Vor gut einem Jahr hat Brot für die Welt die Grundsatzerklärung "Den Armen Gerechtigkeit 2000" herausgegeben. Wie sind die Auswirkungen in der praktischen Arbeit?
Interview mit Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von Brot für die Welt
Das Interview führte Ilse Preiss
Vor gut einem Jahr hat "Brot für die Welt" die Grundsatzerklärung "Den Armen Gerechtigkeit 2000" herausgegeben. Wie sind die Auswirkungen in der praktischen Arbeit?
Diese Erklärung ist unter anderem aus dem Dialog mit unseren Partnern hervorgegangen. Sie versucht den dabei geäußerten Wünschen gerecht zu werden. Der wichtigste: Viele Partner erkennen schon länger und stärker als wir den Stellenwert der Advocacy-Arbeit und betreiben sie zum Teil selber auf nationaler Ebene in Ergänzung ihrer Projektarbeit. Denn es reicht nicht, etwa der Wüstenbildung mit einem konkreten Projekt an einem konkreten Ort entgegenzuwirken, wenn die Desertifikation durch fehlgeleitete Politik auf nationaler oder internationaler Ebene gefördert wird. Deshalb bitten uns die Partner, dass wir ihre Anliegen in unserem Land zu Gehör bringen und sie mit Konsumenten, Politikern, wirtschaftlich Verantwortlichen diskutieren. Sie erwarten von uns, dass die Projektförderung durch politische Einflussnahme auf die Rahmenbedingungen einer nachhaltigen und sozial ausgewogenen Entwicklung ergänzt wird.
Was wir künftig verstärkt im Bereich Advocacy tun, folgt also nicht unseren eigenen politischen Vorstellungen oder einem selbstgesuchten Mandat, sondern dem ausdrücklichen Willen und Auftrag unserer Partner. Darin kommt ein Wandel im beidseitigen Partnerschaftsverständnis zum Ausdruck. Einem noch immer verbreiteten Missverständnis zum Trotz sind Partner im Süden ja nicht politisch passive Hilfsempfänger, die auf gute Ideen und Geld aus dem Norden warten. Vielmehr sind sie es, die definieren, welche politischen Weichenstellungen sie benötigen, um die Ziele, die sie in den von uns unterstützten Projekten verfolgen, langfristig auch politisch abzusichern und ihren eigenen Beitrag dazu mit ihrem eigenen politischen Potential zu leisten.
Zur Partnerschaft gehört, dass wir sie mit allen Maßnahmen in ihrem umfassenden Ansatz unterstützen. Sie haben das Recht, uns dabei auch zu sagen, was sie als unsere "Hausaufgaben" in unserem eigenen politischen Kontext ansehen. Dass wir das in der neuen Grundsatzerklärung so explizit formuliert haben und es auch konsequent umsetzen, hat das Selbstbewusststein der Partner erhöht und insgesamt sehr positive Auswirkungen auf unsere Beziehungen. Natürlich macht es die Arbeit aber auch ein bisschen komplizierter, weil es einen neben den Verabredungen über die Projektunterstützung auch einen politischen Abstimmungsbedarf gibt.
Die Umsetzung der Grundsatzerklärung intensiviert also den Partnerdialog weiter?
Ja, und nicht nur wegen des vermehrten Dialogs über Advocacy-Arbeit, sondern auch, weil die Erklärung ein stärkeres Engagement zur internationalen Vernetzung der Partner und für einen internationalen Fachaustausch vorsieht. Wir unterstützen es aktiv, dass sich Partner, die im selben Bereich arbeiten und ähnliche Anliegen haben, über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg kennen lernen und durch Erfahrungsaustausch voneinander lernen.
Das geht weit über einen Süd-Süd-Austausch unter Brot-Partnern hinaus. Es umfasst nicht nur den Dialog mit den Partnern von Hoffnung für Osteuropa (der Geschwisterorganisation von Brot für die Welt unter dem selben Dach der Ökumenischen Diakonie), sondern auch den Austausch mit Gruppen, die sich hier zu Lande mit ähnlichen Fragen beschäftigen (Agenda 21, Umweltfragen, Frauenfragen etc.). Mit der globalen Netzwerkarbeit entsteht eine ganz andere Form von Inlandsarbeit als wir sie bisher kennen.
Stichwort Inlandsarbeit. Wie steht es um die Eine-Welt-Projekte?
Die frühere EKD-Debatte drehte sich ja nicht um die Frage, ob es sinnvoll und notwendig ist, in der eigenen Gesellschaft zum Beispiel auf die Abschaffung der Kinderarbeit in der Teppichindustrie Indiens und Nepals hinzuwirken - wie indische Partner es wünschten: mit Kampagnen zur Veränderung des Käuferverhaltens und mit Lobbymaßnahmen gegenüber den Teppichexporteuren für ein Gütesiegel oder Gesprächen mit der Bundesregierung bezüglich der weltweiten Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention etc.
Es ging den EKD-Verantwortlichen vielmehr um die Frage, ob die Spenderschaft akzeptiert, dass wir bei Eine-Welt-Projekten auch Nordkomponenten aus Spendenmitteln finanzieren. Zwei der fünf Projekte sind mittlerweile abgeschlossen, nämlich die Teppichkinder- und die Blumen-Kampagne. Die Evaluierung zeigt: Die Akzeptanz ist sehr hoch. Die meisten Befragten sagen: "Das ist doch selbstverständlich". Die meisten Eine-Welt-Aktiven in den Gemeinden sagen sogar: "Ihr müsst viel mehr in dieser Richtung tun." Mit dieser Ermutigung und auf der Basis bereits gefällter Beschlüsse unserer Entscheidungsgremien möchten wir den Ansatz gerne in doppelter Weise fortführen.
Zum einen soll es - falls die EKD-Gremien dem zustimmen, die uns ja zunächst für eine Pilotphase nur fünf solcher Projekte genehmigt hatten - weiter eine begrenzte Anzahl von Eine-Welt-Projekten geben, also Projekte mit Kampagnen-Charakter, die ein großes Partner-Netzwerk im Süden wie im Norden voraussetzen. Das ist enorm zeit- und personalaufwändig, deshalb können wir uns nur eine begrenzte Anzahl solcher Projekte leisten. Wichtig: Sie müssen - wie bisher - auf Partnerbitte hin entstehen. Die Bekämpfung der Ausbreitung von Aids könnte so ein Fall sein, der - neben der Partnerunterstützung - massiver Lobbyarbeit gegenüber Pharmakonzernen, Staaten und der Staatengemeinschaft bedarf.
Zum anderen sollen künftig auch geringfügigere Advocacy-Komponenten, wenn sie von Partnern erwünscht sind, reguläre Bestandteile einer Projektförderung sein können und entsprechend mitbewilligt werden. Als Beispiel aus der Vergangenheit, wo so etwas sinnvoll gewesen wäre, könnte man etwa Lobbyarbeit gegenüber der Bundesregierung vor den deutsch-südafrikanischen Wirtschaftsverhandlungen nennen.
Darüber hinaus sehe ich immer mehr globale Vorhaben, die einen ganz anderen Charakter haben. Etwa das Thema "Gewalt gegen Frauen": Die Arbeitsgemeinschaft evangelischer Frauenhäuser im Diakonischen Werk mit den Frauenprojekten, die wir weltweit unterstützen, in Dialog zu bringen, um gemeinsam Strategien zu definieren, wie der Gewalt gegen Frauen begegnet werden kann, ist ein Beispiel. Ein anderes ist das internationale Straßenkinder-Projekt, wo das Diakonische Werk mit seinem Fachverband und der Ökumenischen Diakonie dabei ist, den Fachaustausch zwischen Partnern in Ost, Süd und Nord zu organisieren. Und aus dem nationalen Armutsforum, in dem das Diakonische Werk ein prominentes Mitglied ist, gibt es Anfragen, wie wir die weltweiten Erfahrungen in der Armutsbekämpfung zu einem globalen Konzept verknüpfen können. Diakonische Arbeitsbereiche im Gesundheitssektor interessieren sich für einen Austausch mit Südpartnern über den Aufbau von Basisgesundheitsdiensten. Auf Dauer wird Entwicklungspolitik nichts anderes sein können als globale Sozialpolitik. Deshalb ist es notwendig, die Lobby-Arbeit global zu organisieren.
Das spricht für die enge Verknüpfung von Innerer und Ökumenischer Diakonie...
... die ja zur Geschichte der Diakonie gehört und in Zeiten der Globalisierung noch ein größeres Gewicht und neues Profil bekommt: Die Initiative für die Aktion Brot für die Welt kam aus der Diakonie heraus. Dass wir Bestandteil der Diakonie sind, hat, denke ich, auch innerhalb des Diakonischen Werkes das Nachdenken über das, was Armut heißt, ein Stück weit relativiert und profiliert. Es hat die relativen Dimensionen des Elends im Bewusstsein gehalten. Und es hat immer deutlich gemacht, dass es sich nicht um nationale Phänomene handelt, sondern dass es sich im Grunde um Folgen globaler ökonomischer Prozesse handelt, die in anderen Ländern und Regionen in anderer Ausprägung Niederschlag finden. Heute muss dies nicht nur auf der analytischen, sondern auch auf der Handlungsebene nachvollzogen werden.
Können die Spenderinnen und Spender diese Argumentation nachvollziehen?
Den Menschen wird immer bewusster, dass sie ihre eigene soziale und ökonomische Lage nicht mehr denken können, ohne die weltwirtschaftliche Situation im Auge zu haben. Die Globalisierungspropaganda der Wirtschaft (Stichwort: "Standortvorteile") macht das viel deutlicher als wir es bisher durch die entwicklungspolitische Bildungsarbeit vermocht haben. Menschen bewusster zu machen, dass sie gemeinsam mit den von Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und Sozialabbau Betroffenen weltweit in einem Boot sitzen und sich nur gemeinsam dagegen wehren können, dass dieses Boot versenkt wird, ist ein anderer Ansatzpunkt, ihr Interesse für eine - dann anders zu definierende - Partnerschaft mit Armen im Süden und Osten zu mobilisieren.
Die sozialen Probleme, derer sich die Diakonie in ihren verschiedenen Handlungsfeldern annimmt, werden zunehmend ähnlicher. Wir müssen noch stärker vermitteln, dass es nicht damit getan ist, den Partnern im Süden "nur" finanzielle Förderung zukommen zu lassen, damit diese sich "entwickeln", sondern dass es um globale Strukturpolitik und internationale Sozialpolitik geht, wenn weltweit nachhaltige und sozial ausgewogene Entwicklung gesichert werden soll.
Dennoch: Die meisten von uns versuchen, vor allem durch Spenden zu helfen. Gibt es da nicht eine Konkurrenz zwischen Katastrophen- und Entwicklungshilfe?
Es ist richtig, dass die vielen Naturkatastrophen, mit denen wir konfrontiert sind, die Spendenbereitschaft der Bevölkerung in besonderer Weise herausfordern. Trotzdem kann ich für unser Haus bisher nicht bestätigen, dass das eine auf Kosten des anderen geht. Bei uns sind ja Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit unter dem selben Dach der Ökumenischen Diakonie und kooperieren sehr eng. Gerade das macht die Diakonie Katastrophenhilfe so effektiv. Und wir bemühen uns sehr stark zu vermitteln, dass zur wirkungsvollen humanitären Hilfe Katastrophen- Prävention, Rehabilitationsmaßnahmen und langfristige Entwicklungsarbeit gehören und man diese Elemente nicht gegeneinander ausspielen kann. Es geht darum, wie das Ausmaß, in dem die Bevölkerung unter Naturkatastrophen leidet, von vornherein und langfristig reduziert und durch ökonomische Gerechtigkeit Konflikt- und damit Fluchtursachen entgegen gewirkt werden kann.
Nicht unter einem Dach sind Brot für die Welt und EED...
Nein, aber die praktische Zusammenarbeit funktioniert gut. Es findet - etwa zwischen den Stäben - ein sehr viel höheres Maß an Abstimmung statt, als im öffentlichen Wirbel vermittelt wird. Damit von dem, was bisher war, nichts verloren gehen kann, sind jetzt Kooperationsvereinbarungen im Entstehen.
Darüber hinaus können wir uns eine sehr viel umfassendere Kooperation vorstellen in der Abstimmung der Inlands- wie der Auslandsaktivitäten und der Finanzströme durch verbindlichere gemeinsame Entscheidungen als sie in der alten Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AGKED) möglich waren. Mithin: ohne dass es dazu dramatischer struktureller Veränderungen bedarf und ohne die Synergieeffekte mit dem Spendenwerk Diakonisches Werk und seiner Verwaltung und vor allem die Chancen globaler, Nord-Süd-vernetzter Policy und Arbeit, die die Diakonie bietet, zu verlieren. Das wird Gegenstand der Verhandlungen darüber sein, wie es mittelfristig weitergeht.
Wir können uns nach wie vor vorstellen, dass auf dem Wege einer verbindlicheren und schrittweise immer weiter gehenden Kooperation alle Ziele der Neuordnung der AGKED erreichbar sind, ohne dass das öffentliche Ansehen und die Position von Brot für die Welt - als einer der besteingeführten Marken überhaupt in der Hitliste der Spendenorganisationen in Deutschland - durch öffentlich ausgetragene Machtkonflikte in unserer Kirche gefährdet wird.
aus: der überblick 01/2001, Seite 136