"Bayerin mit preußischen Tugenden"
Mit behutsam gesetzten Schritten betritt sie die neue Zentrale des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn-Hardtberg. Graublaue Augen blicken wach, und dann öffnet sich ihr Mund zum "Grüß Gott!". Monika Huber, seit Mai 2001 Vorstandsmitglied im EED und zuständig für die Ressorts Internationale Programme, passt in kein Klischee. Weder in das der Karrierefrauen noch in das der Manager, die auf Seilschaften setzen. "Zu unabhängig, zu wenig bußfähig, zu schüchtern", wird ihr nachgesagt. "Absolut loyal und unbestechlich", ergänzt ihr Vorstandskollege Wilfried Steen.
von Renate Giesler
Die Diplomsoziologin ist fassettenreich. Sie ist keine, die bei Konferenzen und Tagungen wie ein Donnerschlag auftritt. Schnörkellos, ohne Accessoires, die schon von weitem Macht signalisieren, bahnt sie sich ihren Weg. In den 160 Zentimetern stecken eine geballte Ladung analytischer Verstand und eine große Portion Herzlichkeit. Kenner bestätigen, wenn sie erst einmal zu Wort kommt, ist ihr die Aufmerksamkeit sicher. Eine Frau, die kämpfen muss. Mühsam war auch der Prozess, bis sie als fünftes Vorstandsmitglied des EED berufen wurde. Monika Huber ist die einzige Frau in dem Gremium, sie ist keine Theologin - und sie trat als letzte ihr Amt an.
In ihrem Ressort geht es um finanzielle und personelle Förderung - und natürlich um die Fachberatung von Partnern in mehr als 50 Ländern. Über 1.000 Projekte aus den Ländern des Südens und des Ostens, die bislang von den Organisationen Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) in Bonn, Dienste in Übersee (DÜ) in Stuttgart, Kirchlicher Entwicklungsdienst in Hannover und dem Ökumenisch-Missionarischen Weltdienst (ÖMW) des Evangelischen Missionswerks in Hamburg bearbeitet wurden, laufen jetzt unter Monika Hubers Regie. Die 56-Jährige ist zuständig für 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verwaltet einen Programmhaushalt von rund 250 Millionen Mark und führt die wichtigen Verhandlungen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Startprobleme? Die zu bewältigenden Aufgaben sind gewaltig, doch Monika Huber ist optimistisch, das Bestehende weiterzuführen und das Neue zu integrieren. Bevor sie ihr neues Amt antrat, leitete sie die Programmabteilung der EZE. Die Münchnerin hat sich in Bonn Achtung und Respekt erworben. Sie arbeitet schnell, präzise, lässt aus Aktenbergen auf ihrem Schreibtisch keine Wanderdünen werden. Diese Frau verfügt über die richtige Mischung aus Intellektualität und Pragmatismus.
Direkt in der Kommunikation, kämpferisch und zugleich mitfühlend versucht sie, Licht in den Dschungel der Entwicklungszusammenarbeit zu bringen. Bei Reisen besteht sie darauf, auch das zu sehen, was nicht glatt läuft. Eine Bella Block mit neuen Aufgaben? Oder ist sie statt der Kommissarin, die Hannelore Hoger so trefflich spielt, die Mutter Courage des EED, wie einer ihrer Kollegen meint. Bei den Vergleichen muss sie herzlich lachen. "Ich kann mir durchaus vorstellen, an führender Stelle die organisierte Kriminalität zu bekämpfen." Monika Huber wäre sogar in der Lage, die Abteilung "Interkulturelle Kommunikation" bei einem Großkonzern zu leiten oder Kopf der Auslandsabteilung einer Stiftung zu sein. "Aber", sie spielt mit den Fingern, bis es knackt und der Ton in ihrer Stimme wird ernst, "es muss um Inhalte gehen und nicht nur um Arbeits- und Ressourcenverteilung!" Dabei rollt sie das "r", wie es nur die Bayern können.
Heute ist sie für einen riesigen Etat zuständig, vor zehn Jahren war sie in Bolivien - und vor allem für Menschen verantwortlich, und das fünf Jahre lang. "Das Spannende an der Aufgabe als DED-Länderbeauftragte ist, man hat mit allen gesellschaftlichen Schichten zu tun." Bolivien selbst zählt für sie zu den faszinierendsten Einsatzorten: Geschichte, Kultur und Landschaft fügen sich zu einer unvergleichbaren Mischung zusammen. Beeindruckt hat sie das Engagement der Entwicklungshelfer. "Sie haben wirklich gemeinsam mit den Bauern nach Lösungen für die Probleme gesucht."
Monika Huber kennt die Schwierigkeiten dieser Tätigkeit wie keine andere. In den siebziger Jahren, während der Militärdiktatur, arbeitete sie in Brasilien in einem Jugend- und Sozialprojekt und lernte die Ohnmacht kennen, nichts tun zu können. "Bei Kaffee und Kuchen auf Meißner Porzellan berichteten mir Deutschstämmige, dass sie Land günstig gekauft hatten." Land, vom dem Tage zuvor die Indígenas vertrieben worden waren. Geschockt und sprachlos saß sie in der Runde. "Ich war naiv", urteilt sie heute.
Es folgte die Zeit in Ecuador. "Wir waren im Landwirtschaftsministerium angesiedelt." Wieder wurde ein Weltbild erschüttert. In der staatlichen Behörde konnte sie gut und effektiv arbeiten. "Damals begriff ich, wie wichtig Offenheit ist." All die Auslandserfahrungen kamen ihr zu Nutze, als sie für den Deutschen Entwicklungsdienst in Seminaren Entwicklungshelfer auf ihre Einsatzgebiete vorbereitete.
Ihr Blick fällt kurz auf die Unterschriftenmappen, die ganz oben auf dem Schreibtisch liegt. Ohne zu stöhnen fährt sie fort in der persönlichen Bilanz. "Den größten Wirkungsgrad hatte ich während der neun Jahre als Regional- und Grundsatzreferentin bei terre des hommes." Sie gestaltete, forcierte Themen, brachte die Frauenfrage ein. "Es gab ein gemeinsames Lernfeld, ich fand bei Ehrenamtlichen und bei Partnern in Übersee viele Verbündete." Zugleich wurde hart diskutiert und um die Zukunft der Adoptionen gerungen. Monika Huber arbeitete Alternativen mit aus, puschte die Projekte für "verlassene Kinder" und half mit, dass der Hilfsgedanke abgelöst wurde durch eine entwicklungspolitische Argumentation.
Osnabrück ist immer noch der Ort, wo sie gern leben würde - allein schon wegen der Freunde. Doch räumliche Distanz ist für Single Huber kein Argument, Freundschaften zu vernachlässigen. So gut es ihr Terminkalender erlaubt, kümmert sie sich um ihre Mutter, um Nichten und Neffen und ist eine wunderbare Gastgeberin.
Godesberg am Samstagvormittag: Am Bio-Stand greift sie zu Äpfeln, lässt sich Kartoffeln in die Tasche aus Ecuador packen und testet die Qualität des Ziegenkäses. Vollbepackt schreitet sie mit der Freundin Richtung Café. "Ich mag an ihr, dass sie beim Schlendern über den Markt den Berufsalltag vergessen kann", sagt Ursula Pattberg.
Beide haben jahrelang trefflich als Tandem bei terre des hommes zusammengearbeitet: die eine als ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende, die andere als Grundsatzreferentin und stellvertretende Geschäftsführerin. "Vor allem schätze ich, dass Monika die Menschen und deren Haltung sieht - und weniger die Funktion. Auch hat sie nie die Bodenhaftung verloren, weder zur Herkunft noch zur Entwicklungspolitik." Beide verbindet nicht nur die Genderfrage, es ist das Interesse für Literatur und Kunst. "Ja, sie ist ein Arbeitstier - aber sie kann abschalten, sich für einen Kinofilm begeistern, im Chor singen, und sie sucht mit Freude phantasievolle Geschenke aus."
Bei aller Herzlichkeit, sie wird ungeduldig, reagiert harsch, wenn Gesprächspartner abschweifen, nicht auf den Punkt kommen. Von Referatsleitern im EED kursiert der Ausspruch: "Wir fürchten und wir lieben sie." Damit konfrontiert antwortet sie ohne Zögern: "Ja, ich fordere den andern mitunter zu sehr heraus." Sie, die fit ist in Managementtheorien, bringen unnötige Störungen des Betriebes schnell in Rage. "Wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, dann kann ich das mit ihr klären", sagt Gabriele Fischer-Wilms, Referatsleiterin im EED. Monika Huber kann Fehler zugeben und Entscheidungen revidieren. "Es ist gut, dass sie im Vorstand ist. Ihr Arbeitsstil ist sehr effizient, sie verfügt über langjährige Auslandserfahrung, entwicklungspolitisches Wissen und hat Kenntnisse von der Branche hier in Deutschland", lobt Fischer-Wilms die fachliche Kompetenz.
Wenn sie von einer Sache überzeugt ist, dann kann sie andere gewinnen. Konrad von Bonin, Vorstandsvorsitzender des EED, schätzt ihre Gabe, ein politisches Urteil zu fällen. "Sie trägt Verantwortung für das Ganze, und sie kann mit Strenge kontrollieren." Zugleich freut sie sich über kleine Gesten, in ihrer Gegenwart ist Wohlfühlen möglich und auf ihr Wort ist Verlass. Umgekehrt hat sie den Anspruch, dass sie sich auch auf die anderen verlassen kann. Die "Mutter Courage" weicht bei Konflikten nicht aus. "Sie ist fair", urteilt Kollege Wilfried Steen, und "bei ihr weiß ich, woran ich bin". Ob die neue Vorstandsfrau immer weiß, woran sie ist, wenn das "Old Boys Network" tagt und Strategien entwickelt, das bleibt offen.
Gelassen wie Buddha? All die, die sie seit Jahren kennen, schätzen ihre Fähigkeit, in Krisen den Überblick zu behalten. Ist der Ausnahmezustand vorbei, dann allerdings fordert sie wieder die anderen und kennt kein Pardon. Wer mit ihr diskutiert, sollte konzentriert zuhören. Sie unterbricht, nennt ein neues Argument, um im nächsten Satz noch eine kritische Anmerkung zu machen. Sie ist nicht die Frau, die rundfunkgerecht in eineinhalb Minuten die Probleme dieser Welt erklärt. Spürt sie jedoch Widerspruch, Bedenken, dann hält sie für Minuten inne und hört zu. "Ich kann damit leben, dass ein Gesprächspartner mir nur zu 70 Prozent zustimmt, und ich akzeptiere abweichende Meinungen." Es käme ihr nie in den Sinn, ihre Leute zu "verdonnern", geschlossen hinter ihr zu stehen, wie das bei einer Partei üblich ist.
Stichwort Visionen: Die Soziologin ist realistischer geworden, und sie plädiert dafür, bescheidener zu werden. "Konzeptionen sind wichtig, doch wir müssen sehen, dass es keine eindeutigen Aussagen mehr gibt für gesellschaftliche Entwicklung, für Konflikte und mögliche Lösungen." Sie glaubt nicht daran, dass die Globalisierung integrativ wirkt. "Ich sehe eine Welt, die sich eher noch stärker trennt und Explosionen schafft", das sagte sie bevor zwei Flugzeuge das World Trade Center zum Einstürzen brachten. Trotz nüchterner Analyse, sie resigniert nicht. "Es lohnt", wirft sie ein, "die Missverständnisse aus der Welt zu räumen und miteinander zu reden, um den Gedanken der Einen Welt mit Leben zu füllen."
Sie möchte daran arbeiten, dass die Distanz zu den Partnern kleiner wird, dass die internationalen Programme noch besser vernetzt werden und der EED ein größeres Spektrum an Leistungen anbietet. Und sie will die "richtigen" Leute zusammenbringen: "Partner, die organischen Landbau betreiben, sollen bei ihrem Besuch in Deutschland unbedingt Bio-Bauern und Aktionsgruppen treffen."
Monika Huber setzt - bei aller Notwendigkeit der Kontinuität - auf mehr Lebendigkeit, auch auf Projektebene: "Warum nicht einmal etwas nur für zwei bis drei Jahre konzipieren, bewilligen und auszuprobieren?" Und sie selbst? Spielt sie nicht auch einmal mit dem Gedanken auszusteigen? "Den Gedanken kenne ich", antwortet sie prompt, "aber ich kehre immer wieder zu meinem Kernthema zurück: Die Veränderung der Verhältnisse." Zuversichtlich, bei dem Balanceakt in neuer Position das Gleichgewicht nicht zu verlieren, verlässt sie spätabends ihr Büro. Flink greift sie zum Rad, Marke Pegasus, und strampelt nach Hause.
aus: der überblick 04/2001, Seite 116
AUTOR(EN):
Renate Giesler:
Renate Giesler ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet alsfreie Journalistin in Hamburg.