Die Kampagne "Mahlzeit" - ein kleiner Beitrag zur Agrarwende
Wer dem Süden helfen will, muss den Norden verändern - auch dessen Landwirtschaft und Nahrungsindustrie. Ein Ansatzpunkt ist die Marktmacht der Verbraucher; sie können mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss ausüben und das bewusst einsetzen. Das Projekt "Mahlzeit" von "Brot für die Welt" ist ein Beispiel für diese Politik mit dem Einkaufskorb.
von Alyson L. Greiner
Seit Jahrzehnten unterstützt "Brot für die Welt" Projekte in Afrika, Asien und Lateinamerika. Doch die Partner im Süden bitten in den letzten Jahren verstärkt darum, dass das evangelische Hilfswerk ihre Interessen auch hier in Deutschland vertritt und sich als Anwalt für Veränderungen hier einsetzt. Ein bekanntes Beispiel ist die Teppichkampagne: Um indische Kindern aus der Schuldknechtschaft in der Teppichindustrie zu befreien, war es neben der Arbeit vor Ort auch notwendig, in Deutschland ein Teppichsiegel einzuführen und so Teppiche, die ohne Kinderarbeit hergestellt sind, im Handel zu kennzeichnen.
Die Kampagne "Mahlzeit" verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Das Engagement in Übersee wird ergänzt durch Aktionen, die sich an Multiplikatoren und die Öffentlichkeit in Deutschland richten. Erreicht werden soll, dass Menschen mehr zu biologisch erzeugter Nahrung, Lebensmitteln aus der eigenen Region und solchen aus dem Fairen Handel greifen und damit die Agrarwende gefördert wird. Genauso wie die Kampagne "Fair kauft sich besser" in Schleswig-Holstein und die "Faire Woche", die für den fairen Handel wirbt, schreibt die Kampagne "Mahlzeit" jedoch nicht Verzicht und ideologische Schlagworte auf ihre Fahnen. Im Gegenteil: Genuss und Lebensqualität sind wichtige Motive dafür, dass Menschen ihre Konsumgewohnheiten ändern.
Das Projekt "Mahlzeit" richtet sich bisher vor allem an zwei Zielgruppen. Zum einen soll die breite Öffentlichkeit angesprochen werden. Denn jeder Einzelne kann durch seine Einkaufsgewohnheiten dazu beitragen, dass die landwirtschaftliche Produktion, die Verarbeitung von und der Handel mit Lebensmitteln den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt besser gerecht werden. Zum anderen wendet sich das Projekt gezielt an Multiplikatoren aus Großküchen, Kantinen und Gastronomie. Denn der Außer-Haus-Verzehr hat in Deutschland inzwischen eine sehr große Marktbedeutung erlangt: Im Jahr 2001 haben die Bundesbürger 74,6 Milliarden Euro für Essen und Trinken außer Haus ausgegeben, Verpflegung in sozialen Einrichtungen nicht mitgerechnet.
Ein kleines Rechenbeispiel zeigt, welches Potenzial an Nachfrage in diesem Bereich steckt: Wenn nur drei Prozent der Produkte in der Außer-Haus-Verpflegung aus biologischem Anbau stammten, würde das die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln etwa verdoppeln. Das verdeutlicht, dass auch viele kleine Schritte der Veränderung, wenn sie von vielen getan werden, durchaus eine Wirkung haben. Es geht es also nicht darum, dass Großküchen ihren Einkauf von heute auf morgen zu 100 Prozent umstellen. Das zu fordern, wäre eine große Hürde und letztlich ein Hemmnis für Veränderungen. In der Praxis bewährt hat sich dagegen eine Strategie der kleinen Schritte. Denn zunächst einmal stehen dem konsequenten Einsatz von ökofairen Produkten viele Hindernisse entgegen: Die Beschaffung der Waren muss neu organisiert werden, die Speisepläne ändern sich, je nach Ausstattung der Großküche sind neue Geräte notwendig, die Mehrkosten für den Einkauf müssen ausgeglichen oder finanziert werden und vieles mehr.
Eine Kampagne muss dieser nicht einfachen Ausgangslage Rechnung tragen: Sie muss erstens langfristig sein, das heißt mindestens mehrere Jahre dauern. Sie muss zweitens auf verschiedenen Ebenen ansetzen. So richtet sich das Projekt Mahlzeit mit jeweils spezifischen Maßnahmen an verschiedene Zielgruppen: an Multiplikatoren in der Bildungsarbeit, an Küchenleiter und -leiterinnen, an die breite Öffentlichkeit, an Kinder und Jugendliche. In der Kampagne sind drittens positive Beispiel aus der Praxis wichtig. Wenn beispielsweise die hauswirtschaftliche Leiterin der Evangelischen Akademie Bad Boll auf einer Fachtagung erläutert, wie sie seit vielen Jahren erfolgreich regionale und biologische Produkte einsetzt, kann sie die praktische Umsetzbarkeit glaubwürdiger vermitteln als jede schriftliche Information.
Mit dem neuen Schwerpunkt "Aufgeschmeckt" im Rahmen des Projekts "Mahlzeit" will "Brot für die Welt" speziell Kindern und Jugendlichen regionale, ökologische und fair gehandelte Produkte schmackhaft machen. Denn sie sind nicht nur die Verbraucher von morgen, sondern haben bereits heute mit ihrem Konsum wachsende Anteile am Markt und beeinflussen das Kaufverhalten der Eltern. Die Lebensmittelindustrie hat das längst erkannt und richtet sich mit aufwändigen Werbekampagnen an diese wichtige Zielgruppe. Die Aufgabe ist also nicht einfach: Wie lassen sich Kinder und Jugendliche für mehr Qualität beim Essen begeistern? Wie können ihnen zur Abwechslung Pastinaken statt Pommes schmackhaft gemacht werden?
Zentrales Medium dafür ist die Homepage www.aufgeschmeckt.de, die ab September im Netz steht. Neben Rezepten, einem Quiz und Spielen finden jugendliche (und erwachsene) Surfer dort interessante Informationen in leicht verdaulichen Portionen. Am Beispiel der Banane wird gezeigt, welche Auswirkungen unsere liebste Tropenfrucht auf das Leben der Menschen in den so genannten Bananenrepubliken hat. Auch die 16-seitige Broschüre "Tellertanz" richtet sich mit leicht verständlichen Texten, Kreuzworträtseln, Bastelvorlagen und einem Spiel an 6- bis 14-Jährige.
"Brot für die Welt" erhofft sich von der Kinder- und Jugendaktion eine ähnlich große Resonanz in der Öffentlichkeit wie von der bisherigen Kampagne. Über 1200 Personen, darunter viele Küchenleiter und Multiplikatoren aus der Bildungsarbeit, haben zum Projekt Mahlzeit bisher Informationsmaterial angefordert.
Weitere Informationen: Projektstelle Mahlzeit c/o FAKT, Franziska Krisch, Telefon: 0711-2109525, e-Mail: info@projekt-mahlzeit.de, und im Internet unter www.projekt-mahlzeit.de und www.aufgeschmeckt.de.
aus: der überblick 03/2002, Seite 127
AUTOR(EN):
Alyson L. Greiner:
Alyson L. Greiner ist Herausgeberin des "Journal of Cultural Geography" und lehrt an der "Oklahoma State University".