Ein neuer Index beurteilt Länder nach Höhe und Qualität ihrer Beiträge zur Entwicklung
Der gerade erstellte erste "Index für Entwicklungsengagement" (CDI), hierzulande Geberbewertungsindex genannt, bewertet 21 reiche Nationen daraufhin, ob ihre Politik in den Bereichen Auslandshilfe, Handel, Einwanderung, Investitionen, Friedenserhaltung und Umweltschutz armen Ländern eher hilft oder schadet. Warum schneiden die zwei größten Hilfegeber der Welt - die USA und Japan - in dieser Rangliste am schlechtesten ab? Warum schadet Norwegens Handelspolitik den Entwicklungsländern und warum rangieren die Niederlande auf Platz eins?
von Center for Global Development und Foreign Policy
Führende Politikerinnen und Politiker in den reichsten Nationen der Welt verkünden regelmäßig, dass sie leidenschaftlich wünschen, der Armut weltweit ein Ende zu setzen. Bei hochrangigen Zusammenkünften und Gipfeltreffen drängen sie die Vertreter der Entwicklungsländer, gegen die Korruption vorzugehen, die Inflation zu verringern und mit Entschlossenheit Haushaltsdefizite abzubauen. Sie rühmen sich auch ihrer Ausgaben für die Auslandshilfe - derzeit rund 58 Milliarden US-Dollar pro Jahr - und rufen einander doch mit schöner Regelmäßigkeit dazu auf, mehr Mittel bereitzustellen.
Diese Zielsetzungen und Bemühungen sind lobenswert, das steht außer Frage. Aber Geldtransfers in arme Länder sind bei weitem nicht der einzige und noch nicht einmal der wichtigste Weg, wie reiche Länder arme Länder beeinflussen. Tatsächlich verschleiert die Diskussion um die Auslandshilfe den entscheidenden Einfluss, den andere Politikfelder reicher Länder auf die Entwicklung armer Länder haben. Bis jetzt zumindest.
Der erste vom Center for Global Development und der Zeitschrift Foreign Policy vorgelegte jährliche Geberbewertungsindex (Commitment to Development Index, CDI), wörtlich übersetzt Index für Entwicklungsengagement) bewertet einige der reichsten Staaten der Welt anhand der Frage, wie stark ihre Politik die wirtschaftliche und soziale Entwicklung armer Länder fördert oder behindert. Der CDI betrachtet über das reine Volumen der Auslandshilfe hinaus die Politik in den Bereichen Handel, Umwelt, Investitionen, Migration und Friedenserhaltung. In dieser ersten Ausgabe des Index wird eine Rangliste von 21 Staaten - unter ihnen Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, die USA und die meisten Länder Westeuropas - erstellt.
Bei der Bewertung des Entwicklungsengagements dieser Länder verteilt der CDI Pluspunkte für großzügige Auslandshilfe, eine aufgeschlossene Einwanderungspolitik, wesentliche Beiträge zu friedenserhaltenden Maßnahmen und kräftige ausländische Direktinvestitionen in Entwicklungsländer. Abzüge gibt es bei finanzieller Hilfe für korrupte Regime, für die Behinderung von Einfuhren aus Entwicklungsländern und für jegliche Politik, die gemeinsame Umweltressourcen schädigt. Auch wenn die Regierungen und Führungspersönlichkeiten armer Länder letztlich selbst dafür verantwortlich sind, die vielen Herausforderungen der Entwicklung anzunehmen, können und sollten reiche Länder ihre Politik ändern, um wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklung in ärmeren Ländern zu fördern. Der CDI beleuchtet und bewertet die Politik der reichen Länder, nicht ihre spätere Auswirkung. Dieser Ansatz betont, was jedes reiche Land - ungeachtet seiner Größe und Einflusssphäre - tun kann, um die Entwicklungschancen in der Welt zu verbessern.
Die Ergebnisse des ersten CDI-Jahresindex lassen herkömmliche Annahmen über besonders entwicklungsfreundliche Länder in einem neuen, unerwarteten Licht erscheinen. So stehen die zwei Länder mit der in absoluten Zahlen höchsten Auslandshilfe für Entwicklungsländer - Japan und die USA - auf der Rangliste ganz unten. Japan bildet insgesamt das Schlusslicht und schneidet vor allem in den Kategorien Migration und Hilfe schlecht ab. Die USA erhalten gute Noten für ihre Handelspolitik, kommen aber insgesamt wegen ihrer besonders schwachen Leistung in der Umweltpolitik und bei den Beiträgen zur Friedenserhaltung auf den vorletzten Rang. Die Niederlande dagegen rangieren in der CDI-Bewertung an der Spitze dank ihres starken Abschneidens in der Hilfs-, Handels-, Investitions- und Umweltpolitik. Zwei weitere kleine Länder, Dänemark und Portugal, folgen an zweiter und dritter Stelle. Norwegen, das in der Regel als Modell-Weltbürger und Frieden schaffende Kraft in der Welt gilt, kommt auf einen enttäuschenden zehnten Rang, vor allem wegen einer schlechten Bewertung seiner Handelspolitik. Und Neuseeland ist zwar nicht für besonders großzügige Auslandshilfe bekannt, belegt aber insgesamt dank starker Leistung in den Bereichen Migration und Friedenserhaltung den vierten Platz.
Die CDI-Ergebnisse sind aus zwei Gründen wichtig: Erstens ist es schlicht und einfach geboten, armen Menschen in aller Welt beim Aufbau eines besseren Lebens zu helfen. Dieser Index kann politisch Verantwortliche erziehen, zur öffentlichen Diskussion herausfordern, Forschung anregen und denen, die aktiv die Armut bekämpfen, als Orientierung dienen. Die harte Wahrheit ist, dass selbst die im CDI bestplatzierten Nationen noch einen weiten Weg gehen müssen, um ihre Politik so hilfreich wie möglich für arme Familien in Entwicklungsländern zu gestalten. Obwohl sie die Spitzenposition einnehmen, erreichen die Niederlande im Durchschnitt nur 5,6 Punkte auf der Zehn-Punkte-Skala.
Zweitens wirkt das, was reiche Länder dem Rest der Welt antun oder für ihn tun, auf sie selbst zurück - Armut und Instabilität respektieren keine Grenzen. Zweifellos hätten die USA einen Nutzen davon, wenn Mexiko so stabil und wohlhabend wäre wie Kanada. Zweifellos würden westeuropäische Staaten von einem wirtschaftlichen Aufschwung in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik profitieren. Man könnte es Trickle-up Economics oder Wirtschaftsentwicklung von unten nennen: Wenn es den Armen besser geht, geht es auch den Reichen besser.
Entwicklung ist gleichermaßen ein Zustand wie ein Prozess. Eine Gesellschaft hat in dem Maß einen Zustand der Entwicklung erreicht, in dem ihre Bürgerinnen und Bürger frei von Not und Tyrannei leben und Zugang zu Bildung und Beschäftigung haben. Aber für die vier Fünftel der Weltbevölkerung, die nach wie vor in Entwicklungsländern leben, lautet die praktische Frage nicht, was Entwicklung ist, sondern wie sie zu erreichen und wie dieser Prozess zu beschleunigen ist. Bei der Berechnung des CDI werden die Länder anhand einer Zehn-Punkte-Skala in jedem der genannten Politikfelder bewertet und dann nach ihrem Gesamtdurchschnitt eingestuft. Die Bewertungsziffern für die einzelnen Politikfelder werden - je nach spezifischer Problemlage und Datenverfügbarkeit - unterschiedlich errechnet.
Kommen wir zunächst zum Thema Hilfe. Heute vergeben reiche Länder Zuschüsse und niedrigverzinsliche Darlehen in Höhe von mehr als 50 Milliarden US-Dollar an arme Länder. In der Regel werden diese Hilfsprogramme anhand der ausgezahlten Dollar-Gesamtbeträge oder anhand des Anteils der Hilfe insgesamt am Bruttoinlandsprodukt (BIP) verglichen. Der CDI verbessert diese herkömmlichen Messverfahren insofern, als er die Qualität - nicht nur die Quantität - von Hilfe berücksichtigt. Abzüge gibt es zum Beispiel für "gebundene Hilfe", also bei finanzieller Hilfe, für die die Empfängerländer Waren oder Leistungen aus dem Geberland kaufen müssen (wenn beispielsweise die kanadische oder italienische Regierung einem armen Land Kredite für den Straßenbau gewährt, dann aber von diesem verlangt, für den Bau der Straßen ein kanadisches oder italienisches Bauunternehmen zu engagieren, und das Empfängerland so daran hindert, das beste Angebot anzunehmen). Im Jahr 2001 etwa waren rund zwei Fünftel der gesamten internationalen Hilfe gebunden. Ende der neunziger Jahre versicherte die US Agency for International Development dem US-Kongress, dass nahezu 80 Prozent der Hilfsgelder dieser Behörde in den Kauf von US-Waren und -Dienstleistungen flössen. Negativ verbucht der CDI in der Kategorie Hilfe auch Zinszahlungen, die Geberländer für frühere Kredite erhalten (und die sich im Jahr 2001 auf rund 4,7 Milliarden US-Dollar beliefen). Schließlich erhalten Geber Pluspunkte, wenn sie Mittel in Länder lenken, die relativ arm, aber - im Vergleich zu anderen Ländern mit ähnlichem Einkommensniveau - relativ frei von Korruption sind.
Dänemark rangiert in der CDI-Wertung in der Kategorie Hilfe ganz oben, gefolgt von Schweden, den Niederlanden und Norwegen. Sie zählen zu den großzügigsten Ländern der Welt, und nur ein kleiner Teil ihrer Hilfe ist gebunden. Japan und die USA stehen in der Kategorie Hilfe an 20. und 21. Stelle. (Die Wertungen in dieser Kategorie basieren auf Daten des Jahres 2001; zwei jüngere Hilfsinitiativen der USA - der Millennium Challenge Account und der Emergency Plan for AIDS Relief sind in ihnen nicht berücksichtigt.) Japan schneidet in der Kategorie Hilfe deswegen schlechter ab, weil es hohe Zinszahlungen für alte Kredite einfordert. Natürlich erbringen die USA über Kirchen, Stiftungen, Körperschaften und private Freiwilligenorganisationen erhebliche private finanzielle Leistungen für Entwicklungsländer. Da im Inland geleistete Beiträge für solche privaten Gruppen oft steuerfrei sind, könnte man diese Mittelflüsse, welche die US-Hilfe insgesamt in etwa verdoppeln würden, mit einiger Berechtigung der US-Politik gutschreiben. Wären solche privaten Hilfsströme in dem Index enthalten, würden die USA - unter der Annahme, dass keine ähnlichen Leistungen aus anderen Ländern kämen - in der Kategorie Hilfe auf den 14. Rang hochschnellen; insgesamt bliebe die Rangwertung der USA nach dem CDI davon aber unberührt.
Was die Handelspolitik betrifft, hält es die CDI-Wertung weder mit den leidenschaftlichen Kritikern des Freihandels, die bei Umwelt- und Arbeitsstandards einen "Wettlauf nach unten" befürchten, noch mit den nicht weniger leidenschaftlichen Befürwortern, die im internationalen Handel die treibende Kraft für Entwicklung sehen. Die Wahrheit ist komplizierter. Einerseits könnte es Nigeria ohne die Einnahmen aus Ölexporten, die den Staat korrumpiert, ethnische Spannungen verschärft und die Umwelt geschädigt haben, besser gehen. Andererseits hätten Südkorea, Taiwan und auch China nicht so schnell so viele aus der Armut befreien können, wenn sie nicht Kleidung, Schuhe, Spielzeug und Stereoanlagen in reiche Länder ausgeführt hätten.
Der CDI bewertet die Schranken, die reiche Länder gegen Exporte aus Entwicklungsländern errichten, sowie das Einkommen, das armen Ländern dadurch verloren geht, dass die reichen Länder ihre eigenen Erzeuger subventionieren. Die Weltbank schätzt, dass Handelsschranken in entwickelten Volkswirtschaften die armen Länder über 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten - und damit etwa das Doppelte des Betrags, den reiche Länder an Hilfe geben. Zu den am stärksten geschützten Branchen in Ländern mit hohem Einkommen zählen die Landwirtschaft, die Textil- und die Bekleidungsindustrie. Das sind nicht zufällig genau die Branchen, in denen arme Länder am wettbewerbsfähigsten sind und in denen sie, gäbe es diesen Protektionismus nicht, die meisten Arbeitsplätze schaffen könnten. Erzeuger in reichen Ländern profitieren von einer Kombination von staatlichen Subventionen und Zöllen sowie Quoten für Importwaren. Japan zum Beispiel erhebt einen Zoll in Höhe von 490 Prozent auf ausländischen Reis, während eine Kuh in der Schweiz pro Jahr durchschnittlich den Gegenwert von mehr als 1500 US-Dollar an Subventionen einbringt.
Bei der CDI-Wertung im Bereich Handel schneiden die USA am besten ab, gefolgt von Australien und Neuseeland. Norwegen dagegen rangiert weit abgeschlagen auf dem letzten Platz; es belegt nämlich landwirtschaftliche Importe aus armen Ländern mit besonders hohen Zöllen, und seine vielfältigen Handelsschranken kommen in ihrer Wirkung - im Hinblick auf entgangene Erlöse für Erzeuger in armen Ländern - einem Pauschalzoll in Höhe von 61 Prozent auf alle Güter aus Entwicklungsländern gleich. Norwegens Abschneiden mag überraschen, gilt das Land doch als großzügiger Hilfegeber. Aber in Norwegen ebenso wie in weiten Teilen Westeuropas und in den USA sind die Agroindustrie und andere landwirtschaftliche Produzenten zwar nicht mehr international wettbewerbsfähig, aber nach wie vor politisch stark. Den Regierungen dort ist es nicht gelungen, ihre Innenpolitik mit ihrer ansonsten aufgeklärten Einstellung zu Entwicklungsländern in Einklang zu bringen. Europa schützt die eigenen Erzeuger noch mehr als Australien, Neuseeland und die USA, die leistungsstärkere Agrarsektoren haben.
Auch die Umwelt ist ein wichtiger Entwicklungsfaktor. Eine gesunde Umwelt wird häufig als Luxus für die Reichen, losgelöst von und nachrangig zu wirtschaftlicher Entwicklung, abgetan. Aber gerade die armen Länder werden mit den Folgen des Klimawandels wie Dürre, Überschwemmungen und der Ausbreitung von Infektionskrankheiten am stärksten zu kämpfen haben. In der Umweltwertung des CDI spiegelt sich die Überzeugung wider, dass reiche Nationen eine besondere Verantwortung für die Umwelterhaltung weltweit tragen. Verringern diese Länder ihren unverhältnismäßig hohen Verbrauch an gemeinsamen globalen Ressourcen? Welche Staaten haben das Kyoto-Protokoll zum Klimawandel unterzeichnet? Wie viel Geld haben sie in den Fonds des Montreal-Protokolls einbezahlt, der Entwicklungsländern hilft, den Einsatz Ozon schädigender Chemikalien zu reduzieren? Und fördern Industrienationen moderne, umweltfreundliche Energietechnologien? All das sind Bewertungskriterien für den Index.
Nach diesen Maßgaben nimmt die Schweiz mit ihrer Umweltpolitik den ersten Rang ein, und zwar aufgrund umfangreicher staatlicher Investitionen in die Erforschung und Entwicklung sauberer Energien, relativ geringer die Atmosphäre belastender Schadstoffemissionen und, weil sie die Fischerei nicht subventioniert. Schweden belegt den zweiten, Spanien den dritten Platz. Spanien ist ein besonders interessanter Fall, da das Land zwar bei den meisten Umweltindikatoren nur durchschnittlich abschneidet, insgesamt aber wegen der starken staatlichen Unterstützung für die Windkrafttechnologie eine hohe Punktzahl erreicht. Australien, Kanada und die USA rangieren in der Kategorie Umwelt auf den hinteren Plätzen, vor allem wegen der hohen Treibhausgas-Emissionen pro Kopf der Bevölkerung.
Nicht zuletzt spielen Höhe und Art von Investitionen eine Rolle für die Entwicklung. Internationale Kapitalströme erfolgen im Wesentlichen auf drei Wegen. Um Portfolio-Investitionen handelt es sich, wenn Ausländer Wertpapiere wie Aktien und Anleihen kaufen, die an offenen Börsen außerhalb ihres Heimatlandes gehandelt werden; im Fall ausländischer Direktinvestitionen kaufen Unternehmen eines Landes wesentliche Anteile an bestehenden Unternehmen oder gründen neue Niederlassungen in einem anderen Land; und Banken leihen Regierungen und Körperschaften direkt große Summen. Für viele Beobachter war die asiatische Finanzkrise Ende der neunziger Jahre mit dem stürmischen Ein- und Auszug von Portfolio-Investoren in mehreren asiatischen Volkswirtschaften der Beweis für die potenziellen Gefahren des Umlaufs so genannten heißen Geldes. Einige Länder, etwa die USA im 19. Jahrhundert und Malaysia in den vergangenen 30 Jahren, haben allerdings von ausländischen Direktinvestitionen entschieden profitiert, die in der Regel stabiler sind als Portfolio-Kapital und oft mit gutem Management und guter Technologie einhergehen. Singapur zum Beispiel hätte sein Pro-Kopf-Einkommen nicht von umgerechnet 2.200 US-Dollar im Jahr 1960 auf 29.000 US-Dollar im Jahr 2000 anheben können ohne die umfangreichen Investitionen aus dem Ausland, die den Arbeitsmarkt angekurbelt und neue Ideen und Technologien eingebracht haben.
Zweifellos können ausländische Investitionen in Entwicklungsländern Arbeitsplätze schaffen und Wirtschaftswachstum fördern. Die CDI-Bewertung legt in der Kategorie Investitionen besonderes Gewicht auf die Höhe der ausländischen Direktinvestitionen (in Prozent des BIP), die von einem reichen Land in Entwicklungsländer fließen. Allerdings "berichtigt" der CDI die Investitionsströme, indem er die Neigung von Unternehmen aus reichen Nationen berücksichtigt, ihre Geschäfte in Übersee mit Hilfe von Bestechungsgeldern abzuwickeln. Von den im CDI aufgeführten Ländern hat Italien nach dem von der Organisation Transparency International aufgestellten Bribe Payers Index (Index der Schmiergeldzahler) des Jahres 2002 die korruptesten Unternehmen, Australien die am wenigsten korrupten. Demnach zählen Australiens Direktinvestitionen im Ausland Dollar für Dollar mehr als Italiens. Vier Länder stechen hervor als Quelle solcher "gesunder" ausländischer Direktinvestitionen: die Niederlande, Portugal, die Schweiz und Spanien. Auch wenn Banken und Unternehmen aus Japan und den USA oft die ausländische Investitionstätigkeit in Entwicklungsländern zu dominieren scheinen, so wird ihre Investitionsleistung doch als relativ schwach bewertet. In der Tat ist ihr Investitionsvolumen sehr viel weniger beeindruckend, wenn es im Verhältnis zur Gesamtgröße ihrer Volkswirtschaften betrachtet wird.
Die Einwanderungspolitik in den CDI einzubeziehen, mag auf den ersten Blick seltsam scheinen. Ist es ein Kennzeichen für ein Entwicklungsniveau, wenn Tausende aus ihrer türkischen Heimat nach Deutschland ziehen oder Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner über die Grenze in die USA gehen? Natürlich schaden Migrationsströme in mancher Hinsicht und helfen in anderer. Alles in allem fördert aber die größere Bewegungsfreiheit von Menschen - ebenso wie die größere Freiheit für den Güterverkehr - die Entwicklung. Je einfacher es für eine vietnamesische Arbeitskraft ist, in Japan zu arbeiten, umso mehr wird Nike ihr für das Kleidernähen in seinen vietnamesischen Betriebsstätten zahlen müssen. Die Geldbeträge, die Migrantinnen und Migranten nach Hause schicken, stellen in vielen Entwicklungsländern einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar (vergl. "der überblick" 3/2002). In El Salvador zum Beispiel haben solche Geldüberweisungen einen Anteil von 13 Prozent am Bruttoinlandsprodukt und damit mehr als die Auslandshilfe, Investitionen oder der Tourismus.
Die Wertungen des CDI für den Faktor Migration sind überraschend. So stehen sowohl die Schweiz als auch Japan im Ruf der Fremdenfeindlichkeit, aber die Schweiz steht in der Kategorie Migration auf der Rangliste weit oben und Japan weit unten. Warum? In der Schweiz ist es für Nichtschweizer sehr schwierig, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erhalten; dagegen können alle, von Ärzten und Krankenpflegern bis hin zu Kindermädchen und Hausmeistern, problemlos legal in die Schweiz kommen, um dort zu arbeiten - und das ist der Indikator, den der CDI misst. Die USA indes, eine Nation von Einwanderinnen und Einwanderern, schneiden nur geringfügig besser ab als Japan. Wenn die USA mehr illegal Eingewanderten ein legales Aufenthaltsrecht einräumen würden, wie dies der mexikanische Präsident Vicente Fox wiederholt gefordert hat, dann würde sich das Bewertungsergebnis für die USA deutlich verbessern.
Für die Gewichtung des Faktors Friedenserhaltung zählt der CDI finanzielle und personelle Beiträge zu multilateralen friedenserhaltenden Einsätzen. Griechenland belegt Rang eins, weil es 2000 Menschen zur Friedenserhaltung in das nahe gelegene Bosnien und Herzegowina sowie nach Kosovo entsandt hat, eine hohe Zahl für ein so kleines Land. Am anderen Ende der Skala steht an letzter Stelle die Schweiz, die sich historisch der Neutralität verpflichtet und eine Mitgliedschaft in internationalen Organisationen vermieden hat. (Das Land ist erst im September 2002 den Vereinten Nationen beigetreten.) Japan schneidet ebenfalls schlecht ab; es leistete in den Jahren 2000 und 2001 einen Beitrag in Höhe von 675 Millionen US-Dollar zu friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen, stellte aber nur ein Minimum an Kampfeinheiten für friedenserhaltende Einsätze bereit, worin sich die in seiner Verfassung begründete Ambivalenz des Landes in Bezug auf den Einsatz militärischer Gewalt zeigt.
Die Einbeziehung von Friedenserhaltung in den CDI spiegelt die Überzeugung wider, dass nationale Stabilität und die Freiheit von äußeren Angriffen Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung sind. In vielen Fällen beteiligen sich reiche Staaten täglich an Militäraktionen, die der Sicherheit von Entwicklungsländern dienen. Diese Kräfte erhalten den Frieden in Gebieten, die einst von Konflikten zerrissen waren; ihre Flotten schützen Seewege, die für den internationalen Handel unverzichtbar sind; gelegentlich intervenieren sie direkt gegen Unterdrückung wie 1999 im Kosovo. In Mosambik zum Beispiel ebneten friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen den Weg für Neuwahlen im Jahr 1994 und ein in der Folge einsetzendes Wirtschaftswachstum. Aber was für eine Nation eine Verbesserung der Sicherheitslage ist, kann für eine andere eine destabilisierende Intervention sein - die Debatte um den Krieg im Irak ist ein Paradebeispiel. Und wenn reiche Staaten Waffenverkäufe an arme Länder fördern oder repressive Regime unterstützen, kann das die Sicherheit in Entwicklungsländern noch verschlechtern. Angesichts so komplexer Zusammenhänge konzentriert sich die erste Ausgabe des CDI ausschließlich auf Beiträge zur Friedenserhaltung und nicht auf allgemeinere Aspekte der Sicherheitspolitik in reichen Ländern.
Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 zwangen diejenigen, welche die Freiheit und die Fülle des Lebens in den reichsten Ländern der Welt genießen, über ihre Stellung und Zweckbestimmung in der einen Welt nachzudenken. Sieben Nationen - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA - erbringen zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung. Zusammen bilden diese Länder die Gruppe der Sieben (G7), die in der Presse oft als die "sieben führenden Industrienationen" bezeichnet werden. In der Rangfolge des ersten CDI stehen diese sieben Länder aber keineswegs auf den obersten Plätzen. Allein aufgrund ihrer Größe verzeichnen die G7 mehr Handel, mehr Auslandshilfe, mehr friedenserhaltende Maßnahmen und mehr Verschmutzung als jede andere Staatengruppe. Sie haben das größte Potenzial, Entwicklungsländern zu helfen, aber - mit Ausnahme von Deutschland, das in dem Index punktgleich mit Spanien auf Rang sechs steht - nutzen sie dieses enorme Potenzial am wenigsten.
Wer führt derzeit die Weltrangliste im Engagement für Entwicklung an? Nach dem CDI sind dies die Niederlande, Dänemark und Portugal. Diese drei Länder sind, auch wenn sie durchaus noch mehr leisten könnten, ein Vorbild für die anderen reichen Staaten. Aber mit einer Gesamtbevölkerung, die kleiner ist als die Tansanias, können diese Länder allein schwerlich die Weltführung übernehmen. Die G7-Staaten müssen der Verantwortung gerecht werden, die ihrer Größe, ihrer Macht und ihrer Wirtschaftskraft entspricht. Das heißt, sie müssen alle ihre Politikbereiche im Sinne der Entwicklungsförderung reformieren - sowohl aus moralischen Gründen als auch aus einem aufgeklärten Eigeninteresse heraus. Kontinuierliche Fortschritte dieser Nationen bei den Messgrößen des CDI könnten andere reiche Länder motivieren, auf diesem Weg zu folgen. Wenn die Reichsten der Reichen nicht die Führung übernehmen, dann wird es niemand tun. Aber wenn diese Länder energisch vorangehen, werden sie die Lebensbedingungen von Millionen Menschen, die Besseres verdient haben als ihre aktuelle Lebenslage, vorteilhaft verändern und gleichzeitig eine stabilere Welt schaffen.
aus: der überblick 03/2003, Seite 89
AUTOR(EN):
Center for Global Development und Foreign Policy:
Der Geberbewertungsindex ("Commitment to Development Index") wurde vom Center for Global Development in Washington D.C. und der amerikanischen Zeitschrift
Foreign Policy erstmals im Jahr 2003 erstellt. Diesen Artikel haben wir mit freundlicher Genehmigung der "Carnegie Endowment for International Peace" der Ausgabe Mai-Juni 2003 von "Foreign Policy" übernommen.