von Renate Wilke-Launer
Zeitschriftenleser sind konservative Menschen. Sie wollen ihre Gewohnheiten beibehalten. Wenn das Blatt zu sehr verändert wird, wenn gar die Absicht besteht, zwei Zeitschriften zusammenzulegen, bleiben immer Leserinnen und Leser verwaist zurück. Wer also aus zweien eine machen möchte, darf nicht den eigenen Beschwörungen von "Synergie!" verfallen, sondern muss ein paar einfache Regeln beachten, wenn es ein Erfolg werden soll. Bevor man handelt, muss man wissen, was man will. Wer bei den Medien Veränderungen vorhat, sollte zuvor ein Konzept für Öffentlichkeitsarbeit und Publizistik erarbeitet haben, das mehr ist als eine Addition von bisherigen Aktivitäten. Die Sache selbst kann man nicht im Plauderton und durch Delegation erledigen. Man muss mit Sachverstand argumentieren, also Inhalte studieren, Formate unterscheiden, den spezifischen Stil erkennen, Auflage und Leserschaften ansehen und am Ende eine Vision haben, wohin es gehen soll. Die Details müssen die Redakteure erarbeiten, und die muss man auf der Basis eines durchdachten Personalkonzepts mit Feingefühl und Geschick dafür gewinnen.
Wäre es im wirklichen Leben so zugegangen, dann würde die "überblick"-Redaktion Sie, verehrte Leserinnen und Leser an dieser Stelle mit dem ihr eigenen Enthusiasmus für ihr Produkt zu gewinnen suchen. Wir würden Sie bitten, für einen runderneuerten "überblick" etwas tiefer in die Tasche zu greifen: deutlich schlanker, aber dafür alle zwei Monate erscheinend, um ein ständiges Ressort "Entwicklungspolitik" ergänzt und im Verbund mit einem elektronischen Nachrichtendienst und pädagogischen Publikationen aus kundiger Hand. Und wie bisher voller Stolz auf die Zugehörigkeit zum kirchlichen Entwicklungsdienst, zur Evangelischen Kirche, die auf diese Weise ein kleines Stück ihrer großen Weltverantwortung wahrnimmt.
Damit das alles gut gelingt, hätten wir darauf mit Ihnen in neuen Redaktionsräumen am Standort Berlin angestoßen. Und vielleicht auch strahlend verkündet, dass wir endlich die so lange schmerzlich vermisste zusätzliche Redakteursstelle haben und deshalb in Zukunft mit noch feinerem Schmirgelpapier an die Artikel gehen könnten. Wir hätten von der kleinen Werbeagentur und ihren ersten Entwürfen für eine Anzeigenserie zur Gewinnung neuer Abonnenten geschwärmt. Und ein paar Tage später wäre einer der Redakteure für eine Recherche nach Buenos Aires geflogen.
Doch die Prioritäten sind anders gesetzt worden, und deshalb gibt es keinen Grund zum Feiern & Träumen, es gilt Abschied zu nehmen. Das wollen wir so nüchtern tun, wie es eben geht. Kränze sind uns im Laufe des 43-jährigen Bestehens dieser schönen Zeitschrift genug geflochten worden, und auf die Tränen der Krokodile legen wir keinen Wert.
Es gibt guten Grund, Dank zu sagen. Fangen wir bei denen damit an, die ganz überwiegend nicht einmal gewusst haben, was sie mit ihren Abgaben ermöglicht haben: den vielen Kirchensteuerzahlerinnen und -zahlern. Wir haben uns bemüht, sparsam mit Ihrem Geld zu wirtschaften. Und es gut und in Ihrem Sinne anzulegen. Deswegen haben wir kein Fachblatt gemacht, sondern eines, das offen war für jeden Interessierten. Damit auch die Geigenbaumeisterin, der Elektroingenieur und die Sekretärin unter unseren Lesern die Zeitschrift mit Genuss und Gewinn lesen können, haben wir mit den Professoren um einfache Formulierungen gerungen, den Experten ihren Fachjargon zu nehmen versucht, die gerade trendigen Wortschöpfungen der Eingeweihten so weit wie eben möglich verbannt. Wir haben uns fernzuhalten versucht von denen, die keine Fragen, aber auf alles Antworten haben, und haben uns lieber überlegt, was Sie für Wünsche an eine Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit haben. Und eigene Leidenschaften haben wir, zugegebenermaßen, auch gehabt.
Dass unser Blatt so weite Verbreitung fand, ist auch den vielen Personen, Ämtern und Dienststellen in der EKD und ihren Gliedkirchen geschuldet, die mit diesem Pfund zu wuchern wussten. Sie konnten der Zeitschrift auch kaum entkommen. Eberhard le Coutre, bis Mitte 1990 für den "überblick" verantwortlich, hatte eine Vertriebsstrategie entwickelt, die man heute wohl strategische Kommunikation nennen würde. Die den ökumenischen Geist kräftigende Medizin wurde einfach verordnet, die Begünstigten in Zielgruppen zusammengefasst und in der Abo-Abteilung streng überwacht. Und als er 1990 mit seiner Nachfolgerin im Leitungsausschuss der "Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Entwicklungsdienst" (AG KED) zu Gast war, da bekamen die Versammelten diese Botschaft: "Das wichtigste am ,überblick´ ist die Bestellkarte."
Zu danken haben wir sodann allen denen, die im Laufe der Jahrzehnte fördernd und in kritischer Solidarität für die Trägerschaft der Zeitschrift und ihrer Redaktion verantwortlich waren. Das waren während der meisten "überblick"-Jahre die verantwortlichen Persönlichkeiten und Führungsgremien der AG KED und von deren Mitgliedern. Sie waren dem "überblick" – und der ihnen – in großer Loyalität verbunden. Und weil alle wussten, wo sie standen und was sie wollten, musste sich auch niemand profilieren oder positionieren. Die Sprache der Beratungsindustrie hielt erst später Einzug in den Entwicklungsdienst.
Gelebt hat "der überblick" von seinen Autorinnen und Autoren. Die mageren Honorare waren für diese wohl kaum ein Anreiz, aber sie haben sich dennoch gewinnen lassen, weil sie sich für die Themen und die Art der Zeitschrift begeistern ließen. Dass in schneller Abfolge immer neue Fragen angepackt werden konnten, dazu haben viele Menschen und Institutionen mit Rat und Tat beigetragen: an vorderster Stelle die im Impressum genannten ständigen Mitarbeiter. Und dazu im Laufe der Jahre noch viele andere Förderer & Freundinnen (vergl. Leitartikel in Heft 1/2005). Die 167 Hefte zeugen auch von ihrem Geist.
Besonders erfreulich war die Zusammenarbeit mit den beiden Druckereien: erst über viele Jahre mit der Breklumer Druckerei, dann mit der MHD in Hermannsburg. Sie haben nicht nur geduldig ertragen, dass die Redakteure Artikel verspätet schickten und – immer anspruchsvoll – in letzter Minute noch etwas ändern wollten. In Breklum und Hermannsburg wurden die Hefte nicht nur gedruckt, sondern anschließend von Setzern und Druckern sogar gelesen. Danke für dieses wunderbare Kompliment.
Wenn Zeitschriften von ihren Leserinnen und Lesern sprechen, dann oft in Verbindung mit dem Adjektiv treu. Das klingt bei der heute hippen Beliebigkeit fast ein bisschen spießig. Aber wer in den Akten der Korrespondenz mit den "überblick"-Beziehern blättert, dem kommt dieser Begriff immer wieder in den Sinn: Auf über Jahrzehnte laufende Abonnements stößt man dort und auf viele andere Zeichen von Anhänglichkeit. Das hat uns gerührt, und deshalb werden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, vermissen. Sehr vermissen.
Ihre
Renate Wilke-Launer
aus: der überblick 04/2007, Seite 4
AUTOR(EN):
Renate Wilke-Launer
ist Chefredakteurin des "überblick".