Mehr als ein Hoffnungsschimmer
Der Bürgerkrieg im Sudan ist ein besonders prägnantes Beispiel dafür, dass Konflikte nicht nur wirtschaftliche und ideologische Ursachen haben, sondern vor allem durch Leugnung oder Nichtberücksichtigung sozialer und psychologischer Grundbedürfnisse wie Identität, Anerkennung und Beteiligung entstehen und eine besondere Härte erhalten.
von Günter Augustini
Umgekehrt bezieht der "Friedensprozess der Völker" (people-to- people process) seine Stärke daraus, dass er diesen Bedürfnissen Rechnung trägt und die Bevölkerung zum Subjekt ihrer Entwicklung macht. Dieser Friedensprozess, zu dem der Kirchenrat im Süden des Sudan (New Sudan Council of Churches NSCC) entscheidend beiträgt, wird vom Evangelischen Entwicklungsdienst gefördert und begleitet. Brot für die Welt unterstützt die Arbeit des Sudan Council of Churches (SCC), der von der Hauptstadt Khartum aus arbeitet.
Der Süden des Sudan: Immer die gleichen apokalyptischen Bilder von einem grausamen Bürgerkrieg mit inzwischen Millionen Toten und Vertriebenen. Zerstörung und Leid seit Jahrzehnten, im Grunde seit der Unabhängigkeit des Sudan 1956. Frühere Angaben (1983) sprechen von 6 - 7 Millionen Einwohnern im Süden, jetzt geht man von 3-4 Millionen aus. Die Übrigen: umgebracht, gefallen, vertrieben, auf die Welt verstreut.
Die Anfügung des christlich-animistischen und ethnisch, sozial und kulturell afrikanische geprägten Südens an den arabisierten-moslemischen Norden entsprach den ägyptischen Interessen an der Kontrolle über die Quellen des Nils und der britischen Kolonialpolitik. So entstand ein sehr heterogenes Staatsgebilde. Gemäß der traditionellen kulturellen Arroganz des Nordens, die südlichen Völker als Quelle von Sklaven zu missbrauchen, wurden mit der "Southern Policy" auch nach der Unabhängigkeit ökonomische Ausbeutung, politische Marginalisierung und vor allem sozio-kulturelle Unterdrückung und Teilung durch die Regierung und ihre Milizen betrieben.
Die politische Entwicklung wurde mit dem Ziel manipuliert, den Süden auf der Ebene lokaler, ethnisch begrenzter Interessen zu belassen. Gefühle der Inferiorität wurden bewusst erzeugt, die Spaltung zwischen ethnischen Gruppen bewusst eingesetzt. Die Bevölkerung wurde gegen ihren Willen daran gewöhnt, gesagt zu bekommen, "was zu tun" sei. Dieser Kontext war der fruchtbare Boden für "Tribalismus" und die Instrumentalisierung der Ethnien für die Ziele der herrschenden Gruppen in den jeweiligen Regionen.
Die Auseinandersetzungen waren also vorprogrammiert und haben sich zu einem komplexen Konfliktsystem entwickelt: Es ist einer der am längsten dauernden Kriege der Welt mit vielen Grundursachen und sekundären Konflikten. Er wird auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen und schürt Furcht, Misstrauen und Hass. Die Konfliktparteien beziehen Ethnizität und Religion bewusst in ihre Strategien ein, wodurch der Krieg religiös verbrämt wird und damit einer Lösung durch rationalen, verhandelbaren Interessenausgleich schwer zugänglich ist. Der Krieg verursacht massive Flüchtlingsströme innerhalb des Landes und in die Nachbarländer und trägt damit zur regionalen Instabilität und zu weiteren Auseinandersetzungen bei.
Es ist nicht falsch: Der Kampf geht letztlich um die Verfügungsgewalt über die wirtschaftlichen Ressourcen und die politische Macht. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen Zentrum und Peripherie, die nun durch die einseitige Ausbeutung der südlichen Ölquellen durch den Norden noch verschärft wird.
Dennoch greift diese Sicht zu kurz: Sie muss entscheidend erweitert werden, will man die Härte und Bitterkeit des Konflikts, aber auch den "Friedensprozess der Völker" in ihrer ganzen Bedeutung und ihrem ganzen Potenzial verstehen. Der Konflikt ist auch Ergebnis eines sozio- politischen Systems, das existentielle Gruppenbedürfnisse unterdrückt oder leugnet, nämlich die nach Identität, Anerkennung, Sicherheit, Würde, Selbstbestimmung und Beteiligung. Auch alle Fraktionen der Befreiungs- oder Rebellenbewegungen (wie SPLA und SPDF) müssen sich genau diesen Mangel vorwerfen lassen. Normen, Strukturen und Institutionen sowie eine Politik, die diese fundamentalen Bedürfnisse und Werte aufnehmen, fehlen hier weitgehend.
Aus diesem Blickwinkel ist nicht nur die Knappheit der Ressourcen Auslöser des Konflikts, sondern es sind vor allem die Entscheidungsprozesse, durch die die Ressourcen verteilt werden. Die Nichtberücksichtigung von Anerkennung, Identität und Beteiligung schafft die politische Krise mit den verheerenden ökonomischen und sozialen Konsequenzen.
Nur auf der Basis gesellschaftlich getragener, von innen bejahter Prozesse, die neben den politischen und wirtschaftlichen auch die sozialen und menschlichen sowie religiös-spirituellen Bedürfnisse berücksichtigen, ist dauerhafter Frieden denkbar. Hier liegt das Neue und das spezifische Potenzial des "Friedensprozesses der Völker". Das bedeutet nicht, die "offiziellen" Friedensbemühungen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene unterzubewerten. Diese müssen aber zum Erfolg eine Basis in der Bevölkerung haben.
Bereits 1996 machte der New Sudan Council of Churches "die Förderung von Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung und Menschenrechten" zu seiner obersten Priorität. In dieser Zeit begann die kriegsmüde Bevölkerung über ihre traditionellen Führer, den Sinn der durch die Spaltung der Aufstandsbewegung SPLA stetig anwachsenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb der Völker im Süden in Frage zu stellen. Die traditionellen Führer ergriffen die Initiative und baten die Kirchen als eine der wenigen Organisationen mit Strukturen und Glaubwürdigkeit, mitzuhelfen, diese verhängnisvolle Situation zu überwinden.
Seit dieser Zeit hat es der NSCC übernommen, neben seinen Bemühungen auf nationaler und internationaler Ebene nun auch zwischen und innerhalb der Ethnien Frieden und Versöhnung zu fördern. Die Grundlagen für diesen Prozess wurden 1997 bei einer Konferenz in Yei gelegt, an der auch die Aufstandsbewegung SPLA/M teilnahm. Dort wurde unter anderem die Bedeutung von Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern auf lokaler Ebene herausgestellt, und die Kirchen wurden zu einer engen Zusammenarbeit mit den traditionellen Chiefs und deren rituellen Führern aufgefordert, um diese Ziele zu erreichen.
Im Juni 1998 organisierte der NSCC auf neutralem Boden in Kenia ein erstes Treffen von Kirchenführern mit den traditionellen Führern von 33 Clans. Die einander zugefügten Verletzungen und Leiden kamen zu Sprache, und die eigene Verantwortung hierfür wurde von den Vertretern der einzelnen Gruppen öffentlich anerkannt. Die Chiefs legten am Ende dieser Konferenz ein feierliches Friedensgelöbnis ab und forderten den NSCC zu einer Weiterführung des Prozesses auf. Es wurde beschlossen, den Friedens- und Versöhnungsprozess auf eine breitere Basis zu stellen und möglichst viele Dorfgemeinschaften und ihre Führer einzubeziehen. Traditionelle Konfliktlösungsstrategien sollten wiederbelebt und mit einer professionellen analytisch-methodischen Anleitung zu Konfliktüberwindung verbunden werden.
Im März 1999 fand eine große Friedens- und Versöhnungskonferenz zwischen Dinka und Nuer in Wunlit für die Gebiete westlich des Nils statt. Nach monatelangen Vorbereitungen und vertrauensbildenden Schritten zwischen verfeindeten Gruppen nahmen mehr als 300 offizielle Delegierte an der Konferenz teil, ermutigt durch die in dem Gebiet aktiven Befreiungsbewegungen.
Die Konferenz hat zu zahlreichen praktischen Verbesserungen geführt, so zur Einrichtung eines Friedensrates als Neuanfang einer zivilen Autorität, zur Einrichtung von Grenzgerichten und zur Ausbildung von Laienrichtern, ein Programm, das mit Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes unterstützt wird. Außerdem wurden Kriegsgefangene ausgetauscht, ehemalige "no go"-Gebiete für alle geöffnet und inzwischen 20.000 Flüchtlinge in ihrer Heimat wieder aufgenommen.
Ähnliche Konferenzen fanden im November 1999 in Waat, im Mai 2000 in Liliir, im November 2000 in Wulu und im Juni 2001 in Kisumu/Kenia statt, die letztere auch zur Verbreiterung und Absicherung des Friedens- und Versöhnungsprozesses durch die politischen Gruppierungen und die Exilgemeinschaften. Auf diesen Konferenzen kamen die traditionellen Führer verschiedener Ethnien mit Kirchenführern, Gruppen der Zivilgesellschaft, Frauen- und Jugendvertretern sowie Beobachtern der Befreiungsbewegungen in einem offenen Dialog zusammen.
Ökumenische Partner unterstützen diese Treffen nicht nur finanziell, sondern nehmen soweit möglich auch als Beobachterinnen und Beobachter teil, nicht zuletzt, um ihre Solidarität zu demonstrieren. Bei den Konferenzen wurden in den meisten Fällen bekräftigt durch rituelle Zeremonien wie Tieropfer, Anrufung der Ahnen, Vergebungsrituale weitreichende Resolutionen verabschiedet, aber auch Friedensabkommen zwischen den verfeindeten Gruppierungen mit klaren Aktionsplänen abgeschlossen.
Bemerkenswert waren dabei die Schlussfolgerungen der Beteiligten. Die Krise der Regierungsführung ("crisis of governance") wurde als Hauptkonfliktursache benannt. Der Vertrauensverlust in die Führungselite, auch der Bewegungen und die Bemühungen, letztere in die Pflicht der Verträge zu nehmen, wurden betont. Der Boykott der Kisumu-Konferenz durch die Führungen einiger Aufstandsbewegungen macht die Notwendigkeit dieser Bemühungen deutlich. Es wird nun darauf ankommen, dass der NSCC und die internationale ökumenische Gemeinschaft mit ihren auch politischen Verbindungen in intensiven Kontakten mit den Bewegungen versuchen, derartige Blockaden zu überwinden und auf eine gemeinsame Strategie und Position des Südens hinzuarbeiten.
Die abgeschlossenen Friedensabkommen haben trotz zahlreicher Belastungen
weitgehend gehalten. Gefährdungen kommen
a) aus der bedrohungsorientierten Reaktion der Führer der
Bewegungen, die ihre Basis weitgehend in der militärischen Macht und der
Kriegsökonomie haben,
b) aus der noch ungenügenden institutionellen und materiellen
Absicherung durch Entwicklungsinstitutionen und -programme,
c) aus den Befürchtungen der bislang noch nicht einbezogenen Ethnien,
durch die
Einigung der anderen majorisiert zu werden und aus der Hoffnung mancher, dass durch den Prozess Frieden und Einheit des Südens erreicht werden, um für die als unvermeidlich gesehene Entscheidungsschlacht mit dem Norden gerüstet zu sein ("Peace for War").
Diese Gefährdungen müssen ernst genommen werden. Dennoch hat der "Friedensprozess der Völker" bereits heute das gesamte politische Umfeld geändert. Er wird auch bei den politisch-militärischen Eliten ein Umdenken erforderlich machen.
Woraus bezieht er seine Stärke?
Der Friedensprozess der Völker hat somit auch Auswirkungen auf die Arbeit der Kirchen (und der ökumenischen Gemeinschaft). Der NSCC stellt seine Arbeit "vom Kopf auf die Füße". Er geht von der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung aus. Er wird zunehmend zum Motor des Aufbaus der Zivilgesellschaft von unten. Einseitig parteipolitisch ausgerichtete Kirchenführer müssen den weiteren Rahmen des
(Süd-)Sudan in ihre Überlegungen getrennt mit einbeziehen und ihre patriarchalisch geprägte Sicht von der Rolle der Frau aufgrund des besonders beeindruckenden Beitrages von Frauen im Friedensprozess überdenken.
Durch die Neudefinierung der Rolle des Kirchenrates als entscheidende Kraft in Aufbau und Gestaltung der Zivilgesellschaft bekommt seine Arbeit Profil und Kontur und erlaubt die notwendige Distanz zu und damit auch Autorität in der Auseinandersetzung mit den politisch-militärischen Führern. Hier ist auch die ökumenische Gemeinschaft gefragt. Sie muss den Prozess, der für die Beteiligten ein enormes politisches und persönliches Risiko darstellt, nicht nur finanziell durch Entwicklungsförderung, sondern auch durch (politische) Beratung und Netzwerkbildung auf der Makroebene aktiv und verlässlich unterstützen.
Die Instrumente dazu sind mit dem Ökumenischen Sudanforum, einem internationalen Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen unter dem Dach des Ökumenischen Rates der Kirchen und dessen Instrumenten, den Sudan Focal Points, bereits seit längerem vorhanden. Hier werden gemeinsam mit den sudanesischen Kirchen jährlich unterstützende Lobby- und Advocacyschwerpunkte festgelegt, so zuletzt zur Frage der konfliktverschärfenden Ölförderung und zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes als Weg zum Frieden. Mit Büros in Nairobi und Hildesheim versuchen die Sudan Focal Points in ständigem Kontakt mit sudanesischen Kirchen und deren ökumenischen Partnern, eine qualifizierte Informations- und Advocacyarbeit zu Friedens- und Menschenrechtsthemen zu leisten.
So ist zu hoffen, dass aus den kleinen lokalen Anfängen des "Friedens der Völker" ein Sieg für Frieden und Versöhnung insgesamt wird, der mehr als ein Hoffnungsschimmer ist, sondern zu einem Strahl der Hoffnung für die positive Entwicklung im ganzen Land wird.
Deshalb gehört die Unterstützung des Kirchenrates NSCC zu den Schwerpunkten der EED-Arbeit im Sudan. Gegenwärtig fördert der EED Programme der Partner im Sudan in Höhe von mehr als zwei Millionen DM im Jahr. Besonders zu erwähnen sind dabei Programme zur Erarbeitung lokaler gewaltloser Konfliktlösungsstrategien sowie zur Förderung von Menschenrechten und von "good governance". Zu erwähnen sind außerdem Forschungsvorhaben, mit denen festgestellt werden soll, welche Bedeutung traditionelle Gruppen, die Kirchen und neue soziale Strukturen für die Schlichtung von Konflikten und der Schaffung einer Zivilgesellschaft haben können.
Im Bildungssektor sind die Entwicklung angepasster Lehrpläne für den Sudan (einschließlich Friedenserziehung), die Produktion und Verteilung von Lehr- und Lernmaterial an gemeindliche oder kirchliche Primarschulen, die Lehreraus- und -fortbildung und Programme zur Aufklärung über die Gefahren von Landminen und die Minenräumung wichtig. Seit 1997 wird außerdem ein umfassendes Gemeindegesundheitsprogramm in West-Äquatoria gefördert, das über 600.000 Menschen zugute kommt.
Als Entwicklungsförderungsorganisation ist der EED insbesondere in einer extremen Krisen- und Konfliktsituation gehalten, auch immer zu prüfen, ob und wie die Entwicklungsmaßnahmen sich auf die Konfliktsituation auswirken. Sie sollten zumindest nicht konfliktverschärfend sein. Sie können einen Beitrag zur Konfliktreduzierung oder -lösung leisten. Dementsprechend untersucht der EED mit Hilfe eines für drei Jahre angestellten "Local Capacity for Peace"-Beraters ausgewählte Projekte und Programme der Partner in der Region (Äthiopien, Südsudan und Kenia) darauf, ob und wie sie konfliktverschärfend oder konfliktmindernd wirken.
Der EED unterstützt im Sudan Entwicklungs- und Friedensarbeit als ein langfristig und breit angelegtes Vorgehen und versucht dabei, auf Krisenprävention, Krisenursachen und Konfliktbearbeitung einzuwirken und die Bevölkerung zu befähigen, ihre notwendig vorhandenen Konflikte friedlich zu lösen.
aus: der überblick 03/2001, Seite 123
AUTOR(EN):
Günter Augustini:
Günter Augustini ist Afrikareferent im Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).