Mosambikanische Künstler schmieden ein neues Leben
Ihr Material entstammt dem Bürgerkrieg, ihre Inspiration dem Umbruch und ihr Motiv ist der Frieden. Die Künstler des Núcleo de Arte in Maputo verwandeln Landminen, Kalaschnikows, Pistolen und Mörsergranaten in faszinierende Skulpturen. An der Spitze des Projektes Armas em arte stehen drei junge Männer. Fiel dos Santos, Gonçalo Mabunda und Humberto Pateguana, die damit eine ganz eigene Form der Vergangenheitsbewältigung gefunden haben.
von Jérome Cholet
Ein Hauch verbrannter Erde durchströmt das Atelier, die Morgensonne strahlt durch ein Einschussloch im Fenster, und aus einem nahegelegenen Café klingen Bossa-Nova-Rhythmen herüber. In der Mitte sitzen drei junge Männer auf dem Boden um einen großen Metallhaufen herum und überlegen welches Stück sie zuerst nehmen sollen.
Der größte und älteste, aber auch der magerste ist Fiel dos Santos. Seine langen Rastahaare versteckt er unter einer großen Wollmütze, trotz aufkommender Hitze. Fiel hält Visiere verschiedener Gewehre zu einem Knäuel zusammen, seine großen braunen Augen suchen die Aufmerksamkeit seiner Kollegen doch keine Reaktion.
Humberto Pateguana ist ziemlich klein und ziemlich dick, er trägt ein Fußballtrikot eines englischen Vereins und hat bereits zum Schweißgerät gegriffen. Aus kleinen Metallresten macht er zwei Ständer, Harken gleich. Gegenüber spielt Gonçalo Mabunda, der jüngste und schelmenhafteste der drei Künstler, mit einem verrosteten Pistolenabzug. Er dreht das Stück in alle Himmelsrichtungen und probiert seine Funktionstüchtigkeit. Ihr gemeinsames Projekt lautet, eine Friedenstaube zu schweißen - aus Gewehren, Pistolen und Granaten.
Davon hat Mosambik genug. Zwischen 1964 und 1975 war das Land Schauplatz eines blutigen Befreiungskampfes gegen die portugiesischen Kolonisatoren. Ein Jahr nach der Unabhängigkeit folgte schließlich ein 16-jähriger Bürgerkrieg. Zwischen 1976 und 1992 standen sich die sozialistische Regierungspartei Frente de Libertação de Moçambique (Frelimo) und die Rebellenbewegung Resistência Nacional Moçambicana (Renamo) gegenüber.
Fiel dos Santos verbrachte seine Kindheit in einem Dorf im Norden der Hauptstadt Maputo. Mehrmals wurde seine Familie von Renamo-Rebellen überfallen, wurde er Zeuge von Gewalt und Tod. Über genaue Ereignisse mag er nicht sprechen, seine Werke spiegeln jedoch sein Bedürfnis nach Frieden und Frohsinn. Fiel arbeitet selten an abstrakten Figuren, viel lieber modelliert er Tiere, Musiker oder Taugenichtse - aus Waffen, wie sie sich einst gegen ihn und seine Familie richteten, und aus Minen, die ihm einst das Fußballspielen auf dem benachbarten Rasenstreifen verwehrten. "So wurde ich halt Künstler," sagt Fiel, ich weiß genau worum es sich bei diesem Material handelt." Der Rasta-Mann war der einzige, der anfangs zögerte. Viel lieber waren ihm Ton, Keramik oder Stein. "Doch heute fühle ich eine gewisse Genugtuung, mich als Sieger, wenn ich aus Tod Leben machen kann," sagt er stolz.
Der Frieden in Mosambik hält jetzt schon fast 15 Jahre. Am 4. Oktober 1992 hatten sich Frelimo und Renamo auf ein Friedensabkommen geeinigt. Doch die Bevölkerung blieb mit ihren Wunden allein, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde in Mosambik nicht einberufen. Die Politik wollte die Vergangenheit erst einmal ruhen lassen und sich auf die Zukunft konzentrieren. "Meine ersten Werke waren von großer Skepsis gezeichnet," sagt Gonçalo Mabunda, "ich dachte immer, dass der Krieg schnell von Neuem beginnen könne - wie so oft in Afrika." Mit Friedensbeginn war Gonçalo 12, als er seine Arbeit als Waffenskulpturist begann 25 Jahre alt. "Dazwischen lagen harte Jahre. Ich war hin- und hergerissen, zwischen schrecklichen Erfahrungen und blühenden Phantasien für die Zukunft." Am Ende konnte sich die Hoffnung durchsetzen: Seine Skulpturen drücken mittlerweile Freude aus. Nun beeinflussen ihn seine Freunde, darunter viele Musiker, die er frei porträtiert.
Doch noch immer reagieren viele Mosambikaner beim Besuch der Galerie des Núcleo Arte erschrocken auf die Waffenskulpturen. Ihnen stechen vor allem die Einzelteile in die Augen und immer fragen sie die Künstler, ob aus den Granaten, Visieren und Schlagbolzen nicht wieder kriegstaugliche Waffen gemacht werden könnten. Doch Gonçalo winkt ab. "Die Stücke sind vollkommen kriegsuntauglich und werden es auch für immer bleiben," sagt er, "das hat uns die ablehnende Haltung eines führenden Generals gezeigt, der einmal hier war und uns als dekadente Verschwender beschimpfte. Danach waren wir sicher: Hiermit ist kein Krieg mehr zu machen."
Der Preis für den Frieden in Mosambik wurde mit einem weitgehenden Verzicht auf die Aufarbeitung der Vergangenheit bezahlt. Ganz im Gegensatz zum großen Nachbarn Südafrika wurde die blutige Vergangenheit hier bis heute nicht einmal systematisch erforscht. Nicolau Jemusse Luis vom Christlichen Rat Mosambiks (CCM) erklärt sich die Zurückhaltung staatlicher Institutionen mit der Besonderheit des Bürgerkrieges. "Wir waren nie wirklich gespalten, bei uns gab es keinen ethnischen Konflikt. Die Kollektivierung der Landwirtschaft durch die Frelimo erregte viel Unmut bei der ländlichen Bevölkerung und das sozialistische Experiment brachte die Wirtschaft zum Erliegen." Die Renamo fand in den nördlichen Provinzen viele Anhänger und erhielt bei Dorfältesten großen Zuspruch, die das Gehabe der elitären Staatspartei ablehnten. Ergebnis war ein mit äußerster Brutalität geführter Bürgerkrieg, der viele Landstriche gleich mehrmals verwüstete und das Land allmählich in ein Trümmerfeld verwandelte.
Humberto Pateguana schickte einen selbstgemachten Stuhl nach Rom. Das erste Möbelstück des Núcleo de Arte ging an den Papst, als Dankeschön für seine Vermittlungsarbeit. Überrascht soll der Heilige Vater reagiert haben, als ihm der Thron aus Visieren, Gewehrkolben und Panzerfäusten gebracht wurde - dekoriert mit Minenhülsen und Granaten. Doch schließlich ließ sich das katholische Kirchenoberhaupt überzeugen, dass es keinen besseren Zweck für die alten Waffen geben könne, als zersägt und unschädlich gemacht dem Allerwertesten zu dienen.
" Wir wollten mit Stühlen und Bänken aus Waffen zeigen, dass der Krieg endgültig vorüber ist," so der brummige Künstler. "Das alte Eisen soll endlich sinnvoll eingesetzt werden, den Menschen dort dienen, wo sie es brauchen," sagt er. Die Idee öffentlicher Bänke oder eines Brunnens aus altem Kriegsmaterial ist auch dem Christlichen Rat Mosambiks nicht mehr fern. Jeden Monat zieht Nicolau Jemusse Luis mit seinem Team aufs Land, um die Menschen von der Abgabe ihrer alten Waffen zu überzeugen. Sie tauschen Fahrräder, Baumaterial und Lebensmittel gegen Gewehre und Munition. Immer mehr Waffen werden so zu Einzelteilen für die Kunst, doch nun soll auch der Rückfluss angeregt werden. Das Metall soll in nützlicher oder kunstvoller Form zurück aufs Land und so die Skepsis der Dorfbewohner brechen und einen Neuanfang weisen. "Vielleicht können wir die Menschen überzeugen, dass das alte Material einen neuen Sinn hat und sie die Konfrontation mit der Vergangenheit nicht mehr scheuen müssen," sagt Nicolau, "ein Rückblick muss doch nicht die Rückkehr zum Krieg bedeuten!"
Nicolau und seine beiden Mitarbeiter treffen auf Alexandre Lourenço, der zwei Stunden von der Hauptstadt Maputo entfernt in einem kleinen Dorf lebt. Als Kind rekrutierte ihn die Renamo, zum Glück gerade als der Bürgerkrieg zu Ende ging. Heute verkauft Alexandre selbstgemachte Kohle am Straßenrand und ist ein ambitionierter Kirchgänger. Über seinen Pastor erfuhr er von der Sammlung und meldet sich mit einer großen Überraschung.
Innerhalb eines Vormittags führt er zu verschiedenen Gebüschen, in denen unter Gras und Unkraut Plastiksäcke liegen. Nachdem ein Minenräumer das Gebiet abgetastet hat, kommen Dutzende verrosteter Patronenmagazine, Maschinengewehre und Granaten ans Licht. Die meisten wären noch einsetzbar und sind hochgefährlich. Auch Antipersonen- und Panzerminen findet das Team, randvoll mit Sprengstoff, jedoch nicht aktiviert. Unter einem starken Baum wird der Fund dann in ein tiefes Loch gelegt und in die Luft gejagt, um alle explosiven Reste zu entfernen. Mit einem Knall beginnt der Weg in ein besseres Leben für die Waffen, die trotz des Baumes und des Erdlochs in alle Himmelsrichtungen geflogen sind. "Die Panzermine hat noch mal ihr Bestes gegeben," sagt Nicolau erschrocken aber zufrieden. Und auch Alexandre ist froh. "Ich habe davon gehört, dass die Waffen mit in die Hauptstadt genommen werden, und Skulpturen entstehen. Das ist auch für mich schön. Vielleicht kann ich die ja irgendwann auch mal sehen." Zurück in Maputo werden die Überreste dann zersägt und zu den Künstlern im Núcleo de Arte gebracht. Jedes Stück wird genau unter die Lupe genommen. Eine Schildkröte aus Magazinen, ein Brunnen aus Granathülsen mit einem alten Helm als Eimer und schließlich eine Friedenstaube aus Visieren. Die Künstler arbeiten im Team und bringen so die Ideen zum Sprudeln.
Während für die Künstler die Hinterlassenschaften des Krieges den Tag prägen, kreisen die Gespräche in der Hauptstadt mittlerweile um den wirtschaftlichen Aufschwung. Statt von einer Wahrheitskommission sprechen die Mosambikaner lieber über die Notwendigkeit einer Landreform. Statt über die Wunden des Krieges zu klagen, schimpfen, sie lieber über die aktuelle Politik. "Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, und wir haben gemeinsam Fehler gemacht," so Gonçalo Mabunda, "wie sollen beide Seiten die Zukunft aus gegenseitigen Vorwürfen bauen?" Zu gleich verteilt ist die Schuld auf beiden Seiten, zu mühsam der Blick zurück. Ob Mosambik so weitermachen kann ist fraglich. Die Künstler des Núcleo de Arte zeigen jedoch, dass man sich durchaus im einzelnen ansehen kann, was der Krieg hinterlassen hat, und gleichwohl mit größerem Abstand ein neues, organisches Ganzes entsteht.
Ihr Material entstammt dem Bürgerkrieg, ihre Inspiration dem Umbruch und ihr Motiv ist der Frieden. Die Künstler des Núcleo de Arte in Maputo verwandeln Landminen, Kalaschnikows, Pistolen und Mörsergranaten in faszinierende Skulpturen. An der Spitze des Projektes "Armas em arte" stehen drei junge Männer. Fiel dos Santos, Gonçalo Mabunda und Humberto Pateguana, die damit eine ganz eigene Form der Vergangenheitsbewältigung gefunden haben.
aus: der überblick 01/2007, Seite 74
AUTOR(EN):
Jérome Cholet
Jérome Cholet arbeitet für das ZDF-Studio in Johannesburg, Südafrika, und studiert Politik, Geschichte und
Lateinamerikanistik.