Ein Mahnmal aus Skulpturen
Zum Gedenken an den Völkermord in Ruanda 1994 hat der ghanaische Bildhauer und Maler Kofi Setordji eine Skulptureninstallation geschaffen. Auf dem Ökumenischen Kirchentag vom 28. Mai bis zum 1. Juni wurde sie auf Initiative des EED erstmals in Deutschland gezeigt. Setordji, der 1957 geboren ist und in der ghanaischen Hauptstadt Accra lebt, erklärt, was ihn bei diesem Werk bewegt hat.
von Bettina von Clausewitz
Bei vielen Kunstwerken hat man das Gefühl, der Künstler hat eine Botschaft. Sie dagegen haben mit der Frage angefangen, wie ein Genozid wie der in Ruanda künftig verhindert werden kann. War das ein guter Ausgangspunkt?
Ja, auf jeden Fall! Je mehr Fragen ich einem möglichst großen Publikum stelle, desto besser kann ich mit meinen eigenen Fragen umgehen. Meine Ausgangsfrage lautet: Was ist Völkermord? Aber man muss auch sehen, dass diese Arbeit eine bestimmte Prämisse hat: Ich bin ein Mensch, ich bin ein Afrikaner, ich bin ein Ghanaer und ich gehöre zu meinem Clan, das ist das Vierte. Dadurch ist meine Sichtweise bestimmt, bei allem, was ich tue. Diese Skulptureninstallation wirft viele Fragen auf, mehr als sie Antworten gibt. Daran habe ich zweieinhalb Jahre gearbeitet.
Und diese Fragen sind durch den Genozid in Ruanda 1994 bei Ihnen so drängend geworden? Es gab auch vorher schon ähnliche Ereignisse.
Ich habe wie andere die Nachrichten darüber im Fernsehen gesehen. Irgendwann habe ich begriffen, dass das genau jetzt, in meiner eigenen Lebenszeit geschieht. Vorher gab es Ähnliches an den Juden, aber Ruanda war meine Gegenwart. Aber was macht es für einen Sinn, Nachrichten zu sehen, wenn wir nichts tun können? Müssen wir nicht darauf reagieren, statt einfach nur die Informationen zu konsumieren? Diese Fragen habe ich künstlerisch gestellt und das Ergebnis ist diese Ausstellung.
Die Kunstwerke sind über einen längeren Zeitraum entstanden und stellen sehr verschiedene Beteiligte des Genozids dar. Womit haben Sie angefangen, mit den Opfern, den Tätern, den Zuschauern?
Ich habe mit dem angefangen, was ich das All seeing Eye nenne, das Auge, das alles sieht. Das ist ein großes Auge auf einem dreieckigen Untergrund, darauf sind die Toten in Fünferpäckchen - die Anonymität des Todes. Dieses Auge ist wie das Fernsehen, es kann in unseren Zimmern jederzeit ein Fenster in jeden Winkel der Welt öffnen. Wie gesagt, ich selbst habe den Genozid wie andere auch im Fernsehen gesehen. Ich lebe in Ghana, ich hatte mein Leben lang noch keinen Ruander kennen gelernt, und doch war ich tief erschüttert von dem, was ich dort sah. Tag für Tag wurden neue Zahlen von Toten veröffentlicht, mal haben sie 300 gefunden, mal 500, mal tausend in einem Dorf. Ich habe mich gefragt, ob wir das einfach so hinnehmen müssen, dass man nicht einmal mehr die Toten zählen kann? Das "Alles sehende Auge" wird normalerweise Gott zugeschrieben, dem Schöpfer aller Dinge. Heute ist das Fernsehen so eine Art alles sehendes Auge. Wir erleben den Krieg im Irak mit, die Toten kommen zu uns ins Wohnzimmer, als wären wir dabei.
Aber Sie haben nicht direkt unter dem Eindruck dieser Berichte begonnen, die Skulpturen zu schaffen, sondern erst einige Jahre später.
Der innere Prozess hat damals sofort angefangen, aber als kreativer Mensch braucht man Zeit, um die Idee zu entwickeln, das Material, die Figuren, all das. Ich habe zum Beispiel viel mit Holz und Ton gearbeitet. Das sind beides Materialien, die verletzlich sind, genau wie das menschliche Leben.
Sie haben den Völkermord einmal eine Krankheit genannt, wieso?
Im Genozid sind hauptsächlich zwei Gruppen von Menschen gestorben: diejenigen, die direkt umgebracht wurden, und diejenigen, die auf der Flucht umgekommen sind. Meistens vergessen wir diese Flüchtlinge, die irgendwann nach dem großen Gemetzel gestorben sind. Es gibt noch immer Flüchtlinge von damals außerhalb Ruandas und sie sterben, weil sie zu arm sind. Das vergessen wir. Deshalb frage ich, ob der Völkermord nicht eine Krankheit ist, die wir seit biblischen Zeiten bis auf den heutigen Tag mit uns herumschleppen und einfach ignorieren. Wir hören auf, die Toten zu zählen. Aber so darf es nicht sein. Alle anderen Krankheiten studieren wir und finden Mittel dagegen. Genau so müssen wir unsere Hand auf den Puls der Menschlichkeit legen und vorhersehen: Das und das wird schlimme Folgen haben. Wir hätten diesen Genozid verhindern können, aber wir haben es nicht getan. Wir wissen, dass in Ruanda 1994 etwa 800.000 bis eine Million Menschen gestorben sind. Aber man kann nicht das Leben all dieser Menschen einfach in einen Satz packen und Schluss, aus. Das ist aber die normale Umgangsweise: Informationen werden aufgenommen und nach einiger Zeit wieder vergessen, weil man nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Das haben wir ja auch in Deutschland erlebt. Viele Kinder haben nach dem Nationalsozialismus keine Antwort darauf bekommen, was damals eigentlich geschehen ist. Das will ich nicht zulassen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen, die Ihre Ausstellung bisher gesehen haben, Sie verstehen?
Viele Leute wollen sich nicht mit diesen Problemen auseinandersetzen. Eine der Reaktionen war: "Warum kümmerst Du Dich um all diese Leute? Sie sind doch tot, das kann ihnen nicht helfen. Es ist besser, den Lebenden Hoffnung zu geben." Das habe ich hier in Deutschland gehört. Ich habe diesem Besucher gesagt: "Es geht mir nicht darum, von Toten zu erzählen, sondern von einer Krankheit, die wir studieren müssen, denn sie kann uns alle betreffen. Es geht nicht nur um Ruanda. Was dort geschehen ist, kann überall auf der Welt geschehen."
Haben Sie Unterschiede in der Reaktion in Afrika und Europa festgestellt? Fühlen die Afrikaner sich näher dran als die Europäer, reagieren sie stärker?
Die Ausstellung war bisher in Ghana, an der Elfenbeinküste, im Senegal, in Frankreich und jetzt in Berlin. Ich habe ein Buch, in das sich die Leute eintragen können, und das sehe ich mir von Zeit zu Zeit an. In Afrika schreiben die meisten: "Wir haben so wenig Einfluss auf unsere Regierungen, sogar wenn wir sie gewählt haben. Wir haben nichts mehr zu sagen und die Politiker vergessen, was sie uns vorher über Demokratie erzählt haben, und führen sogar Krieg." Viele Politiker sind unverantwortlich. Daran fühlen sich viele Afrikaner bei der Ausstellung erinnert.
Am Boden hier vor uns liegen zahllose Tonmasken in einem drei mal sechs Meter großen Feld aus Erde und blicken die Besucher an, kreisförmig gelegt wie ein Strudel um eine Mitte. Was ist das?
Das ist ein Massengrab. Diejenigen, die den Genozid geplant haben, wollten solche Massengräber. Aber die Toten selbst haben sich zu Lebzeiten schöne Särge und Gräber gewünscht, wo man sie wiederfinden kann. Genau wie die Verantwortlichen, die da drüben als Holzstatuen stehen, mit hübschen bunt bemalten Gesichtern. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass diese Täter dort nur Masken sind, sie sind innen hohl. In Wirklichkeit haben sie den namenlosen Tod gebracht. In der Mitte dieses Strudels aus Totenmasken steht eine Figur, die eine Mischung aus Mann und Vogel ist. Der Vogel ist ein Geier, ein Aasgeier. Jeder, der am Völkermord beteiligt war, ist wie dieser Geier.
Das Thema des Ökumenischen Kirchentages lautet "Ihr sollt ein Segen sein". Wie lässt sich das mit Ihrer Ausstellung verbinden? Hier werden Menschen gezeigt, die wie Teufel aufgetreten sind.
Wenn ich ein Segen werden soll, dann zum Beispiel dadurch, dass ich als Künstler mit helfe, dass etwa Wissenschaftler den Schlüssel finden, um in Zukunft solches Morden zu verhindern. Wenn ich hier in der Ausstellung sage: Wir alle haben eine bestimmte Krankheit, die Völkermord verursacht, und die müssen wir sorgfältig studieren, dann kann diese Suche zum Segen werden.
Sind sie selbst ein religiöser Mensch?
Ich weiß nicht genau, was ein religiöser Mensch ist, aber ich glaube an Gott und daran, dass man andere Menschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte.
Im April nächsten Jahres werden Sie zum zehnten Jahrestag des Völkermordes mit Ihrer Ausstellung der ruandischen Hauptstadt Kigali sein. Haben Sie ein bisschen Angst davor, was Sie dort erwartet?
Ich habe nicht direkt etwas gegen die Täter oder die Sympathisanten der Täter. Es ist einfach so, dass all dies geschehen ist. Wir müssen damit leben. Für mich ist es wichtiger - wie bei einem Wissenschaftler -, die Fakten genau zu untersuchen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir Künstler sind wie der Puls einer Gesellschaft, wir müssen Fragen stellen, damit andere sie aufnehmen und beantworten.
Die Skulpturen sind im Internet im "Virtual Museum of Contemporary African Art" zu sehen (www.vmcaa.nl/genocide)".
SkulpturenBewegendes Mahnmal"Die Wunden der Erinnerung" heißt die Installation von Kofi Setordji. Auf Initiative des EED waren die Skulpturen aus Naturmaterial wie Holz, Ton, Stein und Terrakotta im Hauptfoyer des Internationalen Congress Centrums in Berlin zu sehen. Sie zeigen (meist in Gruppen) die verschiedenen Akteure des Genozids in Ruanda 1994: die Getöteten als überlebensgroße Holzfiguren, von Macheten verstümmelt oder verbrannt; die Flüchtlinge mit ihrer wenigen Habe; Täter mit hübschen Gesichtern, die bei näherem Hinsehen hohl sind; und Figuren ohne Augen, Ohren und Mund - Abbildungen der vielen Sympathisanten und Mitläufer, die das Morden tatenlos haben geschehen lassen. Kofi Setordji hat mit diesen Skulpturen ein bewegendes Mahnmal geschaffen. "Ich spüre den Schmerz des ruandischen Volkes", hat eine Besucherin in das Gästebuch der Berliner Ausstellung geschrieben. cl |
aus: der überblick 02/2003, Seite 118
AUTOR(EN):
Bettina von Clausewitz:
Bettina von Clausewitz ist freie Journalistin und Buchautorin in Essen.