Eine Frage der Generation
Nach dem spektakulären Triumph der Demokratie bei den historischen Wahlen vom 27. Dezember 2002 blieb Kenia die von vielen vorausgesagte Gewaltexplosion erspart. Doch Bewegungen und Selbstschutzgruppen von zuvor marginalisierten und machtlosen Jugendlichen machten sich den größeren Spielraum des Mehrparteiensystems zunutze, um Gewaltakte zu verüben. Sie trüben damit die Aussichten auf eine sichere demokratische Entwicklung. Eine dieser Jugendbewegungen ist die Mungiki-Sekte, die Gewaltorgien vor und unmittelbar nach den Wahlen feierte.
von Peter Mwangi Kagwanja
Die Mungiki-Bewegung ist Ende der achtziger Jahre unter den Kikuyu als kulturelle und religiöse Erweckungsbewegung mit starkem politischem Programm entstanden, vergleichbar mit der Mau-Mau-Bewegung, die in den fünfziger Jahren einen bewaffneten Kampf gegen die britischen Kolonialherren führte. Mungiki verkörperte ursprünglich Afrikas neue soziale Bewegungen von Jugendlichen, die gegen die Machtlosigkeit und Marginalität der Jugendlichen aufbegehrten und gegen die erdrückenden Auswirkungen der neoliberalen Ideologie rebellierten. Von ihren bescheidenen Anfängen im ländlichen Kenia entwickelte sich Mungiki zu einer sozialen Bewegung von Jugendlichen, die in den neunziger Jahren die Opfer von staatlich geförderten ethnischen Säuberungen im ländlichen Rift Valley verteidigte, ihnen half und sie neu ansiedelte. Eine Zeit lang bemühte sie sich auch um die Wiederherstellung der moralischen Ordnung im ländlichen Kenia, wo sie einen unerbittlichen Krieg gegen Prostitution, Rauschgiftsucht, Kriminalität und HIV/Aids führte.
Vor den Wahlen 2002 wurde die Bewegung jedoch von der herrschenden Elite vereinnahmt und in eine todbringende kriminelle Bande verwandelt, die dem Wahlprozess in Kenia erheblichen Schaden zufügte. Ihr wurden Verstöße gegen Menschenrechte vorgeworfen: Ihre Mitglieder rissen Frauen die Kleider vom Leib, drohten mit der Zwangsbeschneidung von Mädchen und Frauen und lieferten sich grausige Bandenkämpfe, bei denen viele ums Leben kamen. Nach den Wahlen töteten Anhänger der Bewegung kaltblütig fast fünfzig Menschen und lösten dadurch eine gewalttätige Konfrontation mit der neuen Regierung aus.
Mündlichen Quellen zufolge wurde Mungiki 1987 von sieben Jugendlichen in der Molo High School gegründet, im Herzen eines der Schauplätze der blutigen, vom Staat geförderten Konflikte zwischen Ethnien. Die kenianische Religionswissenschaftlerin Grace Wamue führte den Begriff Mungiki auf das archaische Kikuyu-Wort irindi (Menge) zurück, was ihren Charakter als soziale Bewegung herausstelle. Der Name bedeutet auch: "Wir sind das Volk", eine protzige Erklärung einer sozialen Schicht, die ein tiefes Empfinden der Machtlosigkeit und Marginalisierung in einer sich rasch globalisierenden Welt hat, in der die Kluft zwischen den Habenden und den Habenichtsen beunruhigende Ausmaße angenommen hat.
Mungiki hat nach eigener Auffassung aber auch nach Ansicht vieler Kenianer das Erbe der Mau-Mau-Bewegung übernommen, die in den fünfziger Jahren einen blutigen Befreiungskampf gegen die britischen Kolonialherren führte. Mungiki-Gründer konsultierten ehemalige Mau-Mau-Anführer im Rift Valley und in der Zentralprovinz. Einer ihrer Gründer, Ndura Waruinge, ist ein Enkel des verehrten Mau-Mau-Kriegers General Waruinge. "Wir [Mungiki] haben Mau-Mau-Blut in uns", sagt Waruinge, "und unsere Ziele sind ähnlich. Die Mau Mau haben für Land, Freiheit und Religion gekämpft ... und wir tun das gleiche." Einige ihrer Anhänger tragen Rasta-Zöpfe wie die Anhänger der Mau Mau und sind durch Riten und Eide miteinander verbunden.
Mungiki verherrlicht die heroische Vergangenheit von Mau Mau, glaubt jedoch, dass die Mission der Freiheitskämpfer noch unvollendet ist. Mungiki macht sich den Wind der Rebellion zunutze, der zur Zeit in der Dritten Welt gegen das Vordringen modernen liberalen Gedankenguts und seine kulturellen und wirtschaftlichen Institutionen weht. Sie hat nicht nur die Politik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank scharf verurteilt, die das Wohlfahrtssystem und die Sozialdienste beseitigt, Massenarmut und Arbeitslosigkeit verursacht und die Bürgerrechte ausgehöhlt habe. Mungiki hat auch einen gewaltsamen Krieg gegen die Freimaurer und einen erbitterten Kampf gegen das Christentum geführt. Für Kenias Probleme macht die Mungiki-Bewegung den europäischen Kolonialismus verantwortlich und fordert aggressiv die Wiederherstellung der traditionellen Kikuyu-Praktiken, um "das Joch der kolonialen geistigen Versklavung" zu brechen.
Mungiki ist auch das Erbe einer langen Tradition der religiösen und politischen Erweckungsbewegungen, die bis auf die frühen Stadien des antikolonialen Widerstands zurückgehen. Zu diesen gehören Wiedererweckungsbewegungen wie Dini Ya Msambwa (Religion der Vorväter, Geister der Verstorbenen), Legio Maria, Akorino (Wer ist der Erlöser?, auch African Holy Ghost Church - Afrikanische Kirche des Heiligen Geistes - genannt) und in jüngerer Zeit Hema ya Ngai wi Mwoyo (Das Zelt des lebendigen Gottes), die ihre Anhänger hinter traditionellen Werten vereinigten, um die orthodoxen Lehren der großen Kirchen und die Ungerechtigkeiten der kolonialen und postkolonialen Staaten zu bekämpfen. Mungiki soll selbst eine Splittergruppe von Hema ya Ngai wi Mwoyo sein, einer vor allem von Angehörigen der Kikuyu gebildeten religiös-politischen Bewegung, die 1987 von Ngonya wa Gakonya gegründet wurde. Mungiki greift jedoch ideologisch eher auf die Politik des Widerstands linker sozialer Bewegungen wie der Mwakenya gegen die Tyrannei der Regierung Moi zurück.
Wie die Mau Mau, deren Mitglieder überwiegend aus Menschen bestanden, die zu Kolonialzeiten durch das brutale Vorgehen gegen Bauern im Rift Valley entwurzelt wurden, sind die meisten ländlichen Mungiki-Anhänger Kikuyu und Opfer der staatlich geförderten Gewaltakte in den Regionen Molo, Londiani, Olenguruone, Elburgon, Subukia, Rongai, Narok, Eldoret, Njoro, Nyahururu und Laikipia im Rift Valley. Die Kenianische Menschenrechtskommission schätzt, dass zwischen 1991 und 2001 durch staatlich geförderte oder geduldete Gewaltakte 4000 Menschen getötet und 600.000 weitere entwurzelt wurden. Auch in den unteren Schichten hat Mungiki eine große Anhängerschaft gefunden, vor allem bei ehemaligen Straßenkindern, arbeitslosen Jugendlichen, Hökern und Handwerkern im Jua Kali (dem informellen Sektor) und dem beunruhigend wachsenden Heer von städtischen Armen in den Slums von Nairobi - Githurai, Dandora, Korogocho, Kariobangi, Kawangware, Kibera, Mathare und Kangemi.
Wamues Forschungsarbeiten haben ergeben, dass Mungiki auch kleine Gruppen von anderen Ethnien als den Kikuyu für sich gewonnen hat, vor allem unter den Massai, Luo und Pokot. Es wird geschätzt, dass Mungiki 1,5 bis 2 Millionen Beitrag zahlende Mitglieder hat - vor allem Jugendliche im Alter zwischen 18 und 35 Jahren B, von denen mindestens 400.000 Frauen sind. Mungiki finanziert ihre Tätigkeiten vor allem aus Mitgliedsbeiträgen, doch auch Spenden von Politikern und Geschäftsleuten sind nicht auszuschließen.
Mungiki hatte ihre Mitglieder auf das Ziel eingeschworen, gegen die Regierung von Daniel Moi moralischen Widerstand zu leisten. Sie beschuldigten die Regierung, Gewaltakte zwischen Ethnien angefacht, geschürt und gebilligt zu haben, bei denen Hunderttausende von Kikuyu-Bauern im Rift Valley vertrieben wurden. Sie bekämpfte die Eindringlinge und schlug sie manchmal zurück, schützte die Unschuldigen und hielt ein Gefühl der Ordnung in den betroffenen Gebieten aufrecht, insbesondere in Teilen von Laikipia, wo es bis ins neue Jahrtausend nur kleinere Angriffe gegeben hat. Mungiki hat nicht nur die traditionellen Werte der Großzügigkeit und der Hilfsbereitschaft wiederbelebt sowie die Rückkehr, Wiederansiedlung und soziale Unterstützung ihrer entwurzelten Mitglieder erleichtert, sondern auch die Entwurzelten mobilisiert, um in mehreren Gebieten des Rift Valleys Bauernhöfe zu kaufen und einzurichten. Auf diesen Musterfarmen, die verzweifelten Bauern ein neues Leben ermöglichen, "herrscht der traditionelle (afrikanische) Geist der Eintracht, harter Arbeit und Einheit".
Die Bewegung hat ihren Kreuzzug für eine neue moralische Ordnung und Gerechtigkeit bis in die städtischen Gebiete Kenias getragen. Dort führte sie eine bemerkenswert erfolgreiche Kampagne gegen Trunksucht, Drogenabhängigkeit, zerrüttete Familien, Prostitution, Geschlechtskrankheiten und HIV/Aids, ging energisch gegen jugendliche Schläger vor und merzte kriminelle Handlungen wie Diebstahl, Vergewaltigung, Rauschgifthandel und Mord in einigen Vororten Nairobis aus, in denen sie wie in Kasarani praktisch die Kontrolle ausübt. Sie hat sich mit Bewegungen wie Muungano wa Wanavijiji (Bewegung der Dorfbewohner) zusammengetan, die Proteste gegen korrupte Landraffer und unterdrückerische Vermieter veranstaltete, die willkürlich Mieten erhöhen. Ferner hat sie eine vom Volk getragene Verfassungsreform unterstützt. In ihren frühen Jahren verkörperte Mungiki den Geist der entstehenden Bewegung für die Rechte der Armen angesichts der Korruption im Inneren und der Politik forcierter Globalisierung.
Bei ihrem moralischen Kreuzzug hat Mungiki manchmal äußerst radikale Maßnahmen ergriffen. So hat sie versucht, die Routen der Matatu (privaten Taxis) in Nairobi zu übernehmen. Die Anführer verteidigten dies als Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung: Dadurch würden die Wucherpreise fordernden Kartelle vertrieben und die Taxigelder zum Wohle der Armen stabilisiert werden. Das war in einigen Fällen wie in Githurai und Kamiti sehr erfolgreich, doch ähnliche Versuche im Ostteil Nairobis endeten in Blutbädern, als sich Mungiki-Jugendliche mit fest etablierten Kartellen wie den Kamjesh-Jugendlichen Kämpfe lieferten.
In einem Land, das zwischen einer Suche nach kultureller Authentizität und dem Streben nach nationaler Einheit hin- und hergerissen ist, ist die ethnische Zusammensetzung der Mungiki sowohl ein Segen als auch ein Fluch. Die Bewegung war untrennbar mit dem Wiederaufleben der Kikuyu-Identität, der traditionellen Kultur, der Religion und einem Gefühl der Zugehörigkeit angesichts der stark Kikuyu-feindlichen Politik von Präsident Moi verbunden.
Der britische Historiker David Anderson hat sich intensiv mit der Prophezeiung von Mugo wa Kibiru, dem Kikuyu-Propheten und Hellseher des späten 19. Jahrhunderts als Inspiration von Mungikis stark ethnozentrischer Ideologie befasst. Mugos Prophezeiung ist bei sorgfältiger Lektüre in Werken von Kikuyu-Intellektuellen wie Jomo Kenyattas Facing Mount Kenya und Ngugi wa Thiongos literarischen Werken zu erkennen, vor allem The River Between und Weep Not Child.
Im Kontext der Wahlen von 2002 wurde dies eng ausgelegt als Teil der politischen Vision Mungikis von der Wiedereinrichtung eines Kirinyaga-Reiches und der Wiederherstellung der Kikuyu-Macht. Der politischen Vision Mungikis liegt aber wohl eher ein Generationskonflikt zugrunde; die Mungiki-Bewegung betreibt also nicht einen rohen Kreuzzug für eine rein ethnische Macht. Angesichts der von Mungiki nach den Wahlen verübten Gewalt bleibt eine Frage offen: Warum führte sie einen Krieg gegen die Präsidentschaft eines Kikuyu, Mwai Kibaki?
Mungiki hat nicht nur Ideen, Praktiken und Riten der alten Kikuyu-Gesellschaft neu gestaltet und wiederbelebt, sondern auch starke Anleihen auf dem globalen Markt radikalen Gedankenguts gemacht. Wie Wamue zu Recht bemerkt: "Die gebildeten Mungiki-Mitglieder lesen Bücher über die Kikuyu-Geschichte sowie andere Schriften von Helden wie Marcus Garvey und Martin Luther [King]". Man findet häufig auch Mungiki-Jugendliche in T-Shirts mit dem herausfordernden Bild von Che Guevara.
Mungikis Bekehrung zum Islam ist vielleicht der rätselhafteste Aspekt ihres Synkretismus (Vermischung verschiedener Elemente unterschiedlicher Religionen und Konfessionen). Im September 2000 traten dreizehn Anführer der Bewegung in der Sakina-Moschee in Mombasa, der Zitadelle der radikalen islamischen Bewegung Kenias, zum Islam über. Bekehrt wurden unter anderem der Landeskoordinator Ndura Waruinge, jetzt Ibrahim, der Landesvorsitzende Mohammed alias Maina Njenga, die Provinzkoordinatoren Hassan Waithaka Wagacha, Mohammed Kamau Mwathi (Nairobi), Kimani Ruo Hussein (Rift Valley) und Khadija Wangari als Vertreterin der Frauen. Neben diesen Führungskräften traten Hunderte von einfachen Mungiki-Mitgliedern zum Islam über. Sie nahmen am Unterricht über den Islam teil und erhielten Bücher und andere Literatur über den Islam von Kenias muslimischer Gemeinschaft.
Ob das Abdriften von Mungiki in den radikalen Islam Ausdruck ihrer religiösen Überzeugungen war oder nur taktisch bedingt war, wird noch lebhaft diskutiert. Ihre Anführer behaupten, dass eine gemeinsame kulturelle Basis von Mungiki-Überzeugungen und der islamischen Lehren eine Bekehrung leicht machte. Im Gegensatz zum Christentum, das immer noch eine schwere Last der kulturellen Arroganz und des Snobismus in sich trage, unterstütze der Islam die Kernpraktiken der Mungiki: "Muslime rauchen, und wer Tabak kauen will, kann das ungehindert tun", so wie einige Mungiki-Anhänger Tabak schnupfen. Auf einer anderen Ebene hoffte die Mungiki-Führung, dass durch eine Bekehrung zum Islam "die Ziele der Bewegung, nämlich der Kampf gegen Korruption, schlechte Regierungsführung, Armut, Unmoral und Krankheiten wie HIV/Aids in Kenia, schneller umgesetzt werden können".
Hinter dieser Betonung von kulturellen und religiösen Motiven steckt ein tief verwurzeltes politisches Programm, das die Islamisierung Mungikis stützte. Die Bewegung bemühte sich mit der Islamisierung um eine umfassendere und nicht auf eine Ethnie beschränkte Identität, um ihre eindeutige "Stammesidentität" zu beseitigen oder zu maskieren, die die kenianische Regierung unter Präsident Moi als Rechtfertigung für ihre Verfolgung der Sektenmitglieder heranzog. Der Islam war deshalb eine politische Strategie sich zur Abwehr gegen die staatliche Repression zu tarnen. Diese Strategie geht auf die fünfziger Jahre zurück, als einige Mau-Mau-Anhänger zum Islam übertraten und in großer Zahl von ihren Dörfern in Mijini (getrennte Siedlungen für Muslime) umzogen, um ihre ethnische Identität zu verbergen und blindwütiger Repression zu entgehen.
Es ist aufschlussreich, dass Mungiki den radikalen Schiiten beitraten, während die meisten Muslime in Kenia den gemäßigten Sunniten angehören. Die Schiiten bilden einen kleinen, aber höchst aktiven Teil der islamischen Bewegung in Kenia. Scheich Balala, der hitzige Geistliche der Schiah-Branche, ist zur Ikone des radikalen Islam und seines politischen Flaggschiffes, der Islamischen Partei Kenias (IPK), geworden. Wie die Mungiki wurde auch die IPK unter der Präsidentschaft Mois stark unterdrückt. Die Bekehrung zum Islam bot Mungiki eine vorläufige Zuflucht. Muslimische Imame kamen ihr zu Hilfe, wann immer ihre Führungskräfte vom Staat verfolgt wurden, und warnten, dass die Verfolgung von Mungiki-Mitgliedern eine Beleidigung aller Muslime weltweit bedeutete. Mungikis Zusammengehen mit der radikalen islamischen Bewegung wird sie vermutlich jedoch ins Rampenlicht des globalen Kriegs gegen den Terror bringen, vor allem da Kenia zunehmend zum Ziel von Terroranschlägen wird. Der Begriff "Terror" wird heute vielfach auf Gewaltakte von Selbstschutzgruppen angewandt, die Mungiki zugeschrieben werden.
Es ist jedoch schwer zu ergründen, wie Mungiki von einer sozialen Bewegung zu einer kriminellen Bande herabsinken konnte. Eine Theorie besagt, dass die Kriminalisierung Mungikis ein logisches Ergebnis der politischen Absichten und Manöver der Regierung war, die Bewegung zu vereinnahmen und zu missbrauchen, um die Politik der Kikuyu zu destabilisieren. Deshalb haben politische Führungskräfte und Aktivisten seit Anfang 2000 warnend darauf hingewiesen, dass der Staat heimlich eine "Pseudo-Mungiki-Bewegung" schuf, um die eigentliche Mungiki-Bewegung auf typische Art der Geheimdienste zu durchdringen, von innen zu neutralisieren und zu torpedieren. Diese vom Staat geförderten Schlägertruppen würden Terroranschläge verüben und diese der Mungiki in die Schuhe schieben, hieß es. Das klang wie eine Neuauflage der bekannten Strategie der staatlich geförderten "ethnischen Milizen", die Menschenrechtsbeobachter für die abscheulichen Morde und Entwurzelungen von Tausenden von Regierungskritikern verantwortlich machten.
Dazu passt auch, dass dem Parlament im März 2002 mitgeteilt wurde, dass das Büro des Präsidenten mittels der Provinzverwaltung eine Gruppe von staatlich geförderten Schlägern zu kriminellen Handlungen anstiftete, für die Mungiki verantwortlich gemacht wurde. Am 20. Oktober 2000, lange bevor Mungiki in die Gewalttätigkeit abglitt, griff ein Mob, der nach Behauptung der Regierung zu Mungiki gehörte, in der Siedlung Kayole in Nairobi sechs Hosen tragende Frauen an und zog sie völlig aus, angeblich weil sie "unanständig" gekleidet waren. Im kulturellen Bereich gibt es offiziell keine besonderen Bekleidungsvorschriften, doch Mungiki-Jugendliche haben wie viele traditionelle religiöse Sekten eine starke Abneigung dagegen, dass Frauen Miniröcke und lange Hosen tragen, was sie als unanständig betrachten. Ein Mann und zwei Frauen, die die zerrissenen Hosen triumphierend schwenkten und von der Presse dabei fotografiert wurden, konnten eindeutig als Agenten der Regierungspartei, der Kenianischen Afrikanischen Nationalen Union (KANU), identifiziert werden.
Ab Anfang 2002 wurde jedoch deutlich, dass sich die höheren Ränge der Mungiki-Bewegung auf die Seite der herrschenden Partei gestellt hatten. Die Grenze zwischen einer sozialen Bewegung und einer kriminellen Bande verwischte sich stark. Beim Machtkampf, der den Parteiwahlen der KANU und dem Zusammenschluss mit der Nationalen Entwicklungspartei von Raila Odinga am 18. März voranging, mischte Mungiki offen und massiv in der Politik mit, wobei sie sich für Kikuyu-Kandidaten in der KANU stark machte. Besonders unterstützte sie Uhuru Kenyatta, den von Präsident Moi ausgesuchten Kandidaten für die Präsidentennachfolge in den Wahlen 2002. Mungikis Landesvorsitzender Maina Njenga erklärte, er werde sich als KANU-Kandidat um den Parlamentssitz für Laikipia bewerben.
Von da an wurde völlig klar, dass Mungiki ihre Rolle als soziale Bewegung aufgegeben hatte. Der Direktor der Kenianischen Menschenrechtskommission, Dr. Willy Mutunga, dessen Organisation zuvor die moralische Kampagne von Mungiki unterstützt hatte, sah Mungiki jedoch nicht als einen einheitlichen Block. Er unterschied zwischen denen, die er als Mungiki-Intifadah bezeichnete - das waren die schweigenden Mitglieder der ursprünglichen sozialen Bewegung, welche die Ideale der Befreiung, des Schutzes von Menschenrechten und des Kampfes gegen soziale und wirtschaftliche Missstände verteidigten, die mit den Kräften der Globalisierung in Verbindung gebracht werden B, und den neuen kriminellen Banden, die Terror und Gewalt gegen Frauen verübten. "Was mich beunruhigt", beklagte er bitter, "ist die Frage, wo ist die Intifada? Warum hat sie es zugelassen, dass die Führungskräfte die Bewegung an sich gerissen haben? Warum hat die Mungiki-Führung nicht die Anhängerschaft verloren?"
Nachdem die Mungiki-Führung durch die KANU vereinnahmt worden war, kam es zu einer Reihe von grausigen Morden. Am 3. März 2002 wüteten 300 Jugendliche, die Macheten, Äxte und andere primitive Waffen schwangen, durch die Siedlung Kariobangi in Nairobi und töteten 20 bis 23 Menschen und verletzten 31 weitere. Es hieß, dass Mungiki im Mafia-Stil zwei ihrer Mitglieder rächte, die in der Nacht zuvor von einer anderen Selbstschutzgruppe mit der Bezeichnung Taliban getötet worden waren.
Am 23. April 2002 wurden Frauen im Alter von 13 bis 65 Jahren in der Kikuyu-Region von Kiambaa in einem Mungiki zugeschriebenen Flugblatt ultimativ aufgefordert, sich vor dem 7. Juli 2002 beschneiden zu lassen. Die Vorsitzende des Internationalen Verbandes von Frauenanwälten (FIDA), einer Frauenrechtsgruppe, die die Sache aufzugreifen versuchte, "erhielt einen Anruf, in dem sie aufgefordert wurde zu schweigen, andernfalls werde sie das erste Opfer der Drohung". Nach Angaben der Vorsitzenden der Liga von kenianischen Wählerinnen (KLWV) hatten diese Drohungen eine starke politische Komponente: "Wir stellten fest, dass die Drohung auch politisch motiviert war. In den Wahlkreisen Kariobangi/Embakasi haben Mungiki-Anhänger Frauen aufgefordert, sich aus der Politik herauszuhalten, wenn sie nicht Opfer von Gewalttaten werden wollten. Das bedeutete, dass sie sich bei den Wahlen 2002 nicht als Kandidatinnen aufstellen lassen sollten."
Dass die Mungiki-Anführer die einfachen Mitglieder trotz ihrer Vereinnahmung durch die KANU-Elite bei der Stange zu halten vermochten, ist unter anderem auch auf ihre wirksame Manipulation der Kikuyu-Traditionen zurückzuführen. So griffen die Mungiki-Führer auf eine Ideologie zurück, die der mythischen revolutionären Vergangenheit der Kikuyu entnommen war, um die ungeteilte Loyalität ihrer einfachen Mitglieder zu bewahren und deren Unterstützung für den Präsidentschaftskandidaten der KANU bei den Wahlen zu gewinnen.
Diese revolutionäre Ideologie enthielt eine angepasste Form des vorkolonialen Kikuyu-Systems der Übertragung der Macht von der älteren Generation auf die jüngere. In seiner Monographie My People of Kikuyu führt Jomo Kenyatta aus, dieses System der Übertragung der Macht gehe weit zurück auf die Politik des Widerstands der Jugendlichen gegen die Tyrannei der herrschenden Älteren. Kenyatta zufolge führten die Jugendlichen der Generation von Iregi (rebellischen oder revolutionären Kriegern) eine erfolgreiche Revolution durch, bei der die Älteren entthront wurden. Das war möglich, weil die Tyrannei der Älteren "dazu geführt hatte, dass nach und nach der ganze Stamm die Unzufriedenheit der Krieger teilte".
Die Iregi-Revolution leitete eine "demokratische Ordnung" auf der Grundlage von gerontokratischen Prinzipien ein: In Kriegerräten (Njama) teilen sich Jugendliche die Macht und kommen schließlich an die Macht, wenn die ältere Generation die politische Bühne während einer großen Zeremonie verlässt, die als Ituika (Bruch, Auflösung der Revolution oder Übergabe der Macht) bekannt war. In seinem Buch The Akikuyu führt Pater Constanzo Cagnolo aus, dass die letzte Ituika im Jahre 1902 stattfand und die nächste für 1935 geplant war, jedoch von den Briten verboten wurde.
Bei den Wahlen von 2002 sahen einfache Mungiki-Mitglieder, wie Kenia in zwei Generationen gespalten war, die ältere, die an der Macht war, und die jüngere, die in den Kulissen wartete. Die Wahl war eine Wiederholung des Ituika-Systems, wobei die ältere Generation (Moi) die Macht an die jüngere Generation abgeben würde. Ferner fühlten sie sich als Iregi-Krieger, die an der Spitze einer Revolution gegen die herrschenden Älteren standen, denen sie vorwarfen, zu lange an der Macht zu bleiben, die Jugendlichen zu unterdrücken und die kenianische Nation zu plündern. Ihre Vorstellung von Jugendmacht wurde verstärkt durch das Bild des erlösenden Jugendlichen in Mugo wa Kibirus Prophezeiung, die so ausdrucksvoll in Ngugis Roman The River Between geschildert wurde: "Ein [junger] Mann wird aufstehen und die Menschen in ihrer Stunde der Not retten. Er wird ihnen den Weg zeigen, den er sie führen wird."
Mungiki stürzte sich in den Kampf um die Moi-Nachfolge und hielt dabei fanatisch an den beiden Ideen Ituaka und Jugendmacht fest. "Mungikis politisches Programm", erklärte ihr Vorsitzender Maina Njenga, "besteht darin, für jugendliche Führungskräfte Kampagnenarbeit zu leisten und die ältere Generation nach und nach zu verdrängen." Dieses Programm passte genau zu den Vorstellungen der KANU. Teilweise dem öffentlichen Druck nachgebend, dass er den Weg für junge Führungskräfte frei machen sollte, ernannte Präsident Moi in sein Kabinett und in die Parteiführung "Jungtürken" - junge Revoluzzer - wie Raila Odinga, Cyrus Njirongo und Katana Ngala sowie Uhuru Kenyatta, den Sohn von Kenias erstem Präsidenten Jomo Kenyatta, als seinen designierten Nachfolger.
In den Augen vieler Mungiki-Anhänger war Uhuru Kenyatta der erlösende jugendliche Führer aus Mugos Prophezeiung. "Wir unterstützen Uhuru", sagte Njenga, "weil er jung ist." Von Uhuru Kenyatta wurde in Mungiki-Kreisen von da an bewundernd als kamwana - dem Jugendlichen - gesprochen. Am 20. August, dem Tag von Uhurus Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten, kamen Mungiki-Jugendliche zu Hunderttausenden "in Bussen und Kleinbussen, auf Eselskarren und zu Fuß und strömten aus allen Richtungen in die Straßen von Nairobi", um den kamwana zu unterstützen und die Ituaka zu inszenieren.
Von seinem Büro im Harambee House verfolgte Präsident Moi mit Genugtuung den Umzug der Mungiki-Jugendlichen durch die Harambee Avenue auf ihrem Weg zum Uhuru-Park, dem Unabhängigkeitspark, in Nairobi, wo sie ihre Unterstützung für die Präsidentschaftskandidatur von Uhuru Kenyatta erklärten. Mungiki-Jugendliche sahen sich als die Iregi-Krieger früherer Zeiten, schwangen Macheten, rungus (Keulen) oder einfache Stöcke, gaben sich der wilden Erregung und dem Zauber der Ituika in einer Orgie von Tänzen und Schaukämpfen hin, die an die unheimlichen Echos der Iterahamwe in Ruanda vor dem Völkermord erinnerten.
In dieser euphorischen Stimmung sagte Mungiki-Sprecher Nduru Waruinge im BBC-Programm Focus on Africa, dass Uhuru Kenyatta Mitglied von Mungiki sei. Uhuru Kenyatta seinerseits verteidigte Mungiki unter Hinweis auf die Auswirkung der Wirtschaftskrise Kenias auf die Jugendlichen. Er meinte, einige Mungiki-Anhänger seien gut ausgebildete Jugendliche, die eine aktive Rolle bei der Entwicklung des Landes spielen könnten. "Die meisten traten der Sekte bei", sagte er, "weil sie faul waren, doch sind sie immer noch unsere Brüder und Schwestern, die nicht gehasst und von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, sondern dazu ermutigt werden sollten, sich zu bessern."
Trotz dieser nüchternen Aussage war die kenianische Öffentlichkeit beunruhigt über die Art, in der die Regierung die Gewaltakte Mungikis duldete und daraus politisches Kapital zu schlagen versuchte. Im Oktober drohten die Vertreter des Matatu-Sozialfürsorgeverbandes in Nairobi mit Streik, falls die Regierung nicht gegen die Mitglieder der Mungiki-Sekte auf den Taxirouten der Stadt vorgehe. "Die Regierung", sagte der Verband, "muss die Schikane gegen Matatu-Besitzern beenden und Gesetze unparteiisch anwenden." Im Parlament behaupteten führende Mitglieder der Opposition, dass Mitglieder der verbotenen Sekte trotz ihrer Beteiligung an ungesetzlichen Aktivitäten den Schutz der Regierung besäßen.
Angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks auf die Regierung, die Gewaltakte von Mungiki einzudämmen, begannen Uhuru Kenyatta und die KANU, sich strategisch von der Bewegung zu distanzieren. Wie sein Vater, dem ständig vorgeworfen worden war, der Kopf hinter der Mau-Mau-Bewegung zu sein, so wurde Uhuru Kenyatta beschuldigt, der De-Fakto-Anführer von Mungiki zu sein. Im November sah er sich gezwungen, Mungiki öffentlich zu verurteilen; er behauptete, nichts mit der Bewegung zu tun zu haben, da er seit seiner Geburt Katholik sei. "Es gibt Menschen, die meinen Namen beschmutzen", sagte er. "Sie behaupten, dass ich der Anführer von Mungiki sei. Ich bin Katholik, meine ganze Familie ebenso."
KANUs Zentrale annullierte in letzter Minute die Kandidatur des Mungiki-Vorsitzenden Maina Njenga für den Parlamentssitz in Nyahururu, um die Mungiki-Bewegung aus der aktiven Politik der KANU herauszuhalten. Der Vorsitzende der Sekte hatte die Nominierung mit 19.509 Stimmen gewonnen, während sein Gegenkandidat Muruthi nur 1331 Stimmen erhielt. Hunderte von Anhängern der Bewegung begleiteten Njenga in 50 Fahrzeugen zu den Büros der Wahlkommission von Kenia (ECK) in Nairobi, um gegen die Annullierung der augenscheinlich demokratischen Wahl ihres Vorsitzenden zu protestieren. Njenga verlor - doch die Unterstützung der Mungiki-Anhänger für die Kandidatur von Kenyatta ließ in keiner Weise nach.
Der Rest ist bekannt. Uhuru und die KANU wurden von der Nationalen Regenbogenkoalition (NARC) und Mwai Kibaki, einem Mann Anfang der Siebziger, vernichtend geschlagen. In der Zeit nach den Wahlen betrachteten viele Mungiki-Jugendliche dieses Scheitern nicht nur als politische Niederlage, sondern als einen Untergang der Generation, eine Niederlage der Idee der Ituika und ein Scheitern der Iregi-Revolution. Erbittert und enttäuscht wandten sie sich Mugos Trübsal und Frustrationen mit seiner eigenen Generation zu: "Der Seher wurde von den Bewohnern der Bergketten verworfen. Sie gaben ihm keine Kleidung und keine Nahrung. Er wurde verbittert und verbarg sich und lehnte es ab, ihnen mehr zu sagen ..."
Dieses starke Empfinden des Verrates bildete den politischen Hintergrund für die gewaltsamen Zusammenstöße nach den Wahlen zwischen Mungiki-Anhängern und der Kibaki-Regierung. Anfang Januar hackten Mungiki-Anhänger in Nakuru zwei Dutzend Menschen im Schlaf zu Tode. In Nairobis Siedlung Dandora töteten Mungiki-Anhänger einen Polizisten. Von Morden durch Mungiki-Jugendliche wurde auch aus dem Distrikt Maragua in Zentralkenia berichtet. Nach Polizeiangaben starben 2002 über 50 Menschen bei Zusammenstößen zwischen der Sekte und Besitzern von Matatus und ihren Kundenwerbern.
Interessant ist, dass die meisten Opfer ethnische Kikuyu waren. Warum richtete Mungiki ihre Gewaltakte gegen ethnisch Verwandte und die Kikuyu-Präsidentschaft von Mwai Kibaki? Es verdeutlicht die Rolle des Generationskonflikts und unterstreicht den Teil, den religiöse/traditionelle Ideologien bei "schmutzigen Kriegen" oder den internen Konflikten spielen, die Afrika heimsuchen.
Die neue Regierung begegnete der kriminellen Gewalttätigkeit von Mungiki zunächst mit staatlicher Gewalt. Der Sicherheitsminister gab sogar den Befehl aus, Mungiki-Anhänger gezielt zu töten. Hunderte von Mungiki-Anhängern wurden festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Das zwang viele Mungiki-Anhänger, in den Untergrund zu gehen und mit Krieg zu drohen, so wie die Mau Mau es getan hatten. Diese drakonische Reaktion brachte die Regierung in Konflikt mit Menschenrechtsorganisationen, die diese summarische Bestrafung und die Politik des gezielten Tötens als unverantwortliches Gesetz des Dschungels verurteilten. Sie bekräftigten das Recht der Mungiki-Anhänger auf einen fairen Prozess.
Inzwischen hat die Regierung diese Politik der harten Hand aufgegeben. Es wurde klar, dass die Gewalttätigkeit nach den Wahlen unmittelbar dadurch ausgelöst wurde, dass die Regierung die Ordnung im öffentlichen Verkehrswesen wiederherzustellen versuchte, indem sie Mungiki-Jugendliche aus dem Matatu-Sektor entfernte, ohne ihnen eine andere Möglichkeit für ihren Lebensunterhalt anzubieten. Die neue Regierung hat eine zu begrüßende zweigleisige Strategie angenommen, die die mit Mungiki verbundene Kriminalität bestraft, gleichzeitig aber ihre Mitglieder rehabilitiert und sie im Rahmen des Wiederaufbaus des Landes wieder in die kenianische Gesellschaft eingliedert.
Dieses Vorgehen hat zumindest der Orgie des Blutvergießens Einhalt geboten. Endlich könnte Kenia die kriminelle Mungiki-Bewegung und die ganze Kultur der Selbstschutzbewegungen zu einem für das Land segensreichen Ende bringen und die Demokratie stabilisieren.
Literatur
David M. Anderson: Vigilantes, Violence and the Politics of Public Order in Kenya. In African Affairs Nr. 101, 2002.
Grace Wamue: Revisiting Our Indigenous Shines Through Mungiki. In African Affairs Nr. 100, 2001.
aus: der überblick 03/2003, Seite 30
AUTOR(EN):
Peter Mwangi Kagwanja:
Dr. Peter Mwangi Kagwanja ist Dozent für Geschichte und politische Wissenschaften an der Moi-Universität in Eldoret, Kenia, und assoziierter Forscher bei der Kenianischen Menschenrechtskommission. Zur Zeit ist er Fulbright-Gastprofessor an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign (USA).