Die NGOs in El Salvador sind an die ehemalige Befreiungsbewegung und an die Vorgaben internationaler Hilfsorganisationen gebunden
Die salvadorianischen Selbsthilfeorganisationen haben an Bedeutung verloren. Deren Mitglieder finanzierten die Organisation selbst und bestimmten, was gemacht wurde. Inzwischen wird die Zivilgesellschaft El Salvadors vor allem durch NGOs repräsentiert, die nicht mehr ihren Mitgliedern, sondern ausländischen Gebern verantwortlich sind, von deren Hilfsgeldern sie völlig abhängen.
von Christoph Wilkens
"Das Jahr 2000", erläutert der salvadorianische Arzt Mauricio Massana, "war das schwierigste Jahr seit Kriegsende. Noch nie war es für uns so eng". Dabei hatte alles so hoffnungsvoll angefangen. Am 16. Januar 1992, nach zwölf Jahren Bürgerkrieg, hatten die Regierung El Salvadors und die Front Farabundo Martís zur nationalen Befreiung (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional, FMLN) in Mexiko Friedensverträge unterzeichnet. Damals glaubten die meisten, dass damit der Grundstein für die Linderung der sozialen Probleme des mittelamerikanischen Landes gelegt sei. Diese Hoffnung hat sich bis heute nicht erfüllt.
Nach einer kurzen wirtschaftlichen Erholungspause ist der Überlebenskampf der Salvadorianer von Jahr zu Jahr härter geworden. Bei der Familie Massana, die zur unteren Mittelschicht gehört, kam im Jahr 2000 nur noch an ganz wenigen Festtagen Fleisch auf den Tisch, ansonsten gab es nur Frijoles, schwarze Bohnen. Wie die meisten Menschen im Land mussten der Arzt, seine Frau und ihre beiden kleinen Töchter die Gürtel noch einmal enger schnallen. Von den Armen des Landes - das sind über die Hälfte der Bevölkerung - unterscheidet sich die Familie Massana darin, dass sie noch sparen kann, ohne die eigene Gesundheit zu gefährden.
Mit gemischten Gefühlen feierten die Salvadorianer die Silvesternacht zum Jahr 2001. Viel schlimmer könne es nicht mehr kommen, meinten viele. Doch das war ein Irrtum. Am Vormittag des 13. Januar haben 40 Sekunden eines starken Erdbebens gereicht, um auch den letzten Optimismus zu zerstören. Das war nur der Anfang einer wochenlangen Serie von Erdstößen. Die Beben haben El Salvador um viele Jahre zurückgeworfen. Von der Naturkatastrophe wurden die Armen besonders hart getroffen. Lehmziegel, die ökologisch gesehen kein schlechter Baustoff sind, brechen bei Erdbeben weg wie Balsaholz. Im ganzen Land wurden komplette Siedlungen dem Erdboden gleich gemacht. Zehntausende leben nach wie vor in Notunterkünften, ohne Aussicht auf Hilfe. Da nur zwei Wochen nach dem ersten Erdbeben auch in Indien die Erde bebte, wandte sich das internationale Interesse schnell dem neuen Krisengebiet zu, und dorthin floss der größte Teil der Katastrophenhilfe, bevor sie für El Salvador richtig angelaufen war.
Der salvadorianische Präsident Francisco Flores berief in der Erdbebenkrise sofort einen Nationalen Katastrophenrat ein. Um der internationalen Gemeinschaft entgegen zu kommen, rief er auch die "Zivilgesellschaft" mit an den Tisch. Doch mit Zivilgesellschaft meinte die Regierung der rechtsgerichteten ARENA-Partei die großen Unternehmerverbände. Weder nichtstaatliche Organisationen (NGOs) noch die wichtigste Oppositionspartei, die FMLN, wurden eingeladen. Und das, obwohl die FMLN inzwischen die stärkste Fraktion im Parlament stellt. Deshalb spotteten die Leute schnell, der Name Nationaler Katastrophenrat sei zugleich sein Programm. Das Vorgehen der Regierung macht auch deutlich, wie sehr sie mit aller Kraft die weitere Demokratisierung zu unterbinden versucht. El Salvador ist trotz des formal demokratischen politischen Systems nach wie vor ein Staat, in dem die Teilhabe der Mehrheit unterdrückt wird, damit sich die Interessen einer einflussreichen Minderheit frei entfalten können.
Die Zivilgesellschaft El Salvadors hat sich deshalb als eine Art außerparlamentarische Opposition organisiert. Sie übernimmt wichtige Überwachungsfunktionen und versucht internationale Geber zu bewegen, auf die salvadorianische Regierung einzuwirken. Gleichzeitig setzen sich die NGOs im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten, also mit Hilfe extern finanzierter Projekte, direkt für Demokratisierung und Armutsbekämpfung ein.
Wer aber ist eigentlich die salvadorianische Zivilgesellschaft? Angeregt von einer gemeinsamen Initiative von Catholic Relief Services, Lutherischem Weltbund und Share Foundation versuchten 15 internationale NGOs, dieser Frage nachzugehen. Auf einer Konferenz im September 2000 tauschten sie Konzepte und programmatische Ansätze untereinander aus. Sie stellten fest, dass heute in El Salvador die Zivilgesellschaft fast ausschließlich von NGOs repräsentiert wird und nur noch in Ausnahmefällen von sozialen Bewegungen. Viele früher einflussreiche Interessenverbände und Selbsthilfeorganisationen haben an Bedeutung verloren.
Die Kleinbauernbewegung ist dafür ein Beispiel: Infolge der sinkenden Preise für landwirtschaftliche Produkte sowie der Importe vor allem aus den USA lohnt sich Kleinstlandwirtschaft nur noch im Nebenerwerb. Das hat zu einer Aushöhlung der Identität der einstigen Campesinos, der armen Landarbeiter, geführt. Die Gewerkschaften hingegen haben sich von der Gewalt des Krieges nicht wieder erholt. In der Schlussphase waren ihre führenden Personen von Todesschwadronen gezielt liquidiert worden. Außerdem hat mit dem Anwachsen des informellen Sektors die Bedeutung der Gewerkschaften abgenommen. Schließlich haben sich eine Reihe von ehemaligen Selbsthilfeorganisationen inzwischen in NGOs verwandelt, die mit Geberhilfe Projekte durchführen.
Im Nordosten von El Salvador liegt die hügelige, abgelegene Region Morazán. In dem an Honduras grenzenden Gebiet schlug der Bürgerkrieg seine grausamsten Wunden, das Militär verübte dort die brutalsten Menschenrechtsverletzungen. Während des Krieges bildete sich die Selbsthilfe-Initiative der Frauen Morazáns (Movimiento Comunal de las Mujeres de Morazán, MCMM). Mit ihren ausgezeichneten Bildungs- und Beratungsprogrammen trug sie dazu bei, die Not der Frauen zu lindern, die von dem Bürgerkrieg besonders hart getroffen wurden. Nach dem Bürgerkrieg wurde aus der MCMM die OCMM, die Organisation der Frauen Morazáns. Was zunächst wie der schlichte Wechsel eines Buchstabens aussieht, steht für einschneidende Veränderungen: Als Selbsthilfe-Initiative hatte sich die MCMM überwiegend aus den geringen Beiträgen der Mitglieder finanziert und diesen Frauen auch Rechenschaft ablegen müssen. Als NGO bietet die OCMM hingegen Projekte für die Frauen an und legitimiert sich vor allem gegenüber den internationalen Hilfsorganisationen, den Geldgebern. Die Frauen Morazáns, vorher Anteilseigner, sind nun Zielgruppe der Projekte. Dies führt auch dazu, dass die Leitung der OCMM, eine der wichtigen oppositionellen Stimmen, über kein repräsentatives Mandat verfügt. Die OCMM spricht häufig im Namen der Frauen Morazáns, "obwohl NGOs niemals die legitimen Vertreter einer Gruppe sein können. Sie sind vielmehr Organisationen, die ihrer Zielgruppe zu dienen haben", betonte auf dem erwähnten Treffen der internationalen NGOs über die Zivilgesellschaft Héctor Dada Hirezi, der Leiter der örtlichen Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales (FLACSO), des sozialwissenschaftlichen think tanks (Denkfabrik) in El Salvador.
Will man die gute Seite dieses Wandels sehen, dann steht die "NGOisierung" für eine hohe Anpassungsfähigkeit der salvadorianischen Zivilgesellschaft. Denn ohne Ressourcen ist der politische Kampf für mehr Gerechtigkeit in El Salvador nur schwer zu führen. Und zur Zeit kommt die salvadorianische Zivilgesellschaft am leichtesten über ausländische Projektförderung an die nötigen Gelder heran.
Aus der Entstehungsgeschichte der NGOs in El Salvador stammt ein weiteres schweres Handikap: die komplizierte Beziehung zwischen NGOs und der FMLN. Als am 24. März 1980 Erzbischof Oscar Arnulfo Romero während einer Eucharistiefeier von einem Scharfschützen ins Herz getroffen wurde, eskalierten die bis dahin durchaus schon häufigen bewaffneten Auseinandersetzungen zu einem landesweiten Bürgerkrieg. Fünf unabhängige Guerillaorganisationen, die sich zumeist aus einer politischen Partei heraus gebildet hatten, schlossen sich zur FMLN zusammen. Doch was im Ausland als die FMLN wahrgenommen wurde, war in Wirklichkeit nur eine Institution zur Koordinierung. Maßgebend waren weiterhin die Entscheidungsprozesse in den fünf Mitgliedsverbänden, auf die die FMLN von oben keinen Einfluss nehmen konnte. Alle fünf Organisationen pflegten ihre eigenen internationalen Beziehungen; ihre politischen Zielvorstellungen reichten vom Kommunismus bis zur gemäßigten Sozialdemokratie.
Viele der salvadorianischen NGOs sind während des Bürgerkrieges entstanden. Dabei war es weitgehend bekannt, dass sie zumeist zwei Ziele verfolgten: Neben der offiziellen Menschenrechts- oder Entwicklungsarbeit sammelten sie de facto Spenden für den bewaffneten Kampf der FMLN. Die NGOs gründeten sich jedoch nicht um die FMLN herum, sondern im Umfeld jedes ihrer Mitglieder. Diese historischen Abgrenzungen sind in der heutigen Arbeit mit salvadorianischen NGOs noch deutlich spürbar. Alte Konflikte und Seilschaften verhindern eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den salvadorianischen NGOs, und die persönlichen Beziehungen, die sich während des Krieges herausgebildet haben, sorgen auch heute noch dafür, dass sich die NGOs aus den Kadern "ihrer" Guerillaorganisation rekrutieren.
Auch die vielen NGOs, die nach der Unterzeichnung der Friedensverträge in Chapultepec am 16. Januar 1992 entstanden, verfolgten zumeist zwei Ziele: Zum einen leisteten sie wichtige humanitäre Arbeit. Gleichzeitig dienten sie aber als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für frühere Kämpfer und auch für Aktivisten, welche die FMLN ohne Waffe unterstützt hatten. Denn die Wiedereingliederungsprogramme, die in den Friedensverträgen für ehemalige Kämpfer vorgesehen waren, bestanden vor allem aus Landzuweisungen und wurden zudem nur teilweise umgesetzt. Landzuteilungen aber waren für weite Teile der mittleren Kommandoebene der fünf FMLN-Mitgliedsorganisationen nicht interessant. Deren Mitglieder waren in der Regel nie Bauern gewesen und wollten weiterhin politisch arbeiten. Doch die bezahlten Posten in der Politik wie etwa im Parlament teilte die obere Kommandoebene unter sich auf. Mit zynischem Unterton rieten deshalb Exguerilleros einander, entweder eine Kirche oder eine NGO zu gründen. Mit Hilfe der ausländischen Finanzierung der salvadorianischen NGOs und auch der Kirchen konnten diese Menschen, die oft über vielfältige Kompetenzen und hohes Engagement verfügen, am Demokratisierungsprozess mitwirken - sie hätten andernfalls zu den Kriegsverlierern gehört.
Die Beziehungen der salvadorianischen NGOs untereinander werden zur Zeit von einer erbitterten Konkurrenz um die abnehmenden Geldmittel aus dem Norden geprägt. Dies verhindert häufig das Lernen aus den Erfahrungen der anderen; auch die Bildung von Netzwerken wird dadurch erschwert. Dabei wäre ein koordiniertes Vorgehen in Netzwerken nötig, um mehr Einfluss auf die Entwicklung El Salvadors ausüben zu können.
Nachdem im Oktober 1998 der Hurrican Mitch weite Teile Zentralamerikas verwüstet hatte, begann im Zuge umfangreicher internationaler Hilfsmaßnahmen auch ein Prozess gesellschaftlicher Neuorganisierung. In El Salvador bildete sich das Forum der Zivilgesellschaft, welches sich auf nationaler wie auf internationaler Ebene für Transparenz im Wiederaufbauprozess und für die stärkere Einbeziehung der Betroffenen einsetzte. Mit zunächst fast 100 teilnehmenden Organisationen war dies ein Zusammenschluss, der die salvadorianische Zivilgesellschaft nach den Friedensabkommen breit repräsentierte. Doch die Repräsentativität währte nicht lange. Ein halbes Jahr später, im Mai 1999, fand in Stockholm eine internationale Konferenz der wichtigsten Geberländer statt. Dem Forum der Zivilgesellschaft wurden fünf Plätze reserviert. Nach den heftigen Auseinandersetzungen innerhalb des Forums um die Verteilung der fünf Flugtickets waren von den ursprünglichen 100 Mitgliedsorganisationen gerade noch die Hälfte übrig.
Die fünf Gründungsorganisationen der FMLN sind inzwischen in zwei Hauptfraktionen zerfallen. Die sozialistisch-orthodoxe Gruppierung hat in der heutigen FMLN eine knappe Mehrheit. In ihren Äußerungen zeigt sie eine gradlinige Fortsetzung ihrer Politik der vergangenen Jahrzehnte und stellt sich glaubwürdiger an die Seite der Armen als die Gegenfraktion. Doch es bleibt unklar, welchen politischen Weg sie im Falle einer Regierungsübernahme einschlagen würde. Die reformistische Gruppierung (Renovadores) - derzeit der sozialistisch-orthodoxen etwas unterlegen - sprach im Wahlkampf der Präsidentschaftswahlen vom 8. März 1999 von einem "schwedischen Modell für El Salvador", ohne vermitteln zu können, wie so etwas umgesetzt werden kann.
Die Auseinandersetzungen zwischen den Gruppierungen innerhalb der FMLN wirken nun in die NGOs hinein, und unterm Tisch bleiben weiter die Messer gezückt. Als 1998 Facundo Guardado, der Führer der Renovadores, durch unfaires Taktieren Generalkoordinator der FMLN und Präsidentschaftskandidat wurde, kam es in einigen NGOs zu politischen Säuberungen: Alle, die nicht zur "richtigen" Gruppierung gehörten, wurden kurzerhand entlassen. Einige NGOs versuchten offenbar, Projektmittel abzuzweigen, um die Wahlkampfkasse der Renovadores aufzufüllen. So kam es in der Schlussphase des Wahlkampfes im Januar und Februar 1999 zu einer ungewohnten Häufung von Anträgen, in denen NGOs Vorschüsse für ihre Projektimplementierung beantragten. Obwohl die Wähler den parteiinternen Grabenkrieg bei den Präsidentschaftswahlen hart abstraften, kann die Partei bis heute keine Einigkeit demonstrieren.
Viele NGOs haben erlebt, dass ehemalige Gefährten aus der Befreiungsbewegung, nachdem sie als Abgeordnete ins Parlament gelangt waren, nur noch damit beschäftig waren, ihre Posten zu sichern und möglichst viele Assistentenstellen für ihre Verwandten einzurichten. Der Kampf um eigene Privilegien wird in El Salvador sehr viel härter als in anderen Ländern geführt, weil die Salvadorianer befürchten müssen, dass, wer einmal aus dem System herausfällt, vielleicht nie wieder hineinkommt. Kennzeichnend ist der Fall des Ex-Kommandanten der FMLN, Salvador Sánchez Cerén. Er ist Mitunterzeichner der Friedensverträge. Im sozialistisch-orthodoxen Flügel ist er die Nummer zwei, gleich nach dem international bekannten Kommunisten Schafick Handal. Als die Renovadores unter Facundo zum parteiinternen Putsch ansetzten, gelang es ihnen, Sánchez Cerén aus dem Amt des Generalkoordinators der Partei zu verdrängen. Fortan war der Ex-Kommandant arbeitslos. Seine Tochter Claudia Sánchez musste ihr Studium unterbrechen, weil das Geld dafür nicht mehr reichte. Bei der "Gegenoffensive" des sozialistisch-orthodoxen Flügels konnte Sánchez Cerén dies geradebiegen. Er ist nun Fraktionsvorsitzender im Parlament, und Claudia kann weiterstudieren.
Auf kommunaler Ebene arbeiten die NGOs meist eng mit der FMLN zusammen, zum Beispiel als Wahlkampfhelfer für die FMLN-Kandidaten. Falls die FMLN den Bürgermeister stellt, wird dieser unterstützt. Da die NGOs über Geld aus dem Ausland für Hilfsprogramme verfügen, sieht die Machtbalance hier anders aus als auf nationaler Ebene. Stellt die rechte ARENA-Partei den Bürgermeister, präsentieren sich die NGOs als die effektiveren Helfer - und sägen damit nicht nur an der Glaubwürdigkeit des Bürgermeisters, sondern auch an der Glaubwürdigkeit der kommunalen Institutionen. Stellt die FMLN dagegen den Bürgermeister, wird der Anschein erweckt, dass die geleistete Hilfe der kommunalen Verwaltung zu verdanken sei. Die NGOs können so in den Gemeinden eine eigenständige Macht werden, die nicht zu der nötigen Stärkung kommunaler Institutionen beiträgt. Menschen in Not richten ihre Forderungen lieber direkt an die NGOs, anstatt sich auf langwierige Verhandlungen mit dem Bürgermeister einzulassen.
Wegen der beschriebenen Schwierigkeiten hat die Kritik der Partner aus dem Norden an den salvadorianischen NGOs zugenommen, eine Entzauberung hat stattgefunden. Doch es darf nicht vergessen werden, dass die Probleme auch eine Folge der Kooperationsform sind. Die "NGOisierung" etwa ist auch auf die finanziellen Anreize aus dem Norden zurückzuführen. Und die Anstrengungen der NGOs, unter den bestehenden Bedingungen gute Arbeit zu leisten, sind beachtlich.
Cecilia Hernández ist Programmkoordinatorin der UNES, der renommiertesten Umweltorganisation des Landes. In einem offenen Gespräch zwischen der UNES und internationalen NGOs wurde unter anderem die Frage gestellt, wie die UNES ihr Programm der Advocacy-Arbeit in ökologischen Fragen finanziert. Daraufhin wischt Cecilia Hernández die Tafel ab: "Dafür brauche ich etwas Platz", sagt sie und zeichnet eine Matrix mit neun Spalten und acht Zeilen: Neun Geberorganisationen aus acht Ländern finanzieren, häufig überlappend, acht Haushaltsposten des gleichen Programms. Unter den Finanzierungsposten sind: Bildungsarbeit, Publikationen, Planung und Organisation der Advocacy- -Kampagne, Papier und Material und dergleichen. "Nur die Kosten für das Personal sind bisher noch nicht gedeckt", berichtet Cecilia Hernández.
Die meisten NGOs finanzieren sich hundertprozentig über Projekte, also über Drittmittel. Sie verfügen über keinerlei Erst- und Zweitmittel. Die Realität der Finanzierung gerät so des Öfteren in Konflikt mit den Ansprüchen aus dem Norden an die Zusammenarbeit. Die Geber aus dem Norden bestehen nämlich auf verlässliche, erfahrene Partnerorganisationen im Süden, sie sind aber oft nicht bereit, in solche Institutionen zu investieren: Sie finanzieren lediglich zeitlich begrenzte Projekte. Selbst Übergangsfinanzierungen, die den Süd-NGOs ermöglichen würden, die Monate zwischen einem und dem nächsten Projekt zu überstehen, sind häufig ausgeschlossen. Folglich müssen diese zu "kreativer Buchführung" Zuflucht nehmen.
In den lokalen Büros der Nord-NGOs in El Salvador wird mehr als früher salvadorianisches Personal beschäftigt. Dasselbe gilt für die örtlichen Büros staatlicher Entwicklungsagenturen des Nordens. Häufig stammt nur noch der Direktor bzw. die Direktorin nicht aus El Salvador. Dies klingt zunächst gut, denn es gibt genügend Menschen in El Salvador, die diese Arbeit gut ausführen können. Aber oft werben die Nord-Institutionen die erfahrensten und kompetentesten Mitarbeiter der salvadorianischen NGOs und Kirchen ab. Welche Konsequenzen dies langfristig für die dortigen Organisationen hat, ist noch nicht abzusehen. Es wird ferner immer schwerer zu vermitteln, dass die, die eine der begehrten Stellen bei einer Nord-Organisation bekommen haben, über neueste Computer, Fahrzeuge, private E-Mails und Klimaanlagen verfügen, während den salvadorianischen Partnern all dies aus den Projektanträgen gestrichen wird.
Während des Wiederaufbaus nach dem Hurrikan Mitch beschafften sich viele salvadorianische NGOs plötzlich neue Kleinlastwagen, überwiegend Toyota-Pick Ups. Doch solche Investitionen werden wegen der kurzen Laufzeit der Wiederaufbauprojekte nur selten genehmigt. Die zweifelhafte Beschaffung des neuen Fuhrparks kritisiert auch ein Salvadorianer, der im lokalen Büro einer Nord-NGO arbeitet. Er setzt sich dann in einen ebenso neuen Pick Up und fährt davon. Vielleicht ist der einzige Unterschied, dass die Nord-NGO ihren "Mercedes unter den Pick Ups" offiziell beantragen kann, während die salvadorianische auf die schon erwähnte kreative Buchführung angewiesen ist.
Im Norden wird nun immer häufiger diskutiert, ob die Zusammenarbeit mit den salvadorianischen NGOs langfristig zur Entwicklung einer nachhaltigen Zivilgesellschaft führen könne oder ob internationale Investitionen die beste Möglichkeit zur Armutsbekämpfung seien.
Während eine Antwort darauf noch aussteht, haben die Salvadorianer längst einen anderen Weg zur Armutsbekämpfung beschritten: Viele Erdbebenopfer haben ihre Wellblech-Notunterkünfte verlassen. Sie sind auf dem Weg ins "gelobte Land", in die USA. Nachdem die Erde wochenlang "getanzt" hat, wollen vor allem mehr junge Menschen als früher das Land verlassen, um in den USA - zumeist illegal - ihr Glück zu versuchen. Es wird geschätzt, dass von 7 Millionen Salvadorianern bereits eine Million in den USA leben. Der illegale Export von Arbeitskräften ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Die Überweisungen aus den USA, die zumeist an arme Familienangehörige gehen, werden auf 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von El Salvador geschätzt.
aus: der überblick 03/2001, Seite 57
AUTOR(EN):
Christoph Wilkens:
Christoph Wilkens ist Referent für Ökumenische Begegnung beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn.