"Hoffnung für Indiens Arme"
Erneuerbare Energien können den Lebensstandard der Armen unmittelbar heben. Das zeigen die Biogas-Programme von Gram Vikas, einer vom EED und "Brot für die Welt" unterstützten Entwicklungsorganisation in Indiens Bundesstaat Orissa. Joe Madiath, der Direktor von Gram Vikas, erklärt die Gründe und Grenzen dieses Erfolges.
von Bernd Ludermann
Wie sind Sie zur Entwicklungsarbeit gekommen?
Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre brodelte es an den Universitäten in Indien, ähnlich wie hier im Westen. Ich stamme aus Tamil Nadu und war damals Präsident der Studentenvereinigung der Universität Madras. Wir gründeten eine "Studentenbewegung für Entwicklung". Daraus ist Gram Vikas hervorgegangen. Wir wollten in die ärmsten Gegenden gehen und so der Gesellschaft etwas von dem zurückgeben, was wir ihr schuldeten. 1971 führte ein Wirbelsturm zu Überschwemmungen in Orissa, und 40 von uns gingen als Nothelfer dorthin. Meine Kollegen kehrten danach zurück, doch ich beschloss, dort zu bleiben.
Was hat Gram Vikas veranlasst, Erneuerbare Energien zu verbreiten?
Wir stellten fest, dass in dem Gebiet, in dem wir arbeiteten, der Wald immer mehr verschwand. Die Hauptschuldigen waren Holzunternehmen sowie die Regierung, die ihnen Kontrakte für den Holzeinschlag gab. Aber auch die Bevölkerung trug dazu bei: Sie schnitt auf der Suche nach Feuerholz zum Kochen junge Baumschösslinge ab. Deshalb begannen wir 1980, Biogas zu propagieren. Es brennt sauberer als Holz, macht weniger Arbeit als das Holzsammeln und liefert Dünger. Wir hatten damit selbst Erfahrung. Denn wir lebten am Rande eines Dorfes von indigenen Völkern und hatten keinen Strom oder Gas. Deshalb hatten wir zum Kochen und um Licht zu haben, eine Biogas-Anlage für uns gebaut. 1983-84 legte die Regierung dann ein nationales Programm für Biogas auf, und Gram Vikas war in Orissa die einzige Organisation, die daran mitarbeitete. Bis 1994 hatten wir rund 60.000 Biogas-Anlagen angelegt, die jeweils einen Haushalt mit Gas zum Kochen und für Licht versorgen.
Wie werden die Biogas-Anlagen hergestellt?
Sie werden direkt am Ort hergestellt, vor allem aus Steinen und Mörtel. Das ist die kostengünstigste Methode. Familien, die eine solche Anlage haben wollen, beschaffen das Material Ziegel können sie selbst machen, nur Zement muss gekauft werden. Das ist wichtig für diese sehr armen Familien. Maurer von Gram Vikas leiten dann die Herstellung. Gram Vikas gibt eine Garantie, dass die Anlagen dauerhaft funktionieren. Die Technik ist einfach, jeder geschulte Maurer kann die Anlagen bauen.
Wodurch hat sich der Gebrauch verbreitet durch Nachahmung?
Wenn eine Familie eine solche Anlage bauen lässt, beobachten die anderen im Dorf das. Oft kommen sie dann zu Gram Vikas und bitten, dass wir für sie auch eine bauen. Dafür müssen sie bezahlen, auch wenn es einen Zuschuss von der Regierung gibt.
Warum setzen Sie gerade auf Biogas, um das Energieproblem auf dem Land anzugehen?
In die meisten Gebiete, in denen wir arbeiten, reicht das Stromnetz nicht. Biogas ist da sehr geeignet, weil es sauberen Brennstoff liefert und zugleich Dünger.
Viehexkremente werden in den Anlagen zersetzt, dabei entsteht Gas, und übrig bleibt ein hochwertiger Dünger. Aber es ist nur geeignet für Familien mit genügend Vieh.
Wie viel ist mindestens nötig?
Man braucht etwa fünf Rinder in Stallhaltung oder etwa zehn freilaufende. Bei weniger Tieren lohnt eine Biogas-Anlage nicht. Indirekt nutzen die Anlagen aber auch den ganz Armen. Denn die Familien, die am meisten Vieh haben, nutzen auch das meiste Feuerholz. Wenn ihr Holzbedarf mit Hilfe von Biogas stark gesenkt wird, bleibt für die Armen mehr Feuerholz übrig. Sonst sind sie auf das schlechte Holz und den Abfall angewiesen.
Biogas liefert nur Wärme und etwas Licht, keinen elektrischen Strom. Fördern Sie auch andere Formen von erneuerbaren Energien?
Ja. Strom ist auch für die Armen wichtig, zum Beispiel für Radios. Wir experimentieren deshalb mit dezentralen Wegen der Stromerzeugung. Eine Möglichkeit sind sehr kleine Wasserkraftwerke von zwischen 5 und 35 Kilowatt Leistung. Eine andere ist Bio-Diesel: Aus Nüssen, die wild im Wald wachsen und die man nicht essen kann, extrahieren wir Öl und treiben damit Generatoren an oder auch Wasserpumpen. Und wir experimentieren mit der Vergasung von Holz: Wir haben zehntausend Hektar brachliegendes Land mit Bäumen bepflanzt, um nachhaltig Holz zu ernten, das wir vergasen. Dafür haben wir bisher eine Anlage. Mit diesem Gas kann man Motoren antreiben, die 10 oder 20 Kilowatt Elektrizität erzeugen. Photovoltaik benutzen wir bisher nicht. Das ist zwar die fortschrittlichste Technik, aber auch die teuerste, und der Strom muss zusätzlich in kostspieligen Batterien für die Nacht gespeichert werden.
Solche Anlagen versorgen aber, anders als Biogas-Anlagen, mehr als nur je eine Familie, oder?
Ja, diese Projekte sind Gemeinde-basiert. Wir arbeiten vor allem in kleinen Siedlungen von Indigenen, die zu den am meisten vernachlässigten gehören. Sie werden noch Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, nicht an das Stromnetz angeschlossen werden, das wir heute kennen. Aber sie brauchen irgendeine Form moderner Energie, das bringt eine Art Quantensprung in ihrem Lebensstandard. Das beste ist Elektrizität. Mit sehr kleinen Wasserkraftwerken kann man sofort 220 Volt erzeugen und den Strom ohne Transformator über Mikro-Stromnetze im Dorf verteilen.
Sind diese Projekte teurer als Biogas-Anlagen?
Ja, aber die Gemeinde trägt die Kosten.
Das heißt sie muss die Investition aufbringen?
So ist das leider zur Zeit. Und das ist nicht fair. Die Investitionen in das nationale Stromnetz hat ja die ganze Gesellschaft aufgebracht. Davon profitieren die Ärmsten nicht. Wenn sie Gram Vikas um Zugang zu Elektrizität bitten, dann erklären sie sich in der Regel bereit, die nötige Arbeitskraft zu stellen und den Stromverbrauch zu bezahlen. Aber das gesamte Kapital für die Investitionen können sie nicht aufbringen.
Wie lösen Sie dieses Problem?
Wir erhalten Zuschüsse von der Regierung. Der Rest kommt von den Begünstigten. Die Hilfe des EED fließt vorwiegend in Aus- und Fortbildung und einen Teil der Löhne für unsere Mitarbeitenden.
Haben Sie den Eindruck, dass die internationale Konferenz über Erneuerbare Energie die Bemühungen um moderne Energie für die Armen voranbringen wird?
Erneuerbare Energien sind möglicherweise die letzte Hoffnung, den Armen Zugang zu umweltverträglicher Energie zu verschaffen. Aber auf dieser Konferenz wurde sie überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Ökologie betrachtet. Wenn im Namen des Umweltschutzes riesige Windparks entstehen, die das nationale Stromnetz beliefern, was haben dann die Armen davon, die nicht ans Netz angeschlossen sind? Damit sie Elektrizität bekommen, braucht man dezentrale und sehr einfache Systeme.
Energieprobleme der Armen müssen mit anderen Techniken gelöst werden als globale Umweltprobleme?
Ja. Es ist wichtig, Windparks anzulegen und Wüsten mit Solaranlagen zu pflastern, um sauberen Strom ins indische Stromnetz einzuspeisen. Aber ein Drittel der Menschen hat noch immer keinen Strom. Es wäre eine Schande, wenn wir sie weiter vernachlässigen würden, obwohl die Technik für eine dezentrale Stromversorgung zur Verfügung steht.
aus: der überblick 03/2004, Seite 126
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".