Zwischen allen Stühlen
Die Regenbogen-Nation nennt sich Südafrika. Zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid suchen die Südafrikaner nach neuen Identifikationsebenen jenseits der Hautfarbe. Dabei haben es die zirka zwei Millionen Farbigen besonders schwer, einen neuen Platz zu finden. Sie wurden im Apartheidsystem gegenüber Schwarzen bevorzugt behandelt. Nun fördern Gesetze zur Gleichstellung vor allem Schwarze. Und so beschleicht Farbige trotz der gewonnenen Freiheit zuweilen das Gefühl, dass die Apartheid lediglich die Seiten gewechselt hat.
von Bobby Jordan
Was wäre wohl passiert, fragt sich George Adams oft, wenn er Maschinenbauingenieur geworden wäre? Würde er einen teuren BMW besitzen? Wäre er auf die Universität gegangen, anstatt in einer Schuhfabrik in einem Industrievorort außerhalb Kapstadts anzufangen? Würde er mit Universitätsabschluss in einem Büro mit Klimaanlage arbeiten, anstatt an einer hydraulischen Presse Leder zu schneiden? Ganz sicher, so sagt er, würde er nun, zehn Jahre nach der Apartheid, ein anderer Südafrikaner sein, wenn er weiß geboren worden wäre und nicht farbig.
Dies sind einige der Dinge, über die der 59-jährige George Adams nachdenkt, wenn er mit Kaffee aus dem Styropor-Becher und einer zerknitterten Ausgabe der Cape Times seinen Tag beginnt und darauf wartet, dass die Fabriksirene erklingt. “Zu der Zeit, als ich auf die Universität gehen wollte, war sie für Weiße reserviert. Das war 1961. So kam ich hierher”, sagt Adams. Seitdem hat George Adams, der hinter einem staubigen Fenster mit Blick auf die Küste und den Tafelberg am unteren Ende der Welt sitzt, beobachtet, wie sich Südafrika in den verknickten Seiten der Cape Times präsentiert: Zuerst kam die Republik, dann die Vertreibung von Farbigen aus weißen Gebieten, dann die Vertreibung von Schwarzen aus farbigen Gebieten, dann ein Hochverratsprozess. 1964 ging Nelson Mandela ins Gefängnis, 1991 wurde er entlassen. 1994 gab es eine demokratische Wahl, gefolgt von der Wahrheitskommission und dem Sieg in der Rugby-Weltmeisterschaft.
Und die ganze Zeit über spuckte die Industrieanlage in Elsies River Schuhe aus: 56.000 Paare im Jahr 1972, 1,68 Millionen Paare 1991. In den siebziger Jahren kam George Adams Frau mit in die Fabrik, später auch ihre Tochter. Eines Tages, als er seine Cape Times zusammenfaltete, gab es 16 Leute mit Namen Adams in der Fabrik. Würden sie alle immer noch hier sein, fragt sich Adams oft, wenn er Maschinenbauingenieur geworden wäre?
Zehn Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid im April 1994 ist George Adams immer noch offiziell Farbiger, arbeitet immer noch hinter einer hydraulischen Presse und liest noch immer die gleichen Cartoons in der Cape Times. Seine Familie lebt nach wie vor in einem von Verbrechen geschüttelten Vorort von Kapstadt in einer weiter anwachsenden farbigen Gegend namens Mitchell’s Plain, weit weg von den weißen Vororten am Meer oder an den Berghängen. Und die Fabrik gehört noch immer einem Weißen - dem deutschen Geschäftsmann Claas Daun, der sie für 1,15 Rand pro Aktie gekauft hat. “Wenn du in Amerika geboren wurdest, bist du Amerikaner. Wenn du in Frankreich geboren wurdest, bist du Franzose. Und wenn du in Mitchell’s Plain geboren wurdest, bist du Farbiger - es scheint, als wollten einige Leute dieses Etikett einfach mit ins Grab nehmen”, sagt Adams.
Alte Gewohnheiten sterben langsam im neuen Südafrika. Die von Nelson Mandela ausgerufene Regenbogen-Nation ist eine aufsteigende Gesellschaft mit verblassenden Kampflinien, wo Rasse noch immer ein entscheidender Faktor in den meisten Lebensbereichen ist - von der Arbeit bis zu den Sportplätzen. Offiziell spricht die Regierung davon, die Ungleichheiten der Vergangenheit wieder gutzumachen. Inoffiziell bedeutet das weniger für Weiße und mehr für Schwarze.
In der Mitte sitzen Farbige wie George Adams und warten auf die Fabriksirene. An einigen Tagen, so sagt er, meint man, es habe sich überhaupt nichts geändert. Und an anderen Tagen scheinen sich die Dinge so stark verändert zu haben, dass sie ganz und gar auf den Kopf gestellt sind. Adams murrt: “Was die Dinge im Moment schlimmer macht ist, dass es keinen sozialen Aufstieg gibt. Wenn Jugendliche die Schule beenden, hängen sie in Spielhallen herum und werden Gangster.”
Ein weiterer Schuhmacher mit gemischten Gefühlen ist Adrian Hermanus, seit 1969 ein Vorarbeiter in der Closing Section der Schuhfabrik, wo Adams’ Lederstücke zusammengenäht werden. Hermanus’ Schuhkarriere ist gleichzeitig auch seine Familiengeschichte: Er lernte seine Frau Jennifer an einer nahegelegenen Bushaltestelle kennen und ging einen Monat lang mit ihr aus, bis er bemerkte, dass auch sie Schuhmacherin war und unter demselben Fabrikdach arbeitete, wenn auch auf der anderen Seite. Jetzt arbeitet auch ihre Tochter dort. Die vierstöckige Fabrik nahe dem Schienenstrang einer stillgelegten vorstädtischen Bahnlinie ist der Mittelpunkt von Hermanus’ Familienleben. “Ich erinnere mich, dass ich und Jennifer morgens an der Bushaltestelle standen, aber wir wussten nicht, dass wir denselben Weg fuhren. Eines Tages traf ich sie an der Fabrikrampe und ich sagte: ‘Aber was machst du denn hier?’ - Ich konnte nicht glauben, dass wir zusammen ausgegangen waren, aber nie darüber gesprochen hatten, wo wir arbeiteten”, erzählt Adrian.
Er berichtet, dass es immer schwierig war, in Südafrika Farbiger zu sein. Auch wenn in der Fabrik die Farben der Schuhe wie am Fließband der Frühlingsfarben kommen und gehen, ist Rasse in Südafrika wie Maschinenstaub, der nie weggewischt wird. Daher meint Hermanus: “So wie ich es sehe, verschiebt sich die Ära der Apartheid nur von einer Seite auf die andere, und ich bin immer noch dazwischen: Ich bin nicht weiß, und nach den Regeln des Black Empowerment (der besonderen Förderung der einst benachteiligten schwarzen Bevölkerung) kann ich nicht sagen, ich sei schwarz. Eine Menge Farbiger fühlen ähnlich. Sie sind nicht zufrieden mit dem Weg, den die Regierung eingeschlagen hat. Wir bekommen allmählich das gleiche Gefühl, das wir hatten, als die Weißen an der Macht waren.”
Waren sie noch vor zehn Jahren nicht weiß genug um zu wählen, sagen Adams und Hermanus, sind sie heute nicht schwarz genug, um von der Affirmative Action der neuen Regierung auf dem Arbeitsmarkt zu profitieren. Auch wenn Farbige gemäß dem Employment Equity Act, einem neuen Gesetz zur Gleichstellung bei der Beschäftigung, eine bevorzugte Bevölkerungsgruppe sind, werden sie inoffiziell nicht so bevorzugt wie Schwarze, die der vollen Wucht vergangener Ungerechtigkeit ausgesetzt waren.
Adams und Hermanus sind farbig genug, um von der Vorliebe der Schuhfabrikanten für farbige Arbeitskräfte profitiert zu haben, als es Schwarzen nicht erlaubt war, in der Western Cape-Provinz zu leben. Aber Adams und Hermanus sind auch farbig genug, um immer noch in Mitchell’s Plain zu leben, einem Teil der Cape Flats - einer städtischen Ausuferung aus Industrie, Townships und nicht registrierten Wellblechbehausungen, die sich wie ein Hundehalsband um die Stadt schließt. Sie sind immer noch farbig genug für ausschließlich farbige Nachbarn und für die Wochenendausflüge der Farbigen auf farbige Campingplätze. Dieselben Rasse-Etiketten, die Südafrika an den Rand der Selbstzerstörung gebracht haben, sind noch immer ein wichtiger Faktor des Familienlebens, auch wenn niemand genau weiß, was ein Farbiger eigentlich ist. George Adams und Adrian Hermanus sind sich nicht im Klaren darüber, ob sie offiziell integriert oder inoffiziell ausgegrenzt werden.
Nach einem bewaffneten Kampf, zwei Regierungen, einigen Ausnahmezuständen und einer nagelneuen Verfassung, welche die Rechte aller elf offiziellen südafrikanischen Sprachen festschreibt, könne man Adams und Hermanus nennen, wie immer man wolle. Soweit es sie beträfe, sagen die beiden, seien sie exakt genauso wie vorher: “Ich bin ein Schuhmacher”, erklärt Adams. Und in seiner Fabrik liest er jeden Morgen seine Zeitung, ab und zu laut kommentierend, wenn er etwas Interessantes findet. “Man nennt mich hier Mr. News”, witzelt er.
Und zehn Jahre nach der Apartheid sind das die Nachrichten: Von den geschätzten zwei Millionen Farbigen beenden 15,5 Prozent die High School im Vergleich zu 61 Prozent der Weißen und 11 Prozent der Schwarzen. 18 Prozent der farbigen Vierjährigen sind unterernährt. Im Vergleich dazu weniger als fünf Prozent der weißen und 30 Prozent der schwarzen. 88 Prozent der Farbigen haben Zugang zu Toiletten mit Wasserspülung im Vergleich zu 99 Prozent der Weißen und 34 Prozent der Schwarzen.
Bei solchen krassen Ungleichheiten haben Rasse-Etiketten noch immer ihre Bedeutung. Und die Farbigen bleiben eine Gruppe zwischen den Stühlen, eine Minderheit von gemischter Herkunft, eingequetscht zwischen armen Schwarzen und reichen Weißen, versteinertes Zeugnis der fortdauernden Schatten einer auf Rasse begründeten Identität in einem Land, das “Regenbogen” versprochen hat.
Andererseits gab es bedeutende Veränderungen in Südafrika: Seit 1994 ist die Mordrate des Landes im Jahr 2002, dem jüngsten der Kriminalitätsstatistik, um fast 20 Prozent zurückgegangen, von 26.832 auf 21.738 (bei gleichzeitigem Anstieg der Mordversuche um fast 30 Prozent).
Zwar wurden seit 1994 in das Gesundheitswesen investiert, über 700 Kliniken neu gebaut oder renoviert und über 2200 mit neuer Ausrüstung ausgestattet, aber Fortschritte in der allgemeinen Gesundheitsversorgung wurde durch den rasanten Anstieg der HIV/Aids-Infektionen zunichte gemacht (schätzungsweise 4,5 Millionen Südafrikaner waren im Jahr 2000 infiziert). Annähernd zwei Drittel der Menschen haben jetzt Zugang zu einer Wassergrundversorgung. 1,5 Millionen neuer staatlicher Häuser wurden oder werden gerade gebaut, um die über eine Million Haushalte unterzubringen, die in inoffiziellen Siedlungen leben. Das ist eine 15-prozentige Steigerung des Wohnungsbestandes des gesamten Landes.
Doch am wichtigsten ist die aufkommende nationale Identität, ein Gefühl, dass sich das Land langsam von seiner langen Krankheit erholt. Strände und Nachtclubs sind nicht mehr nach Rassen getrennt. Eine neue Generation junger Südafrikaner mischt sich und kommt in den Geschäftsbüros von Johannesburg, der größten Stadt des Landes, und auch auf den Schulhöfen und Sportplätzen zusammen. Letztes Jahr gingen der erste Astronaut des Landes, ein Weißer, und die Herausgeberin eines Magazins, eine Schwarze, regelmäßig miteinander aus. Das Land stieß einen kollektiven Seufzer der Erleichterung aus. Die Dinge sind beinahe wieder normal. Würde George Adams heute geboren, dann würde er wahrscheinlich Maschinenbauingenieur werden.
“Die große positive Veränderung ist für mich, dass wir endlich bekommen haben, was wir verdienen - unsere Würde und Respekt für einander, und unser Recht auf freie Meinungsäußerung, sogar hier in der Fabrik”, sagt Adams und erinnert sich an früher: “Ich fuhr immer mit dem Bus zur Arbeit - normalerweise in einem Doppeldecker-Bus, in dem die unteren Sitze für Weiße reserviert waren. Wenn du schwarz warst oder farbig, musstest du nach oben klettern, egal ob du jung warst oder alt. Jetzt kann ich sitzen, wo ich will.”
Nach 43 Jahren hinter einer hydraulischen Presse kann George Adams jetzt 37 Kästen, so genannte Rahmen, mit Ober- und Unterleder füllen. Diese beginnen dann eine Fließbandreise durch die wie eine Schuhschachtel gestaltete Fabrik, die in dem gigantischen Lagerraum im höchsten Stock endet. Die Rahmen bewegen sich nach dem Heften zur Näherei, wo die gehefteten Lederteile, meist von Frauen, zusammengenäht werden, gemäß der Schilder, die Stil und Baumwollart genau ausweisen.
Die Arbeit mit gesenktem Kopf gefällt Georgina Adams, der Schwester von George Adams. Sie arbeitete hier fast 40 Jahre lang, bis sie 1992 aufhörte, um sich um ihre Mutter zu kümmern. Heute ist sie zurückgekommen, um ihre alten Freunde zu besuchen. “Ich komme gern zu Besuch her, denn das war mein Zuhause”, lächelt sie und wirft einen nostalgischen Blick auf die Reihe der Näher, aus der ihr viele Freunde zurufen. “Wir waren einfach eine große glückliche Familie. Es tat mir wirklich im Herzen weh, als ich gehen musste.”
Georgina ist wie George die Stimme einer älteren farbigen Generation, die, trotz all der erlittenen Not, gemischte Gefühle gegenüber Südafrikas Vergangenheit und Zukunft hat. Jetzt, mit 69 Jahren, sagt sie, dass sie niemals eine Maschinenbauingenieurin werden wollte. Sie wollte nur, dass ihre Familie Bestand hat in einer Zeit, in der so viele andere auseinander gerissen wurden. “Als ich aufwuchs, waren einige unserer Freunde mit Weißen verheiratet, die sich dann, als die Apartheid kam, trennen mussten. Da waren auch Kinder betroffen. Wir Farbigen standen immer dazwischen - bis heute”, und Georgina fügt hinzu, dass diese Erfahrung erklärt, warum Farbige sowohl innerhalb als auch außerhalb der Fabrik eine eng verwachsene Gemeinschaft bilden.
In der Tat hat die Adams-Familie die Apartheid überlebt, nur um von der Zeit nach der Apartheid erschüttert zu werden. Georgina berichtet, dass ihr Sohn vor einem Jahr erschossen wurde, drei Straßen entfernt von ihrem Zuhause, ein Opfer der Bandengewalt. “Er war nur 20 Jahre alt”, sagt Georgina. Andererseits ist ihre 25-jährige Tochter jetzt Panzerfahrerin. Sie führte im letzten Jahr zur Eröffnung der Parlamentsfeierlichkeiten ein Bataillon durch Kapstadt - als erste farbige Truppenkommandeurin der südafrikanischen Streitkräfte South African National Defence Force.
Auch über George Adams Tochter Rosaline Slaughter ist eine Erfolgsstory zu berichten. 1994 begann sie in der Berufsschule der Fabrik zu arbeiten und qualifizierte sich bald für einen Managementkurs. Sie arbeitet jetzt für eines der erfolgreichsten südafrikanischen Modegeschäfte als Spezialistin für Schuhwerk. Rosaline Slaughter steht für die Aufstiegsambitionen der Familie Adams, die jetzt wenigstens eine kleine Chance auf eine Arbeit im Managementbereich hat.
Sie selbst sieht sich eher als Schwarze als als Farbige, aber sagt auch, dass sie wegen ihres helleren Teints schon einen lukrativen Job nicht bekommen hat. “Als ich in der Fabrik anfing, schickte mich der Personalmanager zu verschiedenen Lehrgängen. Ehrlich gesagt, ich bin eine schwarze Frau, die keine Vorteile im Leben erwartet hat. Als ich anfing, war es schwer, aber ich musste mich da durchboxen. Meine Eltern hatten immer gerade genug, um über die Runden zu kommen, und ich sagte mir, dass es für meine Kinder nicht genauso sein soll. Ich glaube, dass hat mich motiviert.” Auch wenn die Hautfarbe noch immer ein wichtiger Faktor im neuen Südafrika ist, glaubt Slaughter, dass die Wahl 1994 den Menschen dabei half, damit anzufangen, die Hautfarbe zu ignorieren. Mit unterschiedlichem Erfolg. “Viele Dinge haben sich geändert, so dass jetzt alle im selben Schwimmbecken schwimmen können. Aber wenn du bis auf den Grund hinab tauchst, ist die Apartheid immer noch da.”
Politische Kommentatoren glauben, dass die Suche der Farbigen nach Identität eine allgemeine Suche nach einer nationalen südafrikanischen Identität widerspiegelt, die sich bis vor zehn Jahren auf Rassenkonflikte gründete. Die meisten Südafrikaner werden zustimmen, dass Rasse der elementarste kulturelle Indikator bleibt, wie es auch in vielen anderen “integrierten” Gesellschaften weltweit der Fall ist. Mohamed Adhikari, Dozent am Seminar für Geschichte der Universität von Kapstadt, meint, Rassismus sei eng verbunden mit einem fundamentalen Klassenkonflikt - was für Südafrika wegen seiner extremen Ungleichverteilung von Reichtum um so mehr gelte. “Viele Farbige sind gegenüber dem neuen Südafrika bissiger und sagen offen Dinge wie ‘unter dem weißen Mann war das Leben besser’. Es sind in der Regel Menschen der gebildeten Mittelklasse, die die Fähigkeiten haben, die vom neuen Südafrika - das politisch eine eher progressive Linie verfolgt - angebotenen Möglichkeiten auszunutzen. Die Arbeiterklasse fühlt sich im Großen und Ganzen abgeschreckt und bedroht durch eine schwarze Mehrheitsregierung, was sich in Form eines anti-afrikanischen, rassistischen Chauvinismus zeigt”, erläutert Adhikari. “Nach meiner Erfahrung ist es oft die Jugend, die am verbittertsten ist über die verspürte Marginalisierung, denn sie haben oft Schwierigkeiten Jobs zu finden und fürchten, dass die Affirmative Action gegen sie arbeitet.”
In der Fabrik in Elsies River treiben Schuhe nach dem Heften und Nähen über Fließbänder durch die Fabrik ins Marry Department, wo die Schuhleisten in das lederne Obermaterial eingeführt und die beiden “verheiratet” werden. Danach wird das Obermaterial übergezogen und an Leisten befestigt. Es folgt die Endverarbeitung, bei welcher der Schuh gesäubert, mit Schnürsenkeln versehen und verpackt wird. Auch zehn Jahre nach der Apartheid ist der Prozess genau der gleiche.
Zehn Jahre nach der Apartheid spricht George Adams morgendliche Cape Times nicht länger von Bombenexplosionen oder Attentaten und nicht mehr von ethnischen Massakern oder Vertreibungen. Südafrika, das von dem blutigen Durcheinander der Rassengewalt gerettete Wunderland, ist nun ein schöneres Fleckchen Erde. Aber die Antwort auf die Frage, die in der Ecke seiner Schuhfabrik in Elsies River unbeantwortet bleibt, bietet den Schlüssel zu Südafrikas Zukunft: Wird George Adams auf seine rassisch bestimmte Identität des Zwischen-allen-Stühlen festgelegt bleiben, als Farbiger nirgendwo dazugehören? Oder wird er in ein neues Südafrika eintreten, wo Identität eine grundlegende kollektive Vorstellung ist, die auf miteinander geteilten Schlagzeilen in der Sun basiert, auf gemeinsamen Fahrten im Doppeldecker-Bus, bei denen schwarz und weiß einfach nur Farben auf einer Teerstraße ins Morgen sind?
Das einzige, das wir mit Sicherheit wissen, sagt Adams, ist, dass die Schuhe weiter produziert werden - in jeder Form und Farbe. Einige bestimmt für Persische Teppiche, andere für die von Schlaglöchern übersäten Seitenstraßen der Ghettos der Farbigen und Schwarzen. Egal ob man mit einem BMW zur Arbeit fährt oder in einem Doppeldecker-Bus - in dem Getümmel des südafrikanischen Lebens liegt etwas ziemlich Beruhigendes darin, dass Schuhe immer produziert werden. Vielleicht ist das die Geschichte der Familie Adams. Vielleicht, so witzelt Adams, ist das die Geschichte der Welt.
aus: der überblick 03/2004, Seite 80
AUTOR(EN):
Bobby Jordan:
Bobby Jordan arbeitet als Reporter der "Sunday Times", Südafrika.