Weltsozialforum unter Kriegsdrohung
Im Januar fand im brasilianischen Porto Alegre zum dritten Mal das Weltsozialforum statt. Dort treffen sich Gruppen aus der Zivilgesellschaft verschiedener Länder, die der gegenwärtigen Form der Globalisierung kritisch gegenüberstehen. Der EED und "Brot für die Welt" sind dort gemeinsam aufgetreten. Ihr Schwerpunkt waren die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte, vor allem das auf Nahrung und das auf Gesundheit.
von Uwe Kerkow
Die Veranstalter des Weltsozialforums und die Kirchen sind dieses Jahr offener aufeinander zugegangen. Zum ersten Mal war der Weltkirchenrat vertreten. Ein weiteres Novum war ein Zelt der Religionen sowie die Tatsache, dass eine interreligiöse Andacht ins offizielle Programm aufgenommen worden war.
Der EED und Brot für die Welt hatten die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche Hannovers, Margot Käßmann, nach Porto Alegre eingeladen. Sie legte vor dem Forum ein persönliches Zeugnis ab mit dem Titel "Frieden und Gerechtigkeit werden einander küssen". Im Mittelpunkt stand eine klare Friedensbotschaft, der das Publikum spontan applaudierte: "Die Zukunft gehört der Gewaltlosigkeit oder es wird keine Zukunft geben. Und wenn Präsident Bush heute sagt, dass der Irak abrüsten muss, stimme ich ihm zu. Aber das ist nicht die ganze Geschichte! Die Welt muss abrüsten - einschließlich der USA." Käßmann übte scharfe Kritik an westlichen Lebenseinstellungen, denen sie einen "Mangel an Inspiration, Beziehungsfähigkeit, Zielsetzung und Hoffnung" vorhielt. Sie betonte, die kirchliche Entwicklungsarbeit solle in internationalen Netzwerken mitwirken. Die Ökumene müsse sichtbarer gemacht werden und "voran gehen und nicht hinterher." Käßmann bedauerte die "provinzielle Haltung" der Kirchen heute.
Zum Thema Menschenrecht auf Nahrung wirkten der EED und Brot für die Welt an Überlegungen mit, wie freiwillige Richtlinien für Staaten erreicht werden können. Diese sollen bis Ende 2004 von einer bei der Welternährungsorganisation angesiedelten internationalen Arbeitsgruppe erstellt werden. Besonders die Vertreter der weltweiten Kleinbauernbewegung Via Campesina, aber auch Delegierte von indischen Bauernverbänden drängten darauf, nichtstaatliche Organisationen (NGOs) an dieser Arbeitsgruppe wirksam zu beteiligen und Interessen aus dem Süden angemessen zu repräsentieren. Johannes Brandstäter, Menschenrechtsexperte bei Brot für die Welt, bedauerte, dass Richtlinien nach dem UN-Sozialpakt nur freiwilliger Natur sind. "Unser Ziel bleibt es aber, ein einklagbares Recht auf angemessene Nahrung durchzusetzen", sagte Brandstäter. Eine erste Chance dazu biete sich in den Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt, in dem ein Beschwerdeverfahren auch für Einzelpersonen vorgesehen sei.
Gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission (DIFÄM) traten Brot für die Welt und der EED für das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung ein, auch mit anti-retroviralen Medikamenten. Zusammen mit Partnern aus Argentinien, Brasilien, Indien, Kenia und Südafrika loteten Monika Lude, die HIV/AIDS-Beauftragte von Brot für die Welt, und Sonja Weinreich vom DIFÄM aus, wie die Ausnahmebestimmungen der WTO zur Versorgung mit lebensverlängernden AIDS-Medikamenten so schnell wie möglich umgesetzt werden können.
In den Diskussionen in Porto Alegre sprachen immer mehr Vordenker der neuen sozialen Bewegungen auch jenen Politikern, die demokratisch gewählt worden sind, die Legitimation ab, Entscheidungen zu fällen, die nicht der Mehrheitsmeinung in ihrer Bevölkerung entsprechen. Auslöser dafür ist vor allem der drohende Irak-Krieg, den eine breite Mehrheit zumindest in Europa grundsätzlich ablehnt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Haltung in eine Diskussion um die Wiederbelebung der Demokratie münden wird oder gar eine Legitimationskrise der demokratischen Institutionen andeutet.
Viel ist in Porto Alegre auch über die Grenzen der Institution Weltsozialforum zu hören gewesen. Das lag wohl nicht zuletzt an der teilweise miserablen Vorbereitung der Mammutveranstaltung. Dennoch sind zur Zeit keine Pläne in Sicht, die Zahl der Teilnehmenden zu begrenzen - etwa dadurch, dass nur Delegierte der regionalen Sozialforen zugelassen werden. Das Vierte Weltsozialforum soll 2004 in Indien stattfinden. Bisher haben sich die Veranstalter noch auf keinen Ort festgelegt.
aus: der überblick 01/2003, Seite 115
AUTOR(EN):
Uwe Kerkow :
Uwe Kerkow ist freier Journalist in Bonn.