ENTWICKLUNGSDEBATTE IN DEN KIRCHEN
Dass wir uns auf dem Wege zu einer globalen Zivilgesellschaft befinden, erscheint mir angesichts von zahlreichen, weltweiten Netzwerken von Nichtregierungsorganisationen (NRO's), kirchlichen sowie kirchennahen Organisationen unstrittig. Es handelt sich um Netzwerke, die sich in den Aktionsfeldern der Entwicklungs-, Gender- und Umweltpolitik betätigen oder wie im Falle der Verteidigung der Menschenrechte einen unverzichtbaren Beitrag leisten. Zu Euphorie besteht allerdings kein Anlaß!
von Joachim Lindau, Brot für die Welt
Die Akteure der Zivilgesellschaft haben noch nicht allzu lange damit begonnen, sich global zu organisieren. Die Maschen der Netzwerke sind u.a. deswegen noch sehr unterschiedlich dicht geknüpft und die Knoten unterschiedlich belastbar.
Kirchen und ihre Hilfswerke sind als weltweit vernetzte Akteure der Zivilgesellschaft in der Lage, konkret und glaubhaft die Schattenseiten der Globalisierung aufzuzeigen. Es ist nun einmal so, daß wirtschaftliche "Anpassungsprozesse" oft zugleich Verarmungs-, Verelendungs- und Ausgrenzungsprozesse sind. Kirchen haben die diakonische Aufgabe, denjenigen zu ihrem Recht zu verhelfen, die durch Globalisierungsprozesse benachteiligt werden die Verliererinnen und Verlierer sind.
Die Aktion "Brot für die Welt" hat den Gedanken der Entwicklungsdenkschrift in ihrem Papier "Den Armen Gerechtigkeit" aufgegriffen, das in diesen Tagen in Fortschreibung seiner früheren Fassung (von 1989) veröffentlicht wurde:
"Auch wenn sich im Laufe der Jahre die Arbeitsschwerpunkte und die Ansätze der Arbeit von Brot für die Welt verschoben haben, das eigentliche Anliegen ist das gleiche geblieben: durch Hilfe zur Selbsthilfe Menschen, die im Elend leben, darin zu unterstützen, ihre eigene Situation zu verändern und einen Beitrag dazu zu leisten, gerechte, partizipative, friedliche und zukunftsfähige Gesellschaften zu schaffen... ungerechte, die Menschenwürde und Zukunftsfähigkeit beeinträchtigende Zustände zu erkennen, zu benennen und zu erklären, um dann gemeinsam mit anderen an deren Veränderungen mitzuwirken."
Die Zivilgesellschaft reagiert auf den Globalisierungsdruck nicht nur mit vielfältiger Vernetzung, sondern auch mit Differenzierung, Diversifizierung, Spezialisierung und Professionalisierung der Organisationen, die sie konstituieren. Kirchliche und säkulare Nichtregierungsorganisationen sind über ihre Netzwerke immer besser in der Lage, wirtschaftliche und soziale Globalisierungsfolgen - einschließlich der Menschenrechtsverletzungen wahrzunehmen. Mißstände aufzudecken, aber auch Expertise zu deren Beseitigung anbieten zu müssen, bringt geradezu einen Sachzwang mit sich, Spezialisierung und Professionalisierung sowie die Effektivität der politischen, "zivilgesellschaftlichen Instrumente" voranzutreiben, bei uns und bei den Partnerorganisationen weltweit.
Wenn "Globalisierung des Unrechts" evident wird, dann sind eher kleinere und spezialisierte Organisationen in der Lage, angemessen zu reagieren. Die Herausforderung besteht darin, flexible Vernetzung zu erreichen, damit akut wie mittel- und langfristig negativen Globalisierungsfolgen entgegengewirkt werden kann. Größtmögliche konzeptionelle wie praktische Beweglichkeit sind gefordert. Die wachsenden Vorbehalte gegen "die großen Organisationen mit ihren horrenden Verwaltungskosten" verstärken zusätzlich die Tendenz zur Differenzierung und Diversifizierung der Organisationslandschaft und provozieren verstärkte Konkurrenz um knappe Mittel.
Da der Prozeß der Differenzierung und Diversifizierung irreversibel und noch lange nicht am Ende zu sein scheint und überdies einer pluralistischen Zivilgesellschaft durchaus gut zu Gesicht steht, kann es meines Erachtens zwischen den diversen zivilgesellschaftlichen Akteuren vorrangig nur gehen:
Bei kirchlichen Akteuren kommt als gemeinsamer Nenner das Bekenntnis zum christlichen Glauben - Auftrag und motivierende Kraft - sowie die ökumenische Verpflichtung zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hinzu. Die Verständigung über die anderen Aspekte solche, die eher praktischer Natur sind bzw. auf Zweckmäßigkeitserwägungen ausgerichtet - sollte dadurch allemal erleichtert werden.
Auszüge aus einem Statement im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum zum Thema: Neuer Realismus als Utopie? - Der Entwicklungsdienst der Kirchen in der globalen Transformation - vom 6.-8.12. 1999
aus: der überblick 01/2000, Seite 124