender der EPLF/PFDJ, der Vorläufigen Nationalversammlung, des Regierungsrates und des Kabinetts sowie Oberkommandeur der Streitkräfte, konzentriert alle Macht in seinen Händen. Die nur formal existierenden Leitungsgremien der Partei und die Vorläufige Nationalversammlung setzen dem nichts entgegen. Afewerki legt nicht nur die großen Richtlinien der Politik fest, sondern auch viele Details. In der Ausübung der Macht stützt er sich auf einen informellen kleinen Kreis von Untergebenen aus Partei, Militär und Staatsapparat, der jedoch wenig Einfluss auf Politikinhalte hat. Sein Herrschaftssystem ist hochgradig militarisiert. Die Kommandeure der fünf militärischen Operationszonen (MOZ) sind zentrale Stützen seines Regimes. Sie sind Mitglieder des Zentralrats der PFDJ, der Nationalversammlung und des Regierungsrates und überwachen in ihren Kommandobereichen die Zivilverwaltung. Die Willfährigkeit gegenüber dem Präsidenten wird durch Angst vor der ihm unterstehenden Staatssicherheit und die Furcht der gegeneinander ausgespielten Funktionsträger des Regimes gewährleistet.
So überrascht es nicht, dass die Persönlichkeit des Präsidenten, einschließlich seiner Vorurteile und Idiosynkrasien, die Politik des Landes prägt. Arrogant, selbstherrlich und zutiefst von der Auffassung durchdrungen, als Einziger zu wissen, was das Beste für Eritrea sei, ist der Präsident weithin beratungsresistent. Er beansprucht außerdem fachliche Kompetenz für alle Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ihm zu widersprechen ist politischer Selbstmord. Selbstzensur, Duckmäusertum und Entscheidungsangst der Funktionsträger auf allen Ebenen sind die Folge. Aus Furcht, "Fehler" zu begehen und ihr politisches Überleben zu gefährden, verschieben sie Entscheidungen, bis sie glauben, klare Hinweise auf die Haltung des Präsidenten zu haben. Oder sie delegieren sie gleich nach oben, bis sie im Präsidentenbüro landen. Das hat zu einer unglaublichen Trägheit des Regierungshandelns und einem Entscheidungsstau an der Staatsspitze geführt.
Unter der Präsidialdiktatur Isayas Afewerkis vollzieht sich ein intensiver Prozess der Formierung von Gesellschaft und Wirtschaft durch Staatspartei und Militär. Obwohl in der Verfassung festgeschrieben, haben die allgemeinen Menschenrechte in Eritrea keine oder nur sehr begrenzte Geltung. Meinungs- und Redefreiheit existieren praktisch nicht. Die Staatssicherheit hat das Land mit einem ausgedehnten Spitzelwesen überzogen, um vorhandenen oder vermeintlichen politischen Dissens schon in den Anfängen aufzuspüren und unterdrücken zu können. Die Zahl der aus politischen und religiösen Gründen Inhaftierten beläuft sich auf mehrere Tausend. Oft werden sie seit Jahren ohne Rechtsgrundlage und Prozess festgehalten. In den Verliesen der Staatssicherheit und des Militärs sind menschenunwürdige Behandlung und Folter an der Tagesordnung.
Die Zulassung anderer Parteien wurde auf unbestimmte Zeit aufgeschoben, weil die Bevölkerung dafür angeblich nicht reif sei. Alle Vereine, Verbände und Religionsgemeinschaften unterliegen der strikten staatlichen Aufsicht. Es existieren nur die formal als nichtstaatliche Organisationen konstituierten Frauen-, Jugend- und Gewerkschaftsverbände der PFDJ. Unabhängige Institutionen wie die Handelskammer und der Unternehmerverband wurden unter Kontrolle der PFDJ gebracht. Seit 2002 werden charismatisch-pfingstlerische Gemeinschaften, aber auch etablierte Kirchen wie Adventisten, Mennoniten und Baptisten sowie die Erweckungsbewegung innerhalb der orthodoxen Kirche und gemäßigte islamische Reformbewegungen verfolgt und ihre Anhänger zu Tausenden verhaftet. Das Regime begründete sein Vorgehen mit der Behauptung, die Lehren dieser Kirchen und religiösen Strömungen verstießen gegen die kulturellen Werte Eritreas und gefährdeten den sozialen und religiösen Frieden im Lande. Unter grober Verletzung kanonischen Rechts nötigte das Regime der Orthodoxen Kirche einen Regierungsfunktionär als Administrator der Heiligen Synode auf und ließ den Patriarchen, der gewagt hatte, die Regierung zu kritisieren, durch einen willfährigeren ersetzen.
Die Unabhängigkeit der Justiz steht nur auf dem Papier. Die Exekutive griff immer wieder in die Tätigkeit der Gerichte ein. Die Verfolgung von Korruption und die Staatssicherheit berührende Vergehen wurde Sondergerichten mit weit reichenden Befugnissen übertragen. Ihre Verfahren sind ebenso wie die der Militärgerichte geheim, ihre Entscheidungen unanfechtbar. Die Angeklagten haben keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand. Bürger und Bürgerinnen haben keine Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg gegen staatliches Unrecht zu wehren.
Die nach 1999 entstandene private Presse wurde im September 2001 mit vorgeschobenen Begründungen geschlossen. Alle elektronischen und gedruckten Medien befinden sich in der Hand des Staates, der Partei und der von ihr abhängigen Gewerkschafts-, Frauen- und Jugendverbände. Herstellung und Import von gedruckten und elektronisch aufgezeichneten Werken unterliegen der Zensur und bedürfen staatlicher Genehmigung.
350.000 Personen stehen unter militärischer Befehlsgewalt. Mit einer Residenzbevölkerung von nur 3,5 Millionen ist Eritrea damit der am stärksten militarisierte Staat der Welt. Die gesetzliche Wehrpflicht beträgt 18 Monate, gilt aber seit 1998 unbegrenzt. Weit über 100.000 Wehrpflichtige wurden inzwischen dem Warsay-Yekaelo-Arbeitsdienst überstellt, der Teil des Militärapparates ist. Sie werden als unterbezahlte und rechtlose Arbeitskräfte in staatlichen Bau-, Infrastruktur- und Entwicklungsvorhaben, aber auch in der Verwaltung und in den Unternehmen des Staates, der Partei und der Streitkräfte sowie als ländliche Erntehelfer eingesetzt. Das höhere Bildungswesen ist hochgradig militarisiert. Die Sekundarschulabschlussklassen wurden ins zentrale Militärtrainingslager Sawa verlegt. Im Sommer 2006 wurde die Universität Asmara zugunsten neuer, dezentralisierter und leichter zu überwachender tertiärer Bildungseinrichtungen aufgelöst. Der Arbeitsdienst soll verhindern, dass aus den demobilisierten jungen Leuten ein gefährliches Heer von unzufriedenen Arbeitslosen entsteht, die Militarisierung des Bildungswesens soll gewährleisten, dass es keine studentische Opposition gibt.
Der politische Kurs hat das Land auch in eine tiefe Wirtschaftskrise geführt. Durch den Konflikt mit Äthiopien verlor es seinen wichtigsten Handelspartner. Die Importe übersteigen heute die Exporte um das Zwanzigfache. Die Transfers der Diaspora sind rückläufig. Nur eine rigide Devisenbewirtschaftung, staatlich verordnete Importbeschränkungen und weiterhin relativ hohe Mittelzuflüsse durch internationale Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit, die 2004 mehr als 300 Millionen US-Dollar betrugen, verhinderten die Zahlungsunfähigkeit. Die enorm hohen Kosten für die Streitkräfte konnten wegen der stagnierenden Staatseinkünfte nur durch eine wachsende innere Staatsverschuldung aufgebracht werden. Diese beträgt heute etwa das Zweifache des jährlichen Bruttoinlandsprodukts. Annähernd ebenso hoch ist die Außenschuld des 1993 schuldenfrei unabhängig gewordenen Staates. Die Explosion der Ölpreise auf dem Weltmarkt erhöht das Außenhandelsdefizit und nötigt zu weiteren Einschnitten bei Importen. Es gibt gravierende Versorgungsengpässe nicht nur bei Gütern des gehobenen, sondern auch des täglichen Bedarfs. Eine ausgeprägte Inflation, stagnierende Einkommen und zunehmende Arbeitslosigkeit vermindern die Kaufkraft der Bevölkerung. Die bäuerliche Landwirtschaft leidet unter ungünstigen klimatischen Bedingungen und ist trotz aller staatlichen Bemühungen weiterhin überwiegend auf die Subsistenz ausgerichtet, was hohe Defizite bei der Nahrungsmittelproduktion zur Folge hat. Da der Staat mangels Devisen diese Lücke nicht durch eigene Käufe auf dem Weltmarkt decken kann, ist Eritrea auf internationale Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
Trotz der Bekenntnisse zur Marktwirtschaft und Förderung des Privatsektors herrscht in Eritrea eine staatliche Kommandowirtschaft von geringer Transparenz. Bis heute hat Eritrea keinen Staatshaushalt vorgelegt. In allen Wirtschaftssektoren verdrängen Unternehmen von Staat, Armee und Partei die privaten, und das gesamte Wirtschaftsleben ist einem immer weiter um sich greifenden staatlichen Dirigismus unterworfen. Die Beziehungen zur internationalen Gebergemeinschaft sind durch paranoiden Kontrollwahn, geringe Beteiligung der Partner an der Programmentwicklung und -implementierung, mangelnde Transparenz, fehlende unabhängige Überwachung der Mittelverwendung und permanente Vertragsbrüche gekennzeichnet. Die jüngst einseitig vorgenommenen Verkäufe von Nahrungsmittelhilfe veranlassten die Europäische Union (EU) mit der Einstellung der Nothilfe zu drohen. Internationale nichtstaatliche Organisatonen (NGOs) und Agenturen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit wie die US-amerikanische Entwicklungsagentur USAID wurden aus der direkten Programmimplementierung gedrängt und dürfen nur noch ihre Mittel abliefern.
Wie konnte es angesichts der scheinbar so positiven Entwicklung der ersten Jahre nach der Unabhängigkeit zu der heutigen Situation kommen? War die Entwicklung zur Diktatur unvermeidbar? Die Regierung und ihre Anhänger, aber auch viele ihrer heutigen Gegner, lasten alle Schuld den "Schwierigkeiten" mit Äthiopien an. Der Eritrea 1998 von Äthiopien aufgenötigte Krieg habe die positive wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes jäh unterbrochen. Die Fortdauer des Konfliktes infolge der äthiopischen Weigerung, den Entscheid der internationalen Grenzkommission anzuerkennen, zwinge Eritrea eine wirtschaftliche ruinöse militärische Mobilisierung aufrecht zu erhalten.
Der Krieg und der andauernde Konflikt mit Äthiopien, aber auch weltwirtschaftliche Entwicklungen hatten für Eritrea tatsächlich katastrophale Konsequenzen. Das kann aber das außen- und innenpolitische Fehlverhalten der Regierung weder hinreichend erklären noch entschuldigen. Die heutige Malaise Eritreas ist struktureller Natur. Der Krieg mit Äthiopien hat die Herausbildung einer zunehmend repressiven Diktatur nur beschleunigt. Ihre Wurzeln liegen in den im Befreiungskrieg entstandenen politischen Überzeugungen und Verhaltensmustern der Führung der EPLF.
In der Euphorie der Unabhängigkeit wurde der öffentlichen Selbstdarstellung der EPLF blind geglaubt. Es gab genügend Warnsignale dafür, dass sie mit Demokratie und Partizipation, Gerechtigkeit und Entwicklung etwas anderes meinte als die westlichen Länder und viele Eritreer, aber sie wurden alle übersehen. Dass die westlichen Regierungen, aber auch Hilfsorganisationen und Medien, dringend eines positiven Beispiels bedurften, um dem sich ausbreitenden Afrika-Pessimismus zu begegnen, hat dieses Wunschdenken sicher beflügelt.
Im Gegensatz zu der Überzeugung vieler Eritreer und ausländischer Freunde Eritreas war die Zwischenkriegsperiode 1993-1998 keine "goldene Zeit" des demokratischen Aufbruchs und der wirtschaftlichen Liberalität. Stattdessen vollzog sich in ihr eine schrittweise Formierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft Eritreas gemäß der politischen Vision der Führung der EPLF/PFDJ. In dem in den langen Jahren des Befreiungskampfs entwickelten, von chinesischen Vorstellungen beeinflussten Konzept der eritreischen Revolution war der Befreiungskrieg nur deren erste Phase.
Ihr hatte eine auf Jahrzehnte angelegte zweite Phase zu folgen, in der das befreite Eritrea unter Führung der EPLF durch eine wirtschaftliche, soziale und politische Transformation in eine entwickelte, von Klassen-, ethnischen und religiösen Konflikten freie Nation verwandelt werden sollte, die auch außenpolitisch eigene Wege geht.
Integraler Bestandteil dieser Vision war die Konstituierung der neuen eritreischen Nation als Wehrgemeinschaft. Die allgemeine Wehrpflicht sollte der von "westlicher Liberalität und Individualismus infizierten" Jugend Gemeinschaftsdenken, Disziplin und Arbeitsethos vermitteln. Die gesellschaftlich wie politisch weiterhin mächtigen, sich auf Sprache, Religion, Herkunft und Geschichte gründenden "subnationalen" Identitäten sollten so zugunsten einer einheitlichen nationalen Identität abgebaut werden. Zu diesem Zweck wurden ab 1995 auch die historisch gewachsenen Regionen, Distrikte und Dorfgemeinschaften durch neue künstliche Verwaltungseinheiten ersetzt, ein Prozess, der bis heute andauert.
Die schrittweise Inbesitznahme und Transformation Eritreas musste aus innen- wie außenpolitischen Gründen "unauffällig" und schrittweise erfolgen, was den irrigen Eindruck von Liberalität erzeugte. Neue politische Institutionen können nach der Logik der EPLF/PFDJ erst geschaffen werden, wenn die Inbesitznahme von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft soweit gediehen ist, dass die Partei diese Organe kontrolliert.
Die politische Vision von Präsident und Partei ist durchaus entwicklungsorientiert. Ähnlich wie in China oder der Sowjetunion kann ein solches Konzept vor allem bei Infrastruktur, Bildung und Gesundheit Erfolge erzielen. Doch wirtschaftliche Entwicklung in einem umfassenden Sinn ist nur in Kombination mit politischer Freiheit möglich.
Die Führung der PFDJ und vorab der Präsident werden aber weiterhin an ihren politischen Vorstellungen festhalten. Statt einer Lockerung dieses Kurses ist eher dessen Verschärfung zu erwarten. Die Entwicklung interner politischer Alternativen wird durch die Repression unterbunden. Die externe Opposition ist schwach, perspektivlos und in Eritrea durch die Kollaboration mit Äthiopien diskreditiert. Die umfassende Überwachung durch die Staatssicherheit und die massive Repression, aber auch die tief verwurzelte soziale Disziplin der eritreischen Bevölkerung, ihre Angst vor einem Bürgerkrieg und der immer noch zäh fortlebende Mythos, der sich um den Präsidenten als Führer und die PFDJ als Träger des Befreiungskampfes rankt, verhindern bislang, dass es zu einer Explosion der Unzufriedenheit kommt. Stattdessen reagiert die Bevölkerung mit wachsender Apathie und Schweigen, dem Rückzug in die verbliebenen privaten Bereiche und wendet sich neuen religiösen Heilslehren zu. Wer den Mut und die Möglichkeiten dazu hat, stimmt über die Politik des Präsidenten mit den Füßen ab und flieht unter Gefahr für Leib und Leben ins Ausland. Seit September 2001 haben über 40.000 Menschen das Land verlassen.
Am wahrscheinlichsten ist daher, dass die Malaise Eritreas unter der jetzigen Führung noch Jahre andauert. Wenn das Regime einmal unter der Last seiner angehäuften Probleme kollabiert oder durch einen Militärputsch oder Volksaufstand gestürzt wird, besteht die Gefahr, dass Eritrea in eine lang anhaltende Periode der Instabilität eintritt. Denn hinter der Fassade nationaler Harmonie haben ethnische, religiöse und soziale Spannungen im Land stark zugenommen.
aus: der überblick 03/2006, Seite 40
AUTOR(EN):
Richard M. Trivelli
Richard M. Trivelli ist Historiker und beobachtet die politischen Entwicklungen am Horn von Afrika seit vielen Jahren.