In Manila finden Gottesdienste in Shopping Malls statt
von Hilja Müller
Die besten Plätze sind frühzeitig vergeben. Wer den katholischen Priester gut hören und sehen will, muss mindestens eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes da sein. Denn diese Messe findet nicht in der Abgeschiedenheit einer Kirche statt, sondern mitten in der Glorietta, einer geschäftigen Shopping Mall in Makati, dem Geschäftszentrum der philippinischen Hauptstadt Manila.
Unweit von Marks&Spencer, direkt bei Starbucks um die Ecke werden hier jeden Mittwochnachmittag im breiten Gang der Einkaufshalle Vorbereitungen für die bevorstehende Andacht getroffen. Den Altar verhüllt eine grüne Decke, darüber liegt eine beiges Häkeltuch. Einziger Schmuck ist ein kleines Blumengesteck. Ein schmaler Jesus schaut von seinem dünnen Holzkreuz auf die vorbeiströmenden Menschen. Manche nehmen sich die Zeit für einen ehrfürchtigen Gruß an Gottes Sohn. Andere hasten vorbei, als sei das improvisierte Kirchenambiente nur ein weiterer Verkaufsstand, der flottes Fortkommen durch die langen Gänge der Riesenmall erschwert.
Für Fremde ist es eine bizarre Szene, die sich da um 17 Uhr, mitten in der Rushhour der 14-Millionen-Metropole abspielt. Für die Einheimischen hingegen ist es business as usual: Wie immer haben sich mehr als 200 Gläubige eingefunden, die scheinbar immun sind gegen den Lärm und die Geschäftigkeit um sie herum. Wer in den umliegenden Läden ohne Kundschaft ist, hört von der Tür aus zu und selbst einen Stock höher sitzen Filipinos dicht am Geländer und verfolgen die Messe mit gefalteten Händen. Wenden sie den Kopf zur Seite, fällt ihr Blick auf rote und schwarze Spitzenhöschen, Auslagen eines Dessousgeschäftes.
Als der Pfarrer mit erhobener Stimme zur Predigt anhebt, geht ein infernalischer Lärm los. Was wie die Alarmanlage eines Autos klingt, kommt aus der Spielhölle am Ende des Ganges. Geduldig wartet der Seelsorger, bis das Getöse abebbt. So ist es eben, wenn man mitten im Trubel eines großen Einkaufszentrums einen Gottesdienst zelebriert.
Seit in den späten 1980er Jahren die ersten Konsumtempel in Manila entstanden, gehört das Phänomen der Gottesdienste als Kundenservice dazu. Angesichts der Statistik ein lohnendes Geschäft: Die Philippinen sind das einzige katholische Land Asiens, 81 Prozent der 87 Millionen Filipinos gehören diesem Glauben an. Die katholische Kirche ist, seit sie von den spanischen Eroberern im 16. Jahrhundert in dem südostasiatischen Inselstaat etabliert wurde, die dritte Macht im Land neben Militär und Politik.
Die eigentümliche Melange von Gottesdienst und Geschäft, von Kirche und Kommerz wäre ohne den Segen von oben nicht vorstellbar. In diesem Fall hat die Katholische Bischofskonferenz der Philippinen das Sagen. Ihr Sprecher, Monsignore Pedro C. Quitorio III., mag an Heiligen Messen in Konsumtempeln nichts Wunderliches finden. "Wir sind immer im Einklang mit dem Regelwerk des Vatikans", versichert der Kirchenmann und verweist auf das zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren. Damals habe die katholische Kirche ihren Glaubensauftrag erneuert und Teil dessen sei die sprichwörtliche Öffnung der Kirche, um mehr Gläubige erreichen zu können. "Seither ist es bei uns üblich, in armen Gebieten Straßenmessen abzuhalten oder auf dem Land im Schatten der Bäume zum Gebet zu rufen. Warum also in der Großstadt nicht auch in Shopping Malls?"
Allerdings, so Quitorio, sei die Genehmigung des für die jeweilige Gemeinde zuständigen Bischoffs Voraussetzung, "und dass die Würde des Ortes gewährleistet ist". Das kanonische Gesetz (932) schreibt vor, die Messe an einem geheiligten Ort zu zelebrieren, wobei ein angemessener Raum als Ersatz genutzt werden kann, wenn dies notwendig sei.
Zustände wie in der Glorietta seien "sicher nicht ideal und daran arbeiten wir", räumt der Monsignore ein. "Aber die meisten Malls haben inzwischen Gebetsräume eingerichtet und selbst der Erzbischof zelebriert doch Messen in Einkaufszentren." Anders als etwa in Deutschland, so der Bischofssprecher, wo die Kirchen oft halb leer blieben, habe man dieses Problem auf den Philippinen nicht. "Dennoch können wir mit Messen in Malls Menschen erreichen, die sonst nicht zu uns kommen", ist sich der Geistliche sicher.
Der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel. Von einer Gefahr, dass der Gottesdienst so zu einem leicht verdaulichen Konsumgut wird, will Quitorio dennoch nichts wissen. "Für uns Filipinos sind Shopping Malls doch mehr als nur eine Ansammlung von Läden. Sie sind Orte der Erholung vom anstrengenden Alltag und der Hitze draußen. Wir können dort Stunden zubringen, ohne einen Centavo auszugeben. In den Malls ist es dank der Klimaanlagen schön kühl, und sauber ist es auch. Sie sind einfach ein idealer Treffpunkt: Studenten gehen zum Lernen hin, Familien machen ihren Sonntagsspaziergang, Reich und Arm genießen dort die Freizeit. Da ist es doch ideal, wenn man zudem das Gespräch mit Gott in einer abgeteilten Kapelle suchen kann."
Obgleich Kirchendienste in Kaufhallen in Manila längst ein gewohntes Bild sind, zeigen sich nicht alle Filipinos überzeugt davon, dass ein Einkaufszentrum der angemessene Ort für einen Gottesdienst ist. Eine von ihnen ist Jay Mcleod: "Ich habe viele Freunde, die in Shopping Malls die Messe besuchen. Sie wollen halt auf ihr Freizeitvergnügen nicht verzichten, gleichzeitig aber auch ihr Gewissen beruhigen. Wenn sie in der Mall zur Messe gehen, ist dem Ritual Genüge getan. Spirituell finde ich es völlig unmöglich. Wer zu Gott beten möchte, der sollte die Zeit finden, in eine Kirche zu gehen."
Auch Belen Narantes lehnt diese moderne Form von Glaubensausübung ab: "Was hat es denn mit Gott und Gebet zu tun, wenn man mitten im Einkaufstrubel sitzt, einfach weil es schneller geht und bequemer ist?", fragt die 54-Jährige. "Da bleibt doch jede Feierlichkeit auf der Strecke. Wenn ich nicht in die Kirche gehen kann, dann bete ich eben zu Hause."
Lyndon Sarandon ist da ganz anderer Meinung. Der Fitnesstrainer findet es "eine gute Sache, wenn man knapp in der Zeit ist oder ohnehin in der Mall ist. Viele Kirchen in Manila sind doch so überfüllt, dass man kaum etwas von dem versteht, was der Priester sagt. Außerdem ist es dort heiß und stickig, da hab' ich gar keine Lust hinzugehen", moniert der junge Mann.
Viel besser findet er einen Ort, der unmittelbar neben dem Fitnessstudio liegt, in dem er wohlhabender Klientel den Speck wegtrainiert. In der Power Plant Mall, einem Schicki-Micki-Einkaufstempel führt im dritten Stock ein Seitengang zwischen Bowlingcenter und Möbelladen zu einer Kapelle. Neben der Eingangstür aus hellem Holz hängt eine blank polierte Metalltafel: "Sacred Heart of Jesus Chapel, eingeweiht am 5. Juni 2006 vom Erzbischof von Manila, Gaudencio B. Rosales steht darauf.
In dem hellen, lang gezogenen Raum stehen braune Stühle in Viererreihen. Die Ausstattung ist modern: Auf einem Flachbildschirm wird live die Messe übertragen, damit auch die Leute in der letzten Reihe den Seelsorger gut sehen können. Bei Bedarf werden Bibeltexte per Computer auf eine große Leinwand abgebildet. Ein üppiges Blumenbouquet schmückt den Altar, durch blau-gelbe Buntglasfenster fällt mildes Licht. Keine Frage, eine so angenehme Umgebung für einen Gottesdienst kann keine Kirche in der Hauptstadt bieten.
Den ganzen Tag über ist die Kapelle geöffnet und der Wachmann vor der Tür weiß: "Leer ist sie nie. Es kommen immer Leute für ein kurzes Gebet, vor allem Verkäufer und Angestellte aus unserer Mall." Bis zu 100 Gläubige nähmen am Gottesdienst teil, der wochentags um 17.30 Uhr stattfindet. "Viele loben unsere Kapelle, weil sie so schön ist", freut sich der Mann in Uniform.
Auch Belen Nones weiß um den guten Ruf und die Qualitäten der Sacred Heart of Jesus-Kapelle. Die Managerin der Power Plant Mall lässt durchblicken, dass die Einrichtung mehrere tausend US-Dollars gekostet habe. Angefangen habe alles ganz anders, "ähnlich wie in der Glorietta." Zunächst fanden die Gottesdienste auf einem freien Platz ausgerechnet in der Lifestyle-Abteilung statt. "Es kamen zwar immer sehr viele Leute, aber wir fanden, es sei nicht der angemessene Rahmen", so die Managerin.
Nein, Druck von der Kirche habe es nicht gegeben, "das war alleine unsere Entscheidung, die Kapelle zu finanzieren. Wir meinen, dass wir das unserer Kundschaft schuldig sind." Dass die Investition in das Serviceangebot Gottesdienst sich rechnet, zeigt sich an den Wochenenden. Bei den insgesamt acht Messen reichen die 330 Sitzplätze oft nicht aus und Spätkommer müssen wie in alten Zeiten mit einem Platz im Flur Vorlieb nehmen. Die heilige Messe in der schönen Kapelle hat sich zu einem echten Zugpferd entwickelt.
Finanziell sei die Kapelle, die zur Gemeinde St. Peter und Paul gehört, indes ein Zusatzgeschäft, versichert die Managerin. "Wir behalten ja von der Kollekte nichts ein, und stellen den Raum umsonst zur Verfügung. Zudem kümmern wir uns um die technische Wartung und Instandhaltung der Kapelle", sagt Nones. "Alle kirchlichen Belange und die personelle Besetzung der Gottesdienste obliegen der Erzdiözese Manila und da reden wir der Kirche natürlich auch nicht rein." Wie in allen Einkaufszentren der Hauptstadt, die regelmäßig Messen anbieten, kommen Priester in der Power Plant Mall nach einem Rotationssystem zum Einsatz.
An diesem Donnerstagnachmittag ist es Father Albert, der in der Sacred Heart of Jesus-Kapelle am Altar steht. Einige Dutzend Gläubige haben sich eingefunden, um dem jungen Geistlichen zu lauschen. Kommt ein Nachzügler, dringt kurz der kakophonische Lärm der Ladenwelt durch die geöffnete Tür. Dann herrscht wieder Stille, nichts stört den Ablauf des Gottesdienstes. Ein junger Mann hat die Augen geschlossen, sein Kopf lehnt an der weiß gestrichenen Wand. Schwer zu sagen, ob er schläft oder tief in ein Gebet versunken ist.
Father Albert ist um jeden froh, der den Weg in die Kapelle findet: "Das ist es, was ich an diesem Ort so mag. Wir bieten den Menschen hier eine Gelegenheit, von ihrem anstrengenden Alltag auszuspannen. Neben den regelmäßigen Kirchgängern, vor allem älteren Frauen, kommen ja viele Besucher, die eher zufällig reinplatzen. Das ist meine Chance, Menschen anzusprechen, die sonst nicht in die Kirche gehen."
Und was ist mit dem schönen Schein der Modeboutiquen und Juwelierläden draußen vor der Tür? Wie passt das schrille Getöse aus der Spielhölle 100 Meter weiter zur stillen Andacht? Und ist es nicht ein merkwürdiges Gefühl, wenn die Gläubigen direkt nach dem Abendmahl unten im Erdgeschoss einen Burger verspachteln gehen?
Der junge Geistliche überlegt kurz, bevor er antwortet: "Die katholische Kirche muss einfach mit der Zeit gehen. Wir müssen akzeptieren, dass es nicht nur das Ideal eines Gottesdienstes in der Kirche geben kann, oder wir verlieren viele Gläubige. Manche mögen es einen faulen Kompromiss nennen, ich glaube, es ist eine moderne Auffassung von Glauben."
Vor allem jüngere Filipinos finden offenbar an dem Nebeneinander von Konsum und Kirche nichts auszusetzen. "Ich bin so froh, dass ich hierher zum Gottesdienst gehen kann. Ich hätte nie die Zeit, zur nächsten Kirche zu fahren", erzählt Any Sambosa. Die 28-jährige arbeitet als Kindermädchen für eine ausländische Familie, deren Appartement sie durch die Buntglasfenster der Kapelle sehen kann. "Ich komme mehrmals die Woche. Es ist so schön, weil es hier kühl und ruhig ist, ganz anders als in den alten, überfüllten Kirchen. An meinem freien Tag bummele ich oft durch Malls und besuche dann dort den Gottesdienst", erzählt die Filipina. "Ist doch toll, wenn alles unter einem Dach ist."
Ihre Kollegin Mae Evangelista hält dagegen. "Eine Messe in der Mall kann für mich nicht den Kirchgang ersetzen, es ist einfach eine andere Sache. Viele gehen nur aus Bequemlichkeit hierher, das hat mit echtem Glauben nichts zu tun", urteilt die 56-Jährige. Nach kurzer Pause fügt sie an: "Obgleich das Wichtigste natürlich ist, dass man seinen Glauben lebt. Und wenn man richtig vertieft ist ins Zwiegespräch mit Gott, dann kommt es auf die Umgebung letztlich wohl nicht an."
aus: der überblick 03/2007, Seite 96
AUTOR(EN):
Hilja Müller
Hilja Müller berichtet seit fünf Jahren als Freie Journalistin für
deutsche Printmedien von den Philippinen. Sie ist
außerdem die Autorin des Marco-Polo-Reiseführers
"Philippinen".