In Ghana werden immer noch Kinder zu rituellen Sklaven gemacht
Im Alter von neun Jahren wurde Mercy Senahe von ihren Eltern einem Priester einer traditionellen Religion übergeben. Sie sollte gemäß dem trokosi-Brauch als rituelle Sklavin für Sünden anderer Familienmitglieder büßen. Zwölf Jahre lang hielt der Priester sie in Gefangenschaft und vergewaltigte sie regelmäßig. Heute setzt Mercy sich für die Befreiung von Frauen ein, die - wie sie zuvor - in heiligen Schreinen gefangen gehalten werden.
von Carol Midgley
Trokosi-SklavinnenBildung für die BefreitenMercy Senahe ist dem Los als trokosi-Sklavin entkommen. Sie ist im Berufsbildungs-Zentrum der nichtstaatlichen Organisation International Needs zur Schneiderin ausgebildet worden und ernährt heute mit diesem Beruf und etwas Landwirtschaft für den Eigenbedarf sich und ihre vier Kinder. Außerdem setzt sie sich als Mitglied der NGO Survivors for Change für Frauenrechte ein. Doch viele ihrer Leidensgenossinen leben noch immer in Sklaverei. Als 1997 ein ghanaisches Forschungsteam den trokosi-Kult untersuchte, fand es etwas mehr als 5000 davon betroffene Frauen und drei Jungen. Bis heute hat International Needs Ghana etwa 2900 Frauen befreit. Es leben also immer noch rund 2100 Frauen als rituelle Sklavinnen in trokosi-Schreinen. Der UN-Entwicklungsfonds für Frauen (UNIFEM) hat im Jahr 2001 50.000 US-Dollar gespendet, damit International Needs Ghana sein Anti-trokosi-Programm verbessern kann. Zu dem Programm gehören auch ein Ausbildungszentrum für frühere Sklavinnen, Schulen für deren Kinder sowie eine Aufklärungskampagne. Eva-Maria Eberle Indien: verheiratet mit einer GöttinProstitution in heiligen HallenAuch in Indien werden junge Mädchen mit lokalen Gottheiten verheiratet. Die meisten stammen aus Familien der untersten Kaste der Harijan, der Unberührbaren. Ihre Eltern übergeben sie im Alter von fünf bis neun Jahren an einen Tempel, wo sie in einer Zeremonie mit einer Gottheit "verheiratet" werden. Danach gehören sie zum Tempel und müssen Männern als Prostituierte dienen; sie können sich keinem Mann, der im Kastensystem über ihnen steht, entziehen. Auch Jungen und Eunuchen gehören zur Gefolgschaft des Tempels und müssen sich neben den Aufgaben als Musiker und Tänzer ebenfalls prostituieren. Diese Form der Zwangsprostitution ist in Indien unter unterschiedlichen Namen bekannt - darunter devadasi und jogini - und in Tempeln verschiedener Gottheiten des Hinduismus verbreitet. Wie viele Mädchen als Zwangsprostituierte arbeiten müssen, kann nur geschätzt werden. Nach Schätzungen des Centre for Children Rights, New Delhi, und terre des hommes werden jedes Jahr allein aus der Kaste der Harijan 5000 bis 10.000 Mädchen auf diese Weise in die Prostitution gezwungen. Dem Atheist Centre in Indien zufolge sollen hingegen im Jahr 1990 allein im Bundesstaat Andhra Pradesh 15.000 jogini - wie dort die religiösen Sklavinnen genannt werden - gezählt worden sein, obwohl die Praxis in diesem Bundesstaat seit 1988 verboten ist. Die private Gesundheitsorganisation Indian Health Organization (IHO) schätzt das Hundertfache: von den insgesamt 10 Millionen Prostituierten in Indien sollen 15 Prozent devadasi sein. Außer in Andhra Pradesh sind Fälle ritueller Sklaverei auch in den Bundesstaaten Karnataka, Maharashtra, Uttar Pradesh und Orissa belegt. In Andhra Pradesh leben die jogini am Rande des Dorfes und warten dort auf "ihre" Männer. Äußerliches Merkmal der Mädchen ist das thali als Symbol, dass sie mit der Göttin Yellamma verheiratet sind und niemals einen Sterblichen heiraten können. Dieser Schmuck besteht aus Kupferarmbändern, einer Schnur mit einem ledernen Anhänger und einer langen Kette mit Anhängern der Göttin Yellamma. Er kennzeichnet sie als religiöse Sklavinnen und als Eigentum des Dorfes und Tempels. Die Verehrung der Gottheit Yellamma geht vermutlich auf das 10. Jahrhundert nach Christus zurück. Dem Mythos zufolge ist Yellamma mit Jamadagni verheiratet und Mutter von fünf Söhnen. Als sie eines Tages beim Wasserholen die Zeit vergisst, weil sie Jugendlichen beim Baden zusieht, verdächtigt ihr Mann sie der Untreue und befiehlt seinen Söhnen, sie zu töten. Vier von ihnen verweigern den Gehorsam und werden entmannt. Dem fünften gelingt es nicht, seine Mutter zu töten: Nach der Enthauptung wachsen ihr hunderte weitere Köpfe. Der Mythos erklärt, dass zu Yellammas Gefolgschaft auch Eunuchen gehören. Ursprünglich sollen Priesterinnen des Kults hoch angesehen gewesen sein, denn sie hatten nicht nur die Aufgabe, der Gottheit zu dienen und den Priestern bei der Durchführung von Ritualen zu assistieren. Sie waren auch ausgebildete, in traditioneller Musik und rituellen Tänzen unterwiesene Künstlerinnen und sollten Lehrmeisterinnen der Liebe für junge Männer sein. Zwar waren die meisten Mädchen aus der untersten Kaste, doch ihren Kindern war ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich. Die Göttin Yellamma wird im südlichen Indien auch heute noch verehrt. Viele schließen sich ihr aus großer Armut, Krankheit oder Hoffnungslosigkeit an oder verkaufen ihre Kinder an einen Tempel in der Hoffnung, sich und ihnen ein besseres Leben zu verschaffen. Mit der Hingabe an die Göttin stellen die Sklavinnen und Sklaven, so die Vorstellung, sich in den Dienst der Gesellschaft und identifizieren sich besonders mit den Mittellosen und Unglücklichen. Zu ihren Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft gehört die Erfüllung von Wünschen, was die Befriedigung sexueller Wünsche einschließt. Eva-Maria Eberle |
aus: der überblick 01/2002, Seite 31
AUTOR(EN):
Carol Midgley:
Carol Midgley ist Journalistin bei "The Times" in London ( www.thetimes.co.uk/ ). Den Artikel entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Times vom 14. 12. 1999 (© The Times, London).