Eine Minderheit der Gewerkschaft im VW-Werk Südafrika hält an Methoden des Befreiungskampfes fest
Ein wilder Streik hat Anfang des Jahres das Volkswagenwerk in Uitenhage lahm gelegt. Dabei zeigten sich wie in einem Brennglas die Konfliktlinien im neuen Südafrika: Der Streik hat sich unter anderem an Plänen für neue Arbeitszeit- und Urlaubsregeln entzündet. Dass diese Frage nicht gütlich beigelegt werden konnte, lag jedoch vor allem an Konflikten in der Metallergewerkschaft selbst: Eine Minderheit hat sich konstruktiven Verhandlungen verweigert, bis die Mehrheit der Gewerkschafter sogar die Entlassung der Minderheit gebilligt hat.
von Martin Kempe
Vor dem Hauptquartier des African National Congress (ANC) in Johannesburg drängen sich die Massen. Immer neue Gruppen strömen aus den Seitenstraßen, tanzend und mit jenem eindringlichen Singsang der südafrikanischen Demonstrationskultur, der vor Jahren beim Sieg über das rassistische Apartheidsystem um die Welt gegangen ist. Einer der Demonstranten zeigt nach oben: Von dort oben, meint er, von der obersten Etage des ANC-Hochhauses wird Thabo Mbeki, der Parteivorsitzende und südafrikanische Regierungschef, sich einen Überblick über die Stimmung im Lande verschaffen können. Er wird das Ende des Zuges nicht erkennen. Und auch die Spitze ist schon längst vorbei.
Die Basis ist auf der Straße an diesem 10. Mai: Die Metaller der Gewerkschaft NUMSA (National Union of Metalworkers of South Africa), die Chemiegewerkschafter, die Minenarbeiter aus den Goldgruben, die Lehrerinnen und Lehrer und alle anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Sie alle fordern lautstark eine politische Wende. Viele vertreten die Meinung, die Gewerkschaften sollten so schnell wie möglich das Regierungsbündnis verlassen, um ohne Rücksicht auf die politischen Freunde ganz oben den sozialen Protest von unten artikulieren zu können.
Dieser 10. Mai 2000 wird möglicherweise einmal als wichtiges Datum in die Geschichte der südafrikanischen Gewerkschaftsbewegung eingehen. Der Gewerkschaftsdachverband COSATU (Congress of South African Trade Unions) hatte zum Generalstreik gegen die unsoziale, wirtschaftsfreundliche Politik der ANC-geführten Regierung aufgerufen, in der COSATU selbst seit sechs Jahren, seit den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika, mit zwei Ministern vertreten ist. Die Räder standen am 10. Mai zwar nur vereinzelt still. Aber die zentrale Demonstration in Johannesburg und viele regionale Protestkundgebungen stellten unter Beweis, wie mobilisierungsfähig die südafrikanischen Gewerkschaften noch sind – auch wenn es gegen die eigenen Bündnispartner in der Regierung geht.
Die Koalition des südafrikanischen Befreiungskampfes, repräsentiert vom ANC, der Kommunistischen Partei und den Gewerkschaften, ist brüchig geworden. "Während die Wirtschaft jetzt mit im Boot sitzt, gehen unsere Interessen über Bord", kommentieren viele Gewerkschafter die Situation nach der Wahl von 1999. Mit diesem Urnengang wurde die ANC-geführte Regierungskoalition zwar überwältigend bestätigt, aber der Übergang der Präsidentschaft vom charismatischen Freiheitshelden Nelson Mandela auf den nüchternen Thabo Mbeki signalisierte das Ende der heroischen Zeit. Jetzt kommen die Mühen der Ebene, das zähe Ringen um die Entwicklung einer nach wie vor tief gespaltenen Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung.
Dies ist der allgemeine Hintergrund des Konflikts im Volkswagenwerk in Uitenhage – eines Konflikts, über den Anfang des Jahres auch in Deutschland die Zeitungen berichtet haben, ohne dass deutlich geworden wäre, warum ausgerechnet in einem der Vorzeigebetriebe für die südafrikanische Gewerkschaftsbewegung ein innergewerkschaftlicher Machtkampf völlig außer Kontrolle geraten konnte. Wie in einem Brennglas bündeln sich in diesem Konflikt die Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung in Südafrika und darüber hinaus.
Was ist geschehen? Am 20. Januar dieses Jahres brach im VW-Werk Uitenhage ein wilder Streik aus, der nach südafrikanischem Arbeitsrecht und nach der Satzung der zuständigen Metallgewerkschaft NUMSA illegal war. Eine Minderheitsfraktion militanter shopstewards (Vertrauensleute der Gewerkschaft) zog mit rund 300 Anhängern durch die Werkshallen und zwang – wie Zeugen glaubwürdig berichten – teilweise gewaltsam, mit Stöcken, Messern und schwerer Einschüchterung jene Beschäftigten, die sich nicht freiwillig anschlossen, ihre Arbeitsplätze zu verlassen.
Nach vergeblichen Versuchen des Managements, die Produktion wieder anlaufen zu lassen, wurde die Fabrik am 24. Januar für unbestimmte Zeit geschlossen, um eine Eskalation der gewalttätigen Auseinandersetzungen zu verhindern. Ein Vermittlungsversuch vonseiten des Generalsekretärs des Volkswagen Welt-Konzernbetriebsrats, Hans-Jürgen Uhl, und des VW Personalmanagers Dr. Helmuth Schuster, beide eilig aus Deutschland eingeflogen, schlug fehl. Die Initiatoren der Streikaktion waren nicht zu Gesprächen bereit.
Gewalttaten gab es während des Streiks und danach auch in den Wohnvierteln der schwarzen Arbeiter, den townships. Zwei Mal wurde das Haus eines zur Mehrheitsfraktion gehörenden NUMSA-Vertrauensmannes mit Brandbomben angegriffen. Beim zweiten Mal im März wurde das Haus zerstört. Der shopsteward erlitt schwere Verbrennungen und lag mehrere Monate im Krankenhaus. Die Täter konnten nicht ermittelt werden.
Bürgermeister Phumelele S. Ndoni (ANC) stellte bei einer Diskussion im Stadtrat von Uitenhage fest: "VW ist der Kern des Problems hinsichtlich der Disziplinlosigkeit innerhalb der Gemeinde." Die NUMSA, der gewerkschaftliche Dachverband COSATU und der ANC warnten angesichts der Eskalation des Konflikts: Wenn Volkswagen die Produktion wieder anlaufen lasse, ohne "Konsequenzen zu ziehen", also ohne disziplinarisch gegen die Dissidenten vorzugehen, werde das Werk unkontrollierbar.
Nach zwei Wochen stellte Volkswagen den Streikenden ein Ultimatum: Wer am 3. Februar, rund zwei Wochen nach Beginn des Streiks, nicht an seinem Arbeitsplatz erscheine, werde entlassen. 1280 von 6000 Beschäftigten meldeten sich nicht bei ihren Vorgesetzten. Sie wurden ausnahmslos entlassen. Die Belegschaft wurde kurz darauf durch Neueinstellungen wieder aufgefüllt. Im März wurden die normalen Produktionszahlen wieder erreicht. Der Streik kostete den Konzern täglich 5,5 Millionen Rand (rund 1,95 Millionen Mark).
Für Boninsile James Mzeku, einen der Wortführer der entlassenen Arbeiter, ist die Sache klar: "Volkswagen will sich der oppositionellen Arbeiter entledigen." Die Gewerkschaft beschuldigt er, dabei Schützenhilfe zu leisten. "Die NUMSA hat die Arbeiter an das Management verkauft", heißt es auf den Plakaten der OCGAWU (Oil Chemical General and Allied Workers Union), einer außerhalb des gewerkschaftlichen Dachverbandes COSATU stehenden Gruppierung, der viele Entlassene inzwischen beigetreten sind und die offensichtlich unter trotzkistischem Einfluss steht.
Mzeku gehörte bis zu seiner Entlassung zu einer Gruppe älterer Vertrauensleute im Volkswagenwerk, die in den letzten Jahren in Opposition zur Mehrheit unter den shopstewards gegangen ist. Die Gruppierung Ludlyingwever (House of Senators, Haus der Senatoren) steht für einen strikten Konfrontationskurs gegen das Management und sieht sich in der Tradition des Anti-Apartheid-Kampfes. Viele ihrer Mitglieder sind Pioniere der Gewerkschaftsbewegung im Volkswagenwerk. Sie haben, zum Teil noch unter den Bedingungen der Illegalität, die gewerkschaftliche Basis im Werk organisiert und mobilisiert.
Kally Forrest, eine Mitarbeiterin der renommierten Zeitschrift South African Labour Bulletin, spricht in einem Aufsatz von einer gewissen "Tragik" dieser Gruppe. Ihre Wortführer hätten nach den demokratischen Wahlen nicht – wie viele ehemalige Mitstreiter – den Absprung in die Politik geschafft und artikulierten nun die Unzufriedenheit der Basis mit dem schleppenden Reformprozess im Lande. Auf betrieblicher Ebene hätten sie die veränderten Bedingungen der Nach-Apartheid-ra nicht nachvollzogen: die Einführung eines der weltweit fortschrittlichsten Arbeitsgesetze, die erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeiten. Konfrontation präge nach wie vor ihren Politikstil, Kooperation mit dem Management bedeute für sie Verrat.
Um Kooperation aber wäre es gegangen, um die Zukunft des südafrikanischen Volkswagen-Standorts langfristig abzusichern. Für Helmuth Schuster, den für den Gesamtkonzern verantwortlichen Personalmanager, ist klar, dass die regionale Nachfrage in den Ländern des südlichen Afrika das Volkswagenwerk in Uitenhage mit seinen heute rund 6000 Beschäftigten nicht tragen kann. Und auf dem Weltmarkt haben die für den regionalen Markt produzierten Modelle keine Chance. "Überleben kann der Standort nur durch Exportproduktion", stellt Schuster fest. Um aber für den Export produzieren zu können, müsse das Werk nach Qualität und Produktivität Weltmarktniveau erreichen.
Die Entscheidung des Konzerns, die Produktion des rechtslenkenden Golf A4 nach Südafrika zu verlegen, war nicht zwingend. Zwar hat auch Südafrika Linksverkehr. Aber nur ein kleiner Teil der Produktion wird im Lande abgesetzt, der weitaus größere Teil nach Großbritannien exportiert. Einfacher wäre es anders: "Natürlich könnten wir das auch in Brüssel oder in Wolfsburg machen", erläutert Schuster und deutet damit indirekt an, dass die Entscheidung für Südafrika durchaus politisch zu verstehen ist – als eine Vertrauenserklärung an die neue Führung des Landes, als Investition in die langfristige Entwicklung des Standorts Uitenhage.
Insgesamt, so Schuster, habe sich die Entwicklung dort durchaus gut angelassen. Im letzten Jahr habe das Werk erstmals seit langer Zeit wieder schwarze Zahlen geschrieben. Die für den Weltmarkt bestimmten Produkte erfüllten die vom Konzern gesetzten Qualitätsstandards. Langfristig sei es jedoch notwendig, die für eine reibungslose und kostengünstige Produktion notwendigen Zulieferketten vor Ort zu etablieren – eine Investitionsperspektive, an der auch die südafrikanische Regierung höchstes Interesse hat. Zur Zeit werden noch rund 80 Prozent aller Zulieferungen für den A4 aus Europa nach Südafrika geschafft und dort zusammengesetzt, um dann als fertiges Auto wieder auf die Reise nach Großbritannien zu gehen. Um diesen absurden und unwirtschaftlichen Zustand zu ändern, hatte Volkswagen die wichtigsten Zulieferer im Januar dieses Jahres zu einer Konferenz nach Uitenhage eingeladen. Ausgerechnet da brach der Streik aus. "Wenn wir in dieser Situation nicht durchgegriffen hätten", so Schuster, "hätten wir alles Weitere vergessen können."
Um das Werk in Uitenhage auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen, hatte das VW-Management Umstrukturierungen vorgeschlagen. Und über die Frage, ob und wie über diese Umstrukturierungen verhandelt werden sollte, hat sich der Rat der gewerkschaftlichen Vertrauensleute im Volkswagenwerk Uitenhage gespalten. Schon im Lauf des letzten Jahres hat sich die innergewerkschaftliche Fraktionierung verschärft: Eine Mehrheit von neunzehn meist jüngeren shopstewards hoffte – darin dem Management folgend – auf zusätzliche Aufträge und langfristig gesicherte Arbeitsplätze. Sie war zu Verhandlungen über flexiblere Arbeits- und Schichtzeiten, über eine andere Urlaubsregelung und ähnliche produktivitätssteigernde Maßnahmen bereit. Die Minderheit der dreizehn shopstewards um die Gruppe Ludlyingwever sah darin einen Verrat an den schwer erkämpften sozialen Standards und mobilisierte im Betrieb gegen die verhandlungswilligen NUMSA-Vertrauensleute.
Der Konflikt eskalierte sehr schnell zum Kampf um die Macht in der betrieblichen Gewerkschaftsorganisation. Ein Versuch der NUMSA im Juli 1999, acht oppositionelle Vertrauensleute auszuschließen, wurde nach einem dreitätigen wilden Streik zurückgenommen. Das Arbeitsgericht entschied, dass weitere Streiks nach südafrikanischem Recht (das unter bestimmten Umständen politische Streiks erlaubt) illegal sind. Die Oppositionsgruppe beanspruchte ein eigenes Vertretungsrecht für "die Arbeiter" und ernannte neunzehn eigene, nicht gewählte Vertreter.
Im Januar schloss die NUMSA die dreizehn oppositionellen Vertrauensleute aus und forderte von VW, die Minderheitsgruppe nicht mehr als Gesprächspartner anzuerkennen. Es folgten der zweiwöchige "wilde" Streik, das Ultimatum des Managements und die Massenkündigung von 1280 Volkswagen-Arbeitern, daraufhin eine Flut von Bewerbungen und die vorerst befristete Einstellung von rund 1000 neuen Arbeitern.
Von seinem Amtszimmer schaut Phumele Ndoni direkt auf den Marktplatz, ein mit schwindsüchtigen Bäumen bepflanztes, mit Plastikband abgesperrtes Karree. Eine rund hundertköpfige Gruppe dreht dort mit rhythmischen Gesängen ihre Runden, schwenkt ihre Plakate und fordert die umstehende Menge auf, sich anzuschließen. Der Bürgermeister von Uitenhage, ein kaum 40-jähriger ehemaliger Gewerkschafter, den hier alle nur bei seinem im Kampf gegen die Apartheid erworbenen Spitznamen "Bicks" rufen, sieht die Menschenmenge auf dem Marktplatz, ihre Transparente und Protestparolen mit Unbehagen. Dieser 15. Mai ist ein bitterer Tag für "Bicks" und all die anderen, die sich plötzlich an den Pranger gestellt sehen als "Handlanger des Kapitals", als Verräter an den Rechten der Arbeiter. Etwas abseits stehen unten auf dem Marktplatz einige Volkswagen-shopstewards mit Funktionären der NUMSA zusammen und warten darauf, dass die Polizei den Weg in den Rathaussaal freigibt.
Um 10 Uhr, mit einiger Verspätung, ist es endlich soweit. Einzeln passieren die Menschen eine elektronische Schleuse und lassen sich vom Wachpersonal auf Waffen abtasten. Oben auf der Bühne beginnt die im südafrikanischen Arbeitsrecht vorgesehene Vermittlungskommission mit der Verhandlung, auf die hier alle warten: der Bürgermeister, die Demonstranten auf dem Marktplatz, die Gewerkschafter und Betriebsfunktionäre sowie ein Dutzend Journalisten der regionalen und überregionalen südafrikanischen Presse.
Der Saal fasst rund 450 Leute und ist bis auf den letzten Platz besetzt, als Richter Brandt die Verhandlung eröffnet. Er soll feststellen, ob Volkswagen/Südafrika, der größte und wichtigste Arbeitgeber in der Region, im Januar jene 1280 Arbeiter entlassen durfte, die dem Ultimatum des Managements nicht gefolgt waren. Die amtierenden shopstewards von Volkswagen und die Gewerkschaftsvertreter der NUMSA hoffen ebenso wie "Bicks" Ndoni, der Bürgermeister, dass die Entlassenen sich bei der Verhandlung nicht durchsetzen werden. Nach einer Woche, nach ausführlicher Vernehmung des Volkswagen-Personalchefs Brian K. Smith, nach den Stellungnahmen der Gekündigten und der gegnerischen Rechtsanwälte und nach dem Antrag der Rechtsvertreter der Gekündigten, nicht weniger als 1376 Zeugen zu hören, hat Richter Brandt die Verhandlung auf August vertagt. Offensichtlich ist hier zunächst eine Verfahrensentscheidung nötig, wenn die Verhandlung nicht zu einem monatelangen Tribunal gegen Volkswagen werden soll.
Wenn man über die R 75 durch die sandige Hügellandschaft der Küstenregion von Port Elisabeth nach Uitenhage fährt, wird die Ungeduld verständlich, mit der viele schwarze Südafrikaner auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände warten. Kilometerweit ziehen sich links und rechts die aus Betonteilen errichteten Zäune, mit denen die townships von der Straße abgeschirmt werden. Dahinter breiten sich, durchzogen von ungepflasterten, staubigen Wegen, die Siedlungen der schwarzen Bevölkerung aus. In diesen kärglichen Bretterhütten (shacks) leben viele von denen, die in den Industriebetrieben von Uitenhage Arbeit gefunden haben – und noch mehr, die keine haben und auch, so wie die Dinge hier liegen, so bald keine finden werden. In diesen Stadtteilen ist von den Veränderungen seit der Befreiung, von den von der ANC-Regierung versprochenen Verbesserungen noch nicht viel angekommen.
Sicher: Inzwischen gehen die meisten Kinder in Südafrika zur Schule, bekommen dort auch zu essen. Vereinzelt sieht man bereits die Ergebnisse des Siedlungsprogramms der Regierung: In langen Reihen stehen neu errichtete kleine Steinhäuser, für jede Familie eines, mit Anschluss an Elektrizität, Wasser und Kanalisation. Aber für viele, zu viele Menschen bleibt der Umzug in so ein Haus nach wie vor ein unerfüllbarer Traum. Und eine unkontrollierbare Zuwanderung aus den Nachbarländern sorgt dafür, dass der Problemdruck in den townships trotz aller Fortschritte nicht nachlässt: "Kaum haben wir eine Familie umgesiedelt, ist ihr shack schon wieder besetzt", klagt Bürgermeister Ndoni.
Nichts fürchten "Bick" Ndoni und sein Stadtdirektor Moodley mehr als anhaltende soziale Unruhe in der Region Port Elisabeth/Uitenhage mit ihren rund eine Millionen Einwohnern und einer selbst für südafrikanische Verhältnisse überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit von rund 50 Prozent. Denn die verantwortlichen Politiker haben ehrgeizige Pläne. Sie wollen das Ballungsgebiet am Indischen Ozean zu einem führenden Industriestandort im südlichen Afrika machen. Sie hoffen auf Investitionen der internationalen Konzerne und versuchen, dafür möglichst günstige Bedingungen bereitzustellen.
Ihr Schlüsselprojekt ist der Ausbau eines Überseehafens im nahe gelegenen Coega. Damit sollen der produzierenden Wirtschaft attraktive Transportwege, der unmittelbare Zugang zum Weltmarkt geboten werden. Im Einzugsbereich des Hafens, glauben sie, werden sich die Konzerne ansiedeln, die mit eigenen Produktionsstätten im aufstrebenden Wirtschaftsraum südliches Afrika vertreten sein wollen. Umfangreiche Flächen sind als industrielle Entwicklungszone ausgewiesen.
Angesichts dieser Perspektiven ist den Kommunalpolitikern die Entwicklung bei Volkswagen, dem bisher schon größten und bekanntesten Arbeitgeber der Region und führendem global player, doppelt wichtig. Sie setzen darauf, dass Volkswagen/Uitenhage zu einem weltmarktfähigen Standort ausgebaut wird, dass sich weitere Zulieferer im Umfeld des Werks ansiedeln, neue Arbeitsplätze entstehen und eine industrielle Infrastruktur geschaffen wird, die wiederum andere Investitionen nach sich zieht. Sie befürchten, dass der Konflikt im Volkswagenwerk Uitenhage die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in der Region und im Lande insgesamt zurückwirft.
Ndoni ist überzeugt, dass die Oppositionsgruppe nicht nur auf den Arbeitgeber Volkswagen zielt, sondern insgesamt eine Strategie der Destabilisierung in der Kommune verfolgt. Schon zu Oppositionszeiten und natürlich erst recht nach der politischen Wende haben die Volkswagen-Gewerkschafter als bestorganisierte und politisch qualifizierteste Gruppierung eine Schlüsselrolle in der lokalen und regionalen Politik gespielt. "Wer Volkswagen hat, der hat Uitenhage", heißt es in der Stadt. Deshalb sei es kein Zufall, dass sich der Machtkampf bei Volkswagen jetzt zugespitzt habe: Im Herbst dieses Jahres finden in Uitenhage Kommunalwahlen statt.
Hans-Jürgen Uhl residiert im vierten Stock, Sektion 18, im Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg. Er ist Generalsekretär des Welt-Konzernbetriebsrats bei Volkswagen, ein Mann, der viel bewegen kann in dem Konzern mit seiner spezifischen Unternehmensphilosophie der "kooperativen Konfliktbewältigung". Aber in diesem Fall ist auch er machtlos: "Wenn es vor Ort nicht stimmt, kommen auch wir an unsere Grenzen", sagt er. Eine gewisse Enttäuschung über die vergebliche Vermittlungsmission vom Januar ist unüberhörbar. Umso vehementer vertritt er nun die Entscheidung von damals: Ja, es gab keinen anderen Weg als das Ultimatum an die Streikenden und die anschließende Entlassung. Er kennt sie fast alle, auf beiden Seiten des Konflikts in der NUMSA. Er und die Mitglieder der Intersoli-Gruppe der IG Metall Wolfsburg haben sich schon seit Anfang der achtziger Jahre für ihre Gewerkschaftskollegen in Südafrika engagiert. Sie haben dafür gesorgt, dass Volkswagen die Arbeit der NUMSA im Betrieb zugelassen hat, dass Belegschaftsvertretungen im Werk gewählt werden konnten, als die schwarzen Gewerkschaften außerhalb der Werksmauern noch als "terroristische Organisation" von der Geheimpolizei verfolgt wurden.
Die Wolfsburger Metaller haben maßgeblich jene Mindeststandards der IG Metall formuliert, wonach deutsche Konzerne in ihren ausländischen Produktionsstätten gleiche gewerkschaftliche und demokratische Rechte gewährleisten sollten wie in ihren heimischen Werken. Dies ist einer der Gründe für die relative Stärke der gewerkschaftlichen Organisation in den Tochterunternehmen deutscher Konzerne in Südafrika. Volkswagen/Uitenhage – das ist nicht nur ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für das Land, sondern auch ein Symbol für den Aufbau einer starken, authentischen Gewerkschaftsbewegung. Einer ihrer wichtigsten Führer, der ehemalige COSATU-Vorsitzende John Gomomo (heute Parlamentsabgeordneter für den ANC), kommt von Volkswagen.
Auch er hat sich, wie Hans-Jürgen Uhl, darum bemüht, den innergewerkschaftlichen Konflikt bei Volkswagen in geordnete, demokratische Bahnen zu lenken. Auch er ist gescheitert. Uhl führt dies darauf zurück, dass sich unter dem Terror des Apartheidsystems in Südafrika keine Menschen- und Bürgerrechtskultur habe entwickeln können. Die Oppositionsgruppe agiere heute noch so, als ob es die Befreiung von 1994 nicht gegeben hätte. Jetzt aber sei Normalität angesagt, der Apartheid-Bonus sei verbraucht. Das neue, sehr fortschrittliche Arbeitsrecht in Südafrika garantiere gewerkschaftliche Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten, erfordere andererseits aber auch zivilgesellschaftliche, demokratische Verkehrsformen bei der Konfliktbewältigung, sowohl innerhalb der Gewerkschaft als auch zwischen den Betriebsparteien.
Uhl glaubt nicht, dass die von Richter Brandt eingeräumte Denkpause von Mai bis August genutzt werden kann, doch noch einen Kompromiss mit den gewerkschaftlichen Dissidenten zu finden. Die 1280 Kündigungen seien hart, sicher, aber das Unternehmen müsse jetzt konsequent bleiben.
Das gleiche glauben auch die amtierenden Vertrauensleute der NUMSA. Sie fordern vom Unternehmen, den nach dem Streik neu angeworbenen Arbeitern unbefristete Arbeitsverträge zu geben. Der gegenwärtige gewerkschaftliche Organisationsgrad von 64 Prozent wird sich, so hoffen sie, langsam wieder auch die bislang gewohnten 80 Prozent erhöhen. T. Stemele, ein erfahrener Gewerkschafter und freigestellter shopsteward, meint im Gespräch: "Wir müssen die Gewerkschaft bei Volkswagen wieder neu aufbauen." Er hofft, dass der Machtkampf innerhalb der NUMSA entschieden ist. Stabile gewerkschaftliche Strukturen, so Stemele, seien sowohl gegenüber dem Unternehmen als auch im Rahmen der weltweiten Arbeitnehmervertretung unerlässlich. "Mit der Befreiung hat die Gewerkschaft ihren Charakter geändert", sagt er. Jetzt gehe es darum, die Interessen der Beschäftigten im Rahmen eines global operierenden Unternehmens zu erkennen und zu vertreten.
Natürlich will auch er nicht ausschließen, dass bei Volkswagen/Südafrika in Zukunft wieder einmal gestreikt werden müsse. Aber die größeren Probleme für die südafrikanische Gewerkschaftsbewegung sieht er woanders: Die Integration des Landes in den Weltmarkt erschwere die Durchsetzung sozialer Interessen. Deshalb ist er am Tag des Generalstreiks, am 10. Mai, mit seinen Kollegen nach Port Elisabeth zur regionalen Kundgebung gefahren. "Es waren 20.000 Leute da", erzählt er. Das sei ein ermutigendes Zeichen.
aus: der überblick 03/2000, Seite 64
AUTOR(EN):
Martin Kempe:
Martin Kempe ist Spezialist für Gewerkschaftsfragen und lebt als freier Journalist in Hamburg.