Afrika ist ein Kontinent in Bewegung. Jeder dritte Migrant weltweit ist Afrikaner
Es handelt sich dabei nicht nur um Arbeitsmigranten, sondern auch um Menschen, die Naturkatastrophen und politischer Instabilität entfliehen wollen. Arbeitsmigranten in Afrika können sich zu Hause auf ihre Familien verlassen und im Gastland auf ein Netzwerk ihrer Landsleute. Dass aus wirtschaftlicher Not auch immer mehr Frauen zur Arbeitsuche in andere Länder aufbrechen, erläutert Dr. Thomas Weiss. Er ist Politikwissenschaftler und Wirtschaftsgeograph im Genfer Hauptsitz der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit dem Schwerpunkt Westafrika.
von Thomas Veser
Worin unterscheidet sich die Arbeitsmigration innerhalb Afrikas von anderen Kontinenten ?
Von mittlerweile weltweit 175 Millionen Migranten ist jeder Dritte Afrikaner. Dabei stehen kriegerische Wirren, politische Instabilität und Naturkatastrophen, wie anhaltende Dürreperioden, als ausschlaggebende Beweggründe im Vordergrund. Viele Afrikaner wandern jedoch auch aus, um neue Fertigkeiten zu erlernen und ihren Horizont zu erweitern. Afrikaner, die durch ihre geografische Mobilität über den Tellerrand der Heimat hinausgeblickt haben, genießen allgemein hohes soziales Ansehen. Stärker noch als andere Erdteile ist Afrika heute ein Kontinent in Bewegung, und das äußert sich auch in den Wanderbewegungen. Wie eine jüngere Untersuchung der Universität Kapstadt gezeigt hat, wollen praktisch alle afrikanischen Migranten nach ein paar Jahren in die angestammte Heimat zurückkehren.
Wie läuft die Arbeitsmigration zwischen afrikanischen Staaten praktisch ab ?
Bei allen Wanderbewegungen spielt der Familienzusammenhalt die tragende Rolle. Emigriert ein Angehöriger, meist der älteste Sohn, wird er während der Startphase zunächst durch seinen Familienverband finanziert. In der Regel kann sich der Neuankömmling in seinem Bestimmungsland bereits auf ein gut funktionierendes Netzwerk eingewanderter Landsleute stützen. Mit seinen Geldüberweisungen an die Familie kommt ihm dann eine zentrale Funktion zu. In Eritrea und Kap Verde machen diese Transfers inzwischen fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Seit Jahren ist die afrikanische Arbeitsmigration, besonders bei den qualifizierten Arbeitskräften, stark rückläufig. Furcht vor unerwünschter Konkurrenz veranlasst Regierungen dazu, den Zuzug zu begrenzen. Wollen sich die Staaten auf diese Weise abschotten ?
Nein, das können sie gar nicht, schon weil die Staatsgrenzen in Afrika zu durchlässig sind. Personalausweise, Pässe oder sonstige Ausweispapiere sind in Afrika weitgehend unbekannt. Da die Grenzen von den Kolonialmächten oftmals willkürlich mitten durch das Gebiet einer Ethnie gelegt wurden, lässt sich etwa im Fall von Togo und Benin nur schwer ermitteln, wer Bürger welches Staates ist. Südafrika hat versucht, illegale Einwanderer aus Mosambik durch einen elektrischen Zaun vom Grenzübertritt abzuhalten. Wie kläglich das gescheitert ist, zeigt die Tatsache, dass jährlich im Schnitt 140.000 Illegale nach ihrer Ergreifung abgeschoben werden. In einigen Ländern müssen die bereits Zugewanderten, die sich eine Existenz aufbauen konnten, auf der Hut sein: Es ist schon vorgekommen, dass über Nacht eine Höchstaufenthaltsdauer festgelegt oder die Gebühr für eine Aufenthaltsberechtigung um ein Vielfaches erhöht wurde.
Welche afrikanischen Staaten gelten in Zuwandererkreisen gegenwärtig als besonders begehrt ?
Da wäre zunächst Südafrika zu nennen, aber auch der kleine und wohlhabende Staat Gabun mit seinen Betrieben in der Erdöl-und Holzverarbeitung zieht Arbeitsmigranten an. Zunehmendes Interesse erweckt quatorial-Guinea, denn auch dort wurde Erdöl entdeckt. Im Maghreb zählt Libyen zu den attraktivsten Zielländern: Bis Anfang der neunziger Jahre hatte Staatschef Gaddafi die Subsahara-Staaten. aufgefordert, Arbeitskräfte für den Agrarsektor, die Erdölverarbeitung und die Bauwirtschaft zu schicken. Allerdings hatten pogromartige Ausschreitungen in Libyen gegen ghanaische Arbeitsmigranten dazu geführt, dass Ghana seine Landsleute schleunigst über eine Luftbrücke in Sicherheit brachte.
Wie hat sich die Arbeitsmigration in Afrika in den letzten Jahren gewandelt ?
Früher wanderte in der Regel der Mann aus: Inzwischen nimmt die Zahl der emigrierenden Frauen immer stärker zu, weil sie von ihrem kläglichen Familieneinkommen nicht mehr überleben können. Ihr Anteil an der Gesamtmigration hat bereits 47,5 Prozent erreicht. Einen radikaleren Bruch mit dem traditionellen afrikanischen Rollenverständnis kann man sich gar nicht vorstellen. Tatsächlich führt diese Entwicklung in der afrikanischen Gesellschaft zu zunehmenden Spannungen. Weiterhin ist alarmierend, dass -wie es vor allem in Nigeria zu beobachten ist -zunehmend Frauen und Kinder nach Europa, Asien, in die arabischen und afrikanischen Staaten geradezu verkauft werden. Die internationale Arbeitsorganisation ILO (International Labour Organisation) in Genf schätzt, dass jährlich zwischen 10.000 und 15.000 Kinder aus Mali auf den Plantagen der Côte d'Ivoire eingesetzt werden und dort 90 Prozent der jährlichen Kakaoernte einbringen.
aus: der überblick 03/2002, Seite 14
AUTOR(EN):
Thomas Veser:
Thomas Veser ist freier Journalist und schreibt für mehrere Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist spezialisiert auf Afrika.