In Südafrika ist die Reform des Gefängniswesens auf halbem Wege stecken geblieben
Nach den ersten freien Wahlen in Südafrika hat das Ministerium für den Strafvollzug Gesetze und Verordnungen ausgearbeitet, die den Menschenrechten auch im Gefängnis mehr Geltung verschaffen sollten. Diese Reform ist jedoch bisher nur sehr unvollkommen in die Praxis umgesetzt worden. Zum Teil liegt das an der Unentschlossenheit des Ministeriums. Doch den Reformern weht im Land mittlerweile auch der Wind ins Gesicht: In der Öffentlichkeit ist es populär, für eine sehr harte Behandlung von Straftätern einzutreten.
von Amanda Dissel
Wer heute ein südafrikanisches Gefängnis betritt, sieht sich ungefähr den gleichen Bedingungen gegenüber wie noch vor sechs Jahren, vor dem Übergang des Landes zur Demokratie. Man bekommt den Eindruck, dass sich zwar Form und Struktur des Gefängnissystems verändert haben, nicht aber sein Inhalt (oder sein Mangel an Inhalt). Es gibt zwei Möglichkeiten, den Wandel zu beurteilen, der sich im Strafvollzug in Südafrika in den vergangenen zehn Jahren vollzogen hat. Zum einen kann man untersuchen, wie die Gesetze und die politischen Vorgaben für die Behandlung der Gefangenen geändert worden sind. Zum anderen kann man den Wandel der institutionellen Kultur von Gefängnissen analysieren und fragen, wie er sich in der Praxis auf die Behandlung der Gefangenen und das Verhalten des Gefängnispersonals auswirkt.
Auf der formalen Ebene hat das Strafvollzugsministerium eine Reihe von bedeutenden Veränderungen eingeführt. Schon das Ministerium der Apartheid-Regierung hat sich Mitte der achtziger Jahre bemüht, international in den Kreisen der Fachleute für Strafvollzug respektiert zu werden. 1989 wurden alle gesetzlichen Richtlinien, die die Trennung der Gefangenen nach Hautfarbe vorsahen, gestrichen. Allerdings wurde die Rassentrennung in Gefängnissen in der Praxis erst während der neunziger Jahre vollständig aufgehoben. 1993 wurde das Strafvollzugsgesetz so geändert, dass Körperstrafen und andere Strafmaßnahmen wie Nahrungsentzug und Einzelhaft abgeschafft wurden. Als Reaktion auf die wachsende Zahl der Häftlinge wurden außerdem ambulante Strafmaßnahmen auf Gemeindeebene ausgebaut, zum Beispiel gemeinnützige Arbeit.
Schon vor der demokratischen Wende in Südafrika wurde das Ministerium wegen Missachtung der Menschenrechte vor Gericht verklagt. 1979 erkannte ein Gericht Gefangenen die Grundrechte zu, die für ihr Überleben grundlegend sind. Das Recht auf ärztliche Versorgung und das Recht, nicht gefoltert zu werden, wurden ebenfalls anerkannt. Allerdings entschied erst 1993 eine Berufungskammer, dass Gefangene nicht der Willkür der Behörden ausgeliefert sind, sondern auch in der Haft alle grundlegenden Menschenrechte behalten außer denen, die ausdrücklich per Gesetz eingeschränkt sind. Dieser Grundsatz wurde in der Übergangsverfassung von 1993 und der Verfassung von 1996, die einen Grundrechtekatalog beinhaltet, noch klarer definiert. Dieser verweist außer auf die Würde des Menschen, die Freiheit und Sicherheit von Personen und den Schutz vor grausamer, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung oder Strafe auch besonders auf die Rechte von Inhaftierten, Angeklagten und Festgenommenen.
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist die Gesetzgebung zum Strafvollzug in Südafrika vollständig überarbeitet worden. Das Strafvollzugsgesetz von 1998 erkennt an, dass die Inhaftierung von Gefangenen in sicherer Verwahrung, sprich zum Schutz der Gemeinschaft, bei gleichzeitiger Sicherstellung ihrer Menschenwürde zu den zentralen Aufgaben des Strafvollzugssystems gehört. Es besagt, dass die "Pflichten und Einschränkungen, die Gefangenen auferlegt werden, um eine sichere Verwahrung durch die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, auf eine Weise angewendet werden müssen, die mit ihrem Zweck in Einklang stehen und dass sie sich nicht stärker oder länger auf den Häftling auswirken als nötig" (Paragraf 4 (1) (b)). Das Gesetz legt außerdem Minimalrechte von Gefangenen fest, die nicht verletzt und nicht eingeschränkt werden dürfen.
Entsprechend ist das Strafvollzugsgesetz 1998 neu gefasst worden. Es stellt jetzt erfolgreich ein Gleichgewicht zwischen den drei Säulen des Strafvollzugssystems her: den Schutz der Häftlinge, ihre sichere Verwahrung zum Schutz der Gemeinschaft und die Förderung von sozialer Verantwortung und Fortbildung auf Seiten der Gefangenen. Auf dem Papier schafft das Gesetz perfekte Bedingungen für die Förderung der Gefangenen und ihre spätere Reintegration in die Gesellschaft. Da aber der Gesetzesentwurf erst 1998 ins Parlament eingebracht wurde, sind bisher nur einzelne Paragrafen in Kraft gesetzt worden jene, die sich auf private Gefängnisse, auf die Schaffung einer unabhängigen gerichtlichen Aufsichtsbehörde und auf Gefangenenbesuche beziehen. Zu den übrigen Abschnitten müssen die Bestimmungen noch überarbeitet werden. Bis dahin gilt weiter das alte Strafvollzugsgesetz von 1959. Die Rechte der Gefangenen werden in dieser Übergangsphase vom Grundrechtekatalog in der Verfassung bestimmt.
Auch die Organisation der Gefängnisse ist verändert worden. Dahinter stand die Einsicht, dass eine zu hierarchische Struktur und eine zu stark militärische Organisationskultur das Verantwortungsgefühl der einzelnen Mitarbeiter im Strafvollzug schwächt und für eine Institution, die sich der Förderung und Reintegration der Straftäter verschrieben hat, unangebracht ist. 1996 wurde das Ministerium entmilitarisiert zum Beispiel wurden militärische Dienstgrade und Uniformen abgeschafft. Damals bestand die Chance, dadurch eine neue Organisationskultur zu entwickeln, dass man das Verhalten des Gefängnispersonals gegenüber den Gefangenen und untereinander thematisierte.
Stattdessen beschränkte sich aber die Debatte auf Fragen der Disziplin, der Uniformen und der Befehlsränge. Die Abschaffung des Systems der militärischen Disziplin führte in einigen Gefängnissen zunächst zu einem Zusammenbruch jeglicher Autoritätsstrukturen; erst nach mehreren Jahren konnten sie neu etabliert werden. Diese Umstände haben auch die Korruption unter den Gefängnisbeamten stark begünstigt.
Da Menschenrechte in Südafrika praktisch ein neues Konzept darstellen, auch für die Beamten im Strafvollzug, war es wichtig, unter den Gefängnisangestellten ein Bewusstsein für Menschenrechte zu schaffen. In einem Pilotprojekt haben zwei nichtstaatliche Organisationen - das Centre for the Study of Violence and Reconciliation (Zentrum für Gewalt-und Versöhnungsforschung) und die Lawyers for Human Rights (Anwälte für Menschenrechte) - Häftlinge und Gefängnispersonal mit dem Thema Menschenrechte, soweit sie den Gefängnisalltag betreffen, vertraut gemacht. Anschließend wurden 70 Strafvollzugsbeamte zu Menschenrechtstrainern ausgebildet. Ihre Aufgabe ist, ihre 30.000 Kollegen in Fragen der Menschenrechte zu unterweisen. Doch obwohl das Projekt von oberster Ebene abgesegnet wurde, haben die Kurse bisher nur einen kleinen Anteil der Beamten erreicht. Die höhergestellten haben gar nicht erst daran teilgenommen - vielleicht weil sie glauben, sich nicht an das Gesetz halten zu müssen, oder weil sie Menschenrechte für unwichtig halten. Infolge dessen werden die Menschenrechte nur soweit beachtet, wie absolut notwendig ist, und sind dem Interesse an Disziplin und Ordnung untergeordnet.
Die Grundsätze, auf denen das neue Strafvollzugsgesetz und die Menschenrechtsprogramme des Ministeriums beruhen, stehen aber im Gegensatz zu anderen Initiativen des Ministerium aus der jüngsten Zeit. Wie alle Institutionen im Bereich des Strafrechts steht auch das Strafvollzugsministerium unter dem Druck zu beweisen, dass es seinen Beitrag zur Kriminalitätsprävention leistet. Auch die Öffentlichkeit scheint wenig Verständnis für Menschenrechtsideale zu haben; sie ist eher daran interessiert, dass Kriminelle ihre "gerechte Strafe" erhalten. Da das Ministerium nicht in der Lage war zu zeigen, dass seine Programme für die Behandlung von Gefangenen zu einer Senkung der Rückfallquote unter entlassenen Häftlingen geführt haben, hat es sich stattdessen auf das Thema Sicherheit konzentriert: Das Ministerium hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der Ausbrüche auf Null zu bringen. Mit Hilfe eines Sicherheitsprogramms, das den Bau elektrischer Zäune, eine verbesserte Sicherheitsausrüstung sowie Disziplinarmaßnahmen gegen nachlässige Beamte beinhaltete, konnte die Ausbruchsrate von 1247 im Jahre 1995 (bei einer Gefangenenzahl von 110.069) auf 497 im Jahre 1998 (bei 157.575 Häftlingen) gesenkt werden. Die verbreitete Meinung, dass Kriminelle nicht hart genug bestraft werden, bedient das Ministerium, indem es dem Beispiel der USA folgt und Hochsicherheitstrakte baut. Das als Pilotprojekt gedachte C Max-Hochsicherheitsgefängnis in Pretoria ist mit dem Ziel entwickelt worden, "die Schlimmsten der Schlimmsten" zu beherbergen unter Bedigungen, in denen ihnen nur "das Minimum ihrer Rechte gewährt wird".
Menschenrechtsverfechter haben dieses Konzept kritisiert. Ihrer Ansicht nach kommt das den Bedingungen der Isolationshaft gleich, ist inhuman und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar. Dennoch baut das Ministerium ein weiteres Hochsicherheitsgefängnis in der Provinz KwaZulu Natal mit 1440 Betten, ohne die Effektivität solcher Gefängnisse bisher bewiesen zu haben und ohne über eine langfristige Strategie zu verfügen.
Die Grenzen dieser Art von Ad hoc-Management haben sich auch in anderen Bereichen gezeigt. So billigte das Ministerium 1995 einen Plan für Schritte zur Bekämpfung von Diskriminierung (Affirmative Action), der sicherstellen sollte, dass die Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft die der Bevölkerung widerspiegelt. Als Ziel wurde vorgegeben, dass nach fünf Jahren eine Rate von 70 zu 30 zugunsten von "früher benachteiligten" Gruppen erreicht sein sollte. Viele schwarze Mitarbeiter wurden befördert und viele Posten mit Quereinsteigern besetzt. Diese Personalpolitik wurde mit so viel Eifer betrieben, dass schon nach zwei Jahren die Vorgabe erfüllt war. Die Strategie hatte zwar das Ziel, eine repräsentativere Personalstruktur zu schaffen. Sie hätte aber auch helfen können, junges Blut in den Strafvollzug zu bringen und eine neue zivile Kultur zu schaffen. Weil aber das Augenmerk einzig auf der Repräsentation der schwarzen Bevölkerungsmehrheit innerhalb der Belegschaft lag, wurde das wichtige Thema der Veränderung von Organisationskultur vernachlässigt. Denn weil noch kein neuer Ausbildungsplan existierte, wurden die neuen Mitarbeiter lediglich in die bestehende Organisationskultur eingebunden.
Die ersten Schritte des Ministeriums hatten darauf abgezielt, eine Kultur der Menschenrechte zu fördern. Die nötigen gesetzlichen und politischen Richtlinien dazu sind geschaffen worden. Aber sie haben bisher wenig an den inhumanen Haftbedingungen in den überfüllten Gefängnissen und an der Art der Gefängnisverwaltung geändert. Ein Grund dafür ist, dass es dem Ministerium an politischem Willen mangelt und es sich zu wenig einmischt. Ein anderer Grund sind die Veränderungen des gesellschaftlichen Kontextes, in dem das Thema "Sicherheit" einen immer größeren Stellenwert einnimmt.
Die Versprechen der Politiker, härtere Maßnahmen gegen Kriminelle zu ergreifen, mögen kurzfristige Bedürfnisse der Öffentlichkeit befriedigen. Die langfristigen Voraussetzungen für erfolgreiche Verbrechensprävention und -bekämpfung berücksichtigen sie dagegen nicht. Gefragt ist mehr Engagement, die bestehenden politischen Richtlinien auch umzusetzen - in einem Rahmen, der den Menschenrechten Geltung verschafft.
aus: der überblick 01/2000, Seite 58
AUTOR(EN):
Amanda Dissel:
Amanda Dissel ist Koordinatorin der Criminal Justice Policy Unit am nichtstaatlichen Center for the Study of Violence and Reconciliation (Zentrum für Gewalt-und Versöhnungsforschung) in Johannesburg.