Brot für die Welt will multinationale Konzerne beim Wort nehmen
DIE MENSCHEN IN LÄNDERN, in denen Erdölvorkommen entdeckt werden, glauben, daß ihnen damit eine Art von Zauberstab zugefallen sei, mit dessen Hilfe sich in kürzester Zeit alle Entwicklungsprobleme lösen lassen. Dieser Irrglaube hält sich hartnäckig, obwohl viele Fakten eine ganz andere Realität zeigen: Kriege in der Golfregion, Krieg im Sudan, Krieg in Angola, Unruhen in Nigeria, Kämpfe im Kaukasus, Unruhen in Kolumbien... Die Reihe von Konflikten, in denen Erdöl eine wesentliche Rolle spielt, läßt sich beliebig fortsetzen.
von Wolfgang Mai
Bei Brot für die Welt ist es das Advocacy-Referat, das sich in besonderer Weise jener Problemkreise annimmt, die aus dem reichen Norden in den armen Süden hinein wirken und dort die Entwicklung negativ beeinflussen. Erdöl, das in Ländern des Südens ausgebeutet wird, um den Energiehunger des Nordens zu stillen, ist ein geradezu klassisches Beispiel dafür. Getreu seinem Motto "Den Armen Gerechtigkeit" bemüht Brot für die Welt sich daher seit einigen Jahren, einen Beitrag zu der Diskussion zu leisten, in der es darum geht, das Wirken der Erdölkonzerne in einer Weise zu beeinflussen, daß es langfristig mehr Gerechtigkeit und positive Entwicklungsanstöße für die betroffenen Bevölkerungen bringt anstatt Verarmung, Konflikte und Umweltschäden.
Dabei zeigt sich ein bemerkenswertes Phänomen: Einerseits werden im Zusammenhang mit Erdölerforschung und förderung in zunehmendem Maße neokoloniale Ausbeutungsmethoden und üble Menschenrechtsverletzungen sichtbar man denke an den Protest der Ogoni im Nigerdelta, der mit der staatlich verordneten Ermordung des Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa seinen traurigen Abschluß fand, oder in diesen Tagen an die rücksichtslose Mißachtung der U'wa in Kolumbien, die mit kollektivem Selbstmord drohen, wenn ihrem Boden das öl entnommen wird. Andererseits legen Erdölkonzerne immer deutlicher Wert darauf, von der Gesellschaft als ethisch sauber akzeptiert zu werden.
"Wir werden nach unserem Verhalten beurteilt. Es ist daher ein existentzielles Anliegen, den guten Ruf, den Shell genießt, zu wahren." So heißt es in der Einleitung zu den "Unternehmensgrundsätzen", einem Verhaltenskodex der Royal Dutch/Shell-Gruppe. Brot für die Welt möchte wissen, ob dieses existentzielle Anliegen ein wirklich handlungsbestimmendes Motiv ist oder lediglich ein verkaufsförderndes PR-Gimmick.
Brot für die Welt hat deshalb die Ereignisse von 1995 in Nigeria zum Anlaß genommen, das Gespräch mit Shell zu suchen und auszuloten, inwieweit Erdölkonzerne zur übernahme einer aktiven Mitverantwortung für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte herangezogen werden können. Der "Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" ist eine von den Vereinten Nationen 1966 beschlossene Präzisierung bestimmter Aussagen der Menschenrechtscharta und insofern integraler Bestandteil der Allgemeinen Menschenrechte. In ihm wird u.a. "das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie... sowie eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen" anerkannt. Hier wird also zentral jener Bereich von "Entwicklung" angesprochen, auf den die Arbeit von Brot für die Welt seit jeher ausgerichtet ist. Macht es Sinn, an multinationale Wirtschaftsunternehmen ähnliche Erwartungen wie an Entwicklungsorganisationen zu richten? Immerhin bekennt sich Shell in den "Unternehmensgrundsätzen" auch zu der "Verpflichtung, zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen" zu wollen und behauptet darüber hinaus von sich: "Wir unterstützen die fundamentalen Menschenrechte."
Das sind in der Tat Gründe, das Verhalten des Konzerns - und der anderen ölgesellschaften - kritisch unter die Lupe zu nehmen und nach dem Realitätsgehalt dieser Aussage zu forschen. Der Blick nach Nigeria zeigt sehr schnell, daß die ölgesellschaften erheblichen Einfluß auf das Geschehen ausüben, die nationalen Regierungen aber außerordentlich skrupellos dabei mitmischen.
Ihnen geht es in aller Regel mehr um rasch in ihre Hände fließende Profite als um die Unverletzlichkeit der Umwelt oder die Verbesserung der bestehenden sozialen Zustände. Deshalb erhalten die ölgesellschaften häufig sehr große legale Freiheiten, was es ihnen leicht macht, sich unter Berufung auf ihre Gesetzestreue alle möglichen Rücksichtslosigkeiten gegenüber der lokalen Bevölkerung zu leisten und sich doch als Saubermänner darzustellen. Hoffnungen der Bevölkerung auf kräftige Entwicklungsschübe werden zumeist jedoch enttäuscht.
Die zunächst freudige Erwartung gegenüber den ölgesellschaften schlägt dann rasch in Haß um. Dies ist verständlich, wenn den Menschen Land oder ihre traditionellen Einkommensquellen gegen ungenügende Entschädigung weggenommen werden, wenn Pipelines durch Dörfer gelegt werden oder in die Felder lecken, oder Abfackelungen für rußige Niederschläge sorgen.
Brot für die Welt hat nur geringe Möglichkeiten, das Verhalten von Regierungen zu beeinflussen. Sehr wohl aber halten wir es für vereinbar mit unserem Mandat, Beiträge dazu zu leisten, daß die ölkonzerne ihre Aktivitäten in der "Dritten Welt" dahingehend anpassen, daß sie die Menschenrechte dort künftig nicht nur passiv achten, sondern daß sie insbesondere die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte aktiv unterstützen und zur Richtschnur ihres Handelns machen und damit am Abbau der sozialen Probleme und der damit verbundenen Spannungen mitwirken.
Erste Kontakte mit dem Shell-Konzern liefen ab 1995 über die deutsche Tochter mit Sitz in Hamburg. Dort nahm man unsere brieflich ausgedrückte Besorgnis über die Geschehnisse im Nigerdelta sehr ernst und bot persönliche Gespräche an. Mehrere Gesprächsrunden in unterschiedlicher Zusammensetzung von Kontakten auf Referentenebene über offizielle Delegationen beim Diakoniepräsidenten bis zu größeren Treffen mit Seminarcharakter zeigten dann allerdings, daß es unseren Gesprächspartnern überhaupt nicht darum ging, sich mit uns ernsthaft über die Möglichkeiten von Veränderungen bei der Erdölförderung zu unterhalten, sondern ausschließlich darum, die Weste von Shell in der deutschen öffentlichkeit in strahlendstem Weiß erscheinen zu lassen. Jede auch nur leise zweifelnde Nachfrage wurde wie eine Majestätsbeleidigung aufgefaßt und empört zurückgewiesen.
Wir haben unsere Bemühungen auf dieser Schiene deshalb schließlich 1998 aufgegeben, ohne freilich von unserem eigentlichen Ziel abzulassen. Es gibt seither unregelmäßige und recht informelle Kontakte mit Vertretern der internationalen Zentrale des Shell-Konzerns in London, in denen wir sehr viel mehr Offenheit gegenüber unseren Anliegen erfahren. Zumindest fühlen wir uns dort als ernst zu nehmende Gesprächspartner akzeptiert und nicht lediglich als Abspielbasis für PR-Bemühungen.
Das besagt freilich nicht, daß wir uns der Illusion hingeben, wir seien kurz davor, die Giganten der Erdöl- und Gasindustrie in humanitäre Entwicklungsorganisationen zu verwandeln. Wir glauben aber doch, Indizien zu erkennen, die Grund geben zu der Hoffnung, daß Verbesserungen möglich sind. Der Weg dahin ist noch weit, und es sind noch dicke Bretter zu bohren.
Das Werkzeug, das wir dabei benutzen wollen, nennen wir "Principles for the conduct of company operations within the oil and gas industry". Dies ist so etwas wie ein Regelwerk, das es ermöglichen soll, die von den Konzernen selbst aufgestellten Verhaltenskodizes oder Unternehmensgrundsätze praktisch umsetzbar und vor allem meß- und überprüfbar zu machen. Oder anders ausgedrückt: Wir haben einige Prinzipen formuliert, deren Einhaltung wir gern sehen möchten, ehe wir bestätigen können, daß die Behauptung eines Konzerns, daß er die Menschenrechte unterstütze und/oder zu nachhaltiger Entwicklung beitrage, einen erkennbaren Bezug zur Realität hat.
Unsere Erwartungen gehen dabei in zwei entscheidende Stoßrichtungen: Einerseits müssen die Firmen die Einbeziehung der von der ölförderung Betroffenen in alle Planungs- und Entscheidungsprozesse vor Ort (peoples' participation) auf eine ganz neue, demokratisch legitimierte Basis stellen, und zum anderen müssen wirkungsvolle unabhängige Instrumente geschaffen werden, die die Umsetzung der Vereinbarungen begleiten und überprüfen können.
Das Advocacy-Referat von Brot für die Welt hat eine kleine Arbeitsgruppe zusammengerufen, in der unter anderem Mitarbeiter von FIAN, Missio, Klimabündnis, den evangelischen Akademien, der Forschungsstelle der evangelischen Studiengemeinschaft und der Universität Mannheim mitwirken. Sie hat einen Entwurf der "Principles" erarbeitet, der zur Zeit einer breiten Diskussion unterworfen wird, an der natürlich in erster Linie möglichst viele Vertreter jener Gruppen, die unmittelbar von ölförderung betroffen sind, beteiligt sein müssen, in die aber auch die Erfahrungen anderer Nichtregierungsorganisationen im Norden einfließen sollen.
Erste informelle Reaktionen von Shell International auf den Entwurf waren ermutigend. Andere Konzerne haben ihn mittlerweile ebenfalls erhalten. Im November dieses Jahres sollen auf einem internationalen Forum in der Akademie Mülheim die bis dahin überarbeiteten "Principles" von einem großen europäischen NGO-Netzwerk vorgestellt und offiziell mit Vertretern verschiedener ölkonzerne diskutiert werden. Es steht zu hoffen, daß dann der Anstoß, den Brot für die Welt durch die Analyse der Entwicklungsrelevanz der Erdölproblematik gegeben hat, durch die Aufnahme in ein breites Unterstützerbündnis so viel überzeugungskraft gewonnen haben wird, daß die Konzerne ihn nicht mehr freundlich lächelnd beiseite schieben, sondern ernsthaft Schritte zur Umsetzung der PRINCIPLES erwägen werden.
aus: der überblick 01/2000, Seite 129
AUTOR(EN):
Wolfgang Mai:
Der Autor leitet das Advocacy-Referat von Brot für die Welt.